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Badener Zeitung. Nr. 5, Baden (Niederösterreich), 15.01.1908.

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Mittwoch Badener Zeitung. 15. Jänner 1908. Nr. 5.

[Spaltenumbruch]

Gehen, dachte ich mir, die tschechischen Landwirte
auf die von mir aufgestellten Prinzipien ein, und
halten sie dieselben aufrecht, dann ist es gut, denn
es kann in dieser Körperschaft in diesem Falle keine
nationalen Reibungen und keine Majorisierung vom
nationalen Standtpunkte aus geben, und die Deut-
schen haben wieder einmal den wichtigen Beweis
erbracht, daß sie die Träger des Fortschrittes in
Böhmen sind. Gehen die Tschechen nicht auf diese
Prinzipien ein, oder halten sie dieselben
nicht aufrecht, dann haben die Deutschen
die moralische Berechtigung, sich von den
Tschechen auf dem Gebiete der landwirt-
schaftlichen Interessenvertretung loszu-
sagen und in dieser Beziehung ihren
eigenen Weg zu gehen.

Ich habe dies nicht einmal, sondern zehnmal
in der eindringlichsten Weise gesagt, daß der ge-
meinsame Landeskulturrat nur denkbar sei, wenn
die nationalen Vorurteile und Bestrebungen nicht
hineingetragen werden und kein politischer
Druck bei Entscheidung von Interessen-
fragen geübt wird.
Ich habe bei den Debatten
über die Wahlordnung, als das Streben der Majo-
risierung zutage trat, betont, daß dieses Feilschen
nach Stimmen schon zeigt, daß die Herren ihre
Aufgabe gar nicht begriffen, und am Schlusse die
Worte gebraucht, es sei ganz gleichgiltig, mit wie vel
Stimmen die Deutschen im Ausschusse vertreten
seien; sobald man sich da auf einen Streit nur
einlasse, sei die Sache im vorhinein verloren.
Selbst auf deutscher Seite sind gerade diese Worte
nicht verstanden worden und boten den Anlaß zu
einer Art Denunziation, die gemeinschaftlich mit einer
von der anderen Seite eingefädelten Intrigue den
Grund abgab, mich zurückzuziehen.

Ja ich ging noch mehr ins Detail ein und wurde
es von mir einmal erwähnt, ja es stand sogar ge-
druckt in dem Aufrufe zur Beteiligung an dem Re-
formwerke, daß, wenn die Herren von der Feudal-
partei das Oberwasser in dem reformierten Landes-
kulturrat durch die tschechischen Landwirte aus
nationalen Gründen erhalten würden, die Deutschen
dann nicht weiter mittun würden. Ich sagte es aus-
drücklich, und zwar wiederholt, daß in diesem Falle
die deutschen Landwirte eine Körperschaft auf Grund
der freien Vereinigung gründen würden. Das wurde
unser Programm! Offen und loyal, wie es
des Deutschen Sitte ist, war unser Vorgehen.

Nun, meine Herren, Sie kennen ja die Ge-
schichte -- eingegangen ist man auf alles, aber die
Sache verlief wie der letzte böhmische Ausgleich. Auf
dem Umwege des Zentralverbandes kam man endlich
zur Zweiteilung des Landeskulturrates. Die tschechi-
schen Landwirte werden nun, getrennt von den
[Spaltenumbruch] Deutschen, über ihre Interessen beraten und wahr-
scheinlich bei der Behandlung der einzelnen Fragen
zu denselben Resultaten kommen wie die Deutschen.
Zu diesem Resultate wäre man bei gemeinsamer
Beratung von wichtigen Fragen nach den gemachten
Erfahrungen aber nie gekommen, weil die nationale
Majorisierung stets über jeder Beratung geschwebt
hätte.

Ich habe die deutschen Landwirte aus
dem Landeskulturrate hinausgeführt, weil die
klerikal-feudale Partei daselbst eine Majorität
für ihre Standespolitik erhalten hatte. Wenn
heute Minister Peschka in eine Korporation
mit der klerikalen Partei tritt, so ist damit
auch die Agrarierpolitik als Standespolitik
in Deutsch-Böhmen inauguriert und damit
unsere ganze frühere erfolgreiche Arbeit in
Frage gestellt.

Im Jahre 1888 fand im Abgeordneten-
hause anläßlich des Gesetzes über die bäuer-
liche Erbfolge eine drei Wochen dauernde
Agrardebatte statt. Die Reden der Führer
der christlichsozialen Partei in jener Debatte,
namentlich jene des Dr. Pattai und des
Prinzen Alois Lichtenstein, decken sich
mit dem Gedanken des Freiherrn Schor-
lemer
von Alst, und jene Parlamentarier,
die, wie ich selbst, an jener Debatte teil-
nahmen, werden meine Befürchtung wohl ganz
natürlich finden. Der Lichtenstein'sche Schul-
antrag wird nach dieser Debatte erst in das
schönste Licht gestellt.






Die
Magyarisierung in Ungarn.

Ungarn gibt uns so recht die Zerfährenheit
der Deutschen Europas kund. Mangelndes
Zusammengehörigkeitsgefühl, der fremdvölkische
Geist, die freiwillige Dienstbarkeit und die
Zerissenheit in so viele politische Parteien
auf Seite der Deutschen Oesterreichs ermög-
lichten den so tief stehenden Magyaren die
[Spaltenumbruch] Unterjochung der Deutschungarn
ohne
Rücksichtnahme auf ihre Verdienste als Ver-
teidiger dieses undankbaren Landes.

