Tübinger Chronik. Nr. 102. [Tübingen (Württemberg)], 25. August 1845.[Beginn Spaltensatz]
schuldig; Du setzest alle Pflichten gegen Deinen Der Abend hüllte bereits die Fluren in einen Habe ich es Dir nicht oft genug gesagt, daß Aber um Gottes Willen, Eduard, wo hast Du Er trat dicht an sie heran und sprach mit dump- So sei Gott mir und den Kindern gnädig! Vier Wochen später erhielt Josephine folgenden Du bist zur guten oder bösen Stunde von Pyr- Amtliche Bekanntmachungen. Post-
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Sache. Vom 1. künftigen Monats wird der Tübinger [Beginn Spaltensatz]
schuldig; Du setzest alle Pflichten gegen Deinen Der Abend hüllte bereits die Fluren in einen Habe ich es Dir nicht oft genug gesagt, daß Aber um Gottes Willen, Eduard, wo hast Du Er trat dicht an sie heran und sprach mit dump- So sei Gott mir und den Kindern gnädig! Vier Wochen später erhielt Josephine folgenden Du bist zur guten oder bösen Stunde von Pyr- Amtliche Bekanntmachungen. Post-
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Sache. Vom 1. künftigen Monats wird der Tübinger <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0002" n="410"/><cb type="start"/> schuldig; Du setzest alle Pflichten gegen Deinen<lb/> Herrn und Meister, Deinen Mann aus den Augen,<lb/> indem Du mir vorschreiben, mich bevormunden<lb/> willst, und nun gar mir nachspionirst. Laß mich<lb/> los, was sollen die Theatermanieren! Er stieß die<lb/> vor ihm niedergesunkene junge Frau unsanft von<lb/> sich und eilte von dannen; sie sank ohnmächtig zu<lb/> Boden.</p><lb/> <p>Der Abend hüllte bereits die Fluren in einen<lb/> leichten Nebel und die Sterne gingen schon am<lb/> Himmel auf, als die Unglückliche aus ihrer Be-<lb/> täubung erwachte. Mit halbem Bewußtseyn wankte<lb/> sie ihrer Wohnung zu; heftige Rückenschmerzen<lb/> hinderten sie am Gehen. Es war schon ganz finster<lb/> in ihrem Zimmer; gewohnt, alle Dienstleistungen<lb/> selbst zu verrichten, zündete sie ein Licht an und<lb/> warf sich todmüde aufs Sopha. Nach einer Weile<lb/> stürzte Eduard mit glühendem Gesichte herein. Emi-<lb/> lie zündete schnell noch ein Licht an, weil er immer<lb/> über ihre Kargheit schalt, wenn sie nur Ein Licht<lb/> brannte; aber diesmal achtete er nicht darauf, er<lb/> war von andern Dingen erfüllt.</p><lb/> <p>Habe ich es Dir nicht oft genug gesagt, daß<lb/> Du an all meinem Unglücke Schuld bist! rief er,<lb/> Du bist ganz allein Schuld! Der dümmste Streich,<lb/> den ich in meinem Leben gemacht habe, war, Dich<lb/> zu heirathen! Dein ungehorsames unweibliches Be-<lb/> nehmen vorhin hat meinen Widerspruchsgeist gereizt.<lb/> Es wäre gegen meine Mannes=Ehre gewesen, nun<lb/> von der Bank wegzubleiben – die Coeurdame, ich<lb/> dachte dabei an Dich, Emilie, obgleich Du es nicht<lb/> um mich verdient hattest, sie gewann Paroli und<lb/> Septleva; ich setzte hundert Louisd'or darauf und<lb/> bog die Karte; sie gewann achtundzwanzig Leva,<lb/> ein unerhörtes Glück! Jch wollte mich zurückziehen<lb/> und Dir wie ich so oft gewünscht, einen Haufen<lb/> Goldes in den Schoos schütten – da rief der Graf<lb/> Kalkstein: Erst Revanche, mein Herr Hauptmann!<lb/> Du weißt, wie ich auf militärische Ehre halte –<lb/> ich blieb; ach, mein Schicksal ist gräßlich! Jch war<lb/> tollkühn durch mein Glück geworden, doch setzte ich<lb/> Anfangs mäßig und gewann jeden Satz. Jch hatte<lb/> wohl ein paar Gläser Grog getrunken; nichts als<lb/> Goldhaufen sah ich um mich her – Dich in präch-<lb/> tigen Kleidern, die Kinder alle wie Engel geputzt –<lb/> Equipage, Reitpferde, ein schönes Haus, Silber-<lb/> zeug, Bediente – der Banquier rief: <hi rendition="#aq">Jeu fait –<lb/> Attention</hi> schrie ich dazwischen. <hi rendition="#aq">Rien ne va plus</hi><lb/> kam über seine Lippen, aber ich schob ihm die<lb/> schrecklich verdeckte Karte ohne Einbug, ohne Satz<lb/> hin und schrie: <hi rendition="#aq">vabanque</hi>! Der Hund wurde blaß,<lb/> leichenblaß, aber er fing sogleich wieder an: <hi rendition="#aq">huit<lb/> et dix</hi>, aber nicht wie vorher <hi rendition="#aq">valet perd, dame<lb/> gagne</hi>, sondern <hi rendition="#aq">dame et valet</hi>. Jch habe Alles<lb/> verloren! Mag mich und Dich nun...!