Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Grobheit decretirt wurde. Die alte Verbitterung trat nun frei hervor; sie
macht die Geschmeidigkeit gegen die Arroganz der süddeutschen Radikalen erklärlich,
ohne sie zu entschuldigen. Es war ein Unglück für Preußen, daß von den Män¬
nern, die von dem Staatsorganismus doch einen Begriff hatten, keiner in Frank¬
furt anwesend sein konnte, alle andern Staaten waren besser vertreten. Nach dem,
was früher von Jacoby berichtet ist, konnte man freilich eine Pietät gegen seinen
Staat nicht erwarten -- eine Pietät, die sich mit ernster Kritik sehr wohl ver¬
trägt, die aber Kenntniß der heimischen Institutionen und Betheiligung daran
voraussetzt. Zudem erging sich nun das demokratische Gelüst des Plebejers, den
adeligen Herren, von denen man bis dahin geknechtet war, einen Fußtritt zu ge¬
ben, mit vollster Freiheit. Jacoby war es, der die Redensart, der Bundestag
dürfe nur ein Briefträger des Fünfziger-Ausschusses sein, zu Tode hetzte.

Von den beiden Geschäften des Ausschusses -- unnütze Commissionen zur
Untersuchung localer Verhältnisse, die ihn nichts angingen, und Comites
zur Berathung überflüssiger Gegenstände -- nahm er nur an den letztern Antheil.
Er war im Sicherheitsausschuß, in dem Ausschuß für Beschleunigung der Wahl,
und in den meisten übrigen. In den Mußestunden wiegte er sich, wie seine übri¬
gen Kollegen, in dem süßen Gefühl, Geschichte zu machen. Daß er lebhaft für
die Freiheit Polens arbeitete, ist bei seinem abstracten Liberalisinus, der den con-
creten Verhältnissen Rechnung zu tragen verschmäht, weil er sie nicht kennt, leicht
begreiflich.

Nachdem er vergebens gehofft hatte, in die Nationalversammlung, die ihn
eigentlich allein interessirte, einzutreten, traf ihn eine märkische Wahl für Berlin.
Vor Eröffnung derselben gab er eine kleine Schrift heraus, über das Verhältniß
der preußischen zu der deutschen Constituante. Er adoptirte die Ansichten seines
Freundes Blum, daß Preußen die Einberufung der Einzelstände nur darum be¬
trieben habe, um gegen die Nationalversammlung ein Gegengewicht zu bilden,
und erklärte es für Pflicht der preußischen Constituante, das Recht, die Verfassung
für Deutschland herzustellen, der Frankfurter Versammlung unbedingt zuzuerkennen,
und dann nach Lösung der laufenden Fragen auseinander zu gehen. Er glaubte
damals, wie es bei der Gegenpartei eben so der Fall war, das Frankfurter Par¬
lament würde radikaler sein, als das Berliner. In der Natur war eine solche
Voraussetzung begründet, doch hatten die Wahlen das Eigenthümliche, daß man
die theoretisch beglaubigten Notabilitäten, die Herren, nach dem fernern Frankfurt
schickte, nach Berlin dagegen, wo man die unmittelbaren Interessen betheiligt wußte,
seines Gleichen, den Bruder Bauer und Handwerker, oder wer der augenblicklichen
Stimmung das Wort redete. So ist es gekommen, daß die Paulskirche, die unorganisch
und künstlich zusammengebracht ist, einen geordneten, verständigen Gang nahm,
während die Berliner eben so wie die Wiener sich in ein Labyrinth sinnloser Irr-
gänge verlies. Es ist natürlich, daß sich demzufolge die Partei der Ordnung und

eine Grobheit decretirt wurde. Die alte Verbitterung trat nun frei hervor; sie
macht die Geschmeidigkeit gegen die Arroganz der süddeutschen Radikalen erklärlich,
ohne sie zu entschuldigen. Es war ein Unglück für Preußen, daß von den Män¬
nern, die von dem Staatsorganismus doch einen Begriff hatten, keiner in Frank¬
furt anwesend sein konnte, alle andern Staaten waren besser vertreten. Nach dem,
was früher von Jacoby berichtet ist, konnte man freilich eine Pietät gegen seinen
Staat nicht erwarten — eine Pietät, die sich mit ernster Kritik sehr wohl ver¬
trägt, die aber Kenntniß der heimischen Institutionen und Betheiligung daran
voraussetzt. Zudem erging sich nun das demokratische Gelüst des Plebejers, den
adeligen Herren, von denen man bis dahin geknechtet war, einen Fußtritt zu ge¬
ben, mit vollster Freiheit. Jacoby war es, der die Redensart, der Bundestag
dürfe nur ein Briefträger des Fünfziger-Ausschusses sein, zu Tode hetzte.