Das trefflich geleitete Organ des deutschen
Schulvereines "Der getreue Eckart" enthält
hierüber in seiner letzten Nummer einen in-
teressanten Aufsatz aus der Feder des Obmann-
stellvertreters des Vereines zur Erhaltung des
Deutschtums in Ungarn Karl Daniel, der
verdient, in weitesten Kreisen bekannt zu
werden. Derselbe schreibt folgendes:

Wenn auch die Erklärung der magyarischen
Sprache zur Staatssprache als das Hauptübel
für die Entnationalisierung der Deutschen
Ungarns bezeichnet werden muß, sind dennoch
unüberwindliche Tatsachen: -- die sich fast
feindlich gegenüberstehenden Interessen der
Deutschen in Stadt und Land, ihre räumliche
Zerrissenheit iu kleinen Sprachinseln, ihre ver-
schiedenartigen Lebensberufe, ihre verschiedene
Abstammung und die damit verbundenen
Unterschiede im Dialekt und in ihren religi-
ösen Bekenntnissen die verhängnisvollen Ur-
sachen eines schier unabwendbaren
Unterganges des deutsch-ungarischen
Volkes,
wenn nicht im letzten Momente
unvorhergesehene Hindernisse eintreten sollten.

Wenn auch ein Rückgang der Deutschen
in Ziffern bis heute noch nicht eingetreten ist,
so ist doch in der doppelten Vermehrung der
Magyaren, nicht nur durch Geburten, sondern
durch Magyarisierung schon eine große
Gefahr gegeben, umso mehr, als diese sonder-
bare Art der Mehrung von Jahr zu Jahr
in besorgniserregender Steigung begriffen ist.

So haben die Magyaren seit 1880
um 34%, die Deutschen dagegen um
8·9% zugenommen.
Auch in der Kenntnis
der magyarischen Sprache vermögen die Deutschen
unter allen anderen Nationalitäten den höchsten
und von Jahr zu Jahr steigenden Prozent-
satz aufzuweisen. Im Jahre 1890 konnten
20·2% Deutsche magyarisch sprechen, im Jahre
1900 schon 30·7%.

Der Magyarisierung dienen als gewich-
tigste Mitteln: Die magyarische Staats-




[Spaltenumbruch]

Gedanken wanderten zurück in alle die Jahre, die
hinter ihr lagen. Sie dachte daran, wie sie selbst
einst die Schlittschuhe unter dem Weihnachtsbaum
gefunden hatte. Sie war nicht ein kleines Mädchen
wie Käthe, sie war schon 14 Jahre gewesen und hatte
sich diesen Sport heiß erkämpfen müssen. Darum war
sie auch wohl nie eine so vorzügliche Läuferin ge-
worden wie Nora, darum hatte sie aber auch ihre
Kinder alle so jung aufs Eis gebracht. Sie dachte
daran, wie sie einst ihre Studien gemacht, schon nicht
mehr Kind genug, um sich ganz den Studium hin-
zugeben, geniert durch beobachtende Blicke, ein allezeit
tötlich verlegener Backfisch. Ach! sie sah sich noch über
das Eis kratzen mit ängstlichen Stößen, sah noch die
grasgrünen Lederriemen der neuen Schlittschuhe und
hörte die losen Gymnasiasten spotten: "Grün ist die
Farbe der Hoffnung. Hoffnung läßt nicht zu Schanden
werden. Am Ende lernt sie's noch".

Und mit einem gewissen Trotz dachte sie an die
Zornestränen, die sie einst über die Spötter geweint.
O ja, sie hatte es gelernt! Ueber die Seen war sie
geflogen, weit, weit in die Einsamkeit, von früh bis
zum Abend sturmumbraust auf dem Seenfeld der
Heimat -- o, was wissen die braven Spießbürger, die
daheim bei der Lampe von den Unglücksfällen lesen,
die das Eis jeden Winter fordert, von dem Zauber
der weißen Einsamkeit draußen! Was wissen sie, wie
es ist, gegen den Schneesturm kämpfen und sich auf
allen Vieren dnrch Brucheis schieben, und dann in
dem Sonnenbade der leuchtenden Fläche von Ort zu
Ort wie der Vogel zu kreisen. Was wissen sie von
dem Zauber der sinkenden Sonne auf dem Eise, von
der Heimkehr mit prickelnder, luftdurchglühter Haut
-- ach, daß das alles so weit ist nun! Seit Leo
ihr Gatte war, hatte seine sorgende Liebe sie nicht
mehr in die weiße Einsamkeit hinausgelassen, da war
sie auf abgezirkelten, wohlbehüteten Bahnen geblieben
und hatte nur zuweilen wie ein gefangener Vogel
[Spaltenumbruch] mit sehnsüchtigem Flügelschlag hinausgeschaut. Noras
anmutige Gestalt schwebte wieder drüben am Wald-
rand entlang.

Helenens Gedanken wanderten weiter. Sie dachte
an jene Zeit, als sie selbst so jung, so rosig im
schwarzen Pelzkäppchen auf dem Neuen See gelaufen
war. Ach, so eben erwachsen sein, so eben die Flügel
regen! Und all das junge, knospende Fühlen, der
warme Herzschlag über dem Eise. Auch sie hatte
solchen Lehrmeister einst gehabt im Seewinkel, da
hatten sie geprobt bis zum Dunkelwerden, bis die
Abgrenzschnüre dichter und dichter um sie drängten.
Und dann waren sie heimgewandert, die beiden jungen
Menschenkinder -- so jung, so froh, so harmlos.
Aber wie ein stilles Leben unter der Eisdecke des
Sees, so hatte auch unten tief in ihren Herzen eine
pochende Zärtlichkeit gelebt. Und doch das Wort, das
erlösende Wort war nie gesprochen worden. Nie. Sie
hatte es nicht gewollt. Nein -- trotz mancher stillen
Träne daheim. Nein. "Er war der einzige Sohn
seiner Mutter, und sie war eine Witwe".

