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Tübinger Chronik. Nr. 102. [Tübingen (Württemberg)], 25. August 1845.

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woch u. Freitag u. kostet hier
und durch Boten bezogen mo-
natlich 9 kr. Durch die Post
bezogen halbjährlich 1 fl. Ein-
rückungsgebühr f. 1 Linie aus
gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für
Tübingen u. Umgegend abon-
nirt man bei d. Redaction in d.
langen Gasse nächst d. Stifts-
kirche, wo auch Ankündigun-
gen und Aufsätze aller Art
abgegeben werden können.

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Tübinger [Abbildung] Chronik.
[Spaltenumbruch]

Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. - - am
Neckarsthor u. bei Hrn -

- in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 102. Montag den 25. August. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Die Gattin.
Ein Familiengemälde.
Schluß.

So freue Dich doch auch, lieber Mann, bat
sie, wir können nun ja alle Deine - unsere Schul-
den bezahlen; wir werden aus all unserer Noth er-
lös 't werden!

Wie lange wird das dauern mit dem Bettel,
entgegnete Eduard, mit meinem kärklichen Gehalt
und der Heerde Kinder, die der liebe Gott mir zu
ernähren gibt!

Ach, wenn Du nur genügsam seyn wolltest!
Es leben ja so viele Deines Gleichen von demselben
Gehalt! Jch werde glücklich seyn, wenn ich künftig
alle Bedürfnisse des Hauswesens baar bezahlen
kann. Nun wird mir der Bäcker nicht mehr das
Brod versagen, der Kaufmann nicht mehr die
Stoffe zu Kleidern für mich und die Kinder. Ach,
unser bisheriger Zustand war elend und entwür-
digend!

Du bist eine kleinliche Seele, ich nenne alles
Elend, was nicht Ueberfluß ist; etwas mehr oder
weniger ist mir gleichgiltig.

Aber die Pflichten, die man übernommen hat,
die Unehre, die dem schlechten Haushalte folgt!
sagte Emilie.

Sprich mir nicht von Unehre! Niemand kann
mehr Ehrgefühl haben als ich. Jch fühle meine
Ehre schon gekränkt, wenn ich zu Fuße gehen muß,
während meine Standesgenossen fahren.

O Eduard, jammerte die junge Frau, Dein
falsches Ehrgefühl vernichtet uns! Fast kann ich
mich nicht mehr über die Erbschaft freuen. Wel-
chen Gebrauch wirst Du von dem Gelde machen?

Wenn es mir gerade hierher käme. so wäre
das ein Zeichen, daß ich nocheinmal den Kampf
mit dem Glücke wagen sollte. Liebste Emilie, wie
gern möchte ich einen goldenen Regen in Deinen
Schoos schütten.

Gott weiß, daß ich nie Ueberfluß verlangte.
sagte Emilie mit hervorbrechenden Thränen; nur
das Nothwendige, um anständig und redlich leben
zu können, erfreut mich. O, laß ab von diesen
bösen Gedanken! das Geld, welches wir erhalten
werden, ist ja nicht mehr Dein, Du bist es ja An-
dern schuldig, es ist so gut wie fremdes Eigen-
[Spaltenumbruch] thum! Laß Dich doch nicht zum Hazardspiel ver-
leiten, es ist ja auch im Preußischen verboten -
wenn man es nun erführe, daß Du hier gespielt!
Du hast auch kein Glück im Spiele. Selbst Whist,
das Du Abends im Casino spielst, hat Dir so man-
chen Thaler aus der Tasche gelockt.

Du hast gut reden, liebe Frau, Du hast im-
mer Deine Geschäfte und vergissest das Ungemach
des Lebens über der Arbeit - mich aber quälen
immerwährend Sorgen, Entbehrungen und Dienst-
Aerger aller Art; nur am Whisttische vergesse ich
alle die Noth. Jch denke dann nur daran, wie ich
spielen muß, um den Trick zu bekommen, und wie
viele Honeurs das nächste Spiel mir bringen wird.
Hätten wir Krieg, so würde ich nicht an den Spiel-
Tisch denken; aber der Soldat findet da eine Art
Schlachtfeld, wo er seinen Muth und seinen Com-
binationsgeist zeigen kann.