Von den beiden Geschäften des Ausschusses — unnütze Commissionen zur
Untersuchung localer Verhältnisse, die ihn nichts angingen, und Comités
zur Berathung überflüssiger Gegenstände — nahm er nur an den letztern Antheil.
Er war im Sicherheitsausschuß, in dem Ausschuß für Beschleunigung der Wahl,
und in den meisten übrigen. In den Mußestunden wiegte er sich, wie seine übri¬
gen Kollegen, in dem süßen Gefühl, Geschichte zu machen. Daß er lebhaft für
die Freiheit Polens arbeitete, ist bei seinem abstracten Liberalisinus, der den con-
creten Verhältnissen Rechnung zu tragen verschmäht, weil er sie nicht kennt, leicht
begreiflich.

Nachdem er vergebens gehofft hatte, in die Nationalversammlung, die ihn
eigentlich allein interessirte, einzutreten, traf ihn eine märkische Wahl für Berlin.
Vor Eröffnung derselben gab er eine kleine Schrift heraus, über das Verhältniß
der preußischen zu der deutschen Constituante. Er adoptirte die Ansichten seines
Freundes Blum, daß Preußen die Einberufung der Einzelstände nur darum be¬
trieben habe, um gegen die Nationalversammlung ein Gegengewicht zu bilden,
und erklärte es für Pflicht der preußischen Constituante, das Recht, die Verfassung
für Deutschland herzustellen, der Frankfurter Versammlung unbedingt zuzuerkennen,
und dann nach Lösung der laufenden Fragen auseinander zu gehen. Er glaubte
damals, wie es bei der Gegenpartei eben so der Fall war, das Frankfurter Par¬
lament würde radikaler sein, als das Berliner. In der Natur war eine solche
Voraussetzung begründet, doch hatten die Wahlen das Eigenthümliche, daß man
die theoretisch beglaubigten Notabilitäten, die Herren, nach dem fernern Frankfurt
schickte, nach Berlin dagegen, wo man die unmittelbaren Interessen betheiligt wußte,
seines Gleichen, den Bruder Bauer und Handwerker, oder wer der augenblicklichen
Stimmung das Wort redete. So ist es gekommen, daß die Paulskirche, die unorganisch
und künstlich zusammengebracht ist, einen geordneten, verständigen Gang nahm,
während die Berliner eben so wie die Wiener sich in ein Labyrinth sinnloser Irr-
gänge verlies. Es ist natürlich, daß sich demzufolge die Partei der Ordnung und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0017" n="450"/>
eine Grobheit decretirt wurde. Die alte Verbitterung trat nun frei hervor; sie<lb/>
macht die Geschmeidigkeit gegen die Arroganz der süddeutschen Radikalen erklärlich,<lb/>
ohne sie zu entschuldigen. Es war ein Unglück für Preußen, daß von den Män¬<lb/>
nern, die von dem Staatsorganismus doch einen Begriff hatten, keiner in Frank¬<lb/>
furt anwesend sein konnte, alle andern <choice><sic>Staate</sic><corr>Staaten</corr></choice> waren besser vertreten. Nach dem,<lb/>
was früher von Jacoby berichtet ist, konnte man freilich eine Pietät gegen seinen<lb/>
Staat nicht erwarten &#x2014; eine Pietät, die sich mit ernster Kritik sehr wohl ver¬<lb/>
trägt, die aber <hi rendition="#g">Kenntniß</hi> der heimischen Institutionen und Betheiligung daran<lb/>
voraussetzt. Zudem erging sich nun das demokratische Gelüst des Plebejers, den<lb/>
adeligen Herren, von denen man bis dahin geknechtet war, einen Fußtritt zu ge¬<lb/>