Das Wort klang in ihrem jungen Herzen nach.
Wie bitter hatte sie es nicht empfunden, daß diese
Mutter alles tat, diese beiden jungen Herzen zu
trennen. Nein, seine Mutter wollte es nicht, und sie
war zu stolz und selbstlos, um ihn ihr abzutrotzen.
So wich sie ihm aus, und die jungen Herzen hörten
auf, für einander zu schlagen, all das junge unaus-
geklungene Sehnen kam zur Ruhe.

Und Leo trat in ihr Leben. Schön und leuchtend.
Stolz wie ein Schwanenpaar waren sie beide über
das Eis geglitten. So manchen Winter. Des Abends,
im Märchenscheine der Bogenlampen. Und im Sturm
des Ostwindes hatte er seinen Arm um ihre Taille
gelegt, daß es heiß über sie hinflutete. Und mit
leuchtenden Augen waren sie durch die Menge und
stolz umschlungen den Eisberg hinab durch leuchtende
Grotten gesaust. O, das Leben! Das junge, blühende
[Spaltenumbruch] Leben! Und aus der frohen, stolzen Freude ihrer
Brautstandsjahre war sie in die Ehe mit ihm ein-
gezogen. Nun lernte bald das letzte ihrer Kinder seine
eigenen Spuren ziehen -- noch auf dem glatten Eise
wie einst im Leben, und stark und schön und froh
stand sie auf der Sonnenhöhe ihres Lebens. Oder
ging ihre Sonne bald unter?

Immer wenn sie Nora sah, mußte sie heute an
die eigene Jugend denken.

Grethe und Käthe hatten inzwischen einen kleinen
Weg weiter versucht. Aber die Beinchen gingen noch
andere Wege als die Körperchen, und es war nur
gut, daß sich dort ein Herr fand, das Knäuel, das
die beiden Rotkäppchen auf dem Eise bildeten, zu
entwirren. "Ein älterer Herr", dachte Helene mit dem
angenehmen Gefühl, das es ihr immer bereitete, wenn
sie sah, daß sie nicht das einzige "schwere Geschütz"
auf dem Eise war. Sie ertappte sich oft darauf, daß
sie eifrig nach älteren Damen und Herren, gleichsam
zur Legitimation ihrer eigenen Bewegung ausspähte.

Sie machte nun schnell, in die Nähe ihrer
Kinder zu kommen. Und da --

"Ach, meine Gnädigste, und wie unverändert",
schnarrte eine gutdressierte Stimme, und der Herr
lüftete ein kahles Haupt.

Helene starrte ihn an -- ferne, alte Bilder
stiegen fragend in ihr auf -- und doch -- können
denn zwanzig Jahre so verändern -- so ganz ver-
ändern? Das war ja -- nein doch nicht! Sie lächelte.
"Ich danke Ihnen sehr, mein Herr -- aber Sie ver-
kennen mich wohl --"

"Helene Bauer -- verzeihen Sie, meine Gnä-
digste, wenn ich mich irren sollte --"

"Jetzt Frau Doktor Culemann -- allerdings,
Sie haben recht, aber, verzeihen Sie, wenn ich Sie
nicht gleich erkenne -- ich weiß nicht --"

"von Scholten", stellte sich der Herr vor.

Also doch! Aus ferner Jugendzeit ein einst ach


Mittwoch Badener Zeitung. 15. Jänner 1908. Nr. 5.

[Spaltenumbruch]

Gehen, dachte ich mir, die tſchechiſchen Landwirte
auf die von mir aufgeſtellten Prinzipien ein, und
halten ſie dieſelben aufrecht, dann iſt es gut, denn
es kann in dieſer Körperſchaft in dieſem Falle keine
nationalen Reibungen und keine Majoriſierung vom
nationalen Standtpunkte aus geben, und die Deut-
ſchen haben wieder einmal den wichtigen Beweis
erbracht, daß ſie die Träger des Fortſchrittes in
Böhmen ſind. Gehen die Tſchechen nicht auf dieſe
Prinzipien ein, oder halten ſie dieſelben
nicht aufrecht, dann haben die Deutſchen
die moraliſche Berechtigung, ſich von den
Tſchechen auf dem Gebiete der landwirt-
ſchaftlichen Intereſſenvertretung loszu-
ſagen und in dieſer Beziehung ihren
eigenen Weg zu gehen.

Ich habe dies nicht einmal, ſondern zehnmal
in der eindringlichſten Weiſe geſagt, daß der ge-
meinſame Landeskulturrat nur denkbar ſei, wenn
die nationalen Vorurteile und Beſtrebungen nicht
hineingetragen werden und kein politiſcher
Druck bei Entſcheidung von Intereſſen-
fragen geübt wird.
Ich habe bei den Debatten
über die Wahlordnung, als das Streben der Majo-
riſierung zutage trat, betont, daß dieſes Feilſchen
nach Stimmen ſchon zeigt, daß die Herren ihre
Aufgabe gar nicht begriffen, und am Schluſſe die
Worte gebraucht, es ſei ganz gleichgiltig, mit wie vel
Stimmen die Deutſchen im Ausſchuſſe vertreten
ſeien; ſobald man ſich da auf einen Streit nur
einlaſſe, ſei die Sache im vorhinein verloren.
Selbſt auf deutſcher Seite ſind gerade dieſe Worte
nicht verſtanden worden und boten den Anlaß zu
einer Art Denunziation, die gemeinſchaftlich mit einer
von der anderen Seite eingefädelten Intrigue den
Grund abgab, mich zurückzuziehen.

