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Allgemeine Zeitung. Nr. 62. Augsburg (Bayern), 3. März 1871.

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[Spaltenumbruch] rigkeiten verursacht, da sie weniger Orte besitzt, also weniger feste Positio-
nen, und zudem überließ sie alle Vortheile der Offensive den Franzosen.

Die Cernirung von Paris wird stets als ein Meisterwerk deutscher
Kriegführung gelten; vor allem daß man mit so geringen Kräften und
Mitteln diese durchzuführen vermochte. Jch glaube aber daß wir dicht an
die Gränze des Möglichen gerückt waren, daß eine Erweiterung des Rin-
ges nur um weniges dem Ganzen wesentlichen Schaden, jedenfalls viel
mehr blutige, erschöpfende Kämpfe verursacht hätte.

Die Schanze von Chatillon, " redoute de Chatillon " ( oder die " Bayern-
schanze," wie sie deutscherseits officiell genannt wurde ) und die Straße von
Orleans waren die Angelpunkte der bayerischen Aufstellung vor Paris;
die sie verbindende Linie gieng vom Meudoner Wald um das Plateau über
Chatillon nach Bagneux und Bourg la Reine bis in den Thalgrund der
Bievre. Hievon war der 3. Jnfanteriedivision die Vertheidigung des
Plateau's, der 8. Brigade jene von Chatillon und Bagneux, der 7. endlich
die von Bourg la Reine überwiesen.

Es war dieß die erste Vertheidigungslinie, bestehend aus Feldwachen
und Replis, von der 3. Division anfangs mit 6, von der 8. Brigade mit
3 ( später mit 4 ) , von der 7. mit 2 Bataillonen besetzt. Die Reserven stan-
den in Bievre, Sceaux ( und Chatenay ) und in Antony. Außerdem
waren im Beginn des Octobers das 1. bayerische, später das 2. preußische
Corps und schließlich eine Gardelandwehrdivision in Longjumeau und Um-
gebung zur Unterstützung aufgestellt.

Die zweite und letzte Vertheidigungslinie, die um keinen Preis auf-
gegeben werden durfte, zog sich von Plessis=Piquet längs der Höhe von
Sceaux gegen den Park des Herzogs von Treviso bei Bourg la Reine hin.

Die bayerische Aufstellung hat nur ein einziges mal einem starken
französischen Anprall zu widerstehen gehabt, es war dieß am 13 October.
Rechtzeitig griffen die ersten Reserven ein, und wir hielten siegreich unsere
vordersten Linien.

Obwohl damals noch, namentlich in Bagneux und Bourg la Reine,
von einem eigentlichen Einnisten nicht die Rede sein konnte, so waren doch
die Anordnungen im allgemeinen so richtig und wirksam getroffen, daß die
ganze Affaire, wie auf Befehl, sich abspielte, und nichts unvorhergesehenes
uns zu unserem Nachtheil überraschte. Worauf alles ankam, das war die
bejahende Antwort der Frage: wird die Jnfanterie in den Schützengräben
und hinter Häusern und Mauern das einem Angriff sicher vorausgehende
Granatfeuer aushalten? Fürwahr, es gehört eine gute wankellose Truppe
dazu die in solchen Stunden nicht murrt, im Gegentheil bereit ist auf den
ersten Wink aus ihren Deckungen heraus dem Feind im freien Feld ent-
gegenzutreten. Bei dieser Kaltblütigkeit und Ruhe war die Hauptschwie-
rigkeit der Vertheidigung überwunden, und was später an Laufgräben,
bombensicheren Unterständen ec. etwa noch gearbeitet wurde, diente viel-
mehr dazu uns vor unnöthigen Verlusten zu wahren, als überhaupt unsere
Positionen zu verstärken. Denn wozu wären schließlich alle diese Keller-
löcher, all diese mit Mist und Schutt erbauten Hütten ( mit Ausnahme der
Unterstände auf der Bayernschanze ) nützlich gewesen, wenn bei der kolos-
salen Beschießung am 28, 29 und 30 Nov. die 74=Pfünder wirklich da ge-
troffen hätten wo wir verborgen waren? Schutz gegen Granatsplitter
ward gegeben; im übrigen stand die Jnfanterie zum guten Theil den
Schiffsgeschossen gegenüber auf freiem Plan.

