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Der Arbeitgeber. Nr. 668. Frankfurt a. M., 18. Februar 1870.

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[Spaltenumbruch] unseres Blattes herrühren, denn seit der "Arbeitgeber" besteht,
hat er ja nichts anderes gethan als gerade diese Mittel ange-
geben; und glücklicherweise sind manche davon seitdem auch durch-
gesetzt worden.

Was die Verwilderung und Verarmung der Fabrik Städte be-
trifft, so widerspricht diese Behauptung aller Erfahrung und dem
offenkundigen Thatbestand. Die Uebergänge, welche vor 30 Jahren
zu machen waren, sind meist vollendet, die Schauerberichte, welche
einseitige Berichterstatter in den 40er und 50er Jahren aus Eng-
land herüber sandten, entsprachen schon damals den faktischen Ver-
hältnissen nicht, heute sind sie gänzlich unwahr. Die Statistik weist
klar nach, daß die Fabrikbevölkerung sich durchschnittlich in besserer
Lage befindet, intelligenter, sittlicher und was das Merkwürdigste,
sogar körperlich tüchtiger ist, als die Landbevölkerung, welche nach
der letzten Militärstatistik der Schweiz sogar dort hinter der Fabrik-
bevölkerung zurücksteht. Von Paris z. B. ist bekannt, daß es die
gewandesten Soldaten, die besten Zouaven liefert, -- und Paris ist
die größte Fabrikstadt des Kontinentes. Wir haben über diesen
Gegenstand schon so Vieles gebracht, daß wir von einer Wiederholung
desselben absehen können. Jedermann kann übrigens durch die Sta-
tistik leicht sich von Obigem überzeugen. Jn Elberfeld und Barmen
mag es vielleicht manche verwilderte Arbeiter geben, allein das
Fabrikwesen ist nicht die Ursache. Man hat dort den Versuch ge-
macht, Hausindustrie einzuführen, namentlich den Mädchen Arbeit
in's Haus zu geben, allein es hat sich nach mehrjähriger Erfahrung
herausgestellt, daß nicht blos schlechter und theuerer gearbeitet wurde,
sondern auch die Sittlichkeit bedeutend abnahm; wie man denn über-
haupt von dem früheren Wahne, daß auf dem Lande die wahre
Sittlichkeit und Redlichkeit herrsche, so ziemlich zurückgekommen ist.
Bildung macht sittlich, Zusammenleben veredelt den Menschen, wenn
auch Auswüchse dabei vorkommen.

Daß "ungeheuere Vorräthe" vorhanden, "die Märkte überfüllt"
seien, und die Arbeiter doch Mangel an Waaren haben sollen, ist ein
wirthschaftlicher Widersinn. Wenn ungeheuere Vorräthe da sind,
d. h. Ueberfluß an allen Dingen, dann müssen die Preise sinken,
die Löhne aber steigen. Geschieht dieß nicht, so ist kein Ueberfluß
vorhanden. Die gang und gäbe Redensart von der Ueberfüllung des
Marktes und Ueberproduktion rührt davon her, daß einzelne Jndustrie-
Zweige zeitweise mehr erzeugen, als ihnen abgekauft wird. Dieß ist aber
meist die Folge von Noth in anderen Zweigen oder von Aenderungen
in Geschmack und Verbrauch. Wenn eine Mißernte war, so pflegen
alle Gewerbe darunter zu leiden, am meisten aber die Fabriken, weil
diese entbehrlichere Waaren liefern. Metzger, Bäcker, Schuhmacher,
Bierbrauer verlieren weniger. Es klingt fast komisch, wenn man
Klagen darüber hört, daß es zuviel Getraide, Brod, Fleisch, Wein,
Bier ec. gebe, -- und doch hört man die Bauern oft klagen, sie
müßten zu Grund gehen, weil ihre Erzeugnisse zu billig seien, d. h.
im Ueberfluß zu Grund gehen. Jn Wirklichkeit gestaltet es sich
freilich anders.

