Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 55. Rudolstadt, 18. Oktober 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch] er wollte allein speisen! Man servirte ihm nachher einen
Tisch für drei Personen -- die Frau des Wirths wollte präsi-
diren -- ein Dienst, den man hier für eine, dem Gaste
zu erzeigende Ehre hält
-- der Prinz refusirte die-
selbe.
Diese zwei ganz unerhörten Verstöße gegen die Sitten,
Gewohnheiten und Gefühle des Teraners vermochten den Wirth
doch nicht, den Prinzen hinauszuwerfen oder niederzuschießen,
sondern er ließ ihn nur dafür bezahlen -- und übergab den Vor-
fall der Oeffentlichkeit. Er konnte sich nicht empfindlicher rächen,
und doch that er nichts, als des Prinzen Handlungsweise von
der öffentlichen Meinung verdammen zu lassen. Solche und tau-
send andere mehr oder weniger bedeutende Vorkommenheiten ver-
nichteten den Prinzen in der öffentlichen Meinung.

Hiernach mag der Leser urtheilen, wer sich des Vorfalls zu
schämen hat, der Wirth oder der durchlauchtigste Gast. Hätte
sich der Verf. herbeigelassen, überall, wo er den Charakter der
Amerikaner in den Koth tritt, Beispiele aus seiner Erfahrung
anzuführen, wir hätten es ihm Dank gewußt und vielleicht auch
zu anderen seiner Abentheuer Erläuterungen wie die vorstehende
geben können.

Es würde den gemessenen Raum dieses Blattes überschreiten
und, ohne Zweifel, auch die Geduld unserer Leser ermüden, wollten
wir alle die Beschuldigungen, welche der Verf. gegen die Nord-
amerikaner ausspricht, hier anführen; die citirten Beispiele, denken
wir, werden genügen, um die Verkehrtheit jenes Abschnittes des
vorliegenden Werkes zu zeigen, der die gesellschaftlichen Verhält-
nisse bespricht. Außer dem Groll des Prinzen über die selbst
verschuldete, unangenehme Aufnahme, die er gefunden, scheint aber
auch sein Jnteresse für die Texas = Kolonie ihm jene Schmäh-
worte in die Feder dictirt zu haben; denn S. 38 lesen wir:

"Der Amerikaner ist eingebildet, prahlend und im Umgange
unangenehm, in seinen Manieren und Gewohnheiten äußerst
schmutzig. Wohl den Deutschen, die, statt sich unter
solchen Leuten ansiedeln zu müssen, deren Sprache
sie nicht verstehen, deren Sitten ihnen fremd sind,
jetzt in Texas eine neue Heimath finden, welche
ihnen wenig verschieden von ihrem alten Vaterlande
dünken wird. Sie wohnen unter Landsleuten, hören
nichts als deutsche Sprache reden, und finden auch
jenseit des Oceans die Sitten ihrer Heimath wieder.
"
Und S. 49 u. 50 tritt die Werbung für den Verein noch deut-
licher hervor, denn da heißt es, der Verf. habe die Amerikaner
mit noch viel zu schwachen Farben geschildert; der Emigrant, der
sich dem Texas = Verein anschließt, komme jedoch gar nicht mit
ihnen in Berührung, und entgehe also den ihn bedrohenden
schrecklichen Gefahren. Die Marktschreierei des philanthrophischen
Prinzen gibt der in irgend einer Quacksalberbude durchaus nichts
nach; Prinz und Quacksalber arbeiten für das Wohl der Mensch-
heit; fällt für sie selbst dabei etwas ab -- tant mieux.


   
[Spaltenumbruch]
Fragmente aus Briefen.

   Galveston, am 26. Juli 1847.

So eben ist das Dampfschiff New=Orleans von Vera Cruz
hier angekommen und überbringt folgende Nachricht: Die Mexikaner
haben die Stadt Tampico wieder eingenommen, fürchterliche Mord-
thaten daselbst verübt und die Amerikaner in schimpfliche Flucht nach
Vera Cruz zurückgetrieben, dem einzigen Platz, welchen Letztere noch
besitzen, und welchen zu zerstören die Mexikaner ihre ganze Kraft
aufbieten.