Das Glück war uns im höchsten Grade günstig; während jener furcht-
baren Beschießungsnächte verlor die 3. und 4. Division, also während eines
Feuers von mindestens 24 Stunden, 22 Mann. Es wurde viel, es wurde
nothwendiges gearbeitet, und die Genietruppen verdienen im höchsten Grade
den Dank der Jnfanterie. Aber man denke nur nicht daß unsere in den
bombensicheren Unterständen kauernden Pikets, Feldwachen und Replis,
bei dem Wechsel der Witterung, welche hartgefrorne Erde plötzlich er-
weichte u. s. w., sammt und sonders und jederzeit in völliger Sicherheit
sich befanden.

Wer nicht mit Nerven wie Drath auf Vorposten zog, den packte gar
bald das Fieber.

Jede der drei Vorpostenaufstellungen der 7. und 8. Brigade und der
3. Division hat ihre eigene Geschichte.

Bei allen tritt gleichzeitig eine Veränderung mit dem 13 October ein
-- eine Erscheinung die, so viel ich erfahren, nach jedem größeren Ausfall
und selbst auch bei kleineren Ueberraschungen, auf der ganzen Cernirungs-
linie sich zeigte.

Die Franzosen trafen auf einen unserer schwachen Punkte, aber stets
nur das erstemal, wie recognoscirend; kamen sie dann das zweitemal mit
ernsthafteren Absichten, so waren wir vollständig gerüstet und zum Em-
pfang bereit.

Die 7. Jnfanteriebrigade hatte, nachdem sie in Folge eines Uberfalles
vor dem 13. ihre Vedettenlinie etwas zurückgezogen, Bourg la Reine aus-
schließlich zum Kampfe sich ausersehen.

[Spaltenumbruch]

Nachdem man bei der 4. Division das einheitliche Vorpostencom-
mando über Chatillon, Bagneux und Bourg la Reine seit dem 13 als zu
umständlich aufgehoben, commandirte in letzterem Ort unausgesetzt Oberst
Heeg und leitete alle Anstalten der Vertheidigung. Diese waren haupt-
sächlich in die Gartenmauern verlegt mit ganz vorzüglichem Schußfelde,
dem Einblick von Montrouge und Bicetre entzogen; zum kleineren Theil
erstreckte sie sich in tiefen Laufgräben hinunter bis in den Wiesgrund der
Bievre.

Wenn ich Jhnen nun sage daß vor den ersten Häusern von Bourg la
Reine, in denen die Pikets und Feldwachen steckten, in einer Entfernung
von 1100 Schritten drei französische Batterien, in einer Entfernung von
2600 Schritten die Schanze Villejuif gelegen und daß alle diese Feuerschlünde
fast tagtäglich während dreier Monate in diesen Häuserkessel hineindonner-
ten, so werden Sie diese Stellung für unhaltbar erklären, und doch wurde
sie niemals verlassen, aus dem einfachen Grunde weil diese Soldaten der
Gefahr allein nicht weichen wollten; die Verluste selbst betragen während
der ganzen Dauer ( den Ausfall am 13 abgerechnet ) nur etwa 90 Mann.

Der größte Theil der Geschosse fiel in den südlichen Theil des Ortes,
was sehr bemerkenswerth ist, da bei Bagneux das umgekehrte Verhältniß
stattgefunden. Erwähnt muß hier noch werden daß, um einen Verbin-
dungsgraben quer über die Straße von Orleans herzustellen, die Genie-
truppen der 4. Division diese Arbeit angesichts der nur 1000 Schritte ent-
fernten 18 französischen Geschütze trefflich und ohne Verlust in einer Nacht
vollendeten.

( Schluß folgt. )

Prinzen im Wahlkampfe.
Eine Principienfrage.

* München, 1 März. Jst es passend einen Prinzen zum Reichs-
tag zu wählen? So fragt man jetzt, und wundert sich wohl gar daß ein
Prinz als Wahlcandidat aufgestellt werden könne. Jn zwanzig Jahren
wird man sich vermuthlich wundern daß man sich heutzutage darüber ge-
wundert hat. Es ist noch nicht lange her, da fragte man auch: ob ein
Minister zum Abgeordneten unserer Landtage dürfe gewählt werden, und
heute sehen wir's als selbstverständlich an, ja als erwünscht, daß ab und
zu ein Minister in der Kammer sitze.