Jndustrielle Anstalten gehen allerdings manchmal im Preise
herunter und sogar unter den Hammer, deshalb verschwinden sie aber
nicht, sondern sind mehr und blühender vorhanden, als früher. Daß
übrigens alle sinken, ist eine mehr als starke Uebertreibung. Die
Statistik Breslau's ist uns nicht zur Hand; es wäre zwar nicht zum
Verwundern, wenn seit 1835 bei den dortigen Agrar=Verhältnissen
und den der Wirthschaftlichkeit nicht förderlichen politischen Zu-
ständen in Preußen die Zahl der Besitzlosen sich vermehrt hätte;
allein wir bezweifeln diese Thatsache, die mit allen andern Statistiken
im Widerspruch steht. Die Begriffe von Besitzlosigkeit waren früher
sehr verschieden von den jetzigen. 5 / 6 der Bevölkerung besitzlos!
Dieß ist selbst in Fabrikstädten nicht der Fall; die Angabe muß eine
irrige sein.

Die besten englischen Eisenbahnen, welche das Schreiben er-
wähnt, bringen doch etwas mehr als die Unterhaltungskosten. Es
ist dieß ebenfalls eine Uebertreibung. Jn früheren Nummern d. Bl.
ist eine Zusammenstellung darüber enthalten, der zufolge die englischen
Bahnen im Durchschnitt allerdings wenig, ca. 3 pCt., rentiren, die
besten aber bis 7 pCt. Wenn man falsch spekulirt und Bahnen
anlegt, wo keine nöthig sind, so werden sie ebenso wie andere un-
praktische Unternehmen stets wenig Ertrag liefern. Dieß kommt aber
nicht von unseren heutigen wirthschaftlichen Zuständen, sondern von
der Unwissenheit der Unternehmer her.

Daß unsere Zustände gute und angenehme seien, wollen wir
[Spaltenumbruch] damit nicht behaupten; allein die Ursachen derselben glauben wir oft
genug angegeben und erörtert zu haben.

Was die Gewerkvereine betrifft, so scheint Einsender auch be-
züglich dieser nicht orientirt zu sein; wir empfehlen ihm deshalb das
gediegene Werk des Grafen von Paris über dieselben zu lesen; er
wird dann finden, daß man in England nichts von dem sieht, was
er glaubt, daß man sehe; die Gewerkvereine haben anfangs allerdings
schlimm gewirthschaftet. Durch Schaden aber wird man klug. Die
Gewerkvereine sind jetzt sehr von den Ausständen abgekommen und
beschäftigen sich hauptsächlich mit Unterstützung der Arbeiter. Die
Lohnfrage wird meist friedlich durch die Schiedsgerichte gelöst. Die
Ausstände, welche noch vorkommen, sind vereinzelt. Den Ausstand
in Waldenburg beurtheilt Einsender ebenfalls falsch. Dessen Haupt-
ursache war nicht Lohnerhöhung, sondern die ungerechte Forderung
der Werkbesitzer, daß die Arbeiter aus dem Gewerkverein austreten
sollten.

Das Beispiel von dem Oelmüller ist denn doch etwas zu ko-
misch, als daß wir ernsthaft darauf erwidern könnten. Wenn ein
Oelmüller 1 / 2 Thlr. per Centner verliert, dann hört er einfach auf
zu arbeiten. Hat er sich aber verspekulirt und in der Hoffnung auf
noch höhere Preise zu theuer eingekauft, so liegt die Schuld seines
Verlustes an ihm und nicht an den Verhältnissen. Rüböl kostet
jetzt12 1 / 2 in Berlin, am Rhein sogar 14 Thlr., d. h. es steht
höher im Preis als je. Weshalb da der Produzent verlieren soll,
ist nicht wohl einzusehen.

Weshalb die Gewerbefreiheit in den Konsum=Vereinen nicht Platz
haben soll, ist uns ebenfalls nicht klar. Die Gewerkvereine empfehlen
wir aber nicht zur Erzwingung von höherem Lohn, sondern aus
andern Gründen. Der Einsender ist, wie es scheint, erst seit kurzem
Abonnent, sonst würde er unsern Standpunkt genau kennen.

* Volkswirthschaftlicher Kongreß. Der nächste volkswirth-
schaftliche Kongreß wird in Lübeck in der Zeit vom 15. -- 18. August
stattfinden. Auf die Tagesordnung wurde gesetzt: die Frage vom
Unterstützungswohnsitz, die milden Stiftungen, die norddeutsche Bank-
gesetzgebung, die Doppelwährung, Arbeitseinstellungen, Haftbarkeit für
Unfälle auf der See, Kanal= und Flußschifffahrt.

