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Badener Zeitung. Nr. 101, Baden (Niederösterreich), 16.12.1896.

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Badener Zeitung
(vormals Badener Bezirks-Blatt).

Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig fl 1·25, halbjährig fl. 2.50, ganzjährig fl. 5.--. Mit Zustellung ins Haus Baden: Vierteljährig fl. 1.50, halbjährig fl. 3.--,
ganzjährig fl. 6 --. Oesterreich-Ungarn: Mit Zusendung vierteljährig fl. 1.65, halbjährig fl. 3.25, ganzjährig fl. 6.50. Einzelne Mittwoch-Nummer 6 kr., Samstag-Nummer
8 kr. -- Inserate
werden per 80 mm breite Petitzeile mit 8 kr. für die erste, und mit 7 kr. für fünf nacheinander folgende Einschaltungen berechnet, größere Aufträge nach Ueber-
einkommen und können auch durch die bestehenden Annoncen-Bureaux an die Administration gerichtet werden. -- Interessante Mittheilungen, Notizen und Correspon-
denzen werden nach Uebereinkunft honorirt. Manuscripte werden nicht zurückgestellt.

[Abbildung]

Erscheint Mittwoch und Samstag früh.

[Abbildung]


(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage "Illustrirtes Unterhaltungsblatt".)




Nr. 101. Mittwoch den 16. December 1896. 16. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Politische Uebersicht.

Das Abgeordnetenhaus steht mitten in der
Debatte über das Budget, und es ist interessant,
zu sehen, unter welcher Theilnahmslosigkeit sich
die Dinge in diesem sterbenden Hause abspielen.
Die Abgeordneten sind selbst gegen die schärfsten
Peitschenhiebe der Regierung stumpfsinnig ge-
worden und darum konnte Graf Badeni gelegentlich
der Debatte über den Dispositionsfond mit den
Parteien so umspringen, wie er es gethan hat.
Es war aber auch ganz natürlich, denn was man
da zu erleben Gelegenheit hatte, war wirklich zu
drollig und aus der Debatte über den Dispositions-
fond erklärt sich so Vieles, was früher unerklärbar
erschien. Vor Allem die verblüffende Haltung der
Jungczechen, dieser Opposition a outrance von
anno dazumal, welche sich mit fliegenden Fahnen
in das Regierungslager begeben hat, dann die
so deutlich hervorgekehrte Regierungsfreundlichkeit
der anderen Parteien alle, die sich eben vor den
Wahlen sehen und von Seite der allmächtigen
Regierung so wenig als möglich Schwierigkeiten
hiebei haben wollen -- es war eine Komödie im
vollsten Sinne des Wortes, welche die Parteien
bei dieser Gelegenheit den armen Völkern Oester-
reichs aufführten. Es wird wohl kein vernünftiger
Mensch daran zweifeln, daß ein Fond, und sei
er auch noch so klein, der dazu dient, die officiöse
Presse zu füttern, damit sie stets zu Diensten
der Regierung steht, eine Vertrauenssache in aller
Form ist, und daß man einen solchen Fond nur
einer Regierung bewilligen kann, zu deren Thun
und Lassen man unbedingtes Vertrauen hat. Die
Regierung aber sagt, die Annahme oder Ablehnung
[Spaltenumbruch] der Post bedeute für sie kein Vertrauens- oder
Mißtrauensvotum und das Parlament athmet ob
dieser Erklärung erleichtert auf, ist ihr damit
doch die Aufgabe benommen, durch sein Votum
seine Stellung zu dieser Regierung zu documentiren.
Mit großer Mehrheit wurde denn der Fond auch
bewilligt und nur einige wenige unabhängige
Abgeordnete gab es, welche den Muth der eigenen
Meinung hatten und gegen die Regierung stimmten.
Daß sich darunter auch der Abgeordnete unseres
Bezirkes, Dr. Marchet, befindet, freut uns herzlich,
er hat damit ausgedrückt, was der Wille seiner
Wählerschaft ist, daß ein Vertrauen dieser Re-
gierung unmöglich entgegengebracht werden kann

Der Wiener antisemitische Gemeinderath hat
besonders mit seinen verclausulirten Subventionen
Pech. Er gibt nämlich nur unter der Bedingung,
daß er in jeder Körperschaft, die er unterstützt,
auch durch einige seiner Mitglieder vertreten sei.
Die Absicht liegt klar zu Tage: er will alle diese
Körperschaften, wie man im antisemitischen Jargon
sagt, "judenrein" machen. Allein sowohl die Frei-
willige Rettungsgesellschaft, als auch neuestens
der Wiener Wärmestuben- und Wohlthätigkeits-
verein haben die Subventionen, die sie doch recht
gut brauchen könnten, unter solchen Bedingungen
dankend abgelehnt. Herr Dr. Lueger weiß natür-
lich, daß eine solche Ablehnung vernünftigerweise
jedesmal erfolgen muß, und er scheint daher da-
mit, daß er an jede Subvention diese Bedingung
knüpft, eine gewisse Absicht zu verbinden. Er will
sich aller dieser Körperschaften auf eine schlaue
Art entledigen und dann das Geld der Wiener
Steuerträger anderen Zwecken zuführen, siehe
Kirchenbauvereine, Katholischer Schulverein u. s. w.
Das dürfte ihm denn auch gelingen, denn keine
[Spaltenumbruch] Körperschaft dürfte so servil sein, Geld unter
solchen Bedingungen anzunehmen, wie sie die
Antisemiten des Wiener Gemeinderathes stellen.