Ja ich ging noch mehr ins Detail ein und wurde
es von mir einmal erwähnt, ja es ſtand ſogar ge-
druckt in dem Aufrufe zur Beteiligung an dem Re-
formwerke, daß, wenn die Herren von der Feudal-
partei das Oberwaſſer in dem reformierten Landes-
kulturrat durch die tſchechiſchen Landwirte aus
nationalen Gründen erhalten würden, die Deutſchen
dann nicht weiter mittun würden. Ich ſagte es aus-
drücklich, und zwar wiederholt, daß in dieſem Falle
die deutſchen Landwirte eine Körperſchaft auf Grund
der freien Vereinigung gründen würden. Das wurde
unſer Programm! Offen und loyal, wie es
des Deutſchen Sitte iſt, war unſer Vorgehen.

Nun, meine Herren, Sie kennen ja die Ge-
ſchichte — eingegangen iſt man auf alles, aber die
Sache verlief wie der letzte böhmiſche Ausgleich. Auf
dem Umwege des Zentralverbandes kam man endlich
zur Zweiteilung des Landeskulturrates. Die tſchechi-
ſchen Landwirte werden nun, getrennt von den
[Spaltenumbruch] Deutſchen, über ihre Intereſſen beraten und wahr-
ſcheinlich bei der Behandlung der einzelnen Fragen
zu denſelben Reſultaten kommen wie die Deutſchen.
Zu dieſem Reſultate wäre man bei gemeinſamer
Beratung von wichtigen Fragen nach den gemachten
Erfahrungen aber nie gekommen, weil die nationale
Majoriſierung ſtets über jeder Beratung geſchwebt
hätte.

Ich habe die deutſchen Landwirte aus
dem Landeskulturrate hinausgeführt, weil die
klerikal-feudale Partei daſelbſt eine Majorität
für ihre Standespolitik erhalten hatte. Wenn
heute Miniſter Peſchka in eine Korporation
mit der klerikalen Partei tritt, ſo iſt damit
auch die Agrarierpolitik als Standespolitik
in Deutſch-Böhmen inauguriert und damit
unſere ganze frühere erfolgreiche Arbeit in
Frage geſtellt.

Im Jahre 1888 fand im Abgeordneten-
hauſe anläßlich des Geſetzes über die bäuer-
liche Erbfolge eine drei Wochen dauernde
Agrardebatte ſtatt. Die Reden der Führer
der chriſtlichſozialen Partei in jener Debatte,
namentlich jene des Dr. Pattai und des
Prinzen Alois Lichtenſtein, decken ſich
mit dem Gedanken des Freiherrn Schor-
lemer
von Alſt, und jene Parlamentarier,
die, wie ich ſelbſt, an jener Debatte teil-
nahmen, werden meine Befürchtung wohl ganz
natürlich finden. Der Lichtenſtein’ſche Schul-
antrag wird nach dieſer Debatte erſt in das
ſchönſte Licht geſtellt.






Die
Magyariſierung in Ungarn.

Ungarn gibt uns ſo recht die Zerfährenheit
der Deutſchen Europas kund. Mangelndes
Zuſammengehörigkeitsgefühl, der fremdvölkiſche
Geiſt, die freiwillige Dienſtbarkeit und die
Zeriſſenheit in ſo viele politiſche Parteien
auf Seite der Deutſchen Oeſterreichs ermög-
lichten den ſo tief ſtehenden Magyaren die
[Spaltenumbruch] Unterjochung der Deutſchungarn
ohne
Rückſichtnahme auf ihre Verdienſte als Ver-
teidiger dieſes undankbaren Landes.

Das trefflich geleitete Organ des deutſchen
Schulvereines „Der getreue Eckart“ enthält
hierüber in ſeiner letzten Nummer einen in-
tereſſanten Aufſatz aus der Feder des Obmann-
ſtellvertreters des Vereines zur Erhaltung des
Deutſchtums in Ungarn Karl Daniel, der
verdient, in weiteſten Kreiſen bekannt zu
werden. Derſelbe ſchreibt folgendes:

Wenn auch die Erklärung der magyariſchen
Sprache zur Staatsſprache als das Hauptübel
für die Entnationaliſierung der Deutſchen
Ungarns bezeichnet werden muß, ſind dennoch
unüberwindliche Tatſachen: — die ſich faſt
feindlich gegenüberſtehenden Intereſſen der
Deutſchen in Stadt und Land, ihre räumliche
Zerriſſenheit iu kleinen Sprachinſeln, ihre ver-
ſchiedenartigen Lebensberufe, ihre verſchiedene
Abſtammung und die damit verbundenen
Unterſchiede im Dialekt und in ihren religi-
öſen Bekenntniſſen die verhängnisvollen Ur-
ſachen eines ſchier unabwendbaren
Unterganges des deutſch-ungariſchen
Volkes,
wenn nicht im letzten Momente
unvorhergeſehene Hinderniſſe eintreten ſollten.

Wenn auch ein Rückgang der Deutſchen
in Ziffern bis heute noch nicht eingetreten iſt,
ſo iſt doch in der doppelten Vermehrung der
Magyaren, nicht nur durch Geburten, ſondern
durch Magyariſierung ſchon eine große
Gefahr gegeben, umſo mehr, als dieſe ſonder-
bare Art der Mehrung von Jahr zu Jahr
in beſorgniserregender Steigung begriffen iſt.

So haben die Magyaren ſeit 1880
um 34%, die Deutſchen dagegen um
8·9% zugenommen.
Auch in der Kenntnis
der magyariſchen Sprache vermögen die Deutſchen
unter allen anderen Nationalitäten den höchſten
und von Jahr zu Jahr ſteigenden Prozent-
ſatz aufzuweiſen. Im Jahre 1890 konnten
20·2% Deutſche magyariſch ſprechen, im Jahre
1900 ſchon 30·7%.

Der Magyariſierung dienen als gewich-
tigſte Mitteln: Die magyariſche Staats-




[Spaltenumbruch]

Gedanken wanderten zurück in alle die Jahre, die
hinter ihr lagen. Sie dachte daran, wie ſie ſelbſt
einſt die Schlittſchuhe unter dem Weihnachtsbaum
gefunden hatte. Sie war nicht ein kleines Mädchen
wie Käthe, ſie war ſchon 14 Jahre geweſen und hatte
ſich dieſen Sport heiß erkämpfen müſſen. Darum war
ſie auch wohl nie eine ſo vorzügliche Läuferin ge-
worden wie Nora, darum hatte ſie aber auch ihre
Kinder alle ſo jung aufs Eis gebracht. Sie dachte
daran, wie ſie einſt ihre Studien gemacht, ſchon nicht
mehr Kind genug, um ſich ganz den Studium hin-
zugeben, geniert durch beobachtende Blicke, ein allezeit
tötlich verlegener Backfiſch. Ach! ſie ſah ſich noch über
das Eis kratzen mit ängſtlichen Stößen, ſah noch die
grasgrünen Lederriemen der neuen Schlittſchuhe und
hörte die loſen Gymnaſiaſten ſpotten: „Grün iſt die
Farbe der Hoffnung. Hoffnung läßt nicht zu Schanden
werden. Am Ende lernt ſie’s noch“.

Und mit einem gewiſſen Trotz dachte ſie an die
Zornestränen, die ſie einſt über die Spötter geweint.
O ja, ſie hatte es gelernt! Ueber die Seen war ſie
geflogen, weit, weit in die Einſamkeit, von früh bis
zum Abend ſturmumbrauſt auf dem Seenfeld der
Heimat — o, was wiſſen die braven Spießbürger, die
daheim bei der Lampe von den Unglücksfällen leſen,
die das Eis jeden Winter fordert, von dem Zauber
der weißen Einſamkeit draußen! Was wiſſen ſie, wie
es iſt, gegen den Schneeſturm kämpfen und ſich auf
allen Vieren dnrch Brucheis ſchieben, und dann in
dem Sonnenbade der leuchtenden Fläche von Ort zu
Ort wie der Vogel zu kreiſen. Was wiſſen ſie von
dem Zauber der ſinkenden Sonne auf dem Eiſe, von
der Heimkehr mit prickelnder, luftdurchglühter Haut
— ach, daß das alles ſo weit iſt nun! Seit Leo
ihr Gatte war, hatte ſeine ſorgende Liebe ſie nicht
mehr in die weiße Einſamkeit hinausgelaſſen, da war
ſie auf abgezirkelten, wohlbehüteten Bahnen geblieben
und hatte nur zuweilen wie ein gefangener Vogel
[Spaltenumbruch] mit ſehnſüchtigem Flügelſchlag hinausgeſchaut. Noras
anmutige Geſtalt ſchwebte wieder drüben am Wald-
rand entlang.

Helenens Gedanken wanderten weiter. Sie dachte
an jene Zeit, als ſie ſelbſt ſo jung, ſo roſig im
ſchwarzen Pelzkäppchen auf dem Neuen See gelaufen
war. Ach, ſo eben erwachſen ſein, ſo eben die Flügel
regen! Und all das junge, knoſpende Fühlen, der
warme Herzſchlag über dem Eiſe. Auch ſie hatte
ſolchen Lehrmeiſter einſt gehabt im Seewinkel, da
hatten ſie geprobt bis zum Dunkelwerden, bis die
Abgrenzſchnüre dichter und dichter um ſie drängten.
Und dann waren ſie heimgewandert, die beiden jungen
Menſchenkinder — ſo jung, ſo froh, ſo harmlos.
Aber wie ein ſtilles Leben unter der Eisdecke des
Sees, ſo hatte auch unten tief in ihren Herzen eine
pochende Zärtlichkeit gelebt. Und doch das Wort, das
erlöſende Wort war nie geſprochen worden. Nie. Sie
hatte es nicht gewollt. Nein — trotz mancher ſtillen
Träne daheim. Nein. „Er war der einzige Sohn
ſeiner Mutter, und ſie war eine Witwe“.

Das Wort klang in ihrem jungen Herzen nach.
Wie bitter hatte ſie es nicht empfunden, daß dieſe
Mutter alles tat, dieſe beiden jungen Herzen zu
trennen. Nein, ſeine Mutter wollte es nicht, und ſie
war zu ſtolz und ſelbſtlos, um ihn ihr abzutrotzen.
So wich ſie ihm aus, und die jungen Herzen hörten
auf, für einander zu ſchlagen, all das junge unaus-
geklungene Sehnen kam zur Ruhe.

Und Leo trat in ihr Leben. Schön und leuchtend.
Stolz wie ein Schwanenpaar waren ſie beide über
das Eis geglitten. So manchen Winter. Des Abends,
im Märchenſcheine der Bogenlampen. Und im Sturm
des Oſtwindes hatte er ſeinen Arm um ihre Taille
gelegt, daß es heiß über ſie hinflutete. Und mit
leuchtenden Augen waren ſie durch die Menge und
ſtolz umſchlungen den Eisberg hinab durch leuchtende
Grotten geſauſt. O, das Leben! Das junge, blühende
[Spaltenumbruch] Leben! Und aus der frohen, ſtolzen Freude ihrer
Brautſtandsjahre war ſie in die Ehe mit ihm ein-
gezogen. Nun lernte bald das letzte ihrer Kinder ſeine
eigenen Spuren ziehen — noch auf dem glatten Eiſe
wie einſt im Leben, und ſtark und ſchön und froh
ſtand ſie auf der Sonnenhöhe ihres Lebens. Oder
ging ihre Sonne bald unter?