ben, mit vollster Freiheit. Jacoby war es, der die Redensart, der Bundestag<lb/>
dürfe nur ein Briefträger des Fünfziger-Ausschusses sein, zu Tode hetzte.</p><lb/>
          <p>Von den beiden Geschäften des Ausschusses &#x2014; unnütze Commissionen zur<lb/>
Untersuchung localer Verhältnisse, die <choice><sic>ihm</sic><corr>ihn</corr></choice> nichts angingen, und Comit<hi rendition="#aq">é</hi>s<lb/>
zur Berathung überflüssiger Gegenstände &#x2014; nahm er nur an den letztern Antheil.<lb/>
Er war im Sicherheitsausschuß, in dem Ausschuß für Beschleunigung der Wahl,<lb/>
und in den meisten übrigen. In den Mußestunden wiegte er sich, wie seine übri¬<lb/>
gen Kollegen, in dem süßen Gefühl, Geschichte zu machen. Daß er lebhaft für<lb/>
die Freiheit Polens arbeitete, ist bei seinem abstracten Liberalisinus, der den con-<lb/>
creten Verhältnissen Rechnung zu tragen verschmäht, weil er sie nicht kennt, leicht<lb/>
begreiflich.</p><lb/>
          <p>Nachdem er vergebens gehofft hatte, in die Nationalversammlung, die ihn<lb/>
eigentlich allein interessirte, einzutreten, traf ihn eine märkische Wahl für Berlin.<lb/>
Vor Eröffnung derselben gab er eine kleine Schrift heraus, über das Verhältniß<lb/>
der preußischen zu der deutschen Constituante. Er adoptirte die Ansichten seines<lb/>
Freundes Blum, daß Preußen die Einberufung der Einzelstände nur darum be¬<lb/>
trieben habe, um gegen die Nationalversammlung ein Gegengewicht zu bilden,<lb/>
und erklärte es für Pflicht der preußischen Constituante, das Recht, die Verfassung<lb/>
für Deutschland herzustellen, der Frankfurter Versammlung unbedingt zuzuerkennen,<lb/>
und dann nach Lösung der laufenden Fragen auseinander zu gehen. Er glaubte<lb/>
damals, wie es bei der Gegenpartei eben so der Fall war, das Frankfurter Par¬<lb/>
lament würde radikaler sein, als das Berliner. In der Natur war eine solche<lb/>
Voraussetzung begründet, doch hatten die Wahlen das Eigenthümliche, daß man<lb/>
die theoretisch beglaubigten Notabilitäten, die Herren, nach dem fernern Frankfurt<lb/>
schickte, nach Berlin dagegen, wo man die unmittelbaren Interessen betheiligt wußte,<lb/>
seines Gleichen, den Bruder Bauer und Handwerker, oder wer der augenblicklichen<lb/>
Stimmung das Wort redete. So ist es gekommen, daß die Paulskirche, die unorganisch<lb/>
und künstlich zusammengebracht ist, einen geordneten, verständigen Gang nahm,<lb/>
während die Berliner eben so wie die Wiener sich in ein Labyrinth sinnloser Irr-<lb/>
gänge verlies. Es ist natürlich, daß sich demzufolge die Partei der Ordnung und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[450/0017] eine Grobheit decretirt wurde. Die alte Verbitterung trat nun frei hervor; sie macht die Geschmeidigkeit gegen die Arroganz der süddeutschen Radikalen erklärlich, ohne sie zu entschuldigen. Es war ein Unglück für Preußen, daß von den Män¬ nern, die von dem Staatsorganismus doch einen Begriff hatten, keiner in Frank¬ furt anwesend sein konnte, alle andern Staaten waren besser vertreten. Nach dem, was früher von Jacoby berichtet ist, konnte man freilich eine Pietät gegen seinen Staat nicht erwarten — eine Pietät, die sich mit ernster Kritik sehr wohl ver¬ trägt, die aber