Das Programm der deutschen
Fortschrittspartei.

Die Arbeit der Zehner-Commission der
deutschböhmischen Vertrauensmänner liegt in dem
Entwurfe eines Programmes für die neue
deutsche Fortschrittspartei vor. Der Entwurf geht
von der Wahlreform und den Neuwahlen für den
Reichsrath aus und bespricht dann die Verhält-
nisse der Deutschen in Oesterreich und in Böhmen,
das Festhalten an der bestehenden Verfassung und
an der Einheit des Staates, an den mühsam er-
kämpften freiheitlichen Errungenschaften und an
der Neuschule. Sehr eingehend befaßt sich das
Programm mit der gesellschaftlichen und wirth-
schaftlichen Organisation und mit einer Reihe
von socialpolitischen Vorschlägen. Die Maßnahmen
werden besprochen, welche geeignet erscheinen, der
Landwirthschaft, dem Kleingewerbe, der Industrie
und dem Handel aufzuhelfen. Die neuen Steuer-
gesetze werden besprochen und daran eine Kritik
des gesammten bestehenden Steuerwesens geknüpft.
Die Vortheile einer zweijährigen Dienstpflicht
werden hervorgehoben, ein gerechter Ausgleich mit
Ungarn verlangt, der Dreibund als Hort des
europäischen Friedens anerkannt. Es wird con-
statirt, daß die nationalen Freiheiten nnd wirth-
schaftlichen Zielpunkte der deutschen Fortschritts-
partei sich vollständig mit den Bedingungen der
Machtstellung, der Wohlfahrt und der unantast-
baren Einheit der Monarchie decken und als




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Schlangen.
Eine Erzählung aus Indien.

(Unbefugter Nachdruck nicht gestattet.)

(Schluß.)

Und wie er das Gewehr über die Schultern
wirft und seine Cigarrentasche hervorholt, um sich
die Wanderung in der thaufrischen Luft mit der üb-
lichen Morgencigarre zu versüßen, flattert unbemerkt
aus der Tasche auch ein unscheinbares weißes
Papierchen auf die Erde und verkriecht sich scheu in
die dunkelste Ecke. Dann geht Baker pfeifend und
gefolgt von seinem Diener und einigen Shikaris (ein-
geborenen Jägern) in das Dschungel. Nach einiger
Zeit schüttelt Dick den Schlaf von sich und macht
auch sich jagdbereit. Noch ein Blick, ob auch Alles
richtig, und dann tritt er in die Thür. Da fegt ein
Windstoß durch das Zelt und auffliegt das kleine,
weiße Papierchen wieder und tanzt und überschlägt
sich in der Luft, bis es den richtigen Platz zum
Niederlassen gefunden hat und sich ruhig und un-
schuldig vor Dick's Füße niederlegt. Unwillkürlich
fällt sein Blick auf das kleine weiße Ding und --
was ist das? Nelly's Schriftzüge. Er bückt sich, hebt
es auf, liest -- und taumelt, aufstöhnend wie ein
zu Tode verwundeter Stier, in das Zelt zurück. Ist
es denn wahr, was er liest? Ist es denn wahr,
daß Nelly, seine Nelly das Alles geschrieben hat, das
von der Sehnsucht, mit der sie ihren Geliebten er-
wartet, sobald Dick, der "gutmüthige Dick, der nichts
sieht und nichts ahnt", das Haus verlassen hat. Mein
[Spaltenumbruch] Gott, ja, das Haus verlassen, sie verlassen hat, um
zu arbeiten und zu schaffen, für sie zu arbeiten, die
ihn wegwirft und betrügt um eines Andern willen,
der mehr Zeit hat, als er.

"Ah!" schreit er auf, packt sein Gewehr und
will hinausstürmen.

"Herr Gott, vergib mir, wenn ich --"

Aber was ist das für Geschrei und Lärm, das
näher und näher kommt?

Da stürzt auch schon Baker's Diener auf ihn zu:

"Sir, Sir, schnell, mein Master ist von einer
Cobra gebissen und bittet Master um Whisky*), aber
schnell, schnell, Master viele Schmerzen."

