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Allgemeine Zeitung. Nr. 62. Augsburg (Bayern), 3. März 1871.

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[Spaltenumbruch] ständniß am sichersten aus was heute die Herzen von Millionen erfüllt.
Fast sieben Monate lang haben unerhörte Ereignisse die Geister der Men-
schen im Jnnersten aufgewühlt, und gerne wird sich jeder einen Augenblick
der Ruhe gönnen in dem vielleicht trivialen, aber sehr wohlthätigen Ge-
danken daß das große Drama zu Ende ist.

Die Menschennatur ist nicht darauf angelegt große Erschütterungen
auf lange Dauer zu ertragen, und wo immer solche gewaltet haben, da
hat noch stets die Ueberschreitung eines gewissen Zeitmaßes zu sittlicher
Verwilderung, zu geistiger Verdunkelung und schwerem socialem Unheil
geführt. Schon darum geziemt uns Dankbarkeit für ein Ereigniß welches
zwar später eintrat als viele sich geträumt hatten, und doch frühe genug
um der Welt die letzte Steigerung eines Vernichtungskampfes zu ersparen.

Die Friedensnachricht wurde so lang' und sehnlich erwartet, daß sie jetzt,
wo sie da ist, uns fast wieder zur Ueberraschung wird. Und doch kann sie
kaum eine solche sein. Der Gang dieses Krieges hat sich vom ersten bis
zum letzten Tag in solch eherner, fast wissenschaftlich exactem Consequenz
bewegt, daß der endliche Friede gleichsam nur noch als die Summe der
gegebenen Posten erscheint welche über dem Striche stehen, als das Facit
eines langgestreckten Kettenschlusses, in welchem das erste und das letzte
Glied ihre Vereinigung finden. Consequenz war auf beiden Seiten, jede
in ihrer Art. Die Franzosen hatten einen leichtsinnigen Krieg begonnen,
und gedachten ihn nach Sedan mit einem leichtsinnigen Frieden abzuthun.
Die Deutschen haben vom Tage der Kriegserklärung an sich gesagt daß es
sich für sie um eine furchtbar ernste Sache handle, haben demgemäß mit
furchtbarem Ernst von Walstatt zu Walstatt ihre Heersäulen gerückt, und
sagen sich heute mit gutem Fug daß es auch um den Frieden nach solchem
Kampf eine furchtbar ernste Sache sei.

Diese Grundverschiedenheit der Auffassung machte sich noch in den
letzten Stunden geltend. Wir beide wollten den Frieden; der Deutsche
aber will und verlangt von den Führern des Volkes einen ernsten, vollen,
einen sichern und dauernden Frieden; die Franzosen -- sie haben es sogar
von amtlicher Stätte hinausgerufen -- hoffen einen "Frieden mit Re-
vanche," einen Scheinfrieden. Aber wir wollen diesen unvorsichtig aus-
gesprochenen Vorbehalt noch auf die Rechnung der kriegerisch erregten
Leidenschaft schreiben, wir wollen zuversichtlich hoffen daß mit der
allversöhnenden Zeit auch der ruhigere und gesundere Pulsschlag wie-
der in die heißen Adern unserer Nachbarn einkehren werde, und mit ihm
die Erkenntniß daß ein Friede mit Revanche das allergrößte Unglück wäre
mit dem sie die sattsam lange Reihe ihrer schweren Unglücksfälle abschließen
könnten. Schon in der an Würfelspiel und Gladiatorenthum erinnernden
Färbung des Wortes Revanche liegt eine Mißkenntniß des Thatbestandes
und eine so rohe Auffassung der Aufgabenwelche die Zukunft fordert, daß
sogar unsere neutralen "Freunde" nur mit Bedauern und Schrecken auf
diese Zukunft schauen dürften. Sache unserer bisherigen Gegner ist es
jenes böse Wort ungesprochen zu machen, und zu wollen und zu halten
was wir in Deutschland fest und redlich wollen -- einen guten, ehrlichen,
langdauernden Frieden.

Das zweite bayerische Armeecorps vor Paris.
Von Brix Förster.

* Die Schlacht von Paris ist geschlagen! 132 Tage und Nächte
dauerte der Kampf; geführt mit allen modernen Mitteln des Kriegs, mit
Lauf und Kolben, mit Spaten und Schaufel, mit dem kleinsten und größ-
ten Geschützkaliber; er begann unter den letzten warmen Sommer - Son-
nenstrahlen und endete mit dem ersten Frühlingswehen; inmitten liegen
all die Schauer in welche ein winterlicher Himmel europäische Erde zu um-
hüllen vermag.