Lieber, theurer Mann, wir wollen eine andere
Lebensweise beginnen; Deine Sorgen werden sich ja
vermindern, wenn ich Dir mein Legat überlasse zur
Bezahlung Deiner Schulden - unsrer wollte ich
sagen!

Jch dächte, das Legat würde mir ohnedies aus-
bezahlt, fuhr Eduard auf, ich bin Dir keine Re-
chenschaft schuldig, der Mann ist des Weibes
Haupt.

O Eduard, bedenke doch, daß ich als Mutter
unsrer vielen Kinder das Recht habe, darauf zu
bestehen, daß Du das Geld gut anwendest; o Edu-
ard, ich werde bald zum siebenten Male Mutter!
höre auf mich!

Ha, das ist ein nichtswürdiges Schicksal! rief
Eduard, mit dem Fuße stampfend.

Wir können noch Freude an unseren Kindern
erleben, schluchzte Emilie, wenn wir sie zur Fröm-
migkeit, zur Genügsamkeit und zur Tugend erziehen.
Laß uns Pyrmont verlassen, der Arzt hat mir doch
vom Baden abgerathen; laß uns fort von hier, wo
Dir das Spiel mit seinen Versuchungen droht. Jch
will es Dir nur gestehen, heute trieb mich die
Angst in den Spielsaal - aber, Gott Lob, Du
warest nicht da! O komm, laß uns abreisen!

Das unterstandest Du Dich, Du spionirst meine
Wege aus? schrie Eduard, nun hast Du Alles ver-
dorben! Jch wäre vielleicht abgereis't, ohne zu spie-
len, ich hätte mich durch Dich an ein elendes
Philisterleben fesseln lassen; aber nun bist Du selbst
Schuld, wenn ich spiele, Du hast Dich gegen mich
vergangen - ich bin Dir keine Rücksicht mehr
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Tübinger [Abbildung] Chronik.
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Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. – – am
Neckarsthor u. bei Hrn –

– in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 102. Montag den 25. August. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Die Gattin.
Ein Familiengemälde.
Schluß.

So freue Dich doch auch, lieber Mann, bat
sie, wir können nun ja alle Deine – unsere Schul-
den bezahlen; wir werden aus all unserer Noth er-
lös 't werden!

Wie lange wird das dauern mit dem Bettel,
entgegnete Eduard, mit meinem kärklichen Gehalt
und der Heerde Kinder, die der liebe Gott mir zu
ernähren gibt!

Ach, wenn Du nur genügsam seyn wolltest!
Es leben ja so viele Deines Gleichen von demselben
Gehalt! Jch werde glücklich seyn, wenn ich künftig
alle Bedürfnisse des Hauswesens baar bezahlen
kann. Nun wird mir der Bäcker nicht mehr das
Brod versagen, der Kaufmann nicht mehr die
Stoffe zu Kleidern für mich und die Kinder. Ach,
unser bisheriger Zustand war elend und entwür-
digend!

Du bist eine kleinliche Seele, ich nenne alles
Elend, was nicht Ueberfluß ist; etwas mehr oder
weniger ist mir gleichgiltig.

Aber die Pflichten, die man übernommen hat,
die Unehre, die dem schlechten Haushalte folgt!
sagte Emilie.

Sprich mir nicht von Unehre! Niemand kann
mehr Ehrgefühl haben als ich. Jch fühle meine
Ehre schon gekränkt, wenn ich zu Fuße gehen muß,
während meine Standesgenossen fahren.