Dick bleibt erstarrt stehen, dann entsinkt das
Gewehr seiner Hand nnd er murmelt:

"Herr Gott, die Rache ist Dein; ich danke Dir,
daß ich nicht zum Mörder geworden bin."

Dann rafft er sich auf und stürmt, gefolgt von
dem jammernden Diener, zu seinem Genossen --
ohne Whisky.

Baker liegt am Boden, die Todesangst und,
vielleicht jetzt, Gewissensbisse in seinem bleichen
Gesicht.

"Schnell, schnell, Preston, den Whisky her, jede
Minute ist kostbar."

Aber Dick steht unbeweglich über ihm.

"Kennst Du das, Schurke," und hält ihm das
weiße Zettelchen hin, "kennst Du das, und verlangst
von mir Rettung?"

Baker blickt entsetzt auf das nur zu bekannte
Papier und dann in das schrecklich ruhige Gesicht
Dick's und sieht, daß sein Schicksal besiegelt ist.

"Mörder!" schreit er auf.

"Nicht ich," sagt Dick, "aber Du, Mörder meines
[Spaltenumbruch] Friedens, Mörder meines Glücks, Du Schlange im
Paradies meines Hauses. Das Gift der Verführung
hast Du meinem Weibe eingeflößt und hast damit
ihr und mein Glück zu Grunde gerichtet. Von Deines-
gleichen bist Du jetzt geschlagen und stirbst. Gottes
Gericht ist gerecht."

Noch einige Minuten krampfartigen Todes-
kampfes und Alles ist vorüber. Starr sieht Dick in
die schmerzverzerrten, bleichen Züge des Todten,
dann bricht er wie ein gefällter Baum zusammen
und weint, weint um sein verlorenes Glück. --

Am Abend ist er wieder zu Hause. Nelly kommt
ihm entgegen.

"Um Gotteswillen, Dick, was ist? Wo ist
Baker?"

"Todt", und er hält ihr das weiße Papier vor
die Augen.

"Todt?" schreit sie auf, "Du hast ihn getödtet,
Dick!"

"Ich nicht; wollte Gott, Deine Seele wäre so
schuldlos wie die meine ist. Aber fürchte keine Vor-
würfe, keine Anklagen, auch keine Klagen. Nur --
getrennt sind wir nach diesem da für immer. Um
Deines Namens und Deiner -- Ehre Willen wird
jeder öffentliche Scandal vermieden werden. Du
gehst zu Deiner Mutter zurück nach England, ich
bleibe hier. Ein Ocean zwischen uns Beiden."

Er geht auf sie, die zusammengesunken im
Zimmer kniet, zu, hebt ihren gebeugten Kopf in die
Höhe und schaut ihr noch einmal in die Augen.
Dann kehrt er sich ab, geht in sein Zimmer und
schließt sich ein.

Am nächsten Tag ist er allein. Und allein für
den Rest seines Lebens arbeitet er wieder wie früher
tagaus, tagein, jahraus, jahrein. Für wen?




*) Whisky, wie überhaupt starke alkoholische Getränke
bilden in vielen Fällen bekanntlich, wenn schnell angewandt,
ein wirksames Mittel gegen Schlangenbiß.
Badener Zeitung
(vormals Badener Bezirks-Blatt).

Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig fl 1·25, halbjährig fl. 2.50, ganzjährig fl. 5.—. Mit Zuſtellung ins Haus Baden: Vierteljährig fl. 1.50, halbjährig fl. 3.—,
ganzjährig fl. 6 —. Oeſterreich-Ungarn: Mit Zuſendung vierteljährig fl. 1.65, halbjährig fl. 3.25, ganzjährig fl. 6.50. Einzelne Mittwoch-Nummer 6 kr., Samstag-Nummer
8 kr. — Inſerate
werden per 80 mm breite Petitzeile mit 8 kr. für die erſte, und mit 7 kr. für fünf nacheinander folgende Einſchaltungen berechnet, größere Aufträge nach Ueber-
einkommen und können auch durch die beſtehenden Annoncen-Bureaux an die Adminiſtration gerichtet werden. — Intereſſante Mittheilungen, Notizen und Correſpon-
denzen werden nach Uebereinkunft honorirt. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt.

[Abbildung]

Erſcheint Mittwoch und Samstag früh.

[Abbildung]


(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage „Illuſtrirtes Unterhaltungsblatt“.)




Nr. 101. Mittwoch den 16. December 1896. 16. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Politiſche Ueberſicht.