Immer wenn ſie Nora ſah, mußte ſie heute an
die eigene Jugend denken.

Grethe und Käthe hatten inzwiſchen einen kleinen
Weg weiter verſucht. Aber die Beinchen gingen noch
andere Wege als die Körperchen, und es war nur
gut, daß ſich dort ein Herr fand, das Knäuel, das
die beiden Rotkäppchen auf dem Eiſe bildeten, zu
entwirren. „Ein älterer Herr“, dachte Helene mit dem
angenehmen Gefühl, das es ihr immer bereitete, wenn
ſie ſah, daß ſie nicht das einzige „ſchwere Geſchütz“
auf dem Eiſe war. Sie ertappte ſich oft darauf, daß
ſie eifrig nach älteren Damen und Herren, gleichſam
zur Legitimation ihrer eigenen Bewegung ausſpähte.

Sie machte nun ſchnell, in die Nähe ihrer
Kinder zu kommen. Und da —

„Ach, meine Gnädigſte, und wie unverändert“,
ſchnarrte eine gutdreſſierte Stimme, und der Herr
lüftete ein kahles Haupt.

Helene ſtarrte ihn an — ferne, alte Bilder
ſtiegen fragend in ihr auf — und doch — können
denn zwanzig Jahre ſo verändern — ſo ganz ver-
ändern? Das war ja — nein doch nicht! Sie lächelte.
„Ich danke Ihnen ſehr, mein Herr — aber Sie ver-
kennen mich wohl —“

„Helene Bauer — verzeihen Sie, meine Gnä-
digſte, wenn ich mich irren ſollte —“

„Jetzt Frau Doktor Culemann — allerdings,
Sie haben recht, aber, verzeihen Sie, wenn ich Sie
nicht gleich erkenne — ich weiß nicht —“

„von Scholten“, ſtellte ſich der Herr vor.