Sie sind in der Heimath gewohnt über jedes größere Greigniß in die-
sem Feldzug einen Bericht zu erhalten; erlauben Sie daher mir Jhnen
ein Bild dieser 132tägigen Schlacht, insoweit das II. bayerische Armee-
corps daran betheiligt war, zu entwerfen; es liegt mir daran alle Einzel-
heiten, von denen Sie genugsam in Briefen und Zeitungen erfahren, in
einen Brennpunkt zusammenzufassen, damit diejenigen Factoren welche
zur Bezwingung der Riesenveste * ) in Thätigkeit gesetzt wurden in helles
Licht treten, damit vor allem der Jnfanterie, die unter Commando des
Generals der Jnfanterie Ritters v. Hartmann gestanden, die gebührende
Anerkennung, der wärmste Dank des Vaterlands gesichert bleibe. Denn --
sofort sei es ausgesprochen -- erheischte der Sieg von Sedan die lebendigste
Thätigkeit und Harmonie aller Waffengattungen und Chargen und Bran-
chen, so muß der Lorbeerkranz für den Sieg über Paris der deutschen Jn-
fanterie zuerkannt werden.

Dieß liegt in der Natur der Sache. Nachdem einmal von Seiten des
großen Hauptquartiers die Form des Rings bestimmt war welcher die Zwei-
[Spaltenumbruch] millionenstadt umklammern sollte, nachdem einmal die Canäle gegraben
und gefüllt waren welche die nothwendige Verpflegung der deutschen Ar-
mee zuführen, nachdem die Art gegenseitiger Unterstützung bei etwaigen
größern Ausfällen festgestellt, nachdem jedes Corps die Vertheidigung
seiner Linie geregelt, so war dem Kampffelde, der Kampfweise, ein auf
Wochen, ja Monate unabänderliches Gepräge gegeben, und nur die Jnfan-
terie dem Wechsel der Beschießung und der Ausfälle, dem Wechsel von
Tag und Nacht, von Sonnenschein, Regen und Kälte ausgesetzt. Verstand
sie es nicht den Strapazen zum Trotz auszuhalten und den stets veränder-
ten Verhältnissen sich anzupassen, so wurde aus dem eisernen Ring ein
bleierner und schließlich ein papierner, der leicht von einigen tausend Chasse-
pot=Bajonnetten durchstoßen werden konnte.

Dem II. bayerischen Armeecorps war die Aufgabe zugefallen die
Straßen von Paris nach Chartres über Chevreuse und jene nach Orleans
festzuhalten und alles zwischenliegende Terrain hermetisch abzuschlie-
ßen. Die erstere wird durch die Schanze von Chatillon, die letztere durch
die von Villejuif beherrscht. Am 20 Sept. waren beide von bayerischen
Truppen besetzt. Die Lage und Nähe des allmählich stärker armirten
Forts von Bicetre zur Schanze von Villejuif bedingte leider, aber ganz
unweigerlich, daß diese von dem VI. Corps, welches sie von den Bayern nach
einigen Tagen übernommen, aufgegeben werden mußte. Hätte sie gehal-
ten werden sollen, so hätte der Artilleriekampf mit den Festungsgeschützen
nicht nur von Bicetre, sondern auch von Montrouge sofort begonnen wer-
den müssen, was sich von selbst verbot, da wir noch keinen Belagerungs-
park besaßen. Sehr empfindlich blieb immer der Verlust von Villejuif;
auf dieses basirt unternahmen die Franzosen ihre heftigen Ausfälle gegen
das Corps Tümpling, von Villejuif wurden die von uns besetzten Orte
Bourg la Reine, Bagneux, Sceaux, ja selbst Antony, das Ruhequartier
der 7. Brigade, fortwährend beschossen, von Villejuif allein aus konnten
die Vorgänge auf dem Plateau von Moulin de la Tour beobachtet, und
sofort durch den Telegraphen den Commandanten von Jssy und Vanves
zur weitern Verfügung mitgetheilt werden.

