Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg (Bayern), 15. März 1871.[Spaltenumbruch]
staatsgefährlichsten Socialdemokraten, mit Hülfe des Züricher Mob und Aus Schaffhausen enthält die "N. Z. Ztg." folgende Correspon- b Aus der Schweiz, 12 März. Sie werden von den Vorgän- [Spaltenumbruch]
staatsgefährlichsten Socialdemokraten, mit Hülfe des Züricher Mob und Aus Schaffhausen enthält die „N. Z. Ztg.“ folgende Correspon- b Aus der Schweiz, 12 März. Sie werden von den Vorgän- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews"> <div type="jPoliticalNews"> <div type="jArticle"> <p><pb facs="#f0005" n="1245"/><cb/> staatsgefährlichsten Socialdemokraten, mit Hülfe des Züricher Mob und<lb/> der internirten Franzosen in Scene gesetzt -- am 9 Abends mit dem Sturm<lb/> auf die deutsche Friedensfest=Versammlung in der „Tonhalle“ begannen,<lb/> vorgestern verstärkte Fortsetzung genommen haben. Die „N. Z. Z.“ bringt<lb/> hierüber folgenden weiteren Bericht eines Augenzeugen. „Unser Pöbel, der<lb/> in Außersihl und der Enden förmlich aufgeboten worden sein soll, hat gestern<lb/> Nacht den Angriff gegen die Strafanstalt, in deren neuem Weiberhaus<lb/> nebst 2 Compagnien Jnternirter, die sich ganz tadellos verhielten, auch etwa<lb/> 30 der Ruhestörer von Donnerstag Nachts verwahrt werden, wirklich ge-<lb/> wagt. Die Zusammenrottungen, wobei eine große Zahl Gamins, began-<lb/> nen mit einbrechender Nacht, nachdem zur Abwehr der Wachtposten um etwa<lb/> 100 Mann verstärkt und auf alle Begegnisse hin das Nöthige vorbereitet<lb/> worden war. Nach 8 Uhr hörte man eine Anrede an die Massen, die etwa<lb/> die Hälfte des Hofes und einen Theil der anstoßenden Gassen füllten.<lb/> Ein Mann der auf einem der daliegenden Steinhaufen stand, erklärte im<lb/> Schweizerdeutsch: man müsse Gewalt brauchen wenn die Arrestanten nicht<lb/> freiwillig herausgegeben werden. Später kam noch ein „Hochdeutscher“<lb/> und schwatzte von Tyrannen. Die Aufrührer bewegten sich mit Gebrüll<lb/> gegen den Eingang des Weiberhauses und warfen zu ihrem Vergnügen<lb/> und zum Verdruß der Staatscasse etwa 20 Scheiben an den Fenstern der<lb/> Bureaux der Anstalt ein. Das Militär im Hause war zum Aeußersten ent-<lb/> schlossen, ließ sich aber von seinen Officieren zurückhalten und gab keinen<lb/> Schuß ab. Als einige Trainsoldaten zu Pferd anrückten, leerte sich der<lb/> Platz fast ganz; aber wie sie sich wandten, traf sie ein Hagel von Steinen.<lb/> Jm gleichen Augenblick kam ein kleines Detaschement Jnfanterie von der<lb/> Bahnhofstraße herauf, sah dieß und gab etwa 6 Schüsse ab, zwar nur in die<lb/> Luft, aber doch mit dem Erfolg daß ein Zuschauer am Fenster im dritten<lb/> Stock eines benachbarten Hauses sofort, durchs Herz getroffen, getödtet<lb/> wurde. Die Pöbelmassen wogten noch mehrmals hin und her, verliefen<lb/> sich aber bald nach Mitternacht gänzlich, nicht ohne vielfache Drohungen<lb/> Waffen zu holen und Feuer anzulegen.