Das Abgeordnetenhaus ſteht mitten in der
Debatte über das Budget, und es iſt intereſſant,
zu ſehen, unter welcher Theilnahmsloſigkeit ſich
die Dinge in dieſem ſterbenden Hauſe abſpielen.
Die Abgeordneten ſind ſelbſt gegen die ſchärfſten
Peitſchenhiebe der Regierung ſtumpfſinnig ge-
worden und darum konnte Graf Badeni gelegentlich
der Debatte über den Dispoſitionsfond mit den
Parteien ſo umſpringen, wie er es gethan hat.
Es war aber auch ganz natürlich, denn was man
da zu erleben Gelegenheit hatte, war wirklich zu
drollig und aus der Debatte über den Dispoſitions-
fond erklärt ſich ſo Vieles, was früher unerklärbar
erſchien. Vor Allem die verblüffende Haltung der
Jungczechen, dieſer Oppoſition à outrance von
anno dazumal, welche ſich mit fliegenden Fahnen
in das Regierungslager begeben hat, dann die
ſo deutlich hervorgekehrte Regierungsfreundlichkeit
der anderen Parteien alle, die ſich eben vor den
Wahlen ſehen und von Seite der allmächtigen
Regierung ſo wenig als möglich Schwierigkeiten
hiebei haben wollen — es war eine Komödie im
vollſten Sinne des Wortes, welche die Parteien
bei dieſer Gelegenheit den armen Völkern Oeſter-
reichs aufführten. Es wird wohl kein vernünftiger
Menſch daran zweifeln, daß ein Fond, und ſei
er auch noch ſo klein, der dazu dient, die officiöſe
Preſſe zu füttern, damit ſie ſtets zu Dienſten
der Regierung ſteht, eine Vertrauensſache in aller
Form iſt, und daß man einen ſolchen Fond nur
einer Regierung bewilligen kann, zu deren Thun
und Laſſen man unbedingtes Vertrauen hat. Die
Regierung aber ſagt, die Annahme oder Ablehnung
[Spaltenumbruch] der Poſt bedeute für ſie kein Vertrauens- oder
Mißtrauensvotum und das Parlament athmet ob
dieſer Erklärung erleichtert auf, iſt ihr damit
doch die Aufgabe benommen, durch ſein Votum
ſeine Stellung zu dieſer Regierung zu documentiren.
Mit großer Mehrheit wurde denn der Fond auch
bewilligt und nur einige wenige unabhängige
Abgeordnete gab es, welche den Muth der eigenen
Meinung hatten und gegen die Regierung ſtimmten.
Daß ſich darunter auch der Abgeordnete unſeres
Bezirkes, Dr. Marchet, befindet, freut uns herzlich,
er hat damit ausgedrückt, was der Wille ſeiner
Wählerſchaft iſt, daß ein Vertrauen dieſer Re-
gierung unmöglich entgegengebracht werden kann

Der Wiener antiſemitiſche Gemeinderath hat
beſonders mit ſeinen verclauſulirten Subventionen
Pech. Er gibt nämlich nur unter der Bedingung,
daß er in jeder Körperſchaft, die er unterſtützt,
auch durch einige ſeiner Mitglieder vertreten ſei.
Die Abſicht liegt klar zu Tage: er will alle dieſe
Körperſchaften, wie man im antiſemitiſchen Jargon
ſagt, „judenrein“ machen. Allein ſowohl die Frei-
willige Rettungsgeſellſchaft, als auch neueſtens
der Wiener Wärmeſtuben- und Wohlthätigkeits-
verein haben die Subventionen, die ſie doch recht
gut brauchen könnten, unter ſolchen Bedingungen
dankend abgelehnt. Herr Dr. Lueger weiß natür-
lich, daß eine ſolche Ablehnung vernünftigerweiſe
jedesmal erfolgen muß, und er ſcheint daher da-
mit, daß er an jede Subvention dieſe Bedingung
knüpft, eine gewiſſe Abſicht zu verbinden. Er will
ſich aller dieſer Körperſchaften auf eine ſchlaue
Art entledigen und dann das Geld der Wiener
Steuerträger anderen Zwecken zuführen, ſiehe
Kirchenbauvereine, Katholiſcher Schulverein u. ſ. w.
Das dürfte ihm denn auch gelingen, denn keine
[Spaltenumbruch] Körperſchaft dürfte ſo ſervil ſein, Geld unter
ſolchen Bedingungen anzunehmen, wie ſie die
Antiſemiten des Wiener Gemeinderathes ſtellen.




Das Programm der deutſchen
Fortſchrittspartei.

