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Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 49. Berlin, 20. Oktober 1740.

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[Beginn Spaltensatz] nichts, was den Grund zu der Grösse legen konnte, zu
der Rom nach dieser Veränderung steigen sollte.

Allein ungeachtet man alle diejenigen zu den schärfsten
Strafen verdammet hatte, welche jemals einen Schluß
fassen würden, der die vorige Knechtschaft zurück brin-
gen könnte; so waren doch alle Römer noch nicht so ge-
sinnet, als Brutus. Einige junge Leute von den vor-
nehmsten Häusern beklagten sich unter einander, daß
diese Veränderung ihnen das schwerste Joch über den
Hals gezogen. Sie erinnerten sich der Ausschweifun-
gen, welche sie unter den Prinzen ungeahndet begehen
dürfen, und die Schmeicheleyen, welche sich so gerne
an den Höfen der Könige einschleichen, hatten ihnen ei-
nen Stolz beygebracht. Diese Klagen waren geschikt
genug, sie zu einer Verrätherey zubereiten, welche von den
Gesandten des Tarquinius unterstüzt ward, die sich da-
mals in Rom aufhielten, Man schritt endlich wirklich
zu einer Verschwerung, zu der sich auch zweene Söhne
des Brutus mit schlugen. Jhre Absicht war den Tar-
quinius wieder auf den Trohn zu sezen. Dieser Ent-
schluß aber ward so unvorsichtig fortgeführet, daß end-
lich der Rath von dem ganzen Vorhaben Nachricht er-
hielt Die Verschwornen wurden eingezogen und ohne
Ausnahme zum Tode verdammt.

Brutus selbst war der erste der dieses Urtheil sprach
und der die väterliche Liebe, und das natürliche Erbar-
men der allgemeinen Wohlfarth aufopfferte. Er muste
Kraft seines Amtes, bey der Hinrichtung gegenwärtig
seyn, welche er auch mit einer römischen Standhaftigkeit
abwartete.

Livius drücket diesen Umstand mit folgenden Worten
aus: Consules in sedem processere suam, missique
lictores ad sumendum supplicium, nudatos virgis
caedunt securique feriunt: quum inter omne tem-
pus pater, vultusque & os ejus spectaculo esset; emi-
nente animo patrio
inter publicae poenae ministeri-
um.

Rollin macht bey dieser merkwürdigen Stelle, theils
in dem ersten Theil seiner Anweisung, wie man die frey-
en Künste lehren und lernen soll; theils in seiner rö-
mischen Historie, welche mit dieser übereinkommt, fol-
gende Erklärung Jn der erstern heisset es Man giebt
den Worten des Livius, animo patrio einen doppelten
und einander ganz entgegen gesezten Verstand. Eini-
ge wollen, daß sie nichts anders bedeuten, als daß bey
dieser Gelegenheit, das Amt des Bürgermeisters für der
[Spaltenumbruch] Eigenschaft des Vaters den Vorzug behielt, und das die
Liebe zu dem Vaterlande alle Empfindung der Zärtlich-
keit gegen seinen Sohn erstikte. Der Vers des Virgi-
lius, vincet amor patriae, und der Character der Un-
empfindlichkeit, und die Härte welche Plutarch dem
Brutus beylegt, scheinen diese Meynung zu unterstüzen.
Andere hingegen behaupten, und ihre Meynung schei-
net viel vernünftiger und in der Natur gegründeter zu
seyn, daß diese Worte nichts anders sagen wollen, als
daß die väterliche Zärtlichkeit, durch den traurigen Dienst,
welchen das Amt des Bürgermeisters, von dem Brutus
forderte, so sehr er auch seinen Schmerz unterdrüken
wollte, dennoch auch wieder seinen Willen durchbrach.
Der Vers des Virgilius erfordert nothwendig diesen
Verstand, weil er darinn von einem Streite zwischen
der Natur und der Liebe zum Vaterlande redet, in wel-
chem endlich der lezte den Sieg davon getragen: Vin-
cet amor patriae
.

