[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.Augen hundert Ellen Band aus dem eigenen Rachen heraus- Augen hundert Ellen Band aus dem eigenen Rachen heraus- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0063" n="57"/> Augen hundert Ellen Band aus dem eigenen Rachen heraus-<lb/> windet. So etwas läßt ſich natürlich im gewöhnlichen Leben<lb/> nicht nachmachen. Wollte die Philoſophie die Erklärung der<lb/> uns umgebenden Räthſel, ſtatt in einer für uns unverſtänd-<lb/> lichen und für Philoſophen mißverſtändlichen Sprache, in der<lb/> Sprache des geſunden Menſchenverſtandes verſuchen, ſo würde<lb/> ſie bei gar vielen Fragen ihr Unvermögen zu einer beſtimm-<lb/> ten und genügenden Antwort eingeſtehen müſſen. Jn einem<lb/> ſolchen Falle würde aber offenbar die Philoſophie die ihr<lb/> von unſerem „Zeitbewußtſein“ geſtellte Aufgabe nicht löſen.<lb/> Unſer Zeitbewußtſein muß nothwendig, nachdem ihm der<lb/> Glaube an unſere eigene ſittliche Natur abhanden gekom-<lb/> men iſt, ſich ausſchließlich an unſeren Verſtand halten, und<lb/> es muß, nachdem ihm der Glaube an eine höhere ſittliche<lb/> Macht über uns abhanden gekommen iſt, den Menſchen für<lb/> das Höchſte, was exiſtirt, halten. Wenn aber der Menſch<lb/> und im Menſchen der Verſtand das Höchſte iſt, ſo muß uns<lb/> nothwendig der menſchliche Verſtand die göttliche Allmacht<lb/> erſetzen können, ſonſt wären wir ja angeführt mit unſerer<lb/> Souveränetät. Daher iſt die Allmacht des Verſtandes ein<lb/> nothwendiges Poſtulat unſeres Zeitbewußtſeins, und das<lb/> Zeitbewußtſein mußte der Philoſophie nothwendig den Auf-<lb/> trag ertheilen, zu beweiſen, daß dem menſchlichen Verſtande<lb/> nichts zu hoch und nichts zu rund ſei. Und die Philoſophie<lb/> hat ſich dieſem Auftrag mit Todesverachtung unterzogen. Da<lb/> wo der menſchliche Verſtand zu kurz iſt, um zu verſtehen,<lb/> was wir nun einmal nach unſerer Beſtimmung nicht berufen<lb/> ſind zu verſtehen, da haben unſere Philoſophen <hi rendition="#g">Worte</hi><lb/> erfunden, Worte und allmälig eine ganze <hi rendition="#g">Sprache,</hi> durch<lb/> die man Alles zu erklären vermag, was man verſteht und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [57/0063]
Augen hundert Ellen Band aus dem eigenen Rachen heraus-
windet. So etwas läßt ſich natürlich im gewöhnlichen Leben
nicht nachmachen. Wollte die Philoſophie die Erklärung der
uns umgebenden Räthſel, ſtatt in einer für uns unverſtänd-
lichen und für Philoſophen mißverſtändlichen Sprache, in der
Sprache des geſunden Menſchenverſtandes verſuchen, ſo würde
ſie bei gar vielen Fragen ihr Unvermögen zu einer beſtimm-
ten und genügenden Antwort eingeſtehen müſſen. Jn einem
ſolchen Falle würde aber offenbar die Philoſophie die ihr
von unſerem „Zeitbewußtſein“ geſtellte Aufgabe nicht löſen.
Unſer Zeitbewußtſein muß nothwendig, nachdem ihm der
Glaube an unſere eigene ſittliche Natur abhanden gekom-
men iſt, ſich ausſchließlich an unſeren Verſtand halten, und
es muß, nachdem ihm der Glaube an eine höhere ſittliche
Macht über uns abhanden gekommen iſt, den Menſchen für
das Höchſte, was exiſtirt, halten. Wenn aber der Menſch
und im Menſchen der Verſtand das Höchſte iſt, ſo muß uns
nothwendig der menſchliche Verſtand die göttliche Allmacht
erſetzen können, ſonſt wären wir ja angeführt mit unſerer
Souveränetät. Daher iſt die Allmacht des Verſtandes ein
nothwendiges Poſtulat unſeres Zeitbewußtſeins, und das
Zeitbewußtſein mußte der Philoſophie nothwendig den Auf-
trag ertheilen, zu beweiſen, daß dem menſchlichen Verſtande
nichts zu hoch und nichts zu rund ſei. Und die Philoſophie
hat ſich dieſem Auftrag mit Todesverachtung unterzogen. Da
wo der menſchliche Verſtand zu kurz iſt, um zu verſtehen,
was wir nun einmal nach unſerer Beſtimmung nicht berufen
ſind zu verſtehen, da haben unſere Philoſophen Worte
erfunden, Worte und allmälig eine ganze Sprache, durch
die man Alles zu erklären vermag, was man verſteht und
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