Die Arbeit der Zehner-Commiſſion der
deutſchböhmiſchen Vertrauensmänner liegt in dem
Entwurfe eines Programmes für die neue
deutſche Fortſchrittspartei vor. Der Entwurf geht
von der Wahlreform und den Neuwahlen für den
Reichsrath aus und beſpricht dann die Verhält-
niſſe der Deutſchen in Oeſterreich und in Böhmen,
das Feſthalten an der beſtehenden Verfaſſung und
an der Einheit des Staates, an den mühſam er-
kämpften freiheitlichen Errungenſchaften und an
der Neuſchule. Sehr eingehend befaßt ſich das
Programm mit der geſellſchaftlichen und wirth-
ſchaftlichen Organiſation und mit einer Reihe
von ſocialpolitiſchen Vorſchlägen. Die Maßnahmen
werden beſprochen, welche geeignet erſcheinen, der
Landwirthſchaft, dem Kleingewerbe, der Induſtrie
und dem Handel aufzuhelfen. Die neuen Steuer-
geſetze werden beſprochen und daran eine Kritik
des geſammten beſtehenden Steuerweſens geknüpft.
Die Vortheile einer zweijährigen Dienſtpflicht
werden hervorgehoben, ein gerechter Ausgleich mit
Ungarn verlangt, der Dreibund als Hort des
europäiſchen Friedens anerkannt. Es wird con-
ſtatirt, daß die nationalen Freiheiten nnd wirth-
ſchaftlichen Zielpunkte der deutſchen Fortſchritts-
partei ſich vollſtändig mit den Bedingungen der
Machtſtellung, der Wohlfahrt und der unantaſt-
baren Einheit der Monarchie decken und als




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Schlangen.
Eine Erzählung aus Indien.

(Unbefugter Nachdruck nicht geſtattet.)

(Schluß.)

Und wie er das Gewehr über die Schultern
wirft und ſeine Cigarrentaſche hervorholt, um ſich
die Wanderung in der thaufriſchen Luft mit der üb-
lichen Morgencigarre zu verſüßen, flattert unbemerkt
aus der Taſche auch ein unſcheinbares weißes
Papierchen auf die Erde und verkriecht ſich ſcheu in
die dunkelſte Ecke. Dann geht Baker pfeifend und
gefolgt von ſeinem Diener und einigen Shikaris (ein-
geborenen Jägern) in das Dſchungel. Nach einiger
Zeit ſchüttelt Dick den Schlaf von ſich und macht
auch ſich jagdbereit. Noch ein Blick, ob auch Alles
richtig, und dann tritt er in die Thür. Da fegt ein
Windſtoß durch das Zelt und auffliegt das kleine,
weiße Papierchen wieder und tanzt und überſchlägt
ſich in der Luft, bis es den richtigen Platz zum
Niederlaſſen gefunden hat und ſich ruhig und un-
ſchuldig vor Dick’s Füße niederlegt. Unwillkürlich
fällt ſein Blick auf das kleine weiße Ding und —
was iſt das? Nelly’s Schriftzüge. Er bückt ſich, hebt
es auf, liest — und taumelt, aufſtöhnend wie ein
zu Tode verwundeter Stier, in das Zelt zurück. Iſt
es denn wahr, was er liest? Iſt es denn wahr,
daß Nelly, ſeine Nelly das Alles geſchrieben hat, das
von der Sehnſucht, mit der ſie ihren Geliebten er-
wartet, ſobald Dick, der „gutmüthige Dick, der nichts
ſieht und nichts ahnt“, das Haus verlaſſen hat. Mein
[Spaltenumbruch] Gott, ja, das Haus verlaſſen, ſie verlaſſen hat, um
zu arbeiten und zu ſchaffen, für ſie zu arbeiten, die
ihn wegwirft und betrügt um eines Andern willen,
der mehr Zeit hat, als er.

„Ah!“ ſchreit er auf, packt ſein Gewehr und
will hinausſtürmen.

„Herr Gott, vergib mir, wenn ich —“

Aber was iſt das für Geſchrei und Lärm, das
näher und näher kommt?

Da ſtürzt auch ſchon Baker’s Diener auf ihn zu:

„Sir, Sir, ſchnell, mein Maſter iſt von einer
Cobra gebiſſen und bittet Maſter um Whisky*), aber
ſchnell, ſchnell, Maſter viele Schmerzen.“

Dick bleibt erſtarrt ſtehen, dann entſinkt das
Gewehr ſeiner Hand nnd er murmelt:

„Herr Gott, die Rache iſt Dein; ich danke Dir,
daß ich nicht zum Mörder geworden bin.“

Dann rafft er ſich auf und ſtürmt, gefolgt von
dem jammernden Diener, zu ſeinem Genoſſen —
ohne Whisky.

Baker liegt am Boden, die Todesangſt und,
vielleicht jetzt, Gewiſſensbiſſe in ſeinem bleichen
Geſicht.

„Schnell, ſchnell, Preſton, den Whisky her, jede
Minute iſt koſtbar.“

Aber Dick ſteht unbeweglich über ihm.

„Kennſt Du das, Schurke,“ und hält ihm das
weiße Zettelchen hin, „kennſt Du das, und verlangſt
von mir Rettung?“

Baker blickt entſetzt auf das nur zu bekannte
Papier und dann in das ſchrecklich ruhige Geſicht
Dick’s und ſieht, daß ſein Schickſal beſiegelt iſt.