Der alte Arndt unterschrieb im Jahr 1849 die Urkunde der deutschen
Reichsverfassung folgendergestalt: "E. M. Arndt, Reichstagsmann." An-
dere setzten andere Titel hinter ihre Namen, ihm, einem Fürsten unter
den deutschen Volksmännern, war der Reichstagsmann der stolzeste Titel.
Es bezeugt den politischen Fortschritt der Zeit daß gegenwärtig auch Prin-
zen ihren Stolz darein setzen Reichstagsmänner zu werden. So groß ist
das Ansehen des parlamentarischen Lebens geworden, so stark wirkt der
Zauber des neuen Reichs. Man soll sich dessen freuen.

Wir schätzen den Mann nicht zunächst nach dem was er repräsentirt,
sondern nach dem was er thut. Ein Prinz kann vielerlei löbliches thun;
nnter allen Künsten soll ihm aber die Staatskunst am nächsten liegen
Denn im Staate gründet nicht bloß die Stellung des constitutionellen
Fürsten, sondern auch seines Hauses. Für einen Prinzen aber gibt es
selten einen Boden unmittelbaren politischen Wirkens außer dem parla-
mentarischen. Als Mitglieder der ersten Kammer im Einzelstaat sind
unsere Prinzen bereits geborne Volksvertreter; sie können dort die kleine
Schule machen; dem gewählten Volksvertreter des Reichstags eröffnet
sich die große Schule. Warum soll einem Prinzen dieses organische Vor-
schreiten verwehrt sein: vom erblichen Volksvertreter zum gewählten, vom
Landtag zum Reichstag?

Setzen wir einen concreten Fall: Wie heilsam könnte es beispiels-
weise einem bayerischen Prinzen werden im deutschen Parlament zu tagen!
Er nähme ohne Zweifel manche neue Anschauung vom Reiche, von Preu-
ßen, vom öffentlichen Leben der Nation aus Berlin mit nach Hause. Wer
hochgestellt ist, der soll den weitesten Horizont haben, darum darf man
ihm auch nicht wehren daß er ihn gewinne. Nicht bloß das Zusammenwirken
der deutschen Heervölker im Felde, auch das Zusammenleben so vieler
fürstlichen Personen im Hauptquartier wurde mit Recht als ein Versöh-
nungszeichen des deutschen Stammeshaders begrüßt. Der Reichstag ist
auch ein Hauptquartier, ein minder vornehmes zwar als das kriegerische;
allein um so ehrenvoller ist es wenn auch ein Prinz der glanzloseren Be-
rufung in dieses Hauptquartier des friedlichen Volkes folgt.

Aber -- sagt man -- der Reichstag setzt eine Wahl voraus, und beim
Wahlkampfe geht es nicht höfisch zu, oft nicht einmal höflich. Ein Prinz
kann unterliegen, und da leidet der Respect vor der Person, ja vor dem
ganzen fürstlichen Hause. Wenn eine alte Hofdame derlei Ansichten hegt
dann ist das begreiflich, aber im Munde von Volksmännern nimmt sich
ein solcher Einwand doch höchst seltsam aus. Respect muß man zunächst
haben vor löblicher That und, wenn sie mißlingt, vor dem mannhaften

[Spaltenumbruch] rigkeiten verursacht, da sie weniger Orte besitzt, also weniger feste Positio-
nen, und zudem überließ sie alle Vortheile der Offensive den Franzosen.

Die Cernirung von Paris wird stets als ein Meisterwerk deutscher
Kriegführung gelten; vor allem daß man mit so geringen Kräften und
Mitteln diese durchzuführen vermochte. Jch glaube aber daß wir dicht an
die Gränze des Möglichen gerückt waren, daß eine Erweiterung des Rin-
ges nur um weniges dem Ganzen wesentlichen Schaden, jedenfalls viel
mehr blutige, erschöpfende Kämpfe verursacht hätte.

Die Schanze von Châtillon, „ redoute de Châtillon “ ( oder die „ Bayern-
schanze,“ wie sie deutscherseits officiell genannt wurde ) und die Straße von
Orleans waren die Angelpunkte der bayerischen Aufstellung vor Paris;
die sie verbindende Linie gieng vom Meudoner Wald um das Plateau über
Châtillon nach Bagneux und Bourg la Reine bis in den Thalgrund der
Bièvre. Hievon war der 3. Jnfanteriedivision die Vertheidigung des
Plateau's, der 8. Brigade jene von Châtillon und Bagneux, der 7. endlich
die von Bourg la Reine überwiesen.