</p><lb/> <p>Aber um Gottes Willen, Eduard, wo hast Du<lb/> denn das Geld herbekommen?</p><lb/> <p>Er trat dicht an sie heran und sprach mit dump-<lb/> fer Stimme: Der Spitzbube der Jude hat mir das<lb/> ganze Legat auf Deine Unterschrift ausgezahlt. Es<lb/> ist Alles fort, ich habe nicht einmal mehr so viel,<lb/> um nach Hause zu kommen.</p><lb/> <p>So sei Gott mir und den Kindern gnädig!<lb/> rief Emilie und stürzte in den Alkoven, dessen Thür<lb/> sie zuzog und dann in heftigen Krämpfen auf ihr<lb/><cb n="2"/> Bett fiel. Eduard warf sich auf das Sopha und<lb/> schlief ein; die Lichter brannten tief herunter.</p><lb/> <p>Vier Wochen später erhielt Josephine folgenden<lb/> Brief von Tante Traut:</p><lb/> <p>Du bist zur guten oder bösen Stunde von Pyr-<lb/> mont weiter gereist, liebe Josephine; aber an Oei-<lb/> nes Bruders hartem Schicksale hättest Du doch<lb/> wohl nichts ändern können. Acht Tage nach Deiner<lb/> Abreise von P. erhielt ich einen Brief von Emiliens<lb/> Wirhin, worin sie mir meldete, die junge Frau<lb/> liege im heftigsten Fieber und phantasire immerfort<lb/> von mir und ihren Kindern; ihr Mann sei ganz<lb/> außer sich und nicht im Stand ihr zu helfen. Jch<lb/> machte mich sogleich auf nach Pyrmont und nahm<lb/> Emiliens ältestes Kind mit, um der Armen Trost<lb/> zu bringen. Als ich ankam, war in Folge einer un-<lb/> glücklichen zu frühen Niederkunft das Fieber vorüber<lb/> gegangen, – aber die Besinnung war der armen<lb/> Frau nicht wiedergekehrt – sie ist wahnsinnig! und<lb/> die Aerzte geben wenig Hoffnung auf Besserung.<lb/> Jch habe die Unglückliche unter ärztlicher Aufsicht<lb/> in P. zurücklassen müssen, die Kinder bleiben nun<lb/> vorläufig ganz bei mir, ich weiß, Du wirst das<lb/> Deinige redlich für sie thun. – O Josephine, sollen<lb/> wir Emilie beklagen? Hat nicht ein wohlthätiger<lb/> Genius sie ihren rettungslosen Verhältnissen ent-<lb/> rückt? Sie ist jetzt ganz heiter und zufrieden, sie<lb/> spricht davon, daß sie so viel Geld habe, daß sie<lb/> sich und die Kinder putzen wolle, daß sie neue<lb/> Sachen ins Hauswesen anschaffen und die Schul-<lb/> den bezahlen könne. Oft ziehen auch fromme Ge-<lb/> danken durch diese weltlichen. Sie meint dann, sie<lb/> wäre im Himmel als weißgekleideter Engel, und<lb/> ihre Kinder kämen mit gefaltenen Händchen zu ihr;<lb/> dann glaubt sie Engelsgesänge zu hören und greift<lb/> dazu einzelne Accorde auf dem Klavier. Mit Hand-<lb/> Arbeit beschäftigt sie sich auch zuweilen still und<lb/> fleißig. Jhr Gesicht ist das eines fröhlichen Kin-<lb/> des, nur im Auge liegt etwas Wirres und zugleich<lb/> Aetherisches. Jhres Gatten erwähnt sie nie; ob sie<lb/> ihn wiedersehen wird? hier oder dort? – Eduard<lb/> ist wieder in seine Garnison zurückgekehrt; er mußte<lb/> dazu meine Geldhülfe in Anspruch nehmen. Man<lb/> sagt, er würde verabschiedet werden, da der Vorfall<lb/> nicht unbekannt bleiben konnte und der König den<lb/> Offizieren und Beamten das Spielen untersagt hat.<lb/> Was soll nun aus Eduard werden? Jhr Weltkinder<lb/> spottet der Bibel und ihrer Wahrheit; der unsaubern<lb/> Geister, die im Menschen wohnen – sie haben in<lb/> Eduard getobt, bis sein Haus eine öde Stätte ge-<lb/> worden ist – und es sollte keine Vergeltung geben?!</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jAnnouncements" n="1"> <head> <hi rendition="#fr">Amtliche Bekanntmachungen.</hi> </head><lb/> <div type="jAn" n="2"> <head> <hi rendition="#fr">Post- <figure/> Sache.</hi> </head><lb/> <p>Vom 1. künftigen Monats wird der Tübinger<lb/> Lacal=Wagen eine Stunde früher, als bisher, also<lb/> Nachmittags um 4 Uhr aus Stuttgart abgefer-<lb/> tigt werden.</p><lb/> <cb type="end"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [410/0002]
schuldig; Du setzest alle Pflichten gegen Deinen
Herrn und Meister, Deinen Mann aus den Augen,
indem Du mir vorschreiben, mich bevormunden
willst, und nun gar mir nachspionirst. Laß mich
los, was sollen die Theatermanieren! Er stieß die
vor ihm niedergesunkene junge Frau unsanft von
sich und eