Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

bekämpfen, das mag zweifelhaft sein. Aber darüber sollte doch
wohl bei vernünftigen Leuten kein Zweifel herrschen, daß es
unmöglich sei, die bereits so mächtig gewordene Anarchie mit
den nämlichen Mitteln
zu vertilgen, unter deren Ein-
fluß sie entstehen und aus kleinen Anfängen zur Macht ge-
langen konnte. Und dennoch ist im Wesentlichen nicht der
geringste Unterschied zwischen dem, was jetzt an den meisten
Orten geschieht, nachdem die Anarchie für einen Augenblick
äußerlich zu Boden geworfen worden ist, und zwischen dem,
was früher während der Dauer eines ganzen Menschen-
lebens bis zum Ausbruch der anarchischen Bewegungen ge-
schehen war.

Während einer langen Reihe von Jahren hatten bei uns
die Einen alles Heil von der Erweiterung politischer Rechte
und Freiheiten, von einer Schwächung der Regierungsgewalt,
und von der Abschaffung des historischen Rechts und des
kirchlichen Glaubens erwartet. Andere dagegen suchten in der
nämlichen Zeit mit der nämlichen Verblendung alles Heil in
einer blosen Verweigerung aller dieser Forderungen, in einer
möglichsten Erweiterung der Macht der Regierung und in
einem schroffen Festhalten an den alten Formen. Eine dritte
Partei endlich wollte durch ein konstitutionelles Schaukelsystem
zwischen zwei gleich verkehrten Gegensätzen eine das Gleich-
gewicht erhaltende Macht herstellen, und bildete sich ein, das
Heil des Staates beruhe auf den Formen einer diese Gegen-
sätze vermittelnden Verfassung. Jn diesem rein formalen
Streit um den Umfang der Rechte der Unterthanen, um den
Umfang der Macht der Regierenden, und um die einzelnen
Bestimmungen der Verfassung und der Gesetze verzehrten
wir alle unsere Kraft. Und doch könnte ein Kind einsehen,

bekämpfen, das mag zweifelhaft ſein. Aber darüber ſollte doch
wohl bei vernünftigen Leuten kein Zweifel herrſchen, daß es
unmöglich ſei, die bereits ſo mächtig gewordene Anarchie mit
den nämlichen Mitteln
zu vertilgen, unter deren Ein-
fluß ſie entſtehen und aus kleinen Anfängen zur Macht ge-
langen konnte. Und dennoch iſt im Weſentlichen nicht der
geringſte Unterſchied zwiſchen dem, was jetzt an den meiſten
Orten geſchieht, nachdem die Anarchie für einen Augenblick
äußerlich zu Boden geworfen worden iſt, und zwiſchen dem,
was früher während der Dauer eines ganzen Menſchen-
lebens bis zum Ausbruch der anarchiſchen Bewegungen ge-
ſchehen war.