Wie wir in den Besitz der Schanze von Chatillon gekommen ist be-
kannt. Unbestritten ist der Ruhm welchen die Jnfanterie der 3. Division durch
die Festhaltung dieser selbst und des umliegenden Plateau's sich erwor-
ben. Wohl ist diese und ein guter Theil des anliegenden Terrains den
Blicken der Franzosen durch ein Wäldchen, ringsum am Abhang, entzo-
gen gewesen, und dominirte die Forts um 85 Meter; aber die Geschosse
von Jssy und Vanves wurden in einer Entfernung von nur 2500 -- 3000
Schritten hier herauf fortwährend geschleudert, und für Montrouge war
es ein leichtes bei 5000 Schritten Entfernung mitzuwirken. Fortwährend
hatten sich die Vorposten mit den französischen Plänklern herumzuschießen,
und stets war die ganze hier postirte Brigade auf dem Sprung den etwa
plötzlich heranstürmenden Pariser Bataillonen sich entgegenzuwerfen.

Hier gab es keine Unterkunft in Scheunen oder Villen für die Reser-
ven, geschweige denn für die Feldwachen oder Pikets, das vielbeschossene
Plessis = Piquet etwa ausgenommen; hier oben tobten Wind und Wetter
am heftigsten, hier war der Schmutz vom schwersten Kaliber, und hier ver-
doppelte der Boreas die eisige Kälte der hellen Wintermorgen.

Aber das Plateau mußte gehalten werden, das war unerschütterlicher
Grundsatz beim Armeecorps = Commando von Anfang an, und die Zeit,
d. h. die verbesserte Armirung von Jssy und Vanves, belehrte uns dessen
gründlichst. Denn nicht nur die Beschießung der Südfront und von Pa-
ris war durch den Besitz der Schanze um vieles erleichtert und ermöglicht,
sondern vor allem eine dichte, unerschütterliche Cernirung gerade im Rayon
des II. bayerischen Armeecorps.

Die geometrische Länge der bayerischen Cernirungslinie vom Walde
von Meudon bis in das Bievre=Thal betrug etwa 9000 Schritte; dieß gibt,
bei der durchschnittlichen Stärke der III. und IV. Jnfanteriedivision von
21,400 Mann, 2,3 Mann auf den Schritt Frontbreite, eine nach den ge-
wöhnlichen taktischen Vorstellungen sehr dünne Vertheidigungslinie.

Wären nun aber die Franzosen im Besitz der Schanze von Moulin
de la Tour geblieben, so hätten sie diese natürlich mit allen möglichen
Kalibern armirt; sie hätten das ganze Plateau bestrichen; unsere Vor-
posten hätten sorgfältig in Schützengräben zwischen Plessis=Piquet und
dem Eingang vom Meudoner Wald untergebracht werden, Chatillon,
Bagneux, Sceaux hätten vollständig geräumt, die Communication auf
der Versailler Straße in das Bievre = Thal verlegt werden müssen, und
die erste Vertheidigungslinie wäre für das II. bayerische Corps etwa
der südlichste Theil des Waldes von Meudon bei Port Verrieres, Ma-
labry und Antony bis Pont Antony geworden, von 11,000 Schritten
Länge; also der Schritt Frontbreite nicht einmal mit 2 Mann besetzt;
Das V. ( später das XI. ) Corps mußte sich dann ebenfalls verlängern, und
auch das VI. würde durch das Aufgeben von L'Hay in Mitleidenschaft ge-
zogen worden sein. Die Vertheidigung dieser Linie hätte große Schwie-

* ) Jm Rayon der bayerischen Aufstellung.

[Spaltenumbruch] ständniß am sichersten aus was heute die Herzen von Millionen erfüllt.
Fast sieben Monate lang haben unerhörte Ereignisse die Geister der Men-
schen im Jnnersten aufgewühlt, und gerne wird sich jeder einen Augenblick
der Ruhe gönnen in dem vielleicht trivialen, aber sehr wohlthätigen Ge-
danken daß das große Drama zu Ende ist.

Die Menschennatur ist nicht darauf angelegt große Erschütterungen
auf lange Dauer zu ertragen, und wo immer solche gewaltet haben, da
hat noch stets die Ueberschreitung eines gewissen Zeitmaßes zu sittlicher
Verwilderung, zu geistiger Verdunkelung und schwerem socialem Unheil
geführt. Schon darum geziemt uns Dankbarkeit für ein Ereigniß welches
zwar später eintrat als viele sich geträumt hatten, und doch frühe genug
um der Welt die letzte Steigerung eines Vernichtungskampfes zu ersparen.