„Mörder!“ ſchreit er auf.

„Nicht ich,“ ſagt Dick, „aber Du, Mörder meines
[Spaltenumbruch] Friedens, Mörder meines Glücks, Du Schlange im
Paradies meines Hauſes. Das Gift der Verführung
haſt Du meinem Weibe eingeflößt und haſt damit
ihr und mein Glück zu Grunde gerichtet. Von Deines-
gleichen biſt Du jetzt geſchlagen und ſtirbſt. Gottes
Gericht iſt gerecht.“

Noch einige Minuten krampfartigen Todes-
kampfes und Alles iſt vorüber. Starr ſieht Dick in
die ſchmerzverzerrten, bleichen Züge des Todten,
dann bricht er wie ein gefällter Baum zuſammen
und weint, weint um ſein verlorenes Glück. —

Am Abend iſt er wieder zu Hauſe. Nelly kommt
ihm entgegen.

„Um Gotteswillen, Dick, was iſt? Wo iſt
Baker?“

„Todt“, und er hält ihr das weiße Papier vor
die Augen.

„Todt?“ ſchreit ſie auf, „Du haſt ihn getödtet,
Dick!“

„Ich nicht; wollte Gott, Deine Seele wäre ſo
ſchuldlos wie die meine iſt. Aber fürchte keine Vor-
würfe, keine Anklagen, auch keine Klagen. Nur —
getrennt ſind wir nach dieſem da für immer. Um
Deines Namens und Deiner — Ehre Willen wird
jeder öffentliche Scandal vermieden werden. Du
gehſt zu Deiner Mutter zurück nach England, ich
bleibe hier. Ein Ocean zwiſchen uns Beiden.“

Er geht auf ſie, die zuſammengeſunken im
Zimmer kniet, zu, hebt ihren gebeugten Kopf in die
Höhe und ſchaut ihr noch einmal in die Augen.
Dann kehrt er ſich ab, geht in ſein Zimmer und
ſchließt ſich ein.

Am nächſten Tag iſt er allein. Und allein für
den Reſt ſeines Lebens arbeitet er wieder wie früher
tagaus, tagein, jahraus, jahrein. Für wen?