“ Jn der folgenden Nacht erneuerten<lb/> sich die tumultuarischen Auftritte. Gegen 11 Uhr wälzte sich eine Volksmasse<lb/> durch den Rennweg der Strafanstalt zu. Bei der Schmiede daselbst wurde<lb/> die Menge haranguirt und zum Angriff angefeuert. Eine Abtheilung zog<lb/> sich durch die Oetenbacher Gasse der Strafanstalt zu, eine andere durch die<lb/> Hofgasse. Ein ziemlicher Theil scheint aus Neugierigen bestanden zu haben;<lb/> beim Angriff auf die Strafanstalt blieben wenigstens viele in respectvoller<lb/> Entfernung, und drückten sich an die gegenüberstehende Häuserreihe. Die<lb/> Absicht der Bewegungsmänner scheint nun entschieden gegen die Regierung<lb/> gerichtet zu sein. Ein Arbeiter, welchen der Berichterstatter der „N. Z. Z.“<lb/> ganz genau hören konnte, sagte dem Sinne nach folgendes: „Wir haben<lb/> 1868 die alte Regierung gestürzt, die neue muß auch herunter, sie hat uns<lb/> größern Lohn versprochen, und wir haben nicht mehr bekommen. Wir sind<lb/> von ihr betrogen worden.“ Alle Erscheinungen deuten immer entschiedener<lb/> darauf hin daß der hiesige internationale Verein die Triebfeder der Be-<lb/> wegung ist, und daß die Friedensfeier der Deutschen nur als passend er-<lb/> scheinender Anlaß, sowie die betheiligten französischen Officiere als Krawall-<lb/> handlanger benutzt wurden.“ „Bis tief in die Nacht hinein,“ berichtet die<lb/> „N. Z. Z.“ ferner, „dauerte ein ungeheures Gedränge in den Straßen der<lb/> Stadt und führte an verschiedenen Orten zu Zusammenstößen. Auch vor<lb/> unserer Druckerei dauerte die Zusammenrottung bis nach Mitternacht, und<lb/> es wurde nothwendig die Zeitungspakete unter polizeilicher Escorte zur<lb/> Post zu liefern. Doch können wir beifügen daß ein ernstlicher Angriff hier<lb/> nicht versucht wurde und die Zuschauermasse sich ziemlich inoffensiv verhielt;<lb/> die Cavallerie that übrigens hier wie auch anderwärts ihre Schuldigkeit<lb/> in rühmlichster Weise, und sprengte die Massen von Zeit zu Zeit durch<lb/> Chargen auseinander. Leider gieng es an anderen Stellen blutiger zu. Am<lb/> Rathhaus=Quai, also in unserer nächsten Nähe, fand ein blutiger Zusammen-<lb/> stoß gegen Mitternacht mit der Cavallerie statt, wobei ein Mann aus der<lb/> Menge todt auf dem Platze blieb. Ein förmlicher Angriff richtete sich<lb/> abermals und zwar ebenfalls in späterer Nacht gegen die Strafanstalt. Die<lb/> Truppen waren hier genöthigt, nachdem die Angreifer mit einem Sturm-<lb/> bock die Thüre gesprengt, Feuerwaffen zu verwenden und, nachdem sie zuerst<lb/> ohne Erfolg in die Luft gefeuert hatten, das Feuer auf die stürmende Menge<lb/> selbst zu richten; die Zahl der Todten stieg an dieser Stelle auf 3, nebst<lb/> einer größern Zahl von Verwundeten. Neben der Cavallerie verhielt<lb/> sich auch das übrige Militär tadellos, und zeigte ebensoviel Ruhe als Festig-<lb/> keit. Mitten aus der lärmenden Menge holte es sich eine Anzahl der schlimm-<lb/> sten Rädelsführer heraus; bei der Verhaftanstalt allein wurden gegen 40<lb/> verhaftet.