Die Friedensnachricht wurde so lang' und sehnlich erwartet, daß sie jetzt,
wo sie da ist, uns fast wieder zur Ueberraschung wird. Und doch kann sie
kaum eine solche sein. Der Gang dieses Krieges hat sich vom ersten bis
zum letzten Tag in solch eherner, fast wissenschaftlich exactem Consequenz
bewegt, daß der endliche Friede gleichsam nur noch als die Summe der
gegebenen Posten erscheint welche über dem Striche stehen, als das Facit
eines langgestreckten Kettenschlusses, in welchem das erste und das letzte
Glied ihre Vereinigung finden. Consequenz war auf beiden Seiten, jede
in ihrer Art. Die Franzosen hatten einen leichtsinnigen Krieg begonnen,
und gedachten ihn nach Sedan mit einem leichtsinnigen Frieden abzuthun.
Die Deutschen haben vom Tage der Kriegserklärung an sich gesagt daß es
sich für sie um eine furchtbar ernste Sache handle, haben demgemäß mit
furchtbarem Ernst von Walstatt zu Walstatt ihre Heersäulen gerückt, und
sagen sich heute mit gutem Fug daß es auch um den Frieden nach solchem
Kampf eine furchtbar ernste Sache sei.

Diese Grundverschiedenheit der Auffassung machte sich noch in den
letzten Stunden geltend. Wir beide wollten den Frieden; der Deutsche
aber will und verlangt von den Führern des Volkes einen ernsten, vollen,
einen sichern und dauernden Frieden; die Franzosen -- sie haben es sogar
von amtlicher Stätte hinausgerufen -- hoffen einen „Frieden mit Re-
vanche,“ einen Scheinfrieden. Aber wir wollen diesen unvorsichtig aus-
gesprochenen Vorbehalt noch auf die Rechnung der kriegerisch erregten
Leidenschaft schreiben, wir wollen zuversichtlich hoffen daß mit der
allversöhnenden Zeit auch der ruhigere und gesundere Pulsschlag wie-
der in die heißen Adern unserer Nachbarn einkehren werde, und mit ihm
die Erkenntniß daß ein Friede mit Revanche das allergrößte Unglück wäre
mit dem sie die sattsam lange Reihe ihrer schweren Unglücksfälle abschließen
könnten. Schon in der an Würfelspiel und Gladiatorenthum erinnernden
Färbung des Wortes Revanche liegt eine Mißkenntniß des Thatbestandes
und eine so rohe Auffassung der Aufgabenwelche die Zukunft fordert, daß
sogar unsere neutralen „Freunde“ nur mit Bedauern und Schrecken auf
diese Zukunft schauen dürften. Sache unserer bisherigen Gegner ist es
jenes böse Wort ungesprochen zu machen, und zu wollen und zu halten
was wir in Deutschland fest und redlich wollen -- einen guten, ehrlichen,
langdauernden Frieden.

Das zweite bayerische Armeecorps vor Paris.
Von Brix Förster.

* Die Schlacht von Paris ist geschlagen! 132 Tage und Nächte
dauerte der Kampf; geführt mit allen modernen Mitteln des Kriegs, mit
Lauf und Kolben, mit Spaten und Schaufel, mit dem kleinsten und größ-
ten Geschützkaliber; er begann unter den letzten warmen Sommer - Son-
nenstrahlen und endete mit dem ersten Frühlingswehen; inmitten liegen
all die Schauer in welche ein winterlicher Himmel europäische Erde zu um-
hüllen vermag.

Sie sind in der Heimath gewohnt über jedes größere Greigniß in die-
sem Feldzug einen Bericht zu erhalten; erlauben Sie daher mir Jhnen
ein Bild dieser 132tägigen Schlacht, insoweit das II. bayerische Armee-
corps daran betheiligt war, zu entwerfen; es liegt mir daran alle Einzel-
heiten, von denen Sie genugsam in Briefen und Zeitungen erfahren, in
einen Brennpunkt zusammenzufassen, damit diejenigen Factoren welche
zur Bezwingung der Riesenveste * ) in Thätigkeit gesetzt wurden in helles
Licht treten, damit vor allem der Jnfanterie, die unter Commando des
Generals der Jnfanterie Ritters v. Hartmann gestanden, die gebührende
Anerkennung, der wärmste Dank des Vaterlands gesichert bleibe. Denn --
sofort sei es ausgesprochen -- erheischte der Sieg von Sedan die lebendigste
Thätigkeit und Harmonie aller Waffengattungen und Chargen und Bran-
chen, so muß der Lorbeerkranz für den Sieg über Paris der deutschen Jn-
fanterie zuerkannt werden.

