Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen den himmlischen Vater der Zugang bereitet, in ihnen
ist durch die Gewohnheit, einer höheren sittlichen Autorität
zu gehorchen, das Gewissen empfänglich, das sittliche Be-
wußtsein lebendig genug, um dem religiösen Denken einen
Jnhalt, eine Grundlage zu geben, während bei den Er-
wachsenen Verstandeshochmuth und die Gewohnheit, nur ihrem
eigenen Willen zu dienen, nur allzu oft das sittliche Bewußt-
sein ersticken.

Aber gerade das war es auch, was die Wuth der Schrift-
gelehrten gegen ihn so sehr entflammen mußte. Es ist so
bequem, gewisse Sätze aufzustellen im Namen der Religion,
gewisse Formen im Namen der Kirche, und von der Annahme
dieser Satzungen die Rechtfertigung vor Gott abhängig zu
machen, indem man voraussetzt, daß das Uebrige, was "noch
sonst" vom Menschen gefordert werden muß, sich aus der
Annahme dieser Satzungen von selbst ergebe. Gar unbe-
quem aber ist es, zu hören, daß unsere Wiedergeburt gar
nicht im Kopfe und im Denken, sondern im Herzen und in
der Gesinnung vor sich gehen müsse, daß wir uns ändern,
demüthigen, läutern, bessern müssen, um für besser zu
gelten, und daß bei diesem mißlichen Geschäfte die gescheidten
Leute vor den Einfältigen gar nichts voraus haben sollen.
Wie, ein Schriftgelehrter, ein Doktor der Theo-
logie
soll durch all' sein Wissen und Denken, durch seine
vollkommene Vertrautheit mit allen Satzungen der Kirche
nicht ein Titelchen, nichts, gar nichts voraus haben, vor
der allersimpelsten Bauernfrau? nichts voraus haben
vor Kindern? und wenn er meint, das demüthigende
Geschäft der sittlichen Wiedergeburt umgehen und den Himmel
mit seiner Dogmatik zufrieden stellen zu können, so soll er

gegen den himmliſchen Vater der Zugang bereitet, in ihnen
iſt durch die Gewohnheit, einer höheren ſittlichen Autorität
zu gehorchen, das Gewiſſen empfänglich, das ſittliche Be-
wußtſein lebendig genug, um dem religiöſen Denken einen
Jnhalt, eine Grundlage zu geben, während bei den Er-
wachſenen Verſtandeshochmuth und die Gewohnheit, nur ihrem
eigenen Willen zu dienen, nur allzu oft das ſittliche Bewußt-
ſein erſticken.

