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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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wenigstens die zu eurem Begriffsgebäude nöthigen Bausteine
hergerichtet, die Begriffe genau und klar formulirt,
so daß es bald an das Zusammensetzen gehen könnte? Euer
berühmtester Meister soll selbst erklärt haben, von allen seinen
Schülern habe ihn nur Einer verstanden, und dieser habe ihn
miß verstanden. Haben es vielleicht seither die Gesellen wei-
ter als der Altmeister gebracht in der Kunst, sich verständlich
zu machen? Denn verstehen müssen wir doch das neue
Gesetzbuch, welches uns "frei von jeglichem Autoritätsglauben,
in bewußt vernünftiger Entwickelung" zur Grundlage aller
unserer Zustände dienen soll. Vordersamst aber sieht es noch
gar nicht darnach aus, als würdet ihr es durch die Kraft
des Begriffes bald zu der für uns nöthigen Klarheit bringen.
Denn das Erste, was einem Laien, wenn er einen Blick in
unsere neuere Philosophie wirft, auffallen muß, das ist ja
gerade die ihm vollkommen unverständliche Sprache.
Das Ding sieht aus wie Deutsch, aber doch ist es nicht
unsere gewöhnliche deutsche Sprache, nicht die Sprache des
gesunden Menschenverstandes, sondern ein Gewebe von fremd-
artig gebrauchten Wörtern, von Abstraktionen, formalen
Unterscheidungen und Gegensätzen, wobei immer ein Theil das
Verständniß des andern zu seiner Erklärung voraussetzt, und
wenn unser Einer, welchem der Geist noch nicht in spanische
Stiefeln eingeschnürt wurde, eine Weile mit Aufmerksamkeit
in einem solchen Buche liest, so wird ihm von alle dem so dumm,
als ging' ihm ein Mühlrad im Kopf herum. Jhr werdet zu-
geben, daß das nicht die gewöhnliche Wirkung der Klarheit ist.

Aus welchem Grunde bedienen sich nun wohl unsere
Philosophen einer für den gesunden Menschenverstand so un-
verständlichen Sprache? Geschieht es vielleicht nur, um einen

wenigſtens die zu eurem Begriffsgebäude nöthigen Bauſteine
hergerichtet, die Begriffe genau und klar formulirt,
ſo daß es bald an das Zuſammenſetzen gehen könnte? Euer
berühmteſter Meiſter ſoll ſelbſt erklärt haben, von allen ſeinen
Schülern habe ihn nur Einer verſtanden, und dieſer habe ihn
miß verſtanden. Haben es vielleicht ſeither die Geſellen wei-
ter als der Altmeiſter gebracht in der Kunſt, ſich verſtändlich
zu machen? Denn verſtehen müſſen wir doch das neue
Geſetzbuch, welches uns „frei von jeglichem Autoritätsglauben,
in bewußt vernünftiger Entwickelung“ zur Grundlage aller
unſerer Zuſtände dienen ſoll. Vorderſamſt aber ſieht es noch
gar nicht darnach aus, als würdet ihr es durch die Kraft
des Begriffes bald zu der für uns nöthigen Klarheit bringen.
Denn das Erſte, was einem Laien, wenn er einen Blick in
unſere neuere Philoſophie wirft, auffallen muß, das iſt ja
gerade die ihm vollkommen unverſtändliche Sprache.
Das Ding ſieht aus wie Deutſch, aber doch iſt es nicht
unſere gewöhnliche deutſche Sprache, nicht die Sprache des
geſunden Menſchenverſtandes, ſondern ein Gewebe von fremd-
artig gebrauchten Wörtern, von Abſtraktionen, formalen
Unterſcheidungen und Gegenſätzen, wobei immer ein Theil das
Verſtändniß des andern zu ſeiner Erklärung vorausſetzt, und
wenn unſer Einer, welchem der Geiſt noch nicht in ſpaniſche
Stiefeln eingeſchnürt wurde, eine Weile mit Aufmerkſamkeit
in einem ſolchen Buche liest, ſo wird ihm von alle dem ſo dumm,
als ging’ ihm ein Mühlrad im Kopf herum. Jhr werdet zu-
geben, daß das nicht die gewöhnliche Wirkung der Klarheit iſt.

Aus welchem Grunde bedienen ſich nun wohl unſere
Philoſophen einer für den geſunden Menſchenverſtand ſo un-
verſtändlichen Sprache? Geſchieht es vielleicht nur, um einen

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[55/0061] wenigſtens die zu eurem Begriffsgebäude nöthigen Bauſteine hergerichtet, die Begriffe genau und klar formulirt, ſo daß es bald an das Zuſammenſetzen gehen könnte? Euer berühmteſter Meiſter ſoll ſelbſt erklärt haben, von allen ſeinen Schülern habe ihn nur Einer verſtanden, und dieſer habe ihn miß verſtanden. Haben es vielleicht ſeither die Geſellen wei- ter als der Altmeiſter gebracht in der Kunſt, ſich verſtändlich zu machen? Denn verſtehen müſſen wir doch das neue Geſetzbuch, welches uns „frei von jeglichem Autoritätsglauben, in bewußt vernünftiger Entwickelung“ zur Grundlage aller unſerer Zuſtände dienen ſoll. Vorderſamſt aber ſieht es noch gar nicht darnach aus, als würdet ihr es durch die Kraft des Begriffes bald zu der für uns nöthigen Klarheit bringen. Denn das Erſte, was einem Laien, wenn er einen Blick in unſere neuere Philoſophie wirft, auffallen muß, das iſt ja gerade die ihm vollkommen unverſtändliche Sprache. Das Ding ſieht aus wie Deutſch, aber doch iſt es nicht unſere gewöhnliche deutſche Sprache, nicht die Sprache des geſunden Menſchenverſtandes, ſondern ein Gewebe von fremd- artig gebrauchten Wörtern, von Abſtraktionen, formalen Unterſcheidungen und Gegenſätzen, wobei immer ein Theil das Verſtändniß des andern zu ſeiner Erklärung vorausſetzt, und wenn unſer Einer, welchem der Geiſt noch nicht in ſpaniſche Stiefeln eingeſchnürt wurde, eine Weile mit Aufmerkſamkeit in einem ſolchen Buche liest, ſo wird ihm von alle dem ſo dumm, als ging’ ihm ein Mühlrad im Kopf herum. Jhr werdet zu- geben, daß das nicht die gewöhnliche Wirkung der Klarheit iſt. Aus welchem Grunde bedienen ſich nun wohl unſere Philoſophen einer für den geſunden Menſchenverſtand ſo un- verſtändlichen Sprache? Geſchieht es vielleicht nur, um einen

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/61>, abgerufen am 21.11.2024.