Jn der römischen Historie entwikelt Rollin dieses Be-
tragen des Brutus noch mehr. Jst es Standhaftig-
keit in ihm? heißt es, ist es Unempfindlichkeit? Soll
man die Liebe des Brutus gegen sein Vaterland lo-
ben? Soll man in Ansehung seiner Kinder seine Grau-
samkeit verdammen? Er stellet hier zwo Personen vor,
den Bürgermeister und den Vater, deren Pflichten er
auf eine gleiche Art genung thun soll. Als Bürgermei-
ster siehet er auf nichts, als auf das Beste des Staats. Er
ist auf das lebhafteste von der Gefahr gerühret, welche man
seinem Vaterlande droht, von der es durch einen Schuz
des Himmels befreyet wurde, der fast einem Wunder-
werke ähnlich war. Die neue Regierungsform gefiel
nicht allen. Tarquin hatte in Rom noch viele Anhän-
ger, welches diese Verschwerung bewieß. Woferne
Brutus seine Kinder schonete, so konnte er keinen ein-
zigen von den andern Mirschuldigen strafen. Eben die
Nachsicht welche ihnen das Leben schenkte, hätte sie auch
von der Verbannung zurück rufen können, und ihre Zu,
rückkunft muste eine neue Furcht erregen. Brutus woll-
te ganz Rom in Schrecken sezen, seine Absicht war den
Römern einen ewigen Haß gegen die königliche Gewalt,
und die Tyranney beyzubringen. Die bloße Verban-
nung würde diese Würkung nicht gehabt haben; allein
ein Vater, der das Blut seiner eigenen Kinder vergoß,
dieses war ein Schauspiel, dessen Erinnerung niemals
ausgelöschst werden konnte, und welches allen künftigen
Jahrhunderten ein Schreken einjagen muste.

Das übrige folget künftig.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] nichts, was den Grund zu der Grösse legen konnte, zu
der Rom nach dieser Veränderung steigen sollte.

Allein ungeachtet man alle diejenigen zu den schärfsten
Strafen verdammet hatte, welche jemals einen Schluß
fassen würden, der die vorige Knechtschaft zurück brin-
gen könnte; so waren doch alle Römer noch nicht so ge-
sinnet, als Brutus. Einige junge Leute von den vor-
nehmsten Häusern beklagten sich unter einander, daß
diese Veränderung ihnen das schwerste Joch über den
Hals gezogen. Sie erinnerten sich der Ausschweifun-
gen, welche sie unter den Prinzen ungeahndet begehen
dürfen, und die Schmeicheleyen, welche sich so gerne
an den Höfen der Könige einschleichen, hatten ihnen ei-
nen Stolz beygebracht. Diese Klagen waren geschikt
genug, sie zu einer Verrätherey zubereiten, welche von den
Gesandten des Tarquinius unterstüzt ward, die sich da-
mals in Rom aufhielten, Man schritt endlich wirklich
zu einer Verschwerung, zu der sich auch zweene Söhne
des Brutus mit schlugen. Jhre Absicht war den Tar-
quinius wieder auf den Trohn zu sezen. Dieser Ent-
schluß aber ward so unvorsichtig fortgeführet, daß end-
lich der Rath von dem ganzen Vorhaben Nachricht er-
hielt Die Verschwornen wurden eingezogen und ohne
Ausnahme zum Tode verdammt.

Brutus selbst war der erste der dieses Urtheil sprach
und der die väterliche Liebe, und das natürliche Erbar-
men der allgemeinen Wohlfarth aufopfferte. Er muste
Kraft seines Amtes, bey der Hinrichtung gegenwärtig
seyn, welche er auch mit einer römischen Standhaftigkeit
abwartete.