O Eduard, jammerte die junge Frau, Dein
falsches Ehrgefühl vernichtet uns! Fast kann ich
mich nicht mehr über die Erbschaft freuen. Wel-
chen Gebrauch wirst Du von dem Gelde machen?

Wenn es mir gerade hierher käme. so wäre
das ein Zeichen, daß ich nocheinmal den Kampf
mit dem Glücke wagen sollte. Liebste Emilie, wie
gern möchte ich einen goldenen Regen in Deinen
Schoos schütten.

Gott weiß, daß ich nie Ueberfluß verlangte.
sagte Emilie mit hervorbrechenden Thränen; nur
das Nothwendige, um anständig und redlich leben
zu können, erfreut mich. O, laß ab von diesen
bösen Gedanken! das Geld, welches wir erhalten
werden, ist ja nicht mehr Dein, Du bist es ja An-
dern schuldig, es ist so gut wie fremdes Eigen-
[Spaltenumbruch] thum! Laß Dich doch nicht zum Hazardspiel ver-
leiten, es ist ja auch im Preußischen verboten –
wenn man es nun erführe, daß Du hier gespielt!
Du hast auch kein Glück im Spiele. Selbst Whist,
das Du Abends im Casino spielst, hat Dir so man-
chen Thaler aus der Tasche gelockt.

Du hast gut reden, liebe Frau, Du hast im-
mer Deine Geschäfte und vergissest das Ungemach
des Lebens über der Arbeit – mich aber quälen
immerwährend Sorgen, Entbehrungen und Dienst-
Aerger aller Art; nur am Whisttische vergesse ich
alle die Noth. Jch denke dann nur daran, wie ich
spielen muß, um den Trick zu bekommen, und wie
viele Honeurs das nächste Spiel mir bringen wird.
Hätten wir Krieg, so würde ich nicht an den Spiel-
Tisch denken; aber der Soldat findet da eine Art
Schlachtfeld, wo er seinen Muth und seinen Com-
binationsgeist zeigen kann.

Lieber, theurer Mann, wir wollen eine andere
Lebensweise beginnen; Deine Sorgen werden sich ja
vermindern, wenn ich Dir mein Legat überlasse zur
Bezahlung Deiner Schulden – unsrer wollte ich
sagen!

Jch dächte, das Legat würde mir ohnedies aus-
bezahlt, fuhr Eduard auf, ich bin Dir keine Re-
chenschaft schuldig, der Mann ist des Weibes
Haupt.

O Eduard, bedenke doch, daß ich als Mutter
unsrer vielen Kinder das Recht habe, darauf zu
bestehen, daß Du das Geld gut anwendest; o Edu-
ard, ich werde bald zum siebenten Male Mutter!
höre auf mich!

Ha, das ist ein nichtswürdiges Schicksal! rief
Eduard, mit dem Fuße stampfend.

Wir können noch Freude an unseren Kindern
erleben, schluchzte Emilie, wenn wir sie zur Fröm-
migkeit, zur Genügsamkeit und zur Tugend erziehen.
Laß uns Pyrmont verlassen, der Arzt hat mir doch
vom Baden abgerathen; laß uns fort von hier, wo
Dir das Spiel mit seinen Versuchungen droht. Jch
will es Dir nur gestehen, heute trieb mich die
Angst in den Spielsaal – aber, Gott Lob, Du
warest nicht da! O komm, laß uns abreisen!

Das unterstandest Du Dich, Du spionirst meine
Wege aus? schrie Eduard, nun hast Du Alles ver-
dorben! Jch wäre vielleicht abgereis't, ohne zu spie-
len, ich hätte mich durch Dich an ein elendes
Philisterleben fesseln lassen; aber nun bist Du selbst
Schuld, wenn ich spiele, Du hast Dich gegen mich
vergangen – ich bin Dir keine Rücksicht mehr
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Tübinger Chronik. Nr. 102. [Tübingen (Württemberg)], 25. August 1845, S. [409]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik102_1845/1>, abgerufen am 21.11.2024.