Dieß liegt in der Natur der Sache. Nachdem einmal von Seiten des
großen Hauptquartiers die Form des Rings bestimmt war welcher die Zwei-
[Spaltenumbruch] millionenstadt umklammern sollte, nachdem einmal die Canäle gegraben
und gefüllt waren welche die nothwendige Verpflegung der deutschen Ar-
mee zuführen, nachdem die Art gegenseitiger Unterstützung bei etwaigen
größern Ausfällen festgestellt, nachdem jedes Corps die Vertheidigung
seiner Linie geregelt, so war dem Kampffelde, der Kampfweise, ein auf
Wochen, ja Monate unabänderliches Gepräge gegeben, und nur die Jnfan-
terie dem Wechsel der Beschießung und der Ausfälle, dem Wechsel von
Tag und Nacht, von Sonnenschein, Regen und Kälte ausgesetzt. Verstand
sie es nicht den Strapazen zum Trotz auszuhalten und den stets veränder-
ten Verhältnissen sich anzupassen, so wurde aus dem eisernen Ring ein
bleierner und schließlich ein papierner, der leicht von einigen tausend Chasse-
pot=Bajonnetten durchstoßen werden konnte.

Dem II. bayerischen Armeecorps war die Aufgabe zugefallen die
Straßen von Paris nach Chartres über Chevreuse und jene nach Orleans
festzuhalten und alles zwischenliegende Terrain hermetisch abzuschlie-
ßen. Die erstere wird durch die Schanze von Châtillon, die letztere durch
die von Villejuif beherrscht. Am 20 Sept. waren beide von bayerischen
Truppen besetzt. Die Lage und Nähe des allmählich stärker armirten
Forts von Bicêtre zur Schanze von Villejuif bedingte leider, aber ganz
unweigerlich, daß diese von dem VI. Corps, welches sie von den Bayern nach
einigen Tagen übernommen, aufgegeben werden mußte. Hätte sie gehal-
ten werden sollen, so hätte der Artilleriekampf mit den Festungsgeschützen
nicht nur von Bicêtre, sondern auch von Montrouge sofort begonnen wer-
den müssen, was sich von selbst verbot, da wir noch keinen Belagerungs-
park besaßen. Sehr empfindlich blieb immer der Verlust von Villejuif;
auf dieses basirt unternahmen die Franzosen ihre heftigen Ausfälle gegen
das Corps Tümpling, von Villejuif wurden die von uns besetzten Orte
Bourg la Reine, Bagneux, Sceaux, ja selbst Antony, das Ruhequartier
der 7. Brigade, fortwährend beschossen, von Villejuif allein aus konnten
die Vorgänge auf dem Plateau von Moulin de la Tour beobachtet, und
sofort durch den Telegraphen den Commandanten von Jssy und Vanves
zur weitern Verfügung mitgetheilt werden.

Wie wir in den Besitz der Schanze von Châtillon gekommen ist be-
kannt. Unbestritten ist der Ruhm welchen die Jnfanterie der 3. Division durch
die Festhaltung dieser selbst und des umliegenden Plateau's sich erwor-
ben. Wohl ist diese und ein guter Theil des anliegenden Terrains den
Blicken der Franzosen durch ein Wäldchen, ringsum am Abhang, entzo-
gen gewesen, und dominirte die Forts um 85 Meter; aber die Geschosse
von Jssy und Vanves wurden in einer Entfernung von nur 2500 -- 3000
Schritten hier herauf fortwährend geschleudert, und für Montrouge war
es ein leichtes bei 5000 Schritten Entfernung mitzuwirken. Fortwährend
hatten sich die Vorposten mit den französischen Plänklern herumzuschießen,
und stets war die ganze hier postirte Brigade auf dem Sprung den etwa
plötzlich heranstürmenden Pariser Bataillonen sich entgegenzuwerfen.

Hier gab es keine Unterkunft in Scheunen oder Villen für die Reser-
ven, geschweige denn für die Feldwachen oder Pikets, das vielbeschossene
Plessis = Piquet etwa ausgenommen; hier oben tobten Wind und Wetter
am heftigsten, hier war der Schmutz vom schwersten Kaliber, und hier ver-
doppelte der Boreas die eisige Kälte der hellen Wintermorgen.

Aber das Plateau mußte gehalten werden, das war unerschütterlicher
Grundsatz beim Armeecorps = Commando von Anfang an, und die Zeit,
d. h. die verbesserte Armirung von Jssy und Vanves, belehrte uns dessen
gründlichst. Denn nicht nur die Beschießung der Südfront und von Pa-
ris war durch den Besitz der Schanze um vieles erleichtert und ermöglicht,
sondern vor allem eine dichte, unerschütterliche Cernirung gerade im Rayon
des II. bayerischen Armeecorps.