* Staatsschuld Bayerns. Nach dem Bericht des Staats-
schuldentilgungs=Kommissärs, Professor Dr. Pözl, war der Stand der
bayerischen Staatsschuld am Ablaufe des vergangenen Jahres folgen-
der: Allgemeine Staatsschuld 166,345,804 fl.56 1 / 2 kr., Eisenbahn-
schuld 163,428,800 fl., Grundrentenschuld 95,580,950 fl. An un-
verzinslichen Kassenanweisungen wurde der gesetzlich genehmigte Betrag
von 15 Millionen fl. emittirt und zwar: 150,000 Stück a 50 fl.,
1,200,000 Stück a 5 fl., 850,000 Stück a 2 fl.

* Verein zum Wohl der dienenden Klasse in Stuttgart.
Dieser Verein hielt Ende Januar seine Generalversammlung. Der-
selbe besitzt ein Vermögen von 15,870 fl. und hat kürzlich den
Verein zur Fürsorge der Fabrikarbeiterinnen mit 500 fl. unterstützt.
Die Versammlung ermächtigte den Vorstand 3000 fl. zur Errichtung
einer Volksküche anzulegen. Ferner soll vom Verein aus eine Aktien-
gesellschaft gegründet werden, zur Errichtung einer Waschanstalt.

* Die Frauen=Bewegung gewinnt in Amerika an Umfang.
Neuerdings hat der Gouverneur von Missouri mehrere Frauen zu
Notaren ernannt. Jn der gesetzgebenden Versammlung wurde Ein-
sprache dagegen erhoben, aber ohne Erfolg. Die Rechtskunde scheint
den Amerikanerinnen nicht fremd zu sein. Eine Miß Bradwell re-
digirt sogar eine juristische Zeitschrift, " The legal News ", welche aus-
schließlich von Rechtsgelehrten gelesen wird. Es gibt also jetzt in
Amerika: weibliche Aerzte, Advokaten, Notare, Börsenagenten, Lehrer,
Schulsuperindenten, Regierungsbeamte, Posthalter, Redakteure, Maler,
Bildhauer, Handwerker und sogar Geistliche.

-- Jn Prag hat sich ein deutscher Frauenverein gebildet,
welcher sich die Unterstützung der wirthschaftlichen Thätigkeit der
Frauen und Mädchen zum Ziel gesetzt hat. -- Die " Tages-
Presse " in Wien bringt täglich als Beilage eine " Politische
Frauenzeitung
", die sehr gut von M. v. Waldow ( Lodoiska
v. Blume ) redigirt ist.

* Schutz des geistigen Eigenthums an Schriftwerken. Der
Ausschuß des norddeutschen Bundesrathes hat sich für eine 30jährige
Schutzfrist ( nach dem Tode des Autors ) ausgesprochen.

[Spaltenumbruch] unseres Blattes herrühren, denn seit der „Arbeitgeber“ besteht,
hat er ja nichts anderes gethan als gerade diese Mittel ange-
geben; und glücklicherweise sind manche davon seitdem auch durch-
gesetzt worden.