“ Der eidgenössische Commissär hat folgende Proclamation erlassen:<lb/> „Bewohner von Zürich! Seit einigen Tagen haben beklagenswerthe Ruhe-<lb/> störungen hier stattgefunden. Der schweizerische Bundesrath, von der Re-<lb/> gierung des Standes Zürich um seine Dazwischenkunft angegangen, hat<lb/> den Unterzeichneten zum eidgenössischen Commissär ernannt, und eine an-<lb/> sehnliche Truppenmacht zu seiner Verfügung gestellt. Jndem ich, diesem<lb/> Ruf Folge gebend, in eurer Mitte erscheine, spreche ich die Hoffnung aus<lb/> daß ich nicht in den Fall werde gesetzt werden von den Mitteln der Gewalt<lb/> irgendwelchen Gebrauch zu machen; es würde dieß nur mit größtem Wi-<lb/> derstreben und im äußersten Nothfall geschehen; es könnte aber nicht ver-<lb/> mieden werden, wenn die Auftritte der drei letzten Abende sich nochmals<lb/> wiederholen sollten. Bewohner von Zürich! Jch rechne vor allen Dingen<lb/> auf eure Einsicht und Vaterlandsliebe. Die Schweiz sucht ihren Ruhm<lb/> darin daß sie ein Gemeinwesen ist in welchem Freiheit und Ordnung Hand<lb/><cb/> in Hand gehen. Sie kann diesen ihren guten Ruf, welchem sie zum großen<lb/> Theil ihre geachtete Stellung in der Welt verdankt, nicht durch einige Ruhe-<lb/> störer in Frage stellen lassen. Jch zähle daher mit aller Sicherheit darauf<lb/> daß alle guten Bürger den Behörden zur Seite treten, und daß es ihren<lb/> vereinigten Bemühungen gelingen werde ohne weiteres Blutvergießen die<lb/> Rückkehr zu geordneten Verhältnissen zu bewirken. Der eidgenössische<lb/> Commissär: <hi rendition="#aq">Dr</hi>. J. <hi rendition="#g">Heer,</hi> Mitglied des schweizerischen Nationalraths.“<lb/> Dem „Schw. M.“ schildert man das Handgemenge in der Tonhalle am<lb/> 9 d. folgendermaßen: „Der Kampf mit den französischen Officieren in der<lb/> Tonhalle war ein kurzer. Jn fünf Minuten war er abgethan. Eine im<lb/> Saal der Halle nicht sichtbare Treppe führt vom Restaurationslocal, das<lb/> dem Publicum offen blieb, zu der Tribüne wo die Sänger, die Musiker<lb/> und die Damen saßen. Die Thüre zu jener Treppe, ebenfalls unsichtbar<lb/> im Saal, wurde von den Franzosen gesprengt, ihre Füllung eingetreten.<lb/> Plötzlich sahen die Sänger blanke Säbel durch die Thüre blinken, denen<lb/> das Franzosengesindel folgte. Aber ehe die Franzosen die kurze Treppe<lb/> erstiegen hatten, waren die Stuhlfüße und Notenpultstücke der Deutschen<lb/> bereit die feigen Angreifer zu empfangen. Furchtbar wurden die franzö-<lb/> zösischen Schädel bearbeitet, in einem Augenblick waren die Bursche ent-<lb/> waffnet, blutig wurden sie die Treppe hinunter=, blutend zum Restaurations-<lb/> local hinausgeschmissen. Jn diesem kurzen Kampf haben sich auch zwei<lb/> Schweizer hervorgethan. Mit dem Rufe: „Die Ehre der Schweizer ist es<lb/> welche auf dem Spiel steht,“ stürzten der Eisenbahnbeamte Schlatter und<lb/> Prof. Kym ( Thurgauer ) auf die Eindringlinge los und hieben sie unbarm-<lb/> herzig. Jn der Tonhalle also, Mann gegen Mann, siegten die Deutschen,<lb/> draußen der schweizerische Pöbel, beschützt von den Milizen. Die Polen<lb/> sollen unschuldig sein. Nur <hi rendition="#g">ein</hi> Franzose ist todt. Sechs ihrer „Zahnstocher“<lb/> und einige Käppis ließen sie auf der Walstatt. Der bei dem Sturm<lb/> auf die Strafanstalt erschossene Württemberger heißt Teufel und ist<lb/> Schneider in Tuttlingen. Derselbe war auf Besuch bei seiner Braut, sah<lb/> aus dem dritten Stock eines Hauses dem Scandal zu als gegen das an-<lb/> stürmende Gesindel eine Salve gegeben wurde. Eine Kugel traf ihn mitten<lb/> ins Herz.