Gute Nacht, ihr Amerikaner! gute Nacht, ihr armen Deutschen!
Aber es ist auch schändlich, schimpflich von euch Letzteren! Die
Mexikaner haben euch geachtet, haben so Vielen große Strecken Lan-
des gegeben, und haben alle Deutschen eingeladen, nur zu kommen
und Ländereien in Besitz zu nehmen; und dieser Aufruf galt vorzugs-
weise den Deutschen, allen Deutschen -- und wie haben sie diese
Freundlichkeit, diese Achtung, diese Liebe, dieses Vertrauen belohnt?
-- sie lassen sich zu Tausenden anwerben* ) von den Amerikanern für
schnöden Lohn, gegen die Mexikaner, die ihnen so freundlich entge-
gen kamen. Jn der gegen sie operirenden Armee befinden sich mehr
als zwei Drittheile Deutsche, und nur ein Drittheil besteht aus
Franzosen, Jtaliänern, Amerikanern. Und mit was belohnen diese
Letzteren sie dafür? mit God dam Dutchman -- ( d. i. verdammter
Deutscher -- Holländer ) . Und längst schon ist das Wort Dutch-
man
, mit welchem sie uns fälschlich beehren, hier zum Schimpf-
worte geworden. Sie lachen sie dafür aus, daß sie ihr Blut, ihr
Leben an sie verkaufen. Jch habe mich ereifert, ich habe gescholten,
geschmäht, um meine Landsleute abzuwarnen; ich habe ihnen gesagt,
sie möchten doch lieber, bis bessere Zeit und Arbeit für sie käme, mit
ihren Familien hungern. Doch so schlimm ist es hier auch noch lange
nicht. Hier stirbt Niemand Hungers; im Gegentheil gibt es zu leben
im Ueberfluß. Viele, wenn sie aus eurem armen, schmachtenden
Deutschland kommen, wo sie mit so kargen Bissen vorlieb nehmen
mußten -- denken, es könne ihnen wieder so gehen, und wollen einst-
weilen von den guten Lebensmitteln, die sie hier im Ueberfluß finden,
sich auf Vorrath sättigen. Sie überfüllen sich die ungewohnten Mä-
gen, bekommen das Fieber, schmachten langsam dahin, und vergehen.
Und doch sind sie hier noch nicht zufrieden; sie gehen hin nach Mexiko,
wo sie im wahren Wortverstande geschlachtet werden. Neulich sind auf
offener Landstraße 100 Wagenführer überfallen worden, zwanzig sind
davon entkommen, achtzig fing man lebendig. Diese hat man mit
ausgebreiteten Armen an Bäume gefesselt, ihnen lebendig den Leib auf-
geschnitten, Lungen, Herz und Eingeweide herausgenommen, die Scham-
theile abgeschnitten und sie mit der Spottrede ihnen in den Mund
gesteckt: Hier hast du noch einen Bissen! -- -- Es geht überhaupt
dort entsetzlich zu; die Mexikaner sind in verzweifelter Wuth; der
Krieg ist ein Religionskrieg geworden, wozu die Jesuiten das Feuer
schüren. Täglich gelangen schauderhafte Nachrichten hierher; der Meu-
chelmord, worauf sich die Mexikaner meisterhaft verstehen, ist an der
Tagesordnung und frißt weit mehr Krieger als die offene Feldschlacht,
Zahlreich liegen hier in Kasernen die Weiber und Kinder Derer, die
in den Krieg gezogen, und werden von den mitleidigen Bürgern ernährt,
während sich ihre Gatten in Mexiko schlachten lassen. Aber diese Unter-
stützung wird und muß aufhören, sobald deren sechsmonatliche Dienst-

* ) Es ist eben kein sehr erfreuliches Zeichen für Diejenigen, welche nach
Amerika überwandern wollen, daß sich so viele Tausende, und besonders
Deutsche, worunter viele Familienväter, unter das dortige Militär anwerben
lassen. Der Soldat in Amerika ist zwar gut besoldet, steht aber in keiner
hohen Achtung, und wird nicht besser behandelt, als es der Soldat noch
vor vierzig Jahren in Deutschland wurde; deßwegen kann es nur die Ver-
zweiflung oder das Verschwinden jeder bessern Aussicht sein, vielleicht auch
Raub = und Plünderungslust, welche zu diesem Stande führen können.
   Anm. des Eins.

[Spaltenumbruch] er wollte allein speisen! Man servirte ihm nachher einen
Tisch für drei Personen -- die Frau des Wirths wollte präsi-
diren -- ein Dienst, den man hier für eine, dem Gaste
zu erzeigende Ehre hält
-- der Prinz refusirte die-
selbe.
Diese zwei ganz unerhörten Verstöße gegen die Sitten,
Gewohnheiten und Gefühle des Teraners vermochten den Wirth
doch nicht, den Prinzen hinauszuwerfen oder niederzuschießen,
sondern er ließ ihn nur dafür bezahlen -- und übergab den Vor-
fall der Oeffentlichkeit. Er konnte sich nicht empfindlicher rächen,
und doch that er nichts, als des Prinzen Handlungsweise von
der öffentlichen Meinung verdammen zu lassen. Solche und tau-
send andere mehr oder weniger bedeutende Vorkommenheiten ver-
nichteten den Prinzen in der öffentlichen Meinung.