Was die Verwilderung und Verarmung der Fabrik Städte be-
trifft, so widerspricht diese Behauptung aller Erfahrung und dem
offenkundigen Thatbestand. Die Uebergänge, welche vor 30 Jahren
zu machen waren, sind meist vollendet, die Schauerberichte, welche
einseitige Berichterstatter in den 40er und 50er Jahren aus Eng-
land herüber sandten, entsprachen schon damals den faktischen Ver-
hältnissen nicht, heute sind sie gänzlich unwahr. Die Statistik weist
klar nach, daß die Fabrikbevölkerung sich durchschnittlich in besserer
Lage befindet, intelligenter, sittlicher und was das Merkwürdigste,
sogar körperlich tüchtiger ist, als die Landbevölkerung, welche nach
der letzten Militärstatistik der Schweiz sogar dort hinter der Fabrik-
bevölkerung zurücksteht. Von Paris z. B. ist bekannt, daß es die
gewandesten Soldaten, die besten Zouaven liefert, -- und Paris ist
die größte Fabrikstadt des Kontinentes. Wir haben über diesen
Gegenstand schon so Vieles gebracht, daß wir von einer Wiederholung
desselben absehen können. Jedermann kann übrigens durch die Sta-
tistik leicht sich von Obigem überzeugen. Jn Elberfeld und Barmen
mag es vielleicht manche verwilderte Arbeiter geben, allein das
Fabrikwesen ist nicht die Ursache. Man hat dort den Versuch ge-
macht, Hausindustrie einzuführen, namentlich den Mädchen Arbeit
in's Haus zu geben, allein es hat sich nach mehrjähriger Erfahrung
herausgestellt, daß nicht blos schlechter und theuerer gearbeitet wurde,
sondern auch die Sittlichkeit bedeutend abnahm; wie man denn über-
haupt von dem früheren Wahne, daß auf dem Lande die wahre
Sittlichkeit und Redlichkeit herrsche, so ziemlich zurückgekommen ist.
Bildung macht sittlich, Zusammenleben veredelt den Menschen, wenn
auch Auswüchse dabei vorkommen.

Daß „ungeheuere Vorräthe“ vorhanden, „die Märkte überfüllt“
seien, und die Arbeiter doch Mangel an Waaren haben sollen, ist ein
wirthschaftlicher Widersinn. Wenn ungeheuere Vorräthe da sind,
d. h. Ueberfluß an allen Dingen, dann müssen die Preise sinken,
die Löhne aber steigen. Geschieht dieß nicht, so ist kein Ueberfluß
vorhanden. Die gang und gäbe Redensart von der Ueberfüllung des
Marktes und Ueberproduktion rührt davon her, daß einzelne Jndustrie-
Zweige zeitweise mehr erzeugen, als ihnen abgekauft wird. Dieß ist aber
meist die Folge von Noth in anderen Zweigen oder von Aenderungen
in Geschmack und Verbrauch. Wenn eine Mißernte war, so pflegen
alle Gewerbe darunter zu leiden, am meisten aber die Fabriken, weil
diese entbehrlichere Waaren liefern. Metzger, Bäcker, Schuhmacher,
Bierbrauer verlieren weniger. Es klingt fast komisch, wenn man
Klagen darüber hört, daß es zuviel Getraide, Brod, Fleisch, Wein,
Bier ec. gebe, -- und doch hört man die Bauern oft klagen, sie
müßten zu Grund gehen, weil ihre Erzeugnisse zu billig seien, d. h.
im Ueberfluß zu Grund gehen. Jn Wirklichkeit gestaltet es sich
freilich anders.

Jndustrielle Anstalten gehen allerdings manchmal im Preise
herunter und sogar unter den Hammer, deshalb verschwinden sie aber
nicht, sondern sind mehr und blühender vorhanden, als früher. Daß
übrigens alle sinken, ist eine mehr als starke Uebertreibung. Die
Statistik Breslau's ist uns nicht zur Hand; es wäre zwar nicht zum
Verwundern, wenn seit 1835 bei den dortigen Agrar=Verhältnissen
und den der Wirthschaftlichkeit nicht förderlichen politischen Zu-
ständen in Preußen die Zahl der Besitzlosen sich vermehrt hätte;
allein wir bezweifeln diese Thatsache, die mit allen andern Statistiken
im Widerspruch steht. Die Begriffe von Besitzlosigkeit waren früher
sehr verschieden von den jetzigen. 5 / 6 der Bevölkerung besitzlos!
Dieß ist selbst in Fabrikstädten nicht der Fall; die Angabe muß eine
irrige sein.

Die besten englischen Eisenbahnen, welche das Schreiben er-
wähnt, bringen doch etwas mehr als die Unterhaltungskosten. Es
ist dieß ebenfalls eine Uebertreibung. Jn früheren Nummern d. Bl.
ist eine Zusammenstellung darüber enthalten, der zufolge die englischen
Bahnen im Durchschnitt allerdings wenig, ca. 3 pCt., rentiren, die
besten aber bis 7 pCt. Wenn man falsch spekulirt und Bahnen
anlegt, wo keine nöthig sind, so werden sie ebenso wie andere un-
praktische Unternehmen stets wenig Ertrag liefern. Dieß kommt aber
nicht von unseren heutigen wirthschaftlichen Zuständen, sondern von
der Unwissenheit der Unternehmer her.