Während einer langen Reihe von Jahren hatten bei uns
die Einen alles Heil von der Erweiterung politiſcher Rechte
und Freiheiten, von einer Schwächung der Regierungsgewalt,
und von der Abſchaffung des hiſtoriſchen Rechts und des
kirchlichen Glaubens erwartet. Andere dagegen ſuchten in der
nämlichen Zeit mit der nämlichen Verblendung alles Heil in
einer bloſen Verweigerung aller dieſer Forderungen, in einer
möglichſten Erweiterung der Macht der Regierung und in
einem ſchroffen Feſthalten an den alten Formen. Eine dritte
Partei endlich wollte durch ein konſtitutionelles Schaukelſyſtem
zwiſchen zwei gleich verkehrten Gegenſätzen eine das Gleich-
gewicht erhaltende Macht herſtellen, und bildete ſich ein, das
Heil des Staates beruhe auf den Formen einer dieſe Gegen-
ſätze vermittelnden Verfaſſung. Jn dieſem rein formalen
Streit um den Umfang der Rechte der Unterthanen, um den
Umfang der Macht der Regierenden, und um die einzelnen
Beſtimmungen der Verfaſſung und der Geſetze verzehrten
wir alle unſere Kraft. Und doch könnte ein Kind einſehen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="preface" n="1">
        <p><pb facs="#f0008" n="2"/>
bekämpfen, das mag zweifelhaft &#x017F;ein. Aber darüber &#x017F;ollte doch<lb/>
wohl bei vernünftigen Leuten kein Zweifel herr&#x017F;chen, daß es<lb/>
unmöglich &#x017F;ei, die bereits &#x017F;o mächtig gewordene Anarchie <hi rendition="#g">mit<lb/>
den nämlichen Mitteln</hi> zu vertilgen, unter deren Ein-<lb/>
fluß &#x017F;ie ent&#x017F;tehen und aus kleinen Anfängen zur Macht ge-<lb/>
langen konnte. Und dennoch i&#x017F;t im We&#x017F;entlichen nicht der<lb/>
gering&#x017F;te Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen dem, was <hi rendition="#g">jetzt</hi> an den mei&#x017F;ten<lb/>
Orten ge&#x017F;chieht, nachdem die Anarchie für einen Augenblick<lb/>
äußerlich zu Boden geworfen worden i&#x017F;t, und zwi&#x017F;chen dem,<lb/>
was <hi rendition="#g">früher</hi> während der Dauer eines ganzen Men&#x017F;chen-<lb/>
lebens bis zum Ausbruch der anarchi&#x017F;chen Bewegungen ge-<lb/>
&#x017F;chehen war.</p><lb/>
        <p>Während einer langen Reihe von Jahren hatten bei uns<lb/>
die Einen alles Heil von der Erweiterung politi&#x017F;cher Rechte<lb/>
und Freiheiten, von einer Schwächung der Regierungsgewalt,<lb/>
und von der Ab&#x017F;chaffung des hi&#x017F;tori&#x017F;chen Rechts und des<lb/>
kirchlichen Glaubens erwartet. Andere dagegen &#x017F;uchten in der<lb/>
nämlichen Zeit mit der nämlichen Verblendung alles Heil in<lb/>
einer blo&#x017F;en Verweigerung aller die&#x017F;er Forderungen, in einer<lb/>
möglich&#x017F;ten Erweiterung der Macht der Regierung und in<lb/>
einem &#x017F;chroffen Fe&#x017F;thalten an den alten Formen. Eine dritte<lb/>
Partei endlich wollte durch ein kon&#x017F;titutionelles Schaukel&#x017F;y&#x017F;tem<lb/>
zwi&#x017F;chen zwei gleich verkehrten Gegen&#x017F;ätzen eine das Gleich-<lb/>
gewicht erhaltende Macht her&#x017F;tellen, und bildete &#x017F;ich ein, das<lb/>
Heil des Staates beruhe auf den Formen einer die&#x017F;e Gegen-<lb/>
&#x017F;ätze vermittelnden Verfa&#x017F;&#x017F;ung. Jn die&#x017F;em rein formalen<lb/>
Streit um den Umfang der Rechte der Unterthanen, um den<lb/>
Umfang der Macht der Regierenden, und um die einzelnen<lb/>
Be&#x017F;timmungen der Verfa&#x017F;&#x017F;ung und der Ge&#x017F;etze verzehrten<lb/>
wir alle un&#x017F;ere Kraft. Und doch könnte ein Kind ein&#x017F;ehen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0008] bekämpfen, das mag zweifelhaft ſein. Aber darüber ſollte doch wohl bei vernünftigen Leuten kein Zweifel herrſchen, daß es unmöglich ſei, die bereits ſo mächtig gewordene Anarchie mit den nämlichen Mitteln zu vertilgen, unter deren Ein- fluß ſie entſtehen und aus kleinen Anfängen zur Macht ge- langen konnte. Und dennoch iſt im Weſentlichen nicht der geringſte Unterſchied zwiſchen dem, was jetzt an den meiſten Orten geſchieht, nachdem die Anarchie für einen Augenblick äußerlich zu Boden geworfen worden iſt, und zwiſchen dem, was früher während der Dauer eines ganzen Menſchen- lebens bis zum Ausbruch der anarchiſchen Bewegungen ge- ſchehen war. Während einer langen Reihe von Jahren hatten bei uns die Einen alles Heil von der Erweiterung politiſcher Rechte und Freiheiten, von einer Schwächung der Regierungsgewalt, und von der Abſchaffung des hiſtoriſchen Rechts und des kirchlichen Glaubens erwartet. Andere dagegen ſuchten in der nämlichen Zeit mit der nämlichen Verblendung alles Heil in einer bloſen Verweigerung aller dieſer Forderungen, in einer möglichſten Erweiterung der Macht der Regierung und in einem ſchroffen Feſthalten an den alten Formen. Eine dritte Partei endlich wollte durch ein konſtitutionelles Schaukelſyſtem zwiſchen zwei gleich verkehrten Gegenſätzen eine das Gleich- gewicht erhaltende Macht herſtellen, und bildete ſich ein, das Heil des Staates beruhe auf den Formen einer dieſe Gegen- ſätze vermittelnden Verfaſſung. Jn dieſem rein formalen Streit um den Umfang der Rechte der Unterthanen, um den Umfang der Macht der Regierenden, und um die einzelnen Beſtimmungen der Verfaſſung und der Geſetze verzehrten wir alle unſere Kraft. Und doch könnte ein Kind einſehen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/8
Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/8>, abgerufen am 23.11.2024.