Hiernach mag der Leser urtheilen, wer sich des Vorfalls zu
schämen hat, der Wirth oder der durchlauchtigste Gast. Hätte
sich der Verf. herbeigelassen, überall, wo er den Charakter der
Amerikaner in den Koth tritt, Beispiele aus seiner Erfahrung
anzuführen, wir hätten es ihm Dank gewußt und vielleicht auch
zu anderen seiner Abentheuer Erläuterungen wie die vorstehende
geben können.

Es würde den gemessenen Raum dieses Blattes überschreiten
und, ohne Zweifel, auch die Geduld unserer Leser ermüden, wollten
wir alle die Beschuldigungen, welche der Verf. gegen die Nord-
amerikaner ausspricht, hier anführen; die citirten Beispiele, denken
wir, werden genügen, um die Verkehrtheit jenes Abschnittes des
vorliegenden Werkes zu zeigen, der die gesellschaftlichen Verhält-
nisse bespricht. Außer dem Groll des Prinzen über die selbst
verschuldete, unangenehme Aufnahme, die er gefunden, scheint aber
auch sein Jnteresse für die Texas = Kolonie ihm jene Schmäh-
worte in die Feder dictirt zu haben; denn S. 38 lesen wir:

„Der Amerikaner ist eingebildet, prahlend und im Umgange
unangenehm, in seinen Manieren und Gewohnheiten äußerst
schmutzig. Wohl den Deutschen, die, statt sich unter
solchen Leuten ansiedeln zu müssen, deren Sprache
sie nicht verstehen, deren Sitten ihnen fremd sind,
jetzt in Texas eine neue Heimath finden, welche
ihnen wenig verschieden von ihrem alten Vaterlande
dünken wird. Sie wohnen unter Landsleuten, hören
nichts als deutsche Sprache reden, und finden auch
jenseit des Oceans die Sitten ihrer Heimath wieder.

Und S. 49 u. 50 tritt die Werbung für den Verein noch deut-
licher hervor, denn da heißt es, der Verf. habe die Amerikaner
mit noch viel zu schwachen Farben geschildert; der Emigrant, der
sich dem Texas = Verein anschließt, komme jedoch gar nicht mit
ihnen in Berührung, und entgehe also den ihn bedrohenden
schrecklichen Gefahren. Die Marktschreierei des philanthrophischen
Prinzen gibt der in irgend einer Quacksalberbude durchaus nichts
nach; Prinz und Quacksalber arbeiten für das Wohl der Mensch-
heit; fällt für sie selbst dabei etwas ab -- tant mieux.


   
[Spaltenumbruch]
Fragmente aus Briefen.

   Galveston, am 26. Juli 1847.

So eben ist das Dampfschiff New=Orleans von Vera Cruz
hier angekommen und überbringt folgende Nachricht: Die Mexikaner
haben die Stadt Tampico wieder eingenommen, fürchterliche Mord-
thaten daselbst verübt und die Amerikaner in schimpfliche Flucht nach
Vera Cruz zurückgetrieben, dem einzigen Platz, welchen Letztere noch
besitzen, und welchen zu zerstören die Mexikaner ihre ganze Kraft
aufbieten.