Es war dieß die erste Vertheidigungslinie, bestehend aus Feldwachen
und Replis, von der 3. Division anfangs mit 6, von der 8. Brigade mit
3 ( später mit 4 ) , von der 7. mit 2 Bataillonen besetzt. Die Reserven stan-
den in Bièvre, Sceaux ( und Châtenay ) und in Antony. Außerdem
waren im Beginn des Octobers das 1. bayerische, später das 2. preußische
Corps und schließlich eine Gardelandwehrdivision in Longjumeau und Um-
gebung zur Unterstützung aufgestellt.

Die zweite und letzte Vertheidigungslinie, die um keinen Preis auf-
gegeben werden durfte, zog sich von Plessis=Piquet längs der Höhe von
Sceaux gegen den Park des Herzogs von Treviso bei Bourg la Reine hin.

Die bayerische Aufstellung hat nur ein einziges mal einem starken
französischen Anprall zu widerstehen gehabt, es war dieß am 13 October.
Rechtzeitig griffen die ersten Reserven ein, und wir hielten siegreich unsere
vordersten Linien.

Obwohl damals noch, namentlich in Bagneux und Bourg la Reine,
von einem eigentlichen Einnisten nicht die Rede sein konnte, so waren doch
die Anordnungen im allgemeinen so richtig und wirksam getroffen, daß die
ganze Affaire, wie auf Befehl, sich abspielte, und nichts unvorhergesehenes
uns zu unserem Nachtheil überraschte. Worauf alles ankam, das war die
bejahende Antwort der Frage: wird die Jnfanterie in den Schützengräben
und hinter Häusern und Mauern das einem Angriff sicher vorausgehende
Granatfeuer aushalten? Fürwahr, es gehört eine gute wankellose Truppe
dazu die in solchen Stunden nicht murrt, im Gegentheil bereit ist auf den
ersten Wink aus ihren Deckungen heraus dem Feind im freien Feld ent-
gegenzutreten. Bei dieser Kaltblütigkeit und Ruhe war die Hauptschwie-
rigkeit der Vertheidigung überwunden, und was später an Laufgräben,
bombensicheren Unterständen ec. etwa noch gearbeitet wurde, diente viel-
mehr dazu uns vor unnöthigen Verlusten zu wahren, als überhaupt unsere
Positionen zu verstärken. Denn wozu wären schließlich alle diese Keller-
löcher, all diese mit Mist und Schutt erbauten Hütten ( mit Ausnahme der
Unterstände auf der Bayernschanze ) nützlich gewesen, wenn bei der kolos-
salen Beschießung am 28, 29 und 30 Nov. die 74=Pfünder wirklich da ge-
troffen hätten wo wir verborgen waren? Schutz gegen Granatsplitter
ward gegeben; im übrigen stand die Jnfanterie zum guten Theil den
Schiffsgeschossen gegenüber auf freiem Plan.

Das Glück war uns im höchsten Grade günstig; während jener furcht-
baren Beschießungsnächte verlor die 3. und 4. Division, also während eines
Feuers von mindestens 24 Stunden, 22 Mann. Es wurde viel, es wurde
nothwendiges gearbeitet, und die Genietruppen verdienen im höchsten Grade
den Dank der Jnfanterie. Aber man denke nur nicht daß unsere in den
bombensicheren Unterständen kauernden Pikets, Feldwachen und Replis,
bei dem Wechsel der Witterung, welche hartgefrorne Erde plötzlich er-
weichte u. s. w., sammt und sonders und jederzeit in völliger Sicherheit
sich befanden.

Wer nicht mit Nerven wie Drath auf Vorposten zog, den packte gar
bald das Fieber.

Jede der drei Vorpostenaufstellungen der 7. und 8. Brigade und der
3. Division hat ihre eigene Geschichte.

Bei allen tritt gleichzeitig eine Veränderung mit dem 13 October ein
-- eine Erscheinung die, so viel ich erfahren, nach jedem größeren Ausfall
und selbst auch bei kleineren Ueberraschungen, auf der ganzen Cernirungs-
linie sich zeigte.

Die Franzosen trafen auf einen unserer schwachen Punkte, aber stets
nur das erstemal, wie recognoscirend; kamen sie dann das zweitemal mit
ernsthafteren Absichten, so waren wir vollständig gerüstet und zum Em-
pfang bereit.

Die 7. Jnfanteriebrigade hatte, nachdem sie in Folge eines Uberfalles
vor dem 13. ihre Vedettenlinie etwas zurückgezogen, Bourg la Reine aus-
schließlich zum Kampfe sich ausersehen.