“ Es muß anerkannt werden daß die öffentliche Meinung in Zürich,<lb/> wie in der gesammten Schweiz, soweit sie von den anständigen Elementen der<lb/> Bevölkerung getragen wird, sich mit Abscheu und Entrüstung von diesen Ent-<lb/> weihungen des Asylrechts abwendet, und daß die Schweiz und die Stadt<lb/> Zürich insbesondere die Schmach lebhaft empfindet welche der eidgenössi-<lb/> schen Ehre dadurch zugefügt worden. Es ist eine Adresse an den Bundesrath<lb/> im Umlauf und bedeckt sich mit zahlreichen Unterschriften. Die „N. Z. Z.“<lb/> gibt dieser Stimmung in einem Leitartikel energischen Ausdruck. Auch der<lb/> Züricher Polenverein veröffentlicht eine Erklärung, worin er seine Mit-<lb/> glieder gegen die wohl etwas leichtfertig erhobene Beschuldigung der thä-<lb/> tigen Theilnahme an den Excessen verwahrt. Wie aus den bishertgen Be-<lb/> richten erkennbar, ist das Element der Jnternirten, das beim Angriff<lb/> auf die Tonhalle in erster Linie stand, bei den spätern Schandscenen<lb/> zurückgetreten, theils in Folge von Verhaftung und schleuniger Eva-<lb/> cuirung, theils indem die eigentliche Pöbelmasse, die Trunkenbolde der<lb/> „Jnternationalen“ voran, die Oberhand ergriffen, nachdem einmal die<lb/> Ruhe mit Erfolg gestört und für die gemeinschädlichen Tendenzen des<lb/> Bundes freie Bahn gebrochen schien.</p> </div><lb/> <div type="jArticle"> <p>Aus Schaffhausen enthält die „N. Z. Ztg.“ folgende Correspon-<lb/> denz vom 9 März: „Heute Nachmittags hat hier eine eigenthümliche Fest-<lb/> lichkeit stattgefunden. Man gab den 500 in der Stadt internirten Fran-<lb/> zosen ein Banketr auf der Zinne des Munoths, des alten jetzt nur noch<lb/> Friedens = und besonders Festzwecken dienenden Bollwerks. Vom schönsten<lb/> Wetter begünstigt marschirte die Mannschaft Nachmittags um 2 Uhr fest-<lb/> lich herausgewichst auf den Munoth, wo sie die Zinne mit Tischen besetzt<lb/> fand, und sich nicht zweimal einladen ließ dieselben zu occupiren. Es<lb/> war ein ungewohnter Anblick die vielen in steter Bewegung sich befinden-<lb/> den rothen Käppis an den langen Tischen wohl geordnet zu sehen, wo sie<lb/> sich das Mahl schmecken ließen und den in reichem Maße gespendeten<lb/> Schaffhauser Wein nicht minder. Reden wurden gewechselt, die Stadt-<lb/> musik spielte kriegerische und fröhliche Weisen, die Franzosen gaben die<lb/> Marseillaise zum Besten, es wurde getanzt -- kurz es war so eine Art<lb/> kleines Volksfest, zu dessen Verschönerung insbesondere auch die Frauen-<lb/> welt beitrug. Der unermüdliche Chef des freiwilligen Sanitätscorps hatte<lb/> alle