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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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sicher eine Conspiration, die junge Freiheit soll wieder gemordet werden, wir liegen
an der Grenze, wir können es hindern! Gesagt, gethan! Man hält einen Kurier
an, der über die russische Grenze will, man nimmt ihm seine Briefschaften ab,
aber man ist wieder zu ehrlich und hat einen zu gesetzlichen Sinn, um sie selber
zu öffnen, man bringt sie zum Commandirenden, er soll sie öffnen; dieser schlägt
es natürlich ab; nun weiß man nicht recht, was weiter zu thun ist, die Briefe
werden also dem Courier zurückgegeben und gehen ungehindert ihren Gang. Man
hat einen Streich gemacht und noch dazu umsonst.

Diese Geschichte hat Jacoby in der Provinz sehr geschadet. Man kam zur
Besinnung und fühlte sich deprimirt. Ueberhaupt trat hier, sobald die revolutio-
näre Frühgeburt in Frankfurt und der radikale Veitstanz in Berlin in ihrer wi¬
derlichen Nacktheit zum Vorschein kamen, eine entschiedene Reaction ein; der grö¬
ßere Theil der früheren Liberalen ist heute conservativ, und in dem Volke lebt
zu viel gesunder Menschenverstand und zu viel natürliches Rechtsgefühl, als daß
es den Einflüsterungen der modernen Levellers Gehör geben sollte. Es muß Ja¬
coby sehr gekränkt haben, als bei der Wahl für Frankfurt und Berlin in der
Provinz sein Name nirgends durchdrang, obgleich Königsberg einen andern jüdi¬
schen Arzt, Dr. Kosch, in die preußische Constituante schickte.

Auf den ersten Ruf eilte Jacoby, ohne sich in Berlin, das doch ein höchst
anziehendes Schauspiel bot, aufzuhalten, in das sogenannte Vorparlament. Er
hat hier nur zweimal gesprochen und zwar in den beiden entscheidenden Fragen
über die Permanenzerklärung und über die Nothwendigkeit, den Bundestag zu
epuriren, bevor man von ihm irgend eine Notiz nähme. Allein er gab nur einfach
seine Stimme ab, und hielt den dogmatischen Ausdruck seiner Meinung, wie ge¬
wöhnlich, für genügend. Bei dem stürmischen Charakter dieser wunderbaren
Versammlung hätte er sich ohnehin nicht geltend machen können; zum eigentlichen
Demagogen fehlt ihm schon das Organ. In beiden Fragen stimmte er mit der
Hecker'schen Partei, in dem Wahn, es gehöre blos der Entschluß dieser "Nota-
beln" dazu, sich zur Regierung von Deutschland zu machen! Doch hatte er so
viel gesetzlichen Instinct, daß er sich zu den weitern Schritten dieser anarchistischen
Clique nicht hergab. Er wollte die deutschen Staaten auf gesetzlichem Wege um¬
werfen. Auch nahm er an den demokratischen Volksversammlungen keinen Theil.
Sein Ruf als Repräsentant des preußischen Liberalismus -- den außer ihm ei¬
gentlich nur Soiron, Raveaux und Abegg verträten, war groß genug, ihm die
Wahl in den Fünfziger-Ausschuß zu verschaffen, obgleich er sich sonst in keiner
Weise geltend gemacht hatte.

Auch im Ausschuß spielte er keine bedeutende Rolle, Robert Blum drängte
alle seine Meinungsgenossen weit zurück. Jacoby hörte in der Regel ruhig zu --
eigentlich war das auch die Hauptaufgabe des ganzen Ausschusses -- und stimmte
nur immer lebhaft bei, wenn gegen den Bundestag oder gegen Preußen irgend

sicher eine Conspiration, die junge Freiheit soll wieder gemordet werden, wir liegen
an der Grenze, wir können es hindern! Gesagt, gethan! Man hält einen Kurier
an, der über die russische Grenze will, man nimmt ihm seine Briefschaften ab,
aber man ist wieder zu ehrlich und hat einen zu gesetzlichen Sinn, um sie selber
zu öffnen, man bringt sie zum Commandirenden, er soll sie öffnen; dieser schlägt
es natürlich ab; nun weiß man nicht recht, was weiter zu thun ist, die Briefe
werden also dem Courier zurückgegeben und gehen ungehindert ihren Gang. Man
hat einen Streich gemacht und noch dazu umsonst.

Diese Geschichte hat Jacoby in der Provinz sehr geschadet. Man kam zur
Besinnung und fühlte sich deprimirt. Ueberhaupt trat hier, sobald die revolutio-
näre Frühgeburt in Frankfurt und der radikale Veitstanz in Berlin in ihrer wi¬
derlichen Nacktheit zum Vorschein kamen, eine entschiedene Reaction ein; der grö¬
ßere Theil der früheren Liberalen ist heute conservativ, und in dem Volke lebt
zu viel gesunder Menschenverstand und zu viel natürliches Rechtsgefühl, als daß
es den Einflüsterungen der modernen Levellers Gehör geben sollte. Es muß Ja¬
coby sehr gekränkt haben, als bei der Wahl für Frankfurt und Berlin in der
Provinz sein Name nirgends durchdrang, obgleich Königsberg einen andern jüdi¬
schen Arzt, Dr. Kosch, in die preußische Constituante schickte.