Livius drücket diesen Umstand mit folgenden Worten
aus: Conſules in ſedem proceſſere ſuam, miſſique
lictores ad ſumendum ſupplicium, nudatos virgis
cædunt ſecurique feriunt: quum inter omne tem-
pus pater, vultusque & os ejus ſpectaculo eſſet; emi-
nente animo patrio
inter publicæ pœnæ miniſteri-
um.

Rollin macht bey dieser merkwürdigen Stelle, theils
in dem ersten Theil seiner Anweisung, wie man die frey-
en Künste lehren und lernen soll; theils in seiner rö-
mischen Historie, welche mit dieser übereinkommt, fol-
gende Erklärung Jn der erstern heisset es Man giebt
den Worten des Livius, animo patrio einen doppelten
und einander ganz entgegen gesezten Verstand. Eini-
ge wollen, daß sie nichts anders bedeuten, als daß bey
dieser Gelegenheit, das Amt des Bürgermeisters für der
[Spaltenumbruch] Eigenschaft des Vaters den Vorzug behielt, und das die
Liebe zu dem Vaterlande alle Empfindung der Zärtlich-
keit gegen seinen Sohn erstikte. Der Vers des Virgi-
lius, vincet amor patriæ, und der Character der Un-
empfindlichkeit, und die Härte welche Plutarch dem
Brutus beylegt, scheinen diese Meynung zu unterstüzen.
Andere hingegen behaupten, und ihre Meynung schei-
net viel vernünftiger und in der Natur gegründeter zu
seyn, daß diese Worte nichts anders sagen wollen, als
daß die väterliche Zärtlichkeit, durch den traurigen Dienst,
welchen das Amt des Bürgermeisters, von dem Brutus
forderte, so sehr er auch seinen Schmerz unterdrüken
wollte, dennoch auch wieder seinen Willen durchbrach.
Der Vers des Virgilius erfordert nothwendig diesen
Verstand, weil er darinn von einem Streite zwischen
der Natur und der Liebe zum Vaterlande redet, in wel-
chem endlich der lezte den Sieg davon getragen: Vin-
cet amor patriæ
.

Jn der römischen Historie entwikelt Rollin dieses Be-
tragen des Brutus noch mehr. Jst es Standhaftig-
keit in ihm? heißt es, ist es Unempfindlichkeit? Soll
man die Liebe des Brutus gegen sein Vaterland lo-
ben? Soll man in Ansehung seiner Kinder seine Grau-
samkeit verdammen? Er stellet hier zwo Personen vor,
den Bürgermeister und den Vater, deren Pflichten er
auf eine gleiche Art genung thun soll. Als Bürgermei-
ster siehet er auf nichts, als auf das Beste des Staats. Er
ist auf das lebhafteste von der Gefahr gerühret, welche man
seinem Vaterlande droht, von der es durch einen Schuz
des Himmels befreyet wurde, der fast einem Wunder-
werke ähnlich war. Die neue Regierungsform gefiel
nicht allen. Tarquin hatte in Rom noch viele Anhän-
ger, welches diese Verschwerung bewieß. Woferne
Brutus seine Kinder schonete, so konnte er keinen ein-
zigen von den andern Mirschuldigen strafen. Eben die
Nachsicht welche ihnen das Leben schenkte, hätte sie auch
von der Verbannung zurück rufen können, und ihre Zu,
rückkunft muste eine neue Furcht erregen. Brutus woll-
te ganz Rom in Schrecken sezen, seine Absicht war den
Römern einen ewigen Haß gegen die königliche Gewalt,
und die Tyranney beyzubringen. Die bloße Verban-
nung würde diese Würkung nicht gehabt haben; allein
ein Vater, der das Blut seiner eigenen Kinder vergoß,
dieses war ein Schauspiel, dessen Erinnerung niemals
ausgelöschst werden konnte, und welches allen künftigen
Jahrhunderten ein Schreken einjagen muste.

Das übrige folget künftig.

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Zitationshilfe: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 49. Berlin, 20. Oktober 1740, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_berlin049_1740/4>, abgerufen am 21.11.2024.