seine Leute, männlich und weiblich, um sich versammelt, und man<lb/> sah es den fröhlichen Gesichtern an daß sie sich für den langen Aufenthalt<lb/> in dumpfen Krankensälen und für das viele Nachtwachen durch zeitweili-<lb/> ges Aufathmen in Gottes frischer Luft ein klein wenig entschädigen woll-<lb/> ten, und daß die ungebundene Fröhlichkeit ihren sonst mit Stöhnen und<lb/> Seufzen der Kranken erfüllten Ohren eine sehr wohlthätige Abwechslung<lb/> darbot. Um 6 Uhr wurde für die Franzosen Retraite geschlagen, und sie<lb/> begaben sich um einen fröhlichen Tag reicher wieder in ihre Casernen.“</p> </div><lb/> <div type="jArticle"> <p><foreign xml:lang="el">b</foreign> Aus der Schweiz, 12 März. Sie werden von den Vorgän-<lb/> gen in Zürich bereits unterrichtet sein. Jch möchte noch hervorheben daß<lb/> man schon zur Zeit als die deutsche Siegesfeier zum erstenmal angekün-<lb/> digt wurde und nur in Folge der Katastrophe der französischen Ostarmee<lb/> zeitweilig unterblieb, Gelegenheit hatte sich von einer feindseligen Stim-<lb/> mung zu überzeugen. So z. B. hatte eine gewisse Clique sich in einem<lb/> Wirthshause dieser Stadt heftig schimpfend dahin ausgesprochen diese Zu-<lb/> samenkunft der Deutschen nicht dulden zu wollen. Jn der „Neuen Züri-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1245/0005]
staatsgefährlichsten Socialdemokraten, mit Hülfe des Züricher Mob und
der internirten Franzosen in Scene gesetzt -- am 9 Abends mit dem Sturm
auf die deutsche Friedensfest=Versammlung in der „Tonhalle“ begannen,
vorgestern verstärkte Fortsetzung genommen haben. Die „N. Z. Z.“ bringt
hierüber folgenden weiteren Bericht eines Augenzeugen. „Unser Pöbel, der
in Außersihl und der Enden förmlich aufgeboten worden sein soll, hat gestern
Nacht den Angriff gegen die Strafanstalt, in deren neuem Weiberhaus
nebst 2 Compagnien Jnternirter, die sich ganz tadellos verhielten, auch etwa
30 der Ruhestörer von Donnerstag Nachts verwahrt werden, wirklich ge-
wagt. Die Zusammenrottungen, wobei eine große Zahl Gamins, began-
nen mit einbrechender Nacht, nachdem zur Abwehr der Wachtposten um etwa
100 Mann verstärkt und auf alle Begegnisse hin das Nöthige vorbereitet
worden war. Nach 8 Uhr hörte man eine Anrede an die Massen, die etwa
die Hälfte des Hofes und einen Theil der anstoßenden Gassen füllten.
Ein Mann der auf einem der daliegenden Steinhaufen stand, erklärte im
Schweizerdeutsch: man müsse Gewalt brauchen wenn die Arrestanten nicht
freiwillig herausgegeben werden. Später kam noch ein „Hochdeutscher“
und schwatzte von Tyrannen. Die Aufrührer bewegten sich mit Gebrüll
gegen den Eingang des Weiberhauses und warfen zu ihrem Vergnügen
und zum Verdruß der Staatscasse etwa 20 Scheiben an den Fenstern der
Bureaux der Anstalt ein. Das Militär im Hause war zum Aeußersten ent-
schlossen, ließ sich aber von seinen Officieren zurückhalten und gab keinen
Schuß ab. Als einige Trainsoldaten zu Pferd anrückten, leerte sich der
Platz fast ganz; aber wie sie sich wandten, traf sie ein Hagel von Steinen.