Auf den ersten Ruf eilte Jacoby, ohne sich in Berlin, das doch ein höchst
anziehendes Schauspiel bot, aufzuhalten, in das sogenannte Vorparlament. Er
hat hier nur zweimal gesprochen und zwar in den beiden entscheidenden Fragen
über die Permanenzerklärung und über die Nothwendigkeit, den Bundestag zu
epuriren, bevor man von ihm irgend eine Notiz nähme. Allein er gab nur einfach
seine Stimme ab, und hielt den dogmatischen Ausdruck seiner Meinung, wie ge¬
wöhnlich, für genügend. Bei dem stürmischen Charakter dieser wunderbaren
Versammlung hätte er sich ohnehin nicht geltend machen können; zum eigentlichen
Demagogen fehlt ihm schon das Organ. In beiden Fragen stimmte er mit der
Hecker'schen Partei, in dem Wahn, es gehöre blos der Entschluß dieser „Nota-
beln“ dazu, sich zur Regierung von Deutschland zu machen! Doch hatte er so
viel gesetzlichen Instinct, daß er sich zu den weitern Schritten dieser anarchistischen
Clique nicht hergab. Er wollte die deutschen Staaten auf gesetzlichem Wege um¬
werfen. Auch nahm er an den demokratischen Volksversammlungen keinen Theil.
Sein Ruf als Repräsentant des preußischen Liberalismus — den außer ihm ei¬
gentlich nur Soiron, Raveaux und Abegg verträten, war groß genug, ihm die
Wahl in den Fünfziger-Ausschuß zu verschaffen, obgleich er sich sonst in keiner
Weise geltend gemacht hatte.

Auch im Ausschuß spielte er keine bedeutende Rolle, Robert Blum drängte
alle seine Meinungsgenossen weit zurück. Jacoby hörte in der Regel ruhig zu —
eigentlich war das auch die Hauptaufgabe des ganzen Ausschusses — und stimmte
nur immer lebhaft bei, wenn gegen den Bundestag oder gegen Preußen irgend

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[449/0016] sicher eine Conspiration, die junge Freiheit soll wieder gemordet werden, wir liegen an der Grenze, wir können es hindern! Gesagt, gethan! Man hält einen Kurier an, der über die russische Grenze will, man nimmt ihm seine Briefschaften ab, aber man ist wieder zu ehrlich und hat einen zu gesetzlichen Sinn, um sie selber zu öffnen, man bringt sie zum Commandirenden, er soll sie öffnen; dieser schlägt es natürlich ab; nun weiß man nicht recht, was weiter zu thun ist, die Briefe werden also dem Courier zurückgegeben und gehen ungehindert ihren Gang. Man hat einen Streich gemacht und noch dazu umsonst. Diese Geschichte hat Jacoby in der Provinz sehr geschadet. Man kam zur Besinnung und fühlte sich deprimirt. Ueberhaupt trat hier, sobald die revolutio- näre Frühgeburt in Frankfurt und der radikale Veitstanz in Berlin in ihrer wi¬ derlichen Nacktheit zum Vorschein kamen, eine entschiedene Reaction ein; der grö¬ ßere Theil der früheren Liberalen ist heute conservativ, und in dem Volke lebt zu viel gesunder Menschenverstand und zu viel natürliches Rechtsgefühl, als daß es den Einflüsterungen der modernen Levellers Gehör geben sollte. Es muß Ja¬ coby sehr gekränkt haben, als bei der Wahl für Frankfurt und Berlin in der Provinz sein Name nirgends durchdrang, obgleich Königsberg einen andern jüdi¬ schen Arzt, Dr. Kosch, in die preußische Constituante schickte. Auf den ersten Ruf eilte Jacoby, ohne sich in Berlin, das doch ein höchst anziehendes Schauspiel bot, aufzuhalten, in das sogenannte Vorparlament. Er hat hier nur zweimal gesprochen und zwar in den beiden entscheidenden Fragen über die Permanenzerklärung und über die Nothwendigkeit, den Bundestag zu epuriren, bevor man von ihm irgend eine Notiz nähme. Allein er gab nur einfach seine Stimme ab, und hielt den dogmatischen Ausdruck seiner Meinung, wie ge¬ wöhnlich, für genügend. Bei dem stürmischen Charakter dieser wunderbaren Versammlung hätte er sich ohnehin nicht geltend machen können; zum eigentlichen Demagogen fehlt ihm schon das Organ. In beiden Fragen stimmte er mit der Hecker'schen Partei, in dem Wahn, es gehöre blos der Entschluß dieser „Nota- beln“ dazu, sich zur Regierung von Deutschland zu machen! Doch hatte er so viel gesetzlichen Instinct, daß er sich zu den weitern Schritten dieser anarchistischen Clique nicht hergab. Er wollte die deutschen Staaten auf gesetzlichem Wege um¬ werfen. Auch nahm er an den demokratischen Volksversammlungen keinen Theil. Sein Ruf als Repräsentant des preußischen Liberalismus — den außer ihm ei¬ gentlich nur Soiron, Raveaux und Abegg verträten, war groß genug, ihm die Wahl in den Fünfziger-Ausschuß zu verschaffen, obgleich er sich sonst in keiner Weise geltend gemacht hatte. Auch im Ausschuß spielte er keine bedeutende Rolle, Robert Blum drängte alle seine Meinungsgenossen weit zurück. Jacoby hörte in der Regel ruhig zu — eigentlich war das auch die Hauptaufgabe des ganzen Ausschusses — und stimmte nur immer lebhaft bei, wenn gegen den Bundestag oder gegen Preußen irgend

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/16>, abgerufen am 24.11.2024.