Daß unsere Zustände gute und angenehme seien, wollen wir
[Spaltenumbruch] damit nicht behaupten; allein die Ursachen derselben glauben wir oft
genug angegeben und erörtert zu haben.

Was die Gewerkvereine betrifft, so scheint Einsender auch be-
züglich dieser nicht orientirt zu sein; wir empfehlen ihm deshalb das
gediegene Werk des Grafen von Paris über dieselben zu lesen; er
wird dann finden, daß man in England nichts von dem sieht, was
er glaubt, daß man sehe; die Gewerkvereine haben anfangs allerdings
schlimm gewirthschaftet. Durch Schaden aber wird man klug. Die
Gewerkvereine sind jetzt sehr von den Ausständen abgekommen und
beschäftigen sich hauptsächlich mit Unterstützung der Arbeiter. Die
Lohnfrage wird meist friedlich durch die Schiedsgerichte gelöst. Die
Ausstände, welche noch vorkommen, sind vereinzelt. Den Ausstand
in Waldenburg beurtheilt Einsender ebenfalls falsch. Dessen Haupt-
ursache war nicht Lohnerhöhung, sondern die ungerechte Forderung
der Werkbesitzer, daß die Arbeiter aus dem Gewerkverein austreten
sollten.

Das Beispiel von dem Oelmüller ist denn doch etwas zu ko-
misch, als daß wir ernsthaft darauf erwidern könnten. Wenn ein
Oelmüller 1 / 2 Thlr. per Centner verliert, dann hört er einfach auf
zu arbeiten. Hat er sich aber verspekulirt und in der Hoffnung auf
noch höhere Preise zu theuer eingekauft, so liegt die Schuld seines
Verlustes an ihm und nicht an den Verhältnissen. Rüböl kostet
jetzt12 1 / 2 in Berlin, am Rhein sogar 14 Thlr., d. h. es steht
höher im Preis als je. Weshalb da der Produzent verlieren soll,
ist nicht wohl einzusehen.

Weshalb die Gewerbefreiheit in den Konsum=Vereinen nicht Platz
haben soll, ist uns ebenfalls nicht klar. Die Gewerkvereine empfehlen
wir aber nicht zur Erzwingung von höherem Lohn, sondern aus
andern Gründen. Der Einsender ist, wie es scheint, erst seit kurzem
Abonnent, sonst würde er unsern Standpunkt genau kennen.

* Volkswirthschaftlicher Kongreß. Der nächste volkswirth-
schaftliche Kongreß wird in Lübeck in der Zeit vom 15. -- 18. August
stattfinden. Auf die Tagesordnung wurde gesetzt: die Frage vom
Unterstützungswohnsitz, die milden Stiftungen, die norddeutsche Bank-
gesetzgebung, die Doppelwährung, Arbeitseinstellungen, Haftbarkeit für
Unfälle auf der See, Kanal= und Flußschifffahrt.

* Staatsschuld Bayerns. Nach dem Bericht des Staats-
schuldentilgungs=Kommissärs, Professor Dr. Pözl, war der Stand der
bayerischen Staatsschuld am Ablaufe des vergangenen Jahres folgen-
der: Allgemeine Staatsschuld 166,345,804 fl.56 1 / 2 kr., Eisenbahn-
schuld 163,428,800 fl., Grundrentenschuld 95,580,950 fl. An un-
verzinslichen Kassenanweisungen wurde der gesetzlich genehmigte Betrag
von 15 Millionen fl. emittirt und zwar: 150,000 Stück à 50 fl.,
1,200,000 Stück à 5 fl., 850,000 Stück à 2 fl.

* Verein zum Wohl der dienenden Klasse in Stuttgart.
Dieser Verein hielt Ende Januar seine Generalversammlung. Der-
selbe besitzt ein Vermögen von 15,870 fl. und hat kürzlich den
Verein zur Fürsorge der Fabrikarbeiterinnen mit 500 fl. unterstützt.
Die Versammlung ermächtigte den Vorstand 3000 fl. zur Errichtung
einer Volksküche anzulegen. Ferner soll vom Verein aus eine Aktien-
gesellschaft gegründet werden, zur Errichtung einer Waschanstalt.