Die geometrische Länge der bayerischen Cernirungslinie vom Walde
von Meudon bis in das Bièvre=Thal betrug etwa 9000 Schritte; dieß gibt,
bei der durchschnittlichen Stärke der III. und IV. Jnfanteriedivision von
21,400 Mann, 2,3 Mann auf den Schritt Frontbreite, eine nach den ge-
wöhnlichen taktischen Vorstellungen sehr dünne Vertheidigungslinie.

Wären nun aber die Franzosen im Besitz der Schanze von Moulin
de la Tour geblieben, so hätten sie diese natürlich mit allen möglichen
Kalibern armirt; sie hätten das ganze Plateau bestrichen; unsere Vor-
posten hätten sorgfältig in Schützengräben zwischen Plessis=Piquet und
dem Eingang vom Meudoner Wald untergebracht werden, Châtillon,
Bagneux, Sceaux hätten vollständig geräumt, die Communication auf
der Versailler Straße in das Bièvre = Thal verlegt werden müssen, und
die erste Vertheidigungslinie wäre für das II. bayerische Corps etwa
der südlichste Theil des Waldes von Meudon bei Port Verrières, Ma-
labry und Antony bis Pont Antony geworden, von 11,000 Schritten
Länge; also der Schritt Frontbreite nicht einmal mit 2 Mann besetzt;
Das V. ( später das XI. ) Corps mußte sich dann ebenfalls verlängern, und
auch das VI. würde durch das Aufgeben von L'Hay in Mitleidenschaft ge-
zogen worden sein. Die Vertheidigung dieser Linie hätte große Schwie-