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[2/0002] Mittwoch Badener Zeitung. 15. Jänner 1908. Nr. 5. Gehen, dachte ich mir, die tſchechiſchen Landwirte auf die von mir aufgeſtellten Prinzipien ein, und halten ſie dieſelben aufrecht, dann iſt es gut, denn es kann in dieſer Körperſchaft in dieſem Falle keine nationalen Reibungen und keine Majoriſierung vom nationalen Standtpunkte aus geben, und die Deut- ſchen haben wieder einmal den wichtigen Beweis erbracht, daß ſie die Träger des Fortſchrittes in Böhmen ſind. Gehen die Tſchechen nicht auf dieſe Prinzipien ein, oder halten ſie dieſelben nicht aufrecht, dann haben die Deutſchen die moraliſche Berechtigung, ſich von den Tſchechen auf dem Gebiete der landwirt- ſchaftlichen Intereſſenvertretung loszu- ſagen und in dieſer Beziehung ihren eigenen Weg zu gehen. Ich habe dies nicht einmal, ſondern zehnmal in der eindringlichſten Weiſe geſagt, daß der ge- meinſame Landeskulturrat nur denkbar ſei, wenn die nationalen Vorurteile und Beſtrebungen nicht hineingetragen werden und kein politiſcher Druck bei Entſcheidung von Intereſſen- fragen geübt wird. Ich habe bei den Debatten über die Wahlordnung, als das Streben der Majo- riſierung zutage trat, betont, daß dieſes Feilſchen nach Stimmen ſchon zeigt, daß die Herren ihre Aufgabe gar nicht begriffen, und am Schluſſe die Worte gebraucht, es ſei ganz gleichgiltig, mit wie vel Stimmen die Deutſchen im Ausſchuſſe vertreten ſeien; ſobald man ſich da auf einen Streit nur einlaſſe, ſei die Sache im vorhinein verloren. Selbſt auf deutſcher Seite ſind gerade dieſe Worte nicht verſtanden worden und boten den Anlaß zu einer Art Denunziation, die gemeinſchaftlich mit einer von der anderen Seite eingefädelten Intrigue den Grund abgab, mich zurückzuziehen. Ja ich ging noch mehr ins Detail ein und wurde es von mir einmal erwähnt, ja es ſtand ſogar ge- druckt in dem Aufrufe zur Beteiligung an dem Re- formwerke, daß, wenn die Herren von der Feudal- partei das Oberwaſſer in dem reformierten Landes- kulturrat durch die tſchechiſchen Landwirte aus nationalen Gründen erhalten würden, die Deutſchen dann nicht weiter mittun würden. Ich ſagte es aus- drücklich, und zwar wiederholt, daß in dieſem Falle die deutſchen Landwirte eine Körperſchaft auf Grund der freien Vereinigung gründen würden. Das wurde unſer Programm! Offen und loyal, wie es des Deutſchen Sitte iſt, war unſer Vorgehen. Nun, meine Herren, Sie kennen ja die Ge- ſchichte — eingegangen iſt man auf alles, aber die Sache verlief wie der letzte böhmiſche Ausgleich. Auf dem Umwege des Zentralverbandes kam man endlich zur Zweiteilung des Landeskulturrates. Die tſchechi- ſchen Landwirte werden nun, getrennt von den Deutſchen, über ihre Intereſſen beraten und wahr- ſcheinlich bei der Behandlung der einzelnen Fragen zu denſelben Reſultaten kommen wie die Deutſchen. Zu dieſem Reſultate wäre man bei gemeinſamer Beratung von wichtigen Fragen nach den gemachten Erfahrungen aber nie gekommen, weil die nationale Majoriſierung ſtets über jeder Beratung geſchwebt hätte. Ich habe die deutſchen Landwirte aus dem Landeskulturrate hinausgeführt, weil die klerikal-feudale Partei daſelbſt eine Majorität für ihre Standespolitik erhalten hatte. Wenn heute Miniſter Peſchka in eine Korporation mit der klerikalen Partei tritt, ſo iſt damit auch die Agrarierpolitik als Standespolitik in Deutſch-Böhmen inauguriert und damit unſere ganze frühere erfolgreiche Arbeit in Frage geſtellt. Im Jahre 1888 fand im Abgeordneten- hauſe anläßlich des Geſetzes über die bäuer- liche Erbfolge eine drei Wochen dauernde Agrardebatte ſtatt. Die Reden der Führer der chriſtlichſozialen Partei in jener Debatte, namentlich jene des Dr. Pattai und des Prinzen Alois Lichtenſtein, decken ſich mit dem Gedanken des Freiherrn Schor- lemer von Alſt, und jene Parlamentarier, die, wie ich ſelbſt, an jener Debatte teil- nahmen, werden meine Befürchtung wohl ganz natürlich finden. Der Lichtenſtein’ſche Schul- antrag wird nach dieſer Debatte erſt in das ſchönſte Licht geſtellt. Baden, am 14. Jänner 1908. X. Y. Z. Dr. Otto Polak. Die Magyariſierung in Ungarn. Ungarn gibt uns ſo recht die Zerfährenheit der Deutſchen Europas kund. Mangelndes Zuſammengehörigkeitsgefühl, der fremdvölkiſche Geiſt, die freiwillige Dienſtbarkeit und die Zeriſſenheit in ſo viele politiſche Parteien auf Seite der Deutſchen Oeſterreichs ermög- lichten den ſo tief ſtehenden Magyaren die Unterjochung der Deutſchungarn ohne Rückſichtnahme auf ihre Verdienſte als Ver- teidiger dieſes undankbaren Landes. Das trefflich geleitete Organ des deutſchen Schulvereines „Der getreue Eckart“ enthält hierüber in ſeiner letzten Nummer einen in- tereſſanten Aufſatz aus der Feder des Obmann- ſtellvertreters des Vereines zur Erhaltung des Deutſchtums in Ungarn Karl Daniel, der verdient, in weiteſten Kreiſen bekannt zu werden. Derſelbe ſchreibt folgendes: Wenn auch die Erklärung der magyariſchen Sprache zur Staatsſprache als das Hauptübel für die Entnationaliſierung der Deutſchen Ungarns bezeichnet werden muß, ſind dennoch unüberwindliche Tatſachen: — die ſich faſt feindlich gegenüberſtehenden Intereſſen der Deutſchen in Stadt und Land, ihre räumliche Zerriſſenheit iu kleinen Sprachinſeln, ihre ver- ſchiedenartigen Lebensberufe, ihre verſchiedene Abſtammung und die damit verbundenen Unterſchiede im Dialekt und in ihren religi- öſen Bekenntniſſen die verhängnisvollen Ur- ſachen eines ſchier unabwendbaren Unterganges des deutſch-ungariſchen Volkes, wenn nicht im letzten Momente unvorhergeſehene Hinderniſſe eintreten ſollten. Wenn auch ein Rückgang der Deutſchen in Ziffern bis heute noch nicht eingetreten iſt, ſo iſt doch in der doppelten Vermehrung der Magyaren, nicht nur durch Geburten, ſondern durch Magyariſierung ſchon eine große Gefahr gegeben, umſo mehr, als dieſe ſonder- bare Art der Mehrung von Jahr zu Jahr in beſorgniserregender Steigung begriffen iſt. So haben die Magyaren ſeit 1880 um 34%, die Deutſchen dagegen um 8·9% zugenommen. Auch in der