Gute Nacht, ihr Amerikaner! gute Nacht, ihr armen Deutschen!
Aber es ist auch schändlich, schimpflich von euch Letzteren! Die
Mexikaner haben euch geachtet, haben so Vielen große Strecken Lan-
des gegeben, und haben alle Deutschen eingeladen, nur zu kommen
und Ländereien in Besitz zu nehmen; und dieser Aufruf galt vorzugs-
weise den Deutschen, allen Deutschen -- und wie haben sie diese
Freundlichkeit, diese Achtung, diese Liebe, dieses Vertrauen belohnt?
-- sie lassen sich zu Tausenden anwerben* ) von den Amerikanern für
schnöden Lohn, gegen die Mexikaner, die ihnen so freundlich entge-
gen kamen. Jn der gegen sie operirenden Armee befinden sich mehr
als zwei Drittheile Deutsche, und nur ein Drittheil besteht aus
Franzosen, Jtaliänern, Amerikanern. Und mit was belohnen diese
Letzteren sie dafür? mit God dam Dutchman -- ( d. i. verdammter
Deutscher -- Holländer ) . Und längst schon ist das Wort Dutch-
man
, mit welchem sie uns fälschlich beehren, hier zum Schimpf-
worte geworden. Sie lachen sie dafür aus, daß sie ihr Blut, ihr
Leben an sie verkaufen. Jch habe mich ereifert, ich habe gescholten,
geschmäht, um meine Landsleute abzuwarnen; ich habe ihnen gesagt,
sie möchten doch lieber, bis bessere Zeit und Arbeit für sie käme, mit
ihren Familien hungern. Doch so schlimm ist es hier auch noch lange
nicht. Hier stirbt Niemand Hungers; im Gegentheil gibt es zu leben
im Ueberfluß. Viele, wenn sie aus eurem armen, schmachtenden
Deutschland kommen, wo sie mit so kargen Bissen vorlieb nehmen
mußten -- denken, es könne ihnen wieder so gehen, und wollen einst-
weilen von den guten Lebensmitteln, die sie hier im Ueberfluß finden,
sich auf Vorrath sättigen. Sie überfüllen sich die ungewohnten Mä-
gen, bekommen das Fieber, schmachten langsam dahin, und vergehen.
Und doch sind sie hier noch nicht zufrieden; sie gehen hin nach Mexiko,
wo sie im wahren Wortverstande geschlachtet werden. Neulich sind auf
offener Landstraße 100 Wagenführer überfallen worden, zwanzig sind
davon entkommen, achtzig fing man lebendig. Diese hat man mit
ausgebreiteten Armen an Bäume gefesselt, ihnen lebendig den Leib auf-
geschnitten, Lungen, Herz und Eingeweide herausgenommen, die Scham-
theile abgeschnitten und sie mit der Spottrede ihnen in den Mund
gesteckt: Hier hast du noch einen Bissen! -- -- Es geht überhaupt
dort entsetzlich zu; die Mexikaner sind in verzweifelter Wuth; der
Krieg ist ein Religionskrieg geworden, wozu die Jesuiten das Feuer
schüren. Täglich gelangen schauderhafte Nachrichten hierher; der Meu-
chelmord, worauf sich die Mexikaner meisterhaft verstehen, ist an der
Tagesordnung und frißt weit mehr Krieger als die offene Feldschlacht,
Zahlreich liegen hier in Kasernen die Weiber und Kinder Derer, die
in den Krieg gezogen, und werden von den mitleidigen Bürgern ernährt,
während sich ihre Gatten in Mexiko schlachten lassen. Aber diese Unter-
stützung wird und muß aufhören, sobald deren sechsmonatliche Dienst-