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[1042/0002] ständniß am sichersten aus was heute die Herzen von Millionen erfüllt. Fast sieben Monate lang haben unerhörte Ereignisse die Geister der Men- schen im Jnnersten aufgewühlt, und gerne wird sich jeder einen Augenblick der Ruhe gönnen in dem vielleicht trivialen, aber sehr wohlthätigen Ge- danken daß das große Drama zu Ende ist. Die Menschennatur ist nicht darauf angelegt große Erschütterungen auf lange Dauer zu ertragen, und wo immer solche gewaltet haben, da hat noch stets die Ueberschreitung eines gewissen Zeitmaßes zu sittlicher Verwilderung, zu geistiger Verdunkelung und schwerem socialem Unheil geführt. Schon darum geziemt uns Dankbarkeit für ein Ereigniß welches zwar später eintrat als viele sich geträumt hatten, und doch frühe genug um der Welt die letzte Steigerung eines Vernichtungskampfes zu ersparen. Die Friedensnachricht wurde so lang' und sehnlich erwartet, daß sie jetzt, wo sie da ist, uns fast wieder zur Ueberraschung wird. Und doch kann sie kaum eine solche sein. Der Gang dieses Krieges hat sich vom ersten bis zum letzten Tag in solch eherner, fast wissenschaftlich exactem Consequenz bewegt, daß der endliche Friede gleichsam nur noch als die Summe der gegebenen Posten erscheint welche über dem Striche stehen, als das Facit eines langgestreckten Kettenschlusses, in welchem das erste und das letzte Glied ihre Vereinigung finden. Consequenz war auf beiden Seiten, jede in ihrer Art. Die Franzosen hatten einen leichtsinnigen Krieg begonnen, und gedachten ihn nach Sedan mit einem leichtsinnigen Frieden abzuthun. Die Deutschen haben vom Tage der Kriegserklärung an sich gesagt daß es sich für sie um eine furchtbar ernste Sache handle, haben demgemäß mit furchtbarem Ernst von Walstatt zu Walstatt ihre Heersäulen gerückt, und sagen sich heute mit gutem Fug daß es auch um den Frieden nach solchem Kampf eine furchtbar ernste Sache sei. Diese Grundverschiedenheit der Auffassung machte sich noch in den letzten Stunden geltend. Wir beide wollten den Frieden; der Deutsche aber will und verlangt von den Führern des Volkes einen ernsten, vollen, einen sichern und dauernden Frieden; die Franzosen -- sie haben es sogar von amtlicher Stätte hinausgerufen -- hoffen einen „Frieden mit Re- vanche,“ einen Scheinfrieden. Aber wir wollen diesen unvorsichtig aus- gesprochenen Vorbehalt noch auf die Rechnung der kriegerisch erregten Leidenschaft schreiben, wir wollen zuversichtlich hoffen daß mit der allversöhnenden Zeit auch der ruhigere und gesundere Pulsschlag wie- der in die heißen Adern unserer Nachbarn einkehren werde, und mit ihm die Erkenntniß daß ein Friede mit Revanche das allergrößte Unglück wäre mit dem sie die sattsam lange Reihe ihrer schweren Unglücksfälle abschließen könnten. Schon in der an Würfelspiel und Gladiatorenthum erinnernden Färbung des Wortes Revanche liegt eine Mißkenntniß des Thatbestandes und eine so rohe Auffassung der Aufgabenwelche die Zukunft fordert, daß sogar unsere neutralen „Freunde“ nur mit Bedauern und Schrecken auf diese Zukunft schauen dürften. Sache unserer bisherigen Gegner ist es jenes böse Wort ungesprochen zu machen, und zu wollen und zu halten was wir in Deutschland fest und redlich wollen -- einen guten, ehrlichen, langdauernden Frieden. Das zweite bayerische Armeecorps vor Paris. Von Brix Förster. * Die Schlacht von Paris ist geschlagen! 132 Tage und Nächte dauerte der Kampf; geführt mit allen modernen Mitteln des Kriegs, mit Lauf und Kolben, mit Spaten und Schaufel, mit dem kleinsten und größ- ten Geschützkaliber; er begann unter den letzten warmen Sommer - Son- nenstrahlen und endete mit dem ersten Frühlingswehen; inmitten liegen all die Schauer in welche ein winterlicher Himmel europäische Erde zu um- hüllen vermag. Sie sind in der Heimath gewohnt über jedes größere Greigniß in die- sem Feldzug einen Bericht zu erhalten; erlauben Sie daher mir Jhnen ein Bild dieser 132tägigen Schlacht, insoweit das II. bayerische Armee- corps daran betheiligt war, zu entwerfen; es liegt mir daran alle Einzel- heiten, von denen Sie genugsam in Briefen und Zeitungen erfahren, in einen Brennpunkt zusammenzufassen, damit diejenigen Factoren welche zur Bezwingung der Riesenveste * ) in Thätigkeit gesetzt wurden in helles Licht treten, damit vor allem der Jnfanterie, die unter Commando des Generals der Jnfanterie Ritters v. Hartmann gestanden, die gebührende Anerkennung, der wärmste Dank des Vaterlands gesichert bleibe. Denn -- sofort sei es ausgesprochen -- erheischte der Sieg von Sedan die lebendigste Thätigkeit und Harmonie aller Waffengattungen und Chargen und Bran- chen, so muß der Lorbeerkranz für den Sieg über Paris der deutschen Jn- fanterie zuerkannt werden. Dieß liegt in der Natur der Sache. Nachdem einmal von Seiten des großen Hauptquartiers die Form des Rings bestimmt war welcher die Zwei- millionenstadt umklammern sollte, nachdem einmal die Canäle gegraben und gefüllt waren welche die nothwendige Verpflegung der deutschen Ar- mee zuführen, nachdem die Art gegenseitiger Unterstützung bei etwaigen größern Ausfällen festgestellt, nachdem jedes Corps die Vertheidigung seiner Linie