[Spaltenumbruch]

Nachdem man bei der 4. Division das einheitliche Vorpostencom-
mando über Châtillon, Bagneux und Bourg la Reine seit dem 13 als zu
umständlich aufgehoben, commandirte in letzterem Ort unausgesetzt Oberst
Heeg und leitete alle Anstalten der Vertheidigung. Diese waren haupt-
sächlich in die Gartenmauern verlegt mit ganz vorzüglichem Schußfelde,
dem Einblick von Montrouge und Bicêtre entzogen; zum kleineren Theil
erstreckte sie sich in tiefen Laufgräben hinunter bis in den Wiesgrund der
Bièvre.

Wenn ich Jhnen nun sage daß vor den ersten Häusern von Bourg la
Reine, in denen die Pikets und Feldwachen steckten, in einer Entfernung
von 1100 Schritten drei französische Batterien, in einer Entfernung von
2600 Schritten die Schanze Villejuif gelegen und daß alle diese Feuerschlünde
fast tagtäglich während dreier Monate in diesen Häuserkessel hineindonner-
ten, so werden Sie diese Stellung für unhaltbar erklären, und doch wurde
sie niemals verlassen, aus dem einfachen Grunde weil diese Soldaten der
Gefahr allein nicht weichen wollten; die Verluste selbst betragen während
der ganzen Dauer ( den Ausfall am 13 abgerechnet ) nur etwa 90 Mann.

Der größte Theil der Geschosse fiel in den südlichen Theil des Ortes,
was sehr bemerkenswerth ist, da bei Bagneux das umgekehrte Verhältniß
stattgefunden. Erwähnt muß hier noch werden daß, um einen Verbin-
dungsgraben quer über die Straße von Orleans herzustellen, die Genie-
truppen der 4. Division diese Arbeit angesichts der nur 1000 Schritte ent-
fernten 18 französischen Geschütze trefflich und ohne Verlust in einer Nacht
vollendeten.

( Schluß folgt. )

Prinzen im Wahlkampfe.
Eine Principienfrage.

* München, 1 März. Jst es passend einen Prinzen zum Reichs-
tag zu wählen? So fragt man jetzt, und wundert sich wohl gar daß ein
Prinz als Wahlcandidat aufgestellt werden könne. Jn zwanzig Jahren
wird man sich vermuthlich wundern daß man sich heutzutage darüber ge-
wundert hat. Es ist noch nicht lange her, da fragte man auch: ob ein
Minister zum Abgeordneten unserer Landtage dürfe gewählt werden, und
heute sehen wir's als selbstverständlich an, ja als erwünscht, daß ab und
zu ein Minister in der Kammer sitze.

Der alte Arndt unterschrieb im Jahr 1849 die Urkunde der deutschen
Reichsverfassung folgendergestalt: „E. M. Arndt, Reichstagsmann.“ An-
dere setzten andere Titel hinter ihre Namen, ihm, einem Fürsten unter
den deutschen Volksmännern, war der Reichstagsmann der stolzeste Titel.
Es bezeugt den politischen Fortschritt der Zeit daß gegenwärtig auch Prin-
zen ihren Stolz darein setzen Reichstagsmänner zu werden. So groß ist
das Ansehen des parlamentarischen Lebens geworden, so stark wirkt der
Zauber des neuen Reichs. Man soll sich dessen freuen.

Wir schätzen den Mann nicht zunächst nach dem was er repräsentirt,
sondern nach dem was er thut. Ein Prinz kann vielerlei löbliches thun;
nnter allen Künsten soll ihm aber die Staatskunst am nächsten liegen
Denn im Staate gründet nicht bloß die Stellung des constitutionellen
Fürsten, sondern auch seines Hauses. Für einen Prinzen aber gibt es
selten einen Boden unmittelbaren politischen Wirkens außer dem parla-
mentarischen. Als Mitglieder der ersten Kammer im Einzelstaat sind
unsere Prinzen bereits geborne Volksvertreter; sie können dort die kleine
Schule machen; dem gewählten Volksvertreter des Reichstags eröffnet
sich die große Schule. Warum soll einem Prinzen dieses organische Vor-
schreiten verwehrt sein: vom erblichen Volksvertreter zum gewählten, vom
Landtag zum Reichstag?