* ) Es ist eben kein sehr erfreuliches Zeichen für Diejenigen, welche nach
Amerika überwandern wollen, daß sich so viele Tausende, und besonders
Deutsche, worunter viele Familienväter, unter das dortige Militär anwerben
lassen. Der Soldat in Amerika ist zwar gut besoldet, steht aber in keiner
hohen Achtung, und wird nicht besser behandelt, als es der Soldat noch
vor vierzig Jahren in Deutschland wurde; deßwegen kann es nur die Ver-
zweiflung oder das Verschwinden jeder bessern Aussicht sein, vielleicht auch
Raub = und Plünderungslust, welche zu diesem Stande führen können.
   Anm. des Eins.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jFeuilleton">
        <div type="jFeuilleton">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0004" n="430"/><cb/>
er wollte allein speisen!</hi> Man servirte ihm nachher einen<lb/>
Tisch für drei Personen -- die Frau des Wirths wollte präsi-<lb/>
diren -- <hi rendition="#g">ein Dienst, den man hier für eine, dem Gaste<lb/>
zu erzeigende Ehre hält</hi> -- <hi rendition="#g">der Prinz refusirte die-<lb/>
selbe.</hi> Diese zwei ganz unerhörten Verstöße gegen die Sitten,<lb/>
Gewohnheiten und Gefühle des Teraners vermochten den Wirth<lb/>
doch nicht, den Prinzen hinauszuwerfen oder niederzuschießen,<lb/>
sondern er ließ ihn nur dafür bezahlen -- und übergab den Vor-<lb/>
fall der Oeffentlichkeit. Er konnte sich nicht empfindlicher rächen,<lb/>
und doch that er nichts, als des Prinzen Handlungsweise von<lb/>
der öffentlichen Meinung verdammen zu lassen. Solche und tau-<lb/>
send andere mehr oder weniger bedeutende Vorkommenheiten ver-<lb/>
nichteten den Prinzen in der öffentlichen Meinung.</p><lb/><lb/>
          <p>Hiernach mag der Leser urtheilen, wer sich des Vorfalls zu<lb/>
schämen hat, der Wirth oder der durchlauchtigste Gast. Hätte<lb/>
sich der Verf. herbeigelassen, überall, wo er den Charakter der<lb/>
Amerikaner in den Koth tritt, Beispiele aus seiner Erfahrung<lb/>
anzuführen, wir hätten es ihm Dank gewußt und vielleicht auch<lb/>
zu anderen seiner Abentheuer Erläuterungen wie die vorstehende<lb/>
geben können.</p><lb/>
          <p>Es würde den gemessenen Raum dieses Blattes überschreiten<lb/>
und, ohne Zweifel, auch die Geduld unserer Leser ermüden, wollten<lb/>
wir alle die Beschuldigungen, welche der Verf. gegen die Nord-<lb/>
amerikaner ausspricht, hier anführen; die citirten Beispiele, denken<lb/>
wir, werden genügen, um die Verkehrtheit jenes Abschnittes des<lb/>
vorliegenden Werkes zu zeigen, der die gesellschaftlichen Verhält-<lb/>
nisse bespricht. Außer dem Groll des Prinzen über die selbst<lb/>
verschuldete, unangenehme Aufnahme, die er gefunden, scheint aber<lb/>
auch sein Jnteresse für die Texas = Kolonie ihm jene Schmäh-<lb/>
worte in die Feder dictirt zu haben; denn S. 38 lesen wir:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der Amerikaner ist eingebildet, prahlend und im Umgange<lb/>
unangenehm, in seinen Manieren und Gewohnheiten äußerst<lb/>
schmutzig. <hi rendition="#g">Wohl den Deutschen, die, statt sich unter<lb/>
solchen Leuten ansiedeln zu müssen, deren Sprache<lb/>
sie nicht verstehen, deren Sitten ihnen fremd sind,<lb/>
jetzt in Texas eine neue Heimath finden, welche<lb/>
ihnen wenig verschieden von ihrem alten Vaterlande<lb/>
dünken wird. Sie wohnen unter Landsleuten, hören<lb/>
nichts als deutsche Sprache reden, und finden auch<lb/>
jenseit des Oceans die Sitten ihrer Heimath wieder.</hi> &#x201C;<lb/>
Und S. 49 u. 50 tritt die Werbung für den Verein noch deut-<lb/>
licher hervor, denn da heißt es, der Verf. habe die Amerikaner<lb/>
mit noch viel zu schwachen Farben geschildert; der Emigrant, der<lb/>
sich dem Texas = Verein anschließt, komme jedoch gar nicht mit<lb/>
ihnen in Berührung, und entgehe also den ihn bedrohenden<lb/>
schrecklichen Gefahren. Die Marktschreierei des philanthrophischen<lb/>
Prinzen gibt der in irgend einer Quacksalberbude durchaus nichts<lb/>
nach; Prinz und Quacksalber arbeiten für das Wohl der Mensch-<lb/>
heit; fällt für sie selbst dabei etwas ab -- <hi rendition="#aq">tant mieux.</hi> </p><lb/>