Kenntniß der heimischen Institutionen und Betheiligung daran voraussetzt. Zudem erging sich nun das demokratische Gelüst des Plebejers, den adeligen Herren, von denen man bis dahin geknechtet war, einen Fußtritt zu ge¬ ben, mit vollster Freiheit. Jacoby war es, der die Redensart, der Bundestag dürfe nur ein Briefträger des Fünfziger-Ausschusses sein, zu Tode hetzte. Von den beiden Geschäften des Ausschusses — unnütze Commissionen zur Untersuchung localer Verhältnisse, die ihn nichts angingen, und Comités zur Berathung überflüssiger Gegenstände — nahm er nur an den letztern Antheil. Er war im Sicherheitsausschuß, in dem Ausschuß für Beschleunigung der Wahl, und in den meisten übrigen. In den Mußestunden wiegte er sich, wie seine übri¬ gen Kollegen, in dem süßen Gefühl, Geschichte zu machen. Daß er lebhaft für die Freiheit Polens arbeitete, ist bei seinem abstracten Liberalisinus, der den con- creten Verhältnissen Rechnung zu tragen verschmäht, weil er sie nicht kennt, leicht begreiflich. Nachdem er vergebens gehofft hatte, in die Nationalversammlung, die ihn eigentlich allein interessirte, einzutreten, traf ihn eine märkische Wahl für Berlin. Vor Eröffnung derselben gab er eine kleine Schrift heraus, über das Verhältniß der preußischen zu der deutschen Constituante. Er adoptirte die Ansichten seines Freundes Blum, daß Preußen die Einberufung der Einzelstände nur darum be¬ trieben habe, um gegen die Nationalversammlung ein Gegengewicht zu bilden, und erklärte es für Pflicht der preußischen Constituante, das Recht, die Verfassung für Deutschland herzustellen, der Frankfurter Versammlung unbedingt zuzuerkennen, und dann nach Lösung der laufenden Fragen auseinander zu gehen. Er glaubte damals, wie es bei der Gegenpartei eben so der Fall war, das Frankfurter Par¬ lament würde radikaler sein, als das Berliner. In der Natur war eine solche Voraussetzung begründet, doch hatten die Wahlen das Eigenthümliche, daß man die theoretisch beglaubigten Notabilitäten, die Herren, nach dem fernern Frankfurt schickte, nach Berlin dagegen, wo man die unmittelbaren Interessen betheiligt wußte, seines Gleichen, den Bruder Bauer und Handwerker, oder wer der augenblicklichen Stimmung das Wort redete. So ist es gekommen, daß die Paulskirche, die unorganisch und künstlich zusammengebracht ist, einen geordneten, verständigen Gang nahm, während die Berliner eben so wie die Wiener sich in ein Labyrinth sinnloser Irr- gänge verlies. Es ist natürlich, daß sich demzufolge die Partei der Ordnung und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bremen : Staats- und Universitätsbibliothek: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-05-27T14:31:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Elena Kirillova, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-05-27T14:31:47Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Unkorrigierter OCR-Volltext.
  • I bzw. J wurden nach Lautwert transkribiert.
  • Langes s (ſ) wurde als s transkribiert.
  • Rundes r (ꝛ) wurde als r/et transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/17
Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/17>, abgerufen am 21.11.2024.