Setzen wir einen concreten Fall: Wie heilsam könnte es beispiels-
weise einem bayerischen Prinzen werden im deutschen Parlament zu tagen!
Er nähme ohne Zweifel manche neue Anschauung vom Reiche, von Preu-
ßen, vom öffentlichen Leben der Nation aus Berlin mit nach Hause. Wer
hochgestellt ist, der soll den weitesten Horizont haben, darum darf man
ihm auch nicht wehren daß er ihn gewinne. Nicht bloß das Zusammenwirken
der deutschen Heervölker im Felde, auch das Zusammenleben so vieler
fürstlichen Personen im Hauptquartier wurde mit Recht als ein Versöh-
nungszeichen des deutschen Stammeshaders begrüßt. Der Reichstag ist
auch ein Hauptquartier, ein minder vornehmes zwar als das kriegerische;
allein um so ehrenvoller ist es wenn auch ein Prinz der glanzloseren Be-
rufung in dieses Hauptquartier des friedlichen Volkes folgt.

Aber -- sagt man -- der Reichstag setzt eine Wahl voraus, und beim
Wahlkampfe geht es nicht höfisch zu, oft nicht einmal höflich. Ein Prinz
kann unterliegen, und da leidet der Respect vor der Person, ja vor dem
ganzen fürstlichen Hause. Wenn eine alte Hofdame derlei Ansichten hegt
dann ist das begreiflich, aber im Munde von Volksmännern nimmt sich
ein solcher Einwand doch höchst seltsam aus. Respect muß man zunächst
haben vor löblicher That und, wenn sie mißlingt, vor dem mannhaften