* Die Frauen=Bewegung gewinnt in Amerika an Umfang.
Neuerdings hat der Gouverneur von Missouri mehrere Frauen zu
Notaren ernannt. Jn der gesetzgebenden Versammlung wurde Ein-
sprache dagegen erhoben, aber ohne Erfolg. Die Rechtskunde scheint
den Amerikanerinnen nicht fremd zu sein. Eine Miß Bradwell re-
digirt sogar eine juristische Zeitschrift, „ The legal News “, welche aus-
schließlich von Rechtsgelehrten gelesen wird. Es gibt also jetzt in
Amerika: weibliche Aerzte, Advokaten, Notare, Börsenagenten, Lehrer,
Schulsuperindenten, Regierungsbeamte, Posthalter, Redakteure, Maler,
Bildhauer, Handwerker und sogar Geistliche.

-- Jn Prag hat sich ein deutscher Frauenverein gebildet,
welcher sich die Unterstützung der wirthschaftlichen Thätigkeit der
Frauen und Mädchen zum Ziel gesetzt hat. -- Die „ Tages-
Presse “ in Wien bringt täglich als Beilage eine „ Politische
Frauenzeitung
“, die sehr gut von M. v. Waldow ( Lodoiska
v. Blume ) redigirt ist.

* Schutz des geistigen Eigenthums an Schriftwerken. Der
Ausschuß des norddeutschen Bundesrathes hat sich für eine 30jährige
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[0003] unseres Blattes herrühren, denn seit der „Arbeitgeber“ besteht, hat er ja nichts anderes gethan als gerade diese Mittel ange- geben; und glücklicherweise sind manche davon seitdem auch durch- gesetzt worden. Was die Verwilderung und Verarmung der Fabrik Städte be- trifft, so widerspricht diese Behauptung aller Erfahrung und dem offenkundigen Thatbestand. Die Uebergänge, welche vor 30 Jahren zu machen waren, sind meist vollendet, die Schauerberichte, welche einseitige Berichterstatter in den 40er und 50er Jahren aus Eng- land herüber sandten, entsprachen schon damals den faktischen Ver- hältnissen nicht, heute sind sie gänzlich unwahr. Die Statistik weist klar nach, daß die Fabrikbevölkerung sich durchschnittlich in besserer Lage befindet, intelligenter, sittlicher und was das Merkwürdigste, sogar körperlich tüchtiger ist, als die Landbevölkerung, welche nach der letzten Militärstatistik der Schweiz sogar dort hinter der Fabrik- bevölkerung zurücksteht. Von Paris z. B. ist bekannt, daß es die gewandesten Soldaten, die besten Zouaven liefert, -- und Paris ist die größte Fabrikstadt des Kontinentes. Wir haben über diesen Gegenstand schon so Vieles gebracht, daß wir von einer Wiederholung desselben absehen können. Jedermann kann übrigens durch die Sta- tistik leicht sich von Obigem überzeugen. Jn Elberfeld und Barmen mag es vielleicht manche verwilderte Arbeiter geben, allein das Fabrikwesen ist nicht die Ursache. Man hat dort den Versuch ge- macht, Hausindustrie einzuführen, namentlich den Mädchen Arbeit in's Haus zu geben, allein es hat sich nach mehrjähriger Erfahrung herausgestellt, daß nicht blos schlechter und theuerer gearbeitet wurde, sondern auch die Sittlichkeit bedeutend abnahm; wie man denn über- haupt von dem früheren Wahne, daß auf dem Lande die wahre Sittlichkeit und Redlichkeit herrsche, so ziemlich zurückgekommen ist. Bildung macht sittlich, Zusammenleben veredelt den Menschen, wenn auch Auswüchse dabei vorkommen. Daß „ungeheuere Vorräthe“ vorhanden, „die Märkte überfüllt“ seien, und die Arbeiter doch Mangel an Waaren haben sollen, ist ein wirthschaftlicher Widersinn. Wenn ungeheuere Vorräthe da sind, d. h. Ueberfluß an allen Dingen, dann müssen die Preise sinken, die Löhne aber steigen. Geschieht dieß