Jm gleichen Augenblick kam ein kleines Detaschement Jnfanterie von der
Bahnhofstraße herauf, sah dieß und gab etwa 6 Schüsse ab, zwar nur in die
Luft, aber doch mit dem Erfolg daß ein Zuschauer am Fenster im dritten
Stock eines benachbarten Hauses sofort, durchs Herz getroffen, getödtet
wurde. Die Pöbelmassen wogten noch mehrmals hin und her, verliefen
sich aber bald nach Mitternacht gänzlich, nicht ohne vielfache Drohungen
Waffen zu holen und Feuer anzulegen.“ Jn der folgenden Nacht erneuerten
sich die tumultuarischen Auftritte. Gegen 11 Uhr wälzte sich eine Volksmasse
durch den Rennweg der Strafanstalt zu. Bei der Schmiede daselbst wurde
die Menge haranguirt und zum Angriff angefeuert. Eine Abtheilung zog
sich durch die Oetenbacher Gasse der Strafanstalt zu, eine andere durch die
Hofgasse. Ein ziemlicher Theil scheint aus Neugierigen bestanden zu haben;
beim Angriff auf die Strafanstalt blieben wenigstens viele in respectvoller
Entfernung, und drückten sich an die gegenüberstehende Häuserreihe. Die
Absicht der Bewegungsmänner scheint nun entschieden gegen die Regierung
gerichtet zu sein. Ein Arbeiter, welchen der Berichterstatter der „N. Z. Z.“
ganz genau hören konnte, sagte dem Sinne nach folgendes: „Wir haben
1868 die alte Regierung gestürzt, die neue muß auch herunter, sie hat uns
größern Lohn versprochen, und wir haben nicht mehr bekommen. Wir sind
von ihr betrogen worden.“ Alle Erscheinungen deuten immer entschiedener
darauf hin daß der hiesige internationale Verein die Triebfeder der Be-
wegung ist, und daß die Friedensfeier der Deutschen nur als passend er-
scheinender Anlaß, sowie die betheiligten französischen Officiere als Krawall-
handlanger benutzt wurden.“ „Bis tief in die Nacht hinein,“ berichtet die
„N. Z. Z.“ ferner, „dauerte ein ungeheures Gedränge in den Straßen der
Stadt und führte an verschiedenen Orten zu Zusammenstößen. Auch vor
unserer Druckerei dauerte die Zusammenrottung bis nach Mitternacht, und
es wurde nothwendig die Zeitungspakete unter polizeilicher Escorte zur
Post zu liefern. Doch können wir beifügen daß ein ernstlicher Angriff hier
nicht versucht wurde und die Zuschauermasse sich ziemlich inoffensiv verhielt;
die Cavallerie that übrigens hier wie auch anderwärts ihre Schuldigkeit
in rühmlichster Weise, und sprengte die Massen von Zeit zu Zeit durch
Chargen auseinander. Leider gieng es an anderen Stellen blutiger zu. Am
Rathhaus=Quai, also in unserer nächsten Nähe, fand ein blutiger Zusammen-
stoß gegen Mitternacht mit der Cavallerie statt, wobei ein Mann aus der
Menge todt auf dem Platze blieb. Ein förmlicher Angriff richtete sich
abermals und zwar ebenfalls in späterer Nacht gegen die Strafanstalt. Die
Truppen waren hier genöthigt, nachdem die Angreifer mit einem Sturm-
bock die Thüre gesprengt, Feuerwaffen zu verwenden und, nachdem sie zuerst
ohne Erfolg in die Luft gefeuert hatten, das Feuer auf die stürmende Menge
selbst zu richten; die Zahl der Todten stieg an dieser Stelle auf 3, nebst
einer größern Zahl von Verwundeten. Neben der Cavallerie verhielt
sich auch das übrige Militär tadellos, und zeigte ebensoviel Ruhe als Festig-
keit. Mitten aus der lärmenden Menge holte es sich eine Anzahl der schlimm-
sten Rädelsführer heraus; bei der Verhaftanstalt allein wurden gegen 40
verhaftet.“ Der eidgenössische Commissär hat folgende Proclamation erlassen:
„Bewohner von Zürich! Seit einigen Tagen haben beklagenswerthe Ruhe-
störungen hier stattgefunden. Der schweizerische Bundesrath, von der Re-
gierung des Standes Zürich um seine Dazwischenkunft angegangen, hat
den Unterzeichneten zum eidgenössischen Commissär ernannt, und eine an-
sehnliche Truppenmacht zu seiner Verfügung gestellt. Jndem ich, diesem
Ruf Folge gebend, in eurer Mitte erscheine, spreche ich die Hoffnung aus
daß ich nicht in den Fall werde gesetzt werden von den Mitteln der Gewalt
irgendwelchen Gebrauch zu machen; es würde dieß nur mit größtem Wi-
derstreben und im äußersten Nothfall geschehen; es könnte aber nicht ver-
mieden werden, wenn die Auftritte der drei letzten Abende sich nochmals
wiederholen sollten. Bewohner von Zürich! Jch rechne vor allen Dingen
auf eure Einsicht und Vaterlandsliebe. Die Schweiz sucht ihren Ruhm
darin daß sie ein Gemeinwesen ist in welchem Freiheit und Ordnung Hand
in Hand gehen. Sie kann diesen ihren guten Ruf, welchem sie zum großen
Theil ihre geachtete Stellung in der Welt verdankt, nicht durch einige Ruhe-
störer in Frage stellen lassen. Jch zähle daher mit aller Sicherheit darauf
daß alle guten Bürger den Behörden zur Seite treten, und daß es ihren
vereinigten Bemühungen gelingen werde ohne weiteres Blutvergießen die
Rückkehr zu geordneten Verhältnissen zu bewirken. Der eidgenössische
Commissär: Dr. J. Heer, Mitglied des schweizerischen Nationalraths.“
Dem „Schw. M.“ schildert man das Handgemenge in der Tonhalle am
9 d. folgendermaßen: „Der Kampf mit den französischen Officieren in der
Tonhalle war ein kurzer. Jn fünf Minuten war er abgethan. Eine im
Saal der Halle nicht sichtbare Treppe führt vom Restaurationslocal, das
dem Publicum offen blieb, zu der Tribüne wo die Sänger, die Musiker
und die Damen saßen. Die Thüre zu jener Treppe, ebenfalls unsichtbar
im Saal, wurde von den Franzosen gesprengt, ihre Füllung eingetreten.
Plötzlich sahen die Sänger blanke Säbel durch die Thüre blinken, denen
das Franzosengesindel folgte. Aber ehe die Franzosen die kurze Treppe
erstiegen hatten, waren die Stuhlfüße und Notenpultstücke der Deutschen
bereit die feigen Angreifer zu empfangen. Furchtbar wurden die franzö-
zösischen Schädel bearbeitet, in einem Augenblick waren die Bursche ent-
waffnet, blutig wurden sie die Treppe hinunter=, blutend zum Restaurations-
local hinausgeschmissen. Jn diesem kurzen Kampf haben sich auch zwei
Schweizer hervorgethan. Mit dem Rufe: „Die Ehre der Schweizer ist es
welche auf dem Spiel steht,“ stürzten der Eisenbahnbeamte Schlatter und
Prof. Kym ( Thurgauer ) auf die Eindringlinge los und hieben sie unbarm-
herzig. Jn der Tonhalle also, Mann gegen Mann, siegten die Deutschen,
draußen der schweizerische Pöbel, beschützt von den Milizen. Die Polen
sollen unschuldig sein. Nur ein Franzose ist todt. Sechs ihrer „Zahnstocher“
und einige Käppis ließen sie auf der Walstatt. Der bei dem Sturm
auf die Strafanstalt erschossene Württemberger heißt Teufel und ist
Schneider in Tuttlingen. Derselbe war auf Besuch bei seiner Braut, sah
aus dem dritten Stock eines Hauses dem Scandal zu als gegen das an-
stürmende Gesindel eine Salve gegeben wurde. Eine Kugel traf ihn mitten
ins Herz.“ Es muß anerkannt werden daß die öffentliche Meinung in Zürich,
wie in der gesammten Schweiz, soweit sie von den anständigen Elementen der
Bevölkerung getragen wird, sich mit Abscheu und Entrüstung von diesen Ent-