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[1043/0003] rigkeiten verursacht, da sie weniger Orte besitzt, also weniger feste Positio- nen, und zudem überließ sie alle Vortheile der Offensive den Franzosen. Die Cernirung von Paris wird stets als ein Meisterwerk deutscher Kriegführung gelten; vor allem daß man mit so geringen Kräften und Mitteln diese durchzuführen vermochte. Jch glaube aber daß wir dicht an die Gränze des Möglichen gerückt waren, daß eine Erweiterung des Rin- ges nur um weniges dem Ganzen wesentlichen Schaden, jedenfalls viel mehr blutige, erschöpfende Kämpfe verursacht hätte. Die Schanze von Châtillon, „ redoute de Châtillon “ ( oder die „ Bayern- schanze,“ wie sie deutscherseits officiell genannt wurde ) und die Straße von Orleans waren die Angelpunkte der bayerischen Aufstellung vor Paris; die sie verbindende Linie gieng vom Meudoner Wald um das Plateau über Châtillon nach Bagneux und Bourg la Reine bis in den Thalgrund der Bièvre. Hievon war der 3. Jnfanteriedivision die Vertheidigung des Plateau's, der 8. Brigade jene von Châtillon und Bagneux, der 7. endlich die von Bourg la Reine überwiesen. Es war dieß die erste Vertheidigungslinie, bestehend aus Feldwachen und Replis, von der 3. Division anfangs mit 6, von der 8. Brigade mit 3 ( später mit 4 ) , von der 7. mit 2 Bataillonen besetzt. Die Reserven stan- den in Bièvre, Sceaux ( und Châtenay ) und in Antony. Außerdem waren im Beginn des Octobers das 1. bayerische, später das 2. preußische Corps und schließlich eine Gardelandwehrdivision in Longjumeau und Um- gebung zur Unterstützung aufgestellt. Die zweite und letzte Vertheidigungslinie, die um keinen Preis auf- gegeben werden durfte, zog sich von Plessis=Piquet längs der Höhe von Sceaux gegen den Park des Herzogs von Treviso bei Bourg la Reine hin. Die bayerische Aufstellung hat nur ein einziges mal einem starken französischen Anprall zu widerstehen gehabt, es war dieß am 13 October. Rechtzeitig griffen die ersten Reserven ein, und wir hielten siegreich unsere vordersten Linien. Obwohl damals noch, namentlich in Bagneux und Bourg la Reine, von einem eigentlichen Einnisten nicht die Rede sein konnte, so waren doch die Anordnungen im allgemeinen so richtig und wirksam getroffen, daß die ganze Affaire, wie auf Befehl, sich abspielte, und nichts unvorhergesehenes uns zu unserem Nachtheil überraschte. Worauf alles ankam, das war die bejahende Antwort der Frage: wird die Jnfanterie in den Schützengräben und hinter Häusern und Mauern das einem Angriff sicher vorausgehende Granatfeuer aushalten? Fürwahr, es gehört eine gute wankellose Truppe dazu die in solchen Stunden nicht murrt, im Gegentheil bereit ist auf den ersten Wink aus ihren Deckungen heraus dem Feind im freien Feld ent- gegenzutreten. Bei dieser Kaltblütigkeit und Ruhe war die Hauptschwie- rigkeit der Vertheidigung überwunden, und was später an Laufgräben, bombensicheren Unterständen ec. etwa noch gearbeitet wurde, diente viel- mehr dazu uns vor unnöthigen Verlusten zu wahren, als überhaupt unsere Positionen zu verstärken. Denn wozu wären schließlich alle diese Keller- löcher, all diese mit Mist und Schutt erbauten Hütten ( mit Ausnahme der Unterstände auf der Bayernschanze ) nützlich gewesen, wenn bei der kolos- salen Beschießung am 28, 29 und 30 Nov. die 74=Pfünder wirklich da ge- troffen hätten wo wir verborgen waren? Schutz gegen Granatsplitter ward gegeben; im übrigen stand die Jnfanterie zum guten Theil den Schiffsgeschossen gegenüber auf freiem Plan. Das Glück war uns im höchsten Grade günstig; während jener furcht- baren Beschießungsnächte verlor die 3. und 4. Division, also während eines Feuers von mindestens 24 Stunden, 22 Mann. Es wurde viel, es wurde nothwendiges gearbeitet, und die Genietruppen verdienen im höchsten Grade den Dank der Jnfanterie. Aber man denke nur nicht daß unsere in den bombensicheren Unterständen kauernden Pikets, Feldwachen und Replis, bei dem Wechsel der Witterung, welche hartgefrorne Erde plötzlich er- weichte u. s. w., sammt und sonders und jederzeit in völliger Sicherheit sich befanden. Wer nicht mit Nerven wie Drath auf Vorposten zog, den packte gar bald das Fieber. Jede der drei Vorpostenaufstellungen der 7. und 8. Brigade und der 3. Division hat ihre eigene Geschichte. Bei allen tritt gleichzeitig eine Veränderung mit dem 13 October ein -- eine Erscheinung die, so viel ich erfahren, nach jedem größeren Ausfall und selbst auch bei kleineren Ueberraschungen, auf der ganzen Cernirungs- linie sich zeigte. Die Franzosen trafen auf einen unserer schwachen Punkte, aber stets nur das erstemal, wie recognoscirend; kamen sie dann das zweitemal mit ernsthafteren Absichten, so waren wir vollständig gerüstet und zum Em- pfang bereit. Die 7. Jnfanteriebrigade hatte, nachdem sie in Folge eines Uberfalles vor dem 13. ihre Vedettenlinie etwas zurückgezogen, Bourg la Reine aus- schließlich zum Kampfe sich ausersehen. Nachdem man bei der 4. Division das einheitliche Vorpostencom- mando über Châtillon, Bagneux und Bourg la Reine seit dem 13 als zu umständlich