geregelt, so war dem Kampffelde, der Kampfweise, ein auf Wochen, ja Monate unabänderliches Gepräge gegeben, und nur die Jnfan- terie dem Wechsel der Beschießung und der Ausfälle, dem Wechsel von Tag und Nacht, von Sonnenschein, Regen und Kälte ausgesetzt. Verstand sie es nicht den Strapazen zum Trotz auszuhalten und den stets veränder- ten Verhältnissen sich anzupassen, so wurde aus dem eisernen Ring ein bleierner und schließlich ein papierner, der leicht von einigen tausend Chasse- pot=Bajonnetten durchstoßen werden konnte. Dem II. bayerischen Armeecorps war die Aufgabe zugefallen die Straßen von Paris nach Chartres über Chevreuse und jene nach Orleans festzuhalten und alles zwischenliegende Terrain hermetisch abzuschlie- ßen. Die erstere wird durch die Schanze von Châtillon, die letztere durch die von Villejuif beherrscht. Am 20 Sept. waren beide von bayerischen Truppen besetzt. Die Lage und Nähe des allmählich stärker armirten Forts von Bicêtre zur Schanze von Villejuif bedingte leider, aber ganz unweigerlich, daß diese von dem VI. Corps, welches sie von den Bayern nach einigen Tagen übernommen, aufgegeben werden mußte. Hätte sie gehal- ten werden sollen, so hätte der Artilleriekampf mit den Festungsgeschützen nicht nur von Bicêtre, sondern auch von Montrouge sofort begonnen wer- den müssen, was sich von selbst verbot, da wir noch keinen Belagerungs- park besaßen. Sehr empfindlich blieb immer der Verlust von Villejuif; auf dieses basirt unternahmen die Franzosen ihre heftigen Ausfälle gegen das Corps Tümpling, von Villejuif wurden die von uns besetzten Orte Bourg la Reine, Bagneux, Sceaux, ja selbst Antony, das Ruhequartier der 7. Brigade, fortwährend beschossen, von Villejuif allein aus konnten die Vorgänge auf dem Plateau von Moulin de la Tour beobachtet, und sofort durch den Telegraphen den Commandanten von Jssy und Vanves zur weitern Verfügung mitgetheilt werden. Wie wir in den Besitz der Schanze von Châtillon gekommen ist be- kannt. Unbestritten ist der Ruhm welchen die Jnfanterie der 3. Division durch die Festhaltung dieser selbst und des umliegenden Plateau's sich erwor- ben. Wohl ist diese und ein guter Theil des anliegenden Terrains den Blicken der Franzosen durch ein Wäldchen, ringsum am Abhang, entzo- gen gewesen, und dominirte die Forts um 85 Meter; aber die Geschosse von Jssy und Vanves wurden in einer Entfernung von nur 2500 -- 3000 Schritten hier herauf fortwährend geschleudert, und für Montrouge war es ein leichtes bei 5000 Schritten Entfernung mitzuwirken. Fortwährend hatten sich die Vorposten mit den französischen Plänklern herumzuschießen, und stets war die ganze hier postirte Brigade auf dem Sprung den etwa plötzlich heranstürmenden Pariser Bataillonen sich entgegenzuwerfen. Hier gab es keine Unterkunft in Scheunen oder Villen für die Reser- ven, geschweige denn für die Feldwachen oder Pikets, das vielbeschossene Plessis = Piquet etwa ausgenommen; hier oben tobten Wind und Wetter am heftigsten, hier war der Schmutz vom schwersten Kaliber, und hier ver- doppelte der Boreas die eisige Kälte der hellen Wintermorgen. Aber das Plateau mußte gehalten werden, das war unerschütterlicher Grundsatz beim Armeecorps = Commando von Anfang an, und die Zeit, d. h. die verbesserte Armirung von Jssy und Vanves, belehrte uns dessen gründlichst. Denn nicht nur die Beschießung der Südfront und von Pa- ris war durch den Besitz der Schanze um vieles erleichtert und ermöglicht, sondern vor allem eine dichte, unerschütterliche Cernirung gerade im Rayon des II. bayerischen Armeecorps. Die geometrische Länge der bayerischen Cernirungslinie vom Walde von Meudon bis in das Bièvre=Thal betrug etwa 9000 Schritte; dieß gibt, bei der durchschnittlichen Stärke der III. und IV. Jnfanteriedivision von 21,400 Mann, 2,3 Mann auf den Schritt Frontbreite, eine nach den ge- wöhnlichen taktischen Vorstellungen sehr dünne Vertheidigungslinie. Wären nun aber die Franzosen im Besitz der Schanze von Moulin de la Tour geblieben, so hätten sie diese natürlich mit allen möglichen Kalibern armirt; sie hätten das ganze Plateau bestrichen; unsere Vor- posten hätten sorgfältig in Schützengräben zwischen Plessis=Piquet und dem Eingang vom Meudoner Wald untergebracht werden, Châtillon, Bagneux, Sceaux hätten vollständig geräumt, die Communication auf der Versailler Straße in das Bièvre = Thal verlegt werden müssen, und die erste Vertheidigungslinie wäre für das II. bayerische Corps etwa der südlichste Theil des Waldes von Meudon bei Port Verrières, Ma- labry und Antony bis Pont Antony geworden, von 11,000 Schritten Länge; also der Schritt Frontbreite nicht einmal mit 2 Mann besetzt; Das V. ( später das XI. ) Corps mußte sich dann ebenfalls verlängern, und auch das VI. würde durch das Aufgeben von L'Hay in Mitleidenschaft ge- zogen worden sein. Die Vertheidigung dieser Linie hätte große Schwie- * ) Jm Rayon der bayerischen Aufstellung.

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  • Kustoden: nicht übernommen.
  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 62. Augsburg (Bayern), 3. März 1871, S. 1042. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg62_1871/2>, abgerufen am 24.11.2024.