          <space dim="horizontal"/>
          <byline> <hi rendition="#aq">R.</hi> </byline>
        </div>
      </div><lb/>
      <cb/>
      <div type="letter">
        <head> <hi rendition="#c #fr">Fragmente aus Briefen.</hi> </head><lb/>
        <p><space dim="horizontal"/><hi rendition="#g">Galveston,</hi> am 26. Juli 1847.</p><lb/>
        <p>So eben ist das Dampfschiff <hi rendition="#g">New=Orleans</hi> von <hi rendition="#g">Vera Cruz</hi><lb/>
hier angekommen und überbringt folgende Nachricht: Die Mexikaner<lb/>
haben die Stadt <hi rendition="#g">Tampico</hi> wieder eingenommen, fürchterliche Mord-<lb/>
thaten daselbst verübt und die Amerikaner in schimpfliche Flucht nach<lb/>
Vera Cruz zurückgetrieben, dem einzigen Platz, welchen Letztere noch<lb/>
besitzen, und welchen zu zerstören die Mexikaner ihre ganze Kraft<lb/>
aufbieten.   </p><lb/>
        <p>Gute Nacht, ihr Amerikaner! gute Nacht, ihr armen Deutschen!<lb/>
Aber es ist auch schändlich, schimpflich von euch Letzteren! Die<lb/>
Mexikaner haben euch geachtet, haben so Vielen große Strecken Lan-<lb/>
des gegeben, und haben alle Deutschen eingeladen, nur zu kommen<lb/>
und Ländereien in Besitz zu nehmen; und dieser Aufruf galt vorzugs-<lb/>
weise den Deutschen, allen Deutschen -- und wie haben sie diese<lb/>
Freundlichkeit, diese Achtung, diese Liebe, dieses Vertrauen belohnt?<lb/>
-- sie lassen sich zu Tausenden anwerben<note place="foot" n="* )"> Es ist eben kein sehr erfreuliches Zeichen für Diejenigen, welche nach<lb/>
Amerika überwandern wollen, daß sich so viele Tausende, und besonders<lb/>
Deutsche, worunter viele Familienväter, unter das dortige Militär anwerben<lb/>
lassen. Der Soldat in Amerika ist zwar gut besoldet, steht aber in keiner<lb/>
hohen Achtung, und wird nicht besser behandelt, als es der Soldat noch<lb/>
vor vierzig Jahren in Deutschland wurde; deßwegen kann es nur die Ver-<lb/>
zweiflung oder das Verschwinden jeder bessern Aussicht sein, vielleicht auch<lb/>
Raub = und Plünderungslust, welche zu diesem Stande führen können.<lb/><space dim="horizontal"/><hi rendition="#g">Anm. des Eins</hi>.          </note> von den Amerikanern für<lb/>
schnöden Lohn, gegen die Mexikaner, die ihnen so freundlich entge-<lb/>
gen kamen. Jn der gegen sie operirenden Armee befinden sich mehr<lb/>
als zwei Drittheile Deutsche, und nur ein Drittheil besteht aus<lb/>
Franzosen, Jtaliänern, Amerikanern. Und mit was belohnen diese<lb/>
Letzteren sie dafür? mit <hi rendition="#aq">God dam Dutchman</hi> -- ( d. i. verdammter<lb/>
Deutscher -- <hi rendition="#g">Holländer</hi> ) . Und längst schon ist das Wort <hi rendition="#aq">Dutch-<lb/>
man </hi>, mit welchem sie uns fälschlich beehren, hier zum Schimpf-<lb/>
worte geworden. Sie lachen sie dafür aus, daß sie ihr Blut, ihr<lb/>
Leben an sie verkaufen. Jch habe mich ereifert, ich habe gescholten,<lb/>
geschmäht, um meine Landsleute abzuwarnen; ich habe ihnen gesagt,<lb/>
sie möchten doch lieber, bis bessere Zeit und Arbeit für sie käme, mit<lb/>
ihren Familien hungern. Doch so schlimm ist es hier auch noch lange<lb/>
nicht. Hier stirbt Niemand Hungers; im Gegentheil gibt es zu leben<lb/>
im Ueberfluß. Viele, wenn sie aus eurem armen, schmachtenden<lb/>
Deutschland kommen, wo sie mit so kargen Bissen vorlieb nehmen<lb/>
mußten -- denken, es könne ihnen wieder so gehen, und wollen einst-<lb/>
weilen von den guten Lebensmitteln, die sie hier im Ueberfluß finden,<lb/>
sich auf Vorrath sättigen. Sie überfüllen sich die ungewohnten Mä-<lb/>
gen, bekommen das Fieber, schmachten langsam dahin, und vergehen.<lb/>
Und doch sind sie hier noch nicht zufrieden; sie gehen hin nach Mexiko,<lb/>
wo sie im wahren Wortverstande geschlachtet werden. Neulich sind auf<lb/>
offener Landstraße 100 Wagenführer überfallen worden, zwanzig sind<lb/>
davon entkommen, achtzig fing man lebendig. Diese hat man mit<lb/>
ausgebreiteten Armen an Bäume gefesselt, ihnen lebendig den Leib auf-<lb/>
geschnitten, Lungen, Herz und Eingeweide herausgenommen, die Scham-<lb/>