aufgehoben, commandirte in letzterem Ort unausgesetzt Oberst Heeg und leitete alle Anstalten der Vertheidigung. Diese waren haupt- sächlich in die Gartenmauern verlegt mit ganz vorzüglichem Schußfelde, dem Einblick von Montrouge und Bicêtre entzogen; zum kleineren Theil erstreckte sie sich in tiefen Laufgräben hinunter bis in den Wiesgrund der Bièvre. Wenn ich Jhnen nun sage daß vor den ersten Häusern von Bourg la Reine, in denen die Pikets und Feldwachen steckten, in einer Entfernung von 1100 Schritten drei französische Batterien, in einer Entfernung von 2600 Schritten die Schanze Villejuif gelegen und daß alle diese Feuerschlünde fast tagtäglich während dreier Monate in diesen Häuserkessel hineindonner- ten, so werden Sie diese Stellung für unhaltbar erklären, und doch wurde sie niemals verlassen, aus dem einfachen Grunde weil diese Soldaten der Gefahr allein nicht weichen wollten; die Verluste selbst betragen während der ganzen Dauer ( den Ausfall am 13 abgerechnet ) nur etwa 90 Mann. Der größte Theil der Geschosse fiel in den südlichen Theil des Ortes, was sehr bemerkenswerth ist, da bei Bagneux das umgekehrte Verhältniß stattgefunden. Erwähnt muß hier noch werden daß, um einen Verbin- dungsgraben quer über die Straße von Orleans herzustellen, die Genie- truppen der 4. Division diese Arbeit angesichts der nur 1000 Schritte ent- fernten 18 französischen Geschütze trefflich und ohne Verlust in einer Nacht vollendeten. ( Schluß folgt. ) Prinzen im Wahlkampfe. Eine Principienfrage. * München, 1 März. Jst es passend einen Prinzen zum Reichs- tag zu wählen? So fragt man jetzt, und wundert sich wohl gar daß ein Prinz als Wahlcandidat aufgestellt werden könne. Jn zwanzig Jahren wird man sich vermuthlich wundern daß man sich heutzutage darüber ge- wundert hat. Es ist noch nicht lange her, da fragte man auch: ob ein Minister zum Abgeordneten unserer Landtage dürfe gewählt werden, und heute sehen wir's als selbstverständlich an, ja als erwünscht, daß ab und zu ein Minister in der Kammer sitze. Der alte Arndt unterschrieb im Jahr 1849 die Urkunde der deutschen Reichsverfassung folgendergestalt: „E. M. Arndt, Reichstagsmann.“ An- dere setzten andere Titel hinter ihre Namen, ihm, einem Fürsten unter den deutschen Volksmännern, war der Reichstagsmann der stolzeste Titel. Es bezeugt den politischen Fortschritt der Zeit daß gegenwärtig auch Prin- zen ihren Stolz darein setzen Reichstagsmänner zu werden. So groß ist das Ansehen des parlamentarischen Lebens geworden, so stark wirkt der Zauber des neuen Reichs. Man soll sich dessen freuen. Wir schätzen den Mann nicht zunächst nach dem was er repräsentirt, sondern nach dem was er thut. Ein Prinz kann vielerlei löbliches thun; nnter allen Künsten soll ihm aber die Staatskunst am nächsten liegen Denn im Staate gründet nicht bloß die Stellung des constitutionellen Fürsten, sondern auch seines Hauses. Für einen Prinzen aber gibt es selten einen Boden unmittelbaren politischen Wirkens außer dem parla- mentarischen. Als Mitglieder der ersten Kammer im Einzelstaat sind unsere Prinzen bereits geborne Volksvertreter; sie können dort die kleine Schule machen; dem gewählten Volksvertreter des Reichstags eröffnet sich die große Schule. Warum soll einem Prinzen dieses organische Vor- schreiten verwehrt sein: vom erblichen Volksvertreter zum gewählten, vom Landtag zum Reichstag? Setzen wir einen concreten Fall: Wie heilsam könnte es beispiels- weise einem bayerischen Prinzen werden im deutschen Parlament zu tagen! Er nähme ohne Zweifel manche neue Anschauung vom Reiche, von Preu- ßen, vom öffentlichen Leben der Nation aus Berlin mit nach Hause. Wer hochgestellt ist, der soll den weitesten Horizont haben, darum darf man ihm auch nicht wehren daß er ihn gewinne. Nicht bloß das Zusammenwirken der deutschen Heervölker im Felde, auch das Zusammenleben so vieler fürstlichen Personen im Hauptquartier wurde mit Recht als ein Versöh- nungszeichen des deutschen Stammeshaders begrüßt. Der Reichstag ist auch ein Hauptquartier, ein minder vornehmes zwar als das kriegerische; allein um so ehrenvoller ist es wenn auch ein Prinz der glanzloseren Be- rufung in dieses Hauptquartier des friedlichen Volkes folgt. Aber -- sagt man -- der Reichstag setzt eine Wahl voraus, und beim Wahlkampfe geht es nicht höfisch zu, oft nicht einmal höflich. Ein Prinz kann unterliegen, und da leidet der Respect vor der Person, ja vor dem ganzen fürstlichen Hause. Wenn eine alte Hofdame derlei Ansichten hegt dann ist das begreiflich, aber im Munde von Volksmännern nimmt sich ein solcher Einwand doch höchst seltsam aus. Respect muß man zunächst haben vor löblicher That und, wenn sie mißlingt, vor dem mannhaften

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  • fremdsprachliches Material: nur Fremdskripte gekennzeichnet.
  • Kolumnentitel: nicht übernommen.
  • Kustoden: nicht übernommen.
  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 62. Augsburg (Bayern), 3. März 1871, S. 1043. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg62_1871/3>, abgerufen am 02.05.2024.