*) Whisky, wie überhaupt ſtarke alkoholiſche Getränke
bilden in vielen Fällen bekanntlich, wenn ſchnell angewandt,
ein wirkſames Mittel gegen Schlangenbiß.
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[[1]/0001] Badener Zeitung (vormals Badener Bezirks-Blatt). Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig fl 1·25, halbjährig fl. 2.50, ganzjährig fl. 5.—. Mit Zuſtellung ins Haus Baden: Vierteljährig fl. 1.50, halbjährig fl. 3.—, ganzjährig fl. 6 —. Oeſterreich-Ungarn: Mit Zuſendung vierteljährig fl. 1.65, halbjährig fl. 3.25, ganzjährig fl. 6.50. Einzelne Mittwoch-Nummer 6 kr., Samstag-Nummer 8 kr. — Inſerate werden per 80 mm breite Petitzeile mit 8 kr. für die erſte, und mit 7 kr. für fünf nacheinander folgende Einſchaltungen berechnet, größere Aufträge nach Ueber- einkommen und können auch durch die beſtehenden Annoncen-Bureaux an die Adminiſtration gerichtet werden. — Intereſſante Mittheilungen, Notizen und Correſpon- denzen werden nach Uebereinkunft honorirt. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. [Abbildung] Erſcheint Mittwoch und Samstag früh. [Abbildung] (Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage „Illuſtrirtes Unterhaltungsblatt“.) Nr. 101. Mittwoch den 16. December 1896. 16. Jahrg. Politiſche Ueberſicht. Das Abgeordnetenhaus ſteht mitten in der Debatte über das Budget, und es iſt intereſſant, zu ſehen, unter welcher Theilnahmsloſigkeit ſich die Dinge in dieſem ſterbenden Hauſe abſpielen. Die Abgeordneten ſind ſelbſt gegen die ſchärfſten Peitſchenhiebe der Regierung ſtumpfſinnig ge- worden und darum konnte Graf Badeni gelegentlich der Debatte über den Dispoſitionsfond mit den Parteien ſo umſpringen, wie er es gethan hat. Es war aber auch ganz natürlich, denn was man da zu erleben Gelegenheit hatte, war wirklich zu drollig und aus der Debatte über den Dispoſitions- fond erklärt ſich ſo Vieles, was früher unerklärbar erſchien. Vor Allem die verblüffende Haltung der Jungczechen, dieſer Oppoſition à outrance von anno dazumal, welche ſich mit fliegenden Fahnen in das Regierungslager begeben hat, dann die ſo deutlich hervorgekehrte Regierungsfreundlichkeit der anderen Parteien alle, die ſich eben vor den Wahlen ſehen und von Seite der allmächtigen Regierung ſo wenig als möglich Schwierigkeiten hiebei haben wollen — es war eine Komödie im vollſten Sinne des Wortes, welche die Parteien bei dieſer Gelegenheit den armen Völkern Oeſter- reichs aufführten. Es wird wohl kein vernünftiger Menſch daran zweifeln, daß ein Fond, und ſei er auch noch ſo klein, der dazu dient, die officiöſe Preſſe zu füttern, damit ſie ſtets zu Dienſten der Regierung ſteht, eine Vertrauensſache in aller Form iſt, und daß man einen ſolchen Fond nur einer Regierung bewilligen kann, zu deren Thun und Laſſen man unbedingtes Vertrauen hat. Die Regierung aber ſagt, die Annahme oder Ablehnung der Poſt bedeute für ſie kein Vertrauens- oder Mißtrauensvotum und das Parlament athmet ob dieſer Erklärung erleichtert auf, iſt ihr damit doch die Aufgabe benommen, durch ſein Votum ſeine Stellung zu dieſer Regierung zu documentiren. Mit großer Mehrheit wurde denn der Fond auch bewilligt und nur einige wenige unabhängige Abgeordnete gab es, welche den Muth der eigenen Meinung hatten und gegen die Regierung ſtimmten. Daß ſich darunter auch der Abgeordnete unſeres Bezirkes, Dr. Marchet, befindet, freut uns herzlich, er hat damit ausgedrückt, was der Wille ſeiner Wählerſchaft iſt, daß ein Vertrauen dieſer Re- gierung unmöglich entgegengebracht werden kann Der Wiener antiſemitiſche Gemeinderath hat beſonders mit ſeinen verclauſulirten Subventionen Pech. Er gibt nämlich nur unter der Bedingung, daß er in jeder Körperſchaft, die er unterſtützt, auch durch einige ſeiner Mitglieder vertreten ſei. Die Abſicht liegt klar zu Tage: er will alle dieſe Körperſchaften, wie man im antiſemitiſchen Jargon ſagt, „judenrein“ machen. Allein ſowohl die Frei- willige Rettungsgeſellſchaft, als auch neueſtens der Wiener Wärmeſtuben- und Wohlthätigkeits- verein haben die Subventionen, die ſie doch recht gut brauchen könnten, unter ſolchen Bedingungen dankend abgelehnt. Herr Dr. Lueger weiß natür- lich, daß eine ſolche Ablehnung vernünftigerweiſe jedesmal erfolgen muß, und er ſcheint daher da- mit, daß er an jede Subvention dieſe Bedingung knüpft, eine gewiſſe Abſicht zu verbinden. Er will ſich aller dieſer Körperſchaften auf eine ſchlaue Art entledigen und dann das Geld der Wiener Steuerträger anderen Zwecken zuführen, ſiehe Kirchenbauvereine, Katholiſcher Schulverein u. ſ. w. Das dürfte ihm denn auch gelingen, denn keine Körperſchaft dürfte ſo ſervil ſein, Geld unter ſolchen Bedingungen anzunehmen, wie ſie die Antiſemiten des Wiener Gemeinderathes ſtellen. Das Programm der deutſchen Fortſchrittspartei. Die Arbeit der Zehner-Commiſſion der deutſchböhmiſchen Vertrauensmänner liegt in dem Entwurfe eines Programmes für die neue deutſche Fortſchrittspartei