theile abgeschnitten und sie mit der Spottrede ihnen in den Mund<lb/>
gesteckt: Hier hast du noch einen Bissen! -- -- Es geht überhaupt<lb/>
dort entsetzlich zu; die Mexikaner sind in verzweifelter Wuth; der<lb/>
Krieg ist ein Religionskrieg geworden, wozu die Jesuiten das Feuer<lb/>
schüren. Täglich gelangen schauderhafte Nachrichten hierher; der Meu-<lb/>
chelmord, worauf sich die Mexikaner meisterhaft verstehen, ist an der<lb/>
Tagesordnung und frißt weit mehr Krieger als die offene Feldschlacht,<lb/>
Zahlreich liegen hier in Kasernen die Weiber und Kinder Derer, die<lb/>
in den Krieg gezogen, und werden von den mitleidigen Bürgern ernährt,<lb/>
während sich ihre Gatten in Mexiko schlachten lassen. Aber diese Unter-<lb/>
stützung wird und muß aufhören, sobald deren sechsmonatliche Dienst-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[430/0004] er wollte allein speisen! Man servirte ihm nachher einen Tisch für drei Personen -- die Frau des Wirths wollte präsi- diren -- ein Dienst, den man hier für eine, dem Gaste zu erzeigende Ehre hält -- der Prinz refusirte die- selbe. Diese zwei ganz unerhörten Verstöße gegen die Sitten, Gewohnheiten und Gefühle des Teraners vermochten den Wirth doch nicht, den Prinzen hinauszuwerfen oder niederzuschießen, sondern er ließ ihn nur dafür bezahlen -- und übergab den Vor- fall der Oeffentlichkeit. Er konnte sich nicht empfindlicher rächen, und doch that er nichts, als des Prinzen Handlungsweise von der öffentlichen Meinung verdammen zu lassen. Solche und tau- send andere mehr oder weniger bedeutende Vorkommenheiten ver- nichteten den Prinzen in der öffentlichen Meinung. Hiernach mag der Leser urtheilen, wer sich des Vorfalls zu schämen hat, der Wirth oder der durchlauchtigste Gast. Hätte sich der Verf. herbeigelassen, überall, wo er den Charakter der Amerikaner in den Koth tritt, Beispiele aus seiner Erfahrung anzuführen, wir hätten es ihm Dank gewußt und vielleicht auch zu anderen seiner Abentheuer Erläuterungen wie die vorstehende geben können. Es würde den gemessenen Raum dieses Blattes überschreiten und, ohne Zweifel, auch die Geduld unserer Leser ermüden, wollten wir alle die Beschuldigungen, welche der Verf. gegen die Nord- amerikaner ausspricht, hier anführen; die citirten Beispiele, denken wir, werden genügen, um die Verkehrtheit jenes Abschnittes des vorliegenden Werkes zu zeigen, der die gesellschaftlichen Verhält- nisse bespricht. Außer dem Groll des Prinzen über die selbst verschuldete, unangenehme Aufnahme, die er gefunden, scheint aber auch sein Jnteresse für die Texas = Kolonie ihm jene Schmäh- worte in die Feder dictirt zu haben; denn S. 38 lesen wir: „Der Amerikaner ist eingebildet, prahlend und im Umgange unangenehm, in seinen Manieren und Gewohnheiten äußerst schmutzig. Wohl den Deutschen, die, statt sich unter solchen Leuten ansiedeln zu müssen, deren Sprache sie nicht verstehen, deren Sitten ihnen fremd sind, jetzt in Texas eine neue Heimath finden, welche ihnen wenig verschieden von ihrem alten Vaterlande dünken wird. Sie wohnen unter Landsleuten, hören nichts als deutsche Sprache reden, und finden auch jenseit des Oceans die Sitten ihrer Heimath wieder. “ Und S. 49 u. 50 tritt die Werbung für den Verein noch deut- licher hervor, denn da heißt es, der Verf. habe die Amerikaner mit noch viel zu schwachen Farben geschildert; der Emigrant, der sich dem Texas = Verein anschließt, komme jedoch gar nicht mit ihnen in Berührung, und entgehe also den ihn bedrohenden schrecklichen Gefahren. Die Marktschreierei des philanthrophischen Prinzen gibt der in irgend einer Quacksalberbude durchaus nichts nach; Prinz und Quacksalber arbeiten für das Wohl der Mensch- heit; fällt für sie selbst dabei etwas ab -- tant mieux. R. Fragmente aus Briefen. Galveston, am 26. Juli 1847. So eben ist das Dampfschiff New=Orleans von Vera Cruz hier angekommen und überbringt folgende Nachricht: Die Mexikaner haben die Stadt Tampico wieder eingenommen, fürchterliche Mord- thaten daselbst verübt und die Amerikaner in