weihungen des Asylrechts abwendet, und daß die Schweiz und die Stadt
Zürich insbesondere die Schmach lebhaft empfindet welche der eidgenössi-
schen Ehre dadurch zugefügt worden. Es ist eine Adresse an den Bundesrath
im Umlauf und bedeckt sich mit zahlreichen Unterschriften. Die „N. Z. Z.“
gibt dieser Stimmung in einem Leitartikel energischen Ausdruck. Auch der
Züricher Polenverein veröffentlicht eine Erklärung, worin er seine Mit-
glieder gegen die wohl etwas leichtfertig erhobene Beschuldigung der thä-
tigen Theilnahme an den Excessen verwahrt. Wie aus den bishertgen Be-
richten erkennbar, ist das Element der Jnternirten, das beim Angriff
auf die Tonhalle in erster Linie stand, bei den spätern Schandscenen
zurückgetreten, theils in Folge von Verhaftung und schleuniger Eva-
cuirung, theils indem die eigentliche Pöbelmasse, die Trunkenbolde der
„Jnternationalen“ voran, die Oberhand ergriffen, nachdem einmal die
Ruhe mit Erfolg gestört und für die gemeinschädlichen Tendenzen des
Bundes freie Bahn gebrochen schien.
Aus Schaffhausen enthält die „N. Z. Ztg.“ folgende Correspon-
denz vom 9 März: „Heute Nachmittags hat hier eine eigenthümliche Fest-
lichkeit stattgefunden. Man gab den 500 in der Stadt internirten Fran-
zosen ein Banketr auf der Zinne des Munoths, des alten jetzt nur noch
Friedens = und besonders Festzwecken dienenden Bollwerks. Vom schönsten
Wetter begünstigt marschirte die Mannschaft Nachmittags um 2 Uhr fest-
lich herausgewichst auf den Munoth, wo sie die Zinne mit Tischen besetzt
fand, und sich nicht zweimal einladen ließ dieselben zu occupiren. Es
war ein ungewohnter Anblick die vielen in steter Bewegung sich befinden-
den rothen Käppis an den langen Tischen wohl geordnet zu sehen, wo sie
sich das Mahl schmecken ließen und den in reichem Maße gespendeten
Schaffhauser Wein nicht minder. Reden wurden gewechselt, die Stadt-
musik spielte kriegerische und fröhliche Weisen, die Franzosen gaben die
Marseillaise zum Besten, es wurde getanzt -- kurz es war so eine Art
kleines Volksfest, zu dessen Verschönerung insbesondere auch die Frauen-
welt beitrug. Der unermüdliche Chef des freiwilligen Sanitätscorps hatte
alle seine Leute, männlich und weiblich, um sich versammelt, und man
sah es den fröhlichen Gesichtern an daß sie sich für den langen Aufenthalt
in dumpfen Krankensälen und für das viele Nachtwachen durch zeitweili-
ges Aufathmen in Gottes frischer Luft ein klein wenig entschädigen woll-
ten, und daß die ungebundene Fröhlichkeit ihren sonst mit Stöhnen und
Seufzen der Kranken erfüllten Ohren eine sehr wohlthätige Abwechslung
darbot. Um 6 Uhr wurde für die Franzosen Retraite geschlagen, und sie
begaben sich um einen fröhlichen Tag reicher wieder in ihre Casernen.“
b Aus der Schweiz, 12 März. Sie werden von den Vorgän-
gen in Zürich bereits unterrichtet sein. Jch möchte noch hervorheben daß
man schon zur Zeit als die deutsche Siegesfeier zum erstenmal angekün-
digt wurde und nur in Folge der Katastrophe der französischen Ostarmee
zeitweilig unterblieb, Gelegenheit hatte sich von einer feindseligen Stim-
mung zu überzeugen. So z. B. hatte eine gewisse Clique sich in einem
Wirthshause dieser Stadt heftig schimpfend dahin ausgesprochen diese Zu-
samenkunft der Deutschen nicht dulden zu wollen. Jn der „Neuen Züri-
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