vor. Der Entwurf geht von der Wahlreform und den Neuwahlen für den Reichsrath aus und beſpricht dann die Verhält- niſſe der Deutſchen in Oeſterreich und in Böhmen, das Feſthalten an der beſtehenden Verfaſſung und an der Einheit des Staates, an den mühſam er- kämpften freiheitlichen Errungenſchaften und an der Neuſchule. Sehr eingehend befaßt ſich das Programm mit der geſellſchaftlichen und wirth- ſchaftlichen Organiſation und mit einer Reihe von ſocialpolitiſchen Vorſchlägen. Die Maßnahmen werden beſprochen, welche geeignet erſcheinen, der Landwirthſchaft, dem Kleingewerbe, der Induſtrie und dem Handel aufzuhelfen. Die neuen Steuer- geſetze werden beſprochen und daran eine Kritik des geſammten beſtehenden Steuerweſens geknüpft. Die Vortheile einer zweijährigen Dienſtpflicht werden hervorgehoben, ein gerechter Ausgleich mit Ungarn verlangt, der Dreibund als Hort des europäiſchen Friedens anerkannt. Es wird con- ſtatirt, daß die nationalen Freiheiten nnd wirth- ſchaftlichen Zielpunkte der deutſchen Fortſchritts- partei ſich vollſtändig mit den Bedingungen der Machtſtellung, der Wohlfahrt und der unantaſt- baren Einheit der Monarchie decken und als Feuilleton. Schlangen. Eine Erzählung aus Indien. Von W. Gallenkamp in Calcutta. (Unbefugter Nachdruck nicht geſtattet.) (Schluß.) Und wie er das Gewehr über die Schultern wirft und ſeine Cigarrentaſche hervorholt, um ſich die Wanderung in der thaufriſchen Luft mit der üb- lichen Morgencigarre zu verſüßen, flattert unbemerkt aus der Taſche auch ein unſcheinbares weißes Papierchen auf die Erde und verkriecht ſich ſcheu in die dunkelſte Ecke. Dann geht Baker pfeifend und gefolgt von ſeinem Diener und einigen Shikaris (ein- geborenen Jägern) in das Dſchungel. Nach einiger Zeit ſchüttelt Dick den Schlaf von ſich und macht auch ſich jagdbereit. Noch ein Blick, ob auch Alles richtig, und dann tritt er in die Thür. Da fegt ein Windſtoß durch das Zelt und auffliegt das kleine, weiße Papierchen wieder und tanzt und überſchlägt ſich in der Luft, bis es den richtigen Platz zum Niederlaſſen gefunden hat und ſich ruhig und un- ſchuldig vor Dick’s Füße niederlegt. Unwillkürlich fällt ſein Blick auf das kleine weiße Ding und — was iſt das? Nelly’s Schriftzüge. Er bückt ſich, hebt es auf, liest — und taumelt, aufſtöhnend wie ein zu Tode verwundeter Stier, in das Zelt zurück. Iſt es denn wahr, was er liest? Iſt es denn wahr, daß Nelly, ſeine Nelly das Alles geſchrieben hat, das von der Sehnſucht, mit der ſie ihren Geliebten er- wartet, ſobald Dick, der „gutmüthige Dick, der nichts ſieht und nichts ahnt“, das Haus verlaſſen hat. Mein Gott, ja, das Haus verlaſſen, ſie verlaſſen hat, um zu arbeiten und zu ſchaffen, für ſie zu arbeiten, die ihn wegwirft und betrügt um eines Andern willen, der mehr Zeit hat, als er. „Ah!“ ſchreit er auf, packt ſein Gewehr und will hinausſtürmen. „Herr Gott, vergib mir, wenn ich —“ Aber was iſt das für Geſchrei und Lärm, das näher und näher kommt? Da ſtürzt auch ſchon Baker’s Diener auf ihn zu: „Sir, Sir, ſchnell, mein Maſter iſt von einer Cobra gebiſſen und bittet Maſter um Whisky *), aber ſchnell, ſchnell, Maſter viele Schmerzen.“ Dick bleibt erſtarrt ſtehen, dann entſinkt das Gewehr ſeiner Hand nnd er murmelt: „Herr Gott, die Rache iſt Dein; ich danke Dir, daß ich nicht zum Mörder geworden bin.“ Dann rafft er ſich auf und ſtürmt, gefolgt von dem jammernden Diener, zu ſeinem Genoſſen — ohne Whisky. 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Starr ſieht Dick in die ſchmerzverzerrten, bleichen Züge des Todten, dann bricht er wie ein gefällter Baum zuſammen und weint, weint um ſein verlorenes Glück. — Am Abend iſt er wieder zu Hauſe. Nelly kommt ihm entgegen. „Um Gotteswillen, Dick, was iſt? Wo iſt Baker?“ „Todt“, und er hält ihr das weiße Papier vor die Augen. „Todt?“ ſchreit ſie auf, „Du haſt ihn getödtet, Dick!“ „Ich nicht; wollte Gott, Deine Seele wäre ſo ſchuldlos wie die meine iſt. Aber fürchte keine Vor- würfe, keine Anklagen, auch keine Klagen. Nur — getrennt ſind wir nach dieſem da für immer. Um Deines Namens und Deiner — Ehre Willen wird jeder öffentliche Scandal vermieden werden. Du gehſt zu Deiner Mutter zurück nach England, ich bleibe hier. Ein Ocean zwiſchen uns Beiden.“ Er geht auf ſie, die zuſammengeſunken im Zimmer kniet, zu, hebt ihren gebeugten Kopf in die Höhe und ſchaut ihr noch einmal in die Augen. Dann kehrt er ſich ab, geht in ſein Zimmer und ſchließt ſich ein. Am nächſten Tag iſt er allein. Und allein für den Reſt ſeines Lebens arbeitet er wieder wie früher tagaus, tagein, jahraus, jahrein. Für wen? *) Whisky, wie überhaupt ſtarke alkoholiſche Getränke bilden in vielen Fällen bekanntlich, wenn ſchnell angewandt, ein wirkſames Mittel gegen Schlangenbiß.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 101, Baden (Niederösterreich), 16.12.1896, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener101_1896/1>, abgerufen am 29.03.2024.