Kenntnis der magyariſchen Sprache vermögen die Deutſchen unter allen anderen Nationalitäten den höchſten und von Jahr zu Jahr ſteigenden Prozent- ſatz aufzuweiſen. Im Jahre 1890 konnten 20·2% Deutſche magyariſch ſprechen, im Jahre 1900 ſchon 30·7%. Der Magyariſierung dienen als gewich- tigſte Mitteln: Die magyariſche Staats- Gedanken wanderten zurück in alle die Jahre, die hinter ihr lagen. Sie dachte daran, wie ſie ſelbſt einſt die Schlittſchuhe unter dem Weihnachtsbaum gefunden hatte. Sie war nicht ein kleines Mädchen wie Käthe, ſie war ſchon 14 Jahre geweſen und hatte ſich dieſen Sport heiß erkämpfen müſſen. Darum war ſie auch wohl nie eine ſo vorzügliche Läuferin ge- worden wie Nora, darum hatte ſie aber auch ihre Kinder alle ſo jung aufs Eis gebracht. Sie dachte daran, wie ſie einſt ihre Studien gemacht, ſchon nicht mehr Kind genug, um ſich ganz den Studium hin- zugeben, geniert durch beobachtende Blicke, ein allezeit tötlich verlegener Backfiſch. Ach! ſie ſah ſich noch über das Eis kratzen mit ängſtlichen Stößen, ſah noch die grasgrünen Lederriemen der neuen Schlittſchuhe und hörte die loſen Gymnaſiaſten ſpotten: „Grün iſt die Farbe der Hoffnung. Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Am Ende lernt ſie’s noch“. Und mit einem gewiſſen Trotz dachte ſie an die Zornestränen, die ſie einſt über die Spötter geweint. O ja, ſie hatte es gelernt! Ueber die Seen war ſie geflogen, weit, weit in die Einſamkeit, von früh bis zum Abend ſturmumbrauſt auf dem Seenfeld der Heimat — o, was wiſſen die braven Spießbürger, die daheim bei der Lampe von den Unglücksfällen leſen, die das Eis jeden Winter fordert, von dem Zauber der weißen Einſamkeit draußen! Was wiſſen ſie, wie es iſt, gegen den Schneeſturm kämpfen und ſich auf allen Vieren dnrch Brucheis ſchieben, und dann in dem Sonnenbade der leuchtenden Fläche von Ort zu Ort wie der Vogel zu kreiſen. Was wiſſen ſie von dem Zauber der ſinkenden Sonne auf dem Eiſe, von der Heimkehr mit prickelnder, luftdurchglühter Haut — ach, daß das alles ſo weit iſt nun! Seit Leo ihr Gatte war, hatte ſeine ſorgende Liebe ſie nicht mehr in die weiße Einſamkeit hinausgelaſſen, da war ſie auf abgezirkelten, wohlbehüteten Bahnen geblieben und hatte nur zuweilen wie ein gefangener Vogel mit ſehnſüchtigem Flügelſchlag hinausgeſchaut. Noras anmutige Geſtalt ſchwebte wieder drüben am Wald- rand entlang. Helenens Gedanken wanderten weiter. Sie dachte an jene Zeit, als ſie ſelbſt ſo jung, ſo roſig im ſchwarzen Pelzkäppchen auf dem Neuen See gelaufen war. Ach, ſo eben erwachſen ſein, ſo eben die Flügel regen! Und all das junge, knoſpende Fühlen, der warme Herzſchlag über dem Eiſe. Auch ſie hatte ſolchen Lehrmeiſter einſt gehabt im Seewinkel, da hatten ſie geprobt bis zum Dunkelwerden, bis die Abgrenzſchnüre dichter und dichter um ſie drängten. Und dann waren ſie heimgewandert, die beiden jungen Menſchenkinder — ſo jung, ſo froh, ſo harmlos. Aber wie ein ſtilles Leben unter der Eisdecke des Sees, ſo hatte auch unten tief in ihren Herzen eine pochende Zärtlichkeit gelebt. Und doch das Wort, das erlöſende Wort war nie geſprochen worden. Nie. Sie hatte es nicht gewollt. Nein — trotz mancher ſtillen Träne daheim. Nein. „Er war der einzige Sohn ſeiner Mutter, und ſie war eine Witwe“. Das Wort klang in ihrem jungen Herzen nach. Wie bitter hatte ſie es nicht empfunden, daß dieſe Mutter alles tat, dieſe beiden jungen Herzen zu trennen. Nein, ſeine Mutter wollte es nicht, und ſie war zu ſtolz und ſelbſtlos, um ihn ihr abzutrotzen. So wich ſie ihm aus, und die jungen Herzen hörten auf, für einander zu ſchlagen, all das junge unaus- geklungene Sehnen kam zur Ruhe. Und Leo trat in ihr Leben. Schön und leuchtend. Stolz wie ein Schwanenpaar waren ſie beide über das Eis geglitten. So manchen Winter. Des Abends, im Märchenſcheine der Bogenlampen. Und im Sturm des Oſtwindes hatte er ſeinen Arm um ihre Taille gelegt, daß es heiß über ſie hinflutete. Und mit leuchtenden Augen waren ſie durch die Menge und ſtolz umſchlungen den Eisberg hinab durch leuchtende Grotten geſauſt. O, das Leben! Das junge, blühende Leben! Und aus der frohen, ſtolzen Freude ihrer Brautſtandsjahre war ſie in die Ehe mit ihm ein- gezogen. Nun lernte bald das letzte ihrer Kinder ſeine eigenen Spuren ziehen — noch auf dem glatten Eiſe wie einſt im Leben, und ſtark und ſchön und froh ſtand ſie auf der Sonnenhöhe ihres Lebens. Oder ging ihre Sonne bald unter? Immer wenn ſie Nora ſah, mußte ſie heute an die eigene Jugend denken. Grethe und Käthe hatten inzwiſchen einen kleinen Weg weiter verſucht. Aber die Beinchen gingen noch andere Wege als die Körperchen, und es war nur gut, daß ſich dort ein Herr fand, das Knäuel, das die beiden Rotkäppchen auf dem Eiſe bildeten, zu entwirren. „Ein älterer Herr“, dachte Helene mit dem angenehmen Gefühl, das es ihr immer bereitete, wenn ſie ſah, daß ſie nicht das einzige „ſchwere Geſchütz“ auf dem Eiſe war. Sie ertappte ſich oft darauf, daß ſie eifrig nach älteren Damen und Herren, gleichſam zur Legitimation ihrer eigenen Bewegung ausſpähte. Sie machte nun ſchnell, in die Nähe ihrer Kinder zu kommen. Und da — „Ach, meine Gnädigſte, und wie unverändert“, ſchnarrte eine gutdreſſierte Stimme, und der Herr lüftete ein kahles Haupt. Helene ſtarrte ihn an — ferne, alte Bilder ſtiegen fragend in ihr auf — und doch — können denn zwanzig Jahre ſo verändern — ſo ganz ver- ändern? Das war ja — nein doch nicht! Sie lächelte. „Ich danke Ihnen ſehr, mein Herr — aber Sie ver- kennen mich wohl —“ „Helene Bauer — verzeihen Sie, meine Gnä- digſte, wenn ich mich irren ſollte —“ „Jetzt Frau Doktor Culemann — allerdings, Sie haben recht, aber, verzeihen Sie, wenn ich Sie nicht gleich erkenne — ich weiß nicht —“ „von Scholten“, ſtellte ſich der Herr vor. Alſo doch! Aus ferner Jugendzeit ein einſt ach

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 5, Baden (Niederösterreich), 15.01.1908, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener005_1908/2>, abgerufen am 28.04.2024.