Aber gerade das war es auch, was die Wuth der Schrift-
gelehrten gegen ihn ſo ſehr entflammen mußte. Es iſt ſo
bequem, gewiſſe Sätze aufzuſtellen im Namen der Religion,
gewiſſe Formen im Namen der Kirche, und von der Annahme
dieſer Satzungen die Rechtfertigung vor Gott abhängig zu
machen, indem man vorausſetzt, daß das Uebrige, was „noch
ſonſt“ vom Menſchen gefordert werden muß, ſich aus der
Annahme dieſer Satzungen von ſelbſt ergebe. Gar unbe-
quem aber iſt es, zu hören, daß unſere Wiedergeburt gar
nicht im Kopfe und im Denken, ſondern im Herzen und in
der Geſinnung vor ſich gehen müſſe, daß wir uns ändern,
demüthigen, läutern, beſſern müſſen, um für beſſer zu
gelten, und daß bei dieſem mißlichen Geſchäfte die geſcheidten
Leute vor den Einfältigen gar nichts voraus haben ſollen.
Wie, ein Schriftgelehrter, ein Doktor der Theo-
logie
ſoll durch all’ ſein Wiſſen und Denken, durch ſeine
vollkommene Vertrautheit mit allen Satzungen der Kirche
nicht ein Titelchen, nichts, gar nichts voraus haben, vor
der allerſimpelſten Bauernfrau? nichts voraus haben
vor Kindern? und wenn er meint, das demüthigende
Geſchäft der ſittlichen Wiedergeburt umgehen und den Himmel
mit ſeiner Dogmatik zufrieden ſtellen zu können, ſo ſoll er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0084" n="78"/>
gegen den himmli&#x017F;chen Vater der Zugang bereitet, in ihnen<lb/>
i&#x017F;t durch die Gewohnheit, einer höheren &#x017F;ittlichen Autorität<lb/>
zu gehorchen, das Gewi&#x017F;&#x017F;en empfänglich, das &#x017F;ittliche Be-<lb/>
wußt&#x017F;ein lebendig genug, um dem religiö&#x017F;en Denken einen<lb/>
Jnhalt, eine Grundlage zu geben, während bei den Er-<lb/>
wach&#x017F;enen Ver&#x017F;tandeshochmuth und die Gewohnheit, nur ihrem<lb/>
eigenen Willen zu dienen, nur allzu oft das &#x017F;ittliche Bewußt-<lb/>
&#x017F;ein er&#x017F;ticken.</p><lb/>
        <p>Aber gerade das war es auch, was die Wuth der Schrift-<lb/>
gelehrten gegen ihn &#x017F;o &#x017F;ehr entflammen mußte. Es i&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
bequem, gewi&#x017F;&#x017F;e Sätze aufzu&#x017F;tellen im Namen der Religion,<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Formen im Namen der Kirche, und von der Annahme<lb/>
die&#x017F;er Satzungen die Rechtfertigung vor Gott abhängig zu<lb/>
machen, indem man voraus&#x017F;etzt, daß das Uebrige, was &#x201E;noch<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t&#x201C; vom Men&#x017F;chen gefordert werden muß, &#x017F;ich aus der<lb/>
Annahme die&#x017F;er Satzungen von &#x017F;elb&#x017F;t ergebe. Gar unbe-<lb/>
quem aber i&#x017F;t es, zu hören, daß un&#x017F;ere Wiedergeburt gar<lb/>
nicht im Kopfe und im Denken, &#x017F;ondern im Herzen und in<lb/>
der Ge&#x017F;innung vor &#x017F;ich gehen mü&#x017F;&#x017F;e, daß wir uns ändern,<lb/>
demüthigen, läutern, <hi rendition="#g">be&#x017F;&#x017F;ern</hi>&#x017F;&#x017F;en, um für <hi rendition="#g">be&#x017F;&#x017F;er</hi> zu<lb/>
gelten, und daß bei die&#x017F;em mißlichen Ge&#x017F;chäfte die ge&#x017F;cheidten<lb/>
Leute vor den Einfältigen gar nichts voraus haben &#x017F;ollen.<lb/>
Wie, ein <hi rendition="#g">Schriftgelehrter,</hi> ein <hi rendition="#g">Doktor der Theo-<lb/>
logie</hi> &#x017F;oll durch all&#x2019; &#x017F;ein Wi&#x017F;&#x017F;en und Denken, durch &#x017F;eine<lb/>
vollkommene Vertrautheit mit allen Satzungen der Kirche<lb/>
nicht ein Titelchen, nichts, gar nichts voraus haben, vor<lb/>
der aller&#x017F;impel&#x017F;ten <hi rendition="#g">Bauernfrau?</hi> nichts voraus haben<lb/>
vor <hi rendition="#g">Kindern?</hi> und wenn er meint, das demüthigende<lb/>
Ge&#x017F;chäft der &#x017F;ittlichen Wiedergeburt umgehen und den Himmel<lb/>
mit &#x017F;einer Dogmatik zufrieden &#x017F;tellen zu können, &#x017F;o &#x017F;oll er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0084] gegen den himmliſchen Vater der Zugang bereitet, in ihnen iſt durch die Gewohnheit, einer höheren ſittlichen Autorität zu gehorchen, das Gewiſſen empfänglich, das ſittliche Be- wußtſein lebendig genug, um dem religiöſen Denken einen Jnhalt, eine Grundlage zu geben, während bei den Er- wachſenen Verſtandeshochmuth und die Gewohnheit, nur ihrem eigenen Willen zu dienen, nur allzu oft das ſittliche Bewußt- ſein erſticken. Aber gerade das war es auch, was die Wuth der Schrift- gelehrten gegen ihn ſo ſehr entflammen mußte. Es iſt ſo bequem, gewiſſe Sätze aufzuſtellen im Namen der Religion, gewiſſe Formen im Namen der Kirche, und von der Annahme dieſer Satzungen die Rechtfertigung vor Gott abhängig zu machen, indem man vorausſetzt, daß das Uebrige, was „noch ſonſt“ vom Menſchen gefordert werden muß, ſich aus der Annahme dieſer Satzungen von ſelbſt ergebe. Gar unbe- quem aber iſt es, zu hören, daß unſere Wiedergeburt gar nicht im Kopfe und im Denken, ſondern im Herzen und in der Geſinnung vor ſich gehen müſſe, daß wir uns ändern, demüthigen, läutern, beſſern müſſen, um für beſſer zu gelten, und daß bei dieſem mißlichen Geſchäfte die geſcheidten Leute vor den Einfältigen gar nichts voraus haben ſollen. Wie, ein Schriftgelehrter, ein Doktor der Theo- logie ſoll durch all’ ſein Wiſſen und Denken, durch ſeine vollkommene Vertrautheit mit allen Satzungen der Kirche nicht ein Titelchen, nichts, gar nichts voraus haben, vor der allerſimpelſten Bauernfrau? nichts voraus haben vor Kindern? und wenn er meint, das demüthigende Geſchäft der ſittlichen Wiedergeburt umgehen und den Himmel mit ſeiner Dogmatik zufrieden ſtellen zu können, ſo ſoll er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/84
Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/84>, abgerufen am 24.11.2024.