nicht, so ist kein Ueberfluß vorhanden. Die gang und gäbe Redensart von der Ueberfüllung des Marktes und Ueberproduktion rührt davon her, daß einzelne Jndustrie- Zweige zeitweise mehr erzeugen, als ihnen abgekauft wird. Dieß ist aber meist die Folge von Noth in anderen Zweigen oder von Aenderungen in Geschmack und Verbrauch. Wenn eine Mißernte war, so pflegen alle Gewerbe darunter zu leiden, am meisten aber die Fabriken, weil diese entbehrlichere Waaren liefern. Metzger, Bäcker, Schuhmacher, Bierbrauer verlieren weniger. Es klingt fast komisch, wenn man Klagen darüber hört, daß es zuviel Getraide, Brod, Fleisch, Wein, Bier ec. gebe, -- und doch hört man die Bauern oft klagen, sie müßten zu Grund gehen, weil ihre Erzeugnisse zu billig seien, d. h. im Ueberfluß zu Grund gehen. Jn Wirklichkeit gestaltet es sich freilich anders. Jndustrielle Anstalten gehen allerdings manchmal im Preise herunter und sogar unter den Hammer, deshalb verschwinden sie aber nicht, sondern sind mehr und blühender vorhanden, als früher. Daß übrigens alle sinken, ist eine mehr als starke Uebertreibung. Die Statistik Breslau's ist uns nicht zur Hand; es wäre zwar nicht zum Verwundern, wenn seit 1835 bei den dortigen Agrar=Verhältnissen und den der Wirthschaftlichkeit nicht förderlichen politischen Zu- ständen in Preußen die Zahl der Besitzlosen sich vermehrt hätte; allein wir bezweifeln diese Thatsache, die mit allen andern Statistiken im Widerspruch steht. Die Begriffe von Besitzlosigkeit waren früher sehr verschieden von den jetzigen. 5 / 6 der Bevölkerung besitzlos! Dieß ist selbst in Fabrikstädten nicht der Fall; die Angabe muß eine irrige sein. Die besten englischen Eisenbahnen, welche das Schreiben er- wähnt, bringen doch etwas mehr als die Unterhaltungskosten. Es ist dieß ebenfalls eine Uebertreibung. Jn früheren Nummern d. Bl. ist eine Zusammenstellung darüber enthalten, der zufolge die englischen Bahnen im Durchschnitt allerdings wenig, ca. 3 pCt., rentiren, die besten aber bis 7 pCt. Wenn man falsch spekulirt und Bahnen anlegt, wo keine nöthig sind, so werden sie ebenso wie andere un- praktische Unternehmen stets wenig Ertrag liefern. Dieß kommt aber nicht von unseren heutigen wirthschaftlichen Zuständen, sondern von der Unwissenheit der Unternehmer her. Daß unsere Zustände gute und angenehme seien, wollen wir damit nicht behaupten; allein die Ursachen derselben glauben wir oft genug angegeben und erörtert zu haben. Was die Gewerkvereine betrifft, so scheint Einsender auch be- züglich dieser nicht orientirt zu sein; wir empfehlen ihm deshalb das gediegene Werk des Grafen von Paris über dieselben zu lesen; er wird dann finden, daß man in England nichts von dem sieht, was er glaubt, daß man sehe; die Gewerkvereine haben anfangs allerdings schlimm gewirthschaftet. Durch Schaden aber wird man klug. Die Gewerkvereine sind jetzt sehr von den Ausständen abgekommen und beschäftigen sich hauptsächlich mit Unterstützung der Arbeiter. Die Lohnfrage wird meist friedlich durch die Schiedsgerichte gelöst. Die Ausstände, welche noch vorkommen, sind vereinzelt. Den Ausstand in Waldenburg beurtheilt Einsender ebenfalls falsch. Dessen Haupt- ursache war nicht Lohnerhöhung, sondern die ungerechte Forderung der Werkbesitzer, daß die Arbeiter aus dem Gewerkverein austreten sollten. Das Beispiel von dem Oelmüller ist denn doch etwas zu ko- misch, als daß wir ernsthaft darauf erwidern