schimpfliche Flucht nach Vera Cruz zurückgetrieben, dem einzigen Platz, welchen Letztere noch besitzen, und welchen zu zerstören die Mexikaner ihre ganze Kraft aufbieten. Gute Nacht, ihr Amerikaner! gute Nacht, ihr armen Deutschen! Aber es ist auch schändlich, schimpflich von euch Letzteren! Die Mexikaner haben euch geachtet, haben so Vielen große Strecken Lan- des gegeben, und haben alle Deutschen eingeladen, nur zu kommen und Ländereien in Besitz zu nehmen; und dieser Aufruf galt vorzugs- weise den Deutschen, allen Deutschen -- und wie haben sie diese Freundlichkeit, diese Achtung, diese Liebe, dieses Vertrauen belohnt? -- sie lassen sich zu Tausenden anwerben * ) von den Amerikanern für schnöden Lohn, gegen die Mexikaner, die ihnen so freundlich entge- gen kamen. Jn der gegen sie operirenden Armee befinden sich mehr als zwei Drittheile Deutsche, und nur ein Drittheil besteht aus Franzosen, Jtaliänern, Amerikanern. Und mit was belohnen diese Letzteren sie dafür? mit God dam Dutchman -- ( d. i. verdammter Deutscher -- Holländer ) . Und längst schon ist das Wort Dutch- man , mit welchem sie uns fälschlich beehren, hier zum Schimpf- worte geworden. Sie lachen sie dafür aus, daß sie ihr Blut, ihr Leben an sie verkaufen. Jch habe mich ereifert, ich habe gescholten, geschmäht, um meine Landsleute abzuwarnen; ich habe ihnen gesagt, sie möchten doch lieber, bis bessere Zeit und Arbeit für sie käme, mit ihren Familien hungern. Doch so schlimm ist es hier auch noch lange nicht. Hier stirbt Niemand Hungers; im Gegentheil gibt es zu leben im Ueberfluß. Viele, wenn sie aus eurem armen, schmachtenden Deutschland kommen, wo sie mit so kargen Bissen vorlieb nehmen mußten -- denken, es könne ihnen wieder so gehen, und wollen einst- weilen von den guten Lebensmitteln, die sie hier im Ueberfluß finden, sich auf Vorrath sättigen. Sie überfüllen sich die ungewohnten Mä- gen, bekommen das Fieber, schmachten langsam dahin, und vergehen. Und doch sind sie hier noch nicht zufrieden; sie gehen hin nach Mexiko, wo sie im wahren Wortverstande geschlachtet werden. Neulich sind auf offener Landstraße 100 Wagenführer überfallen worden, zwanzig sind davon entkommen, achtzig fing man lebendig. Diese hat man mit ausgebreiteten Armen an Bäume gefesselt, ihnen lebendig den Leib auf- geschnitten, Lungen, Herz und Eingeweide herausgenommen, die Scham- theile abgeschnitten und sie mit der Spottrede ihnen in den Mund gesteckt: Hier hast du noch einen Bissen! -- -- Es geht überhaupt dort entsetzlich zu; die Mexikaner sind in verzweifelter Wuth; der Krieg ist ein Religionskrieg geworden, wozu die Jesuiten das Feuer schüren. Täglich gelangen schauderhafte Nachrichten hierher; der Meu- chelmord, worauf sich die Mexikaner meisterhaft verstehen, ist an der Tagesordnung und frißt weit mehr Krieger als die offene Feldschlacht, Zahlreich liegen hier in Kasernen die Weiber und Kinder Derer, die in den Krieg gezogen, und werden von den mitleidigen Bürgern ernährt, während sich ihre Gatten in Mexiko schlachten lassen. Aber diese Unter- stützung wird und muß aufhören, sobald deren sechsmonatliche Dienst- * ) Es ist eben kein sehr erfreuliches Zeichen für Diejenigen, welche nach Amerika überwandern wollen, daß sich so viele Tausende, und besonders Deutsche, worunter viele Familienväter, unter das dortige Militär anwerben lassen. Der Soldat in Amerika ist zwar gut besoldet, steht aber in keiner hohen Achtung, und wird nicht besser behandelt, als es der Soldat noch vor vierzig Jahren in Deutschland wurde; deßwegen kann es nur die Ver- zweiflung oder das Verschwinden jeder bessern Aussicht sein, vielleicht auch Raub = und Plünderungslust, welche zu diesem Stande führen können. Anm. des Eins.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswanderer55_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswanderer55_1847/4
Zitationshilfe: Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 55. Rudolstadt, 18. Oktober 1847, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswanderer55_1847/4>, abgerufen am 21.11.2024.