könnten. Wenn ein Oelmüller 1 / 2 Thlr. per Centner verliert, dann hört er einfach auf zu arbeiten. Hat er sich aber verspekulirt und in der Hoffnung auf noch höhere Preise zu theuer eingekauft, so liegt die Schuld seines Verlustes an ihm und nicht an den Verhältnissen. Rüböl kostet jetzt12 1 / 2 in Berlin, am Rhein sogar 14 Thlr., d. h. es steht höher im Preis als je. Weshalb da der Produzent verlieren soll, ist nicht wohl einzusehen. Weshalb die Gewerbefreiheit in den Konsum=Vereinen nicht Platz haben soll, ist uns ebenfalls nicht klar. Die Gewerkvereine empfehlen wir aber nicht zur Erzwingung von höherem Lohn, sondern aus andern Gründen. Der Einsender ist, wie es scheint, erst seit kurzem Abonnent, sonst würde er unsern Standpunkt genau kennen. * Volkswirthschaftlicher Kongreß. Der nächste volkswirth- schaftliche Kongreß wird in Lübeck in der Zeit vom 15. -- 18. August stattfinden. Auf die Tagesordnung wurde gesetzt: die Frage vom Unterstützungswohnsitz, die milden Stiftungen, die norddeutsche Bank- gesetzgebung, die Doppelwährung, Arbeitseinstellungen, Haftbarkeit für Unfälle auf der See, Kanal= und Flußschifffahrt. * Staatsschuld Bayerns. Nach dem Bericht des Staats- schuldentilgungs=Kommissärs, Professor Dr. Pözl, war der Stand der bayerischen Staatsschuld am Ablaufe des vergangenen Jahres folgen- der: Allgemeine Staatsschuld 166,345,804 fl.56 1 / 2 kr., Eisenbahn- schuld 163,428,800 fl., Grundrentenschuld 95,580,950 fl. An un- verzinslichen Kassenanweisungen wurde der gesetzlich genehmigte Betrag von 15 Millionen fl. emittirt und zwar: 150,000 Stück à 50 fl., 1,200,000 Stück à 5 fl., 850,000 Stück à 2 fl. * Verein zum Wohl der dienenden Klasse in Stuttgart. Dieser Verein hielt Ende Januar seine Generalversammlung. Der- selbe besitzt ein Vermögen von 15,870 fl. und hat kürzlich den Verein zur Fürsorge der Fabrikarbeiterinnen mit 500 fl. unterstützt. Die Versammlung ermächtigte den Vorstand 3000 fl. zur Errichtung einer Volksküche anzulegen. Ferner soll vom Verein aus eine Aktien- gesellschaft gegründet werden, zur Errichtung einer Waschanstalt. * Die Frauen=Bewegung gewinnt in Amerika an Umfang. Neuerdings hat der Gouverneur von Missouri mehrere Frauen zu Notaren ernannt. Jn der gesetzgebenden Versammlung wurde Ein- sprache dagegen erhoben, aber ohne Erfolg. Die Rechtskunde scheint den Amerikanerinnen nicht fremd zu sein. Eine Miß Bradwell re- digirt sogar eine juristische Zeitschrift, „ The legal News “, welche aus- schließlich von Rechtsgelehrten gelesen wird. Es gibt also jetzt in Amerika: weibliche Aerzte, Advokaten, Notare, Börsenagenten, Lehrer, Schulsuperindenten, Regierungsbeamte, Posthalter, Redakteure, Maler, Bildhauer, Handwerker und sogar Geistliche. -- Jn Prag hat sich ein deutscher Frauenverein gebildet, welcher sich die Unterstützung der wirthschaftlichen Thätigkeit der Frauen und Mädchen zum Ziel gesetzt hat. -- Die „ Tages- Presse “ in Wien bringt täglich als Beilage eine „ Politische Frauenzeitung “, die sehr gut von M. v. Waldow ( Lodoiska v. Blume ) redigirt ist. * Schutz des geistigen Eigenthums an Schriftwerken. Der Ausschuß des norddeutschen Bundesrathes hat sich für eine 30jährige Schutzfrist ( nach dem Tode des Autors ) ausgesprochen.

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 668. Frankfurt a. M., 18. Februar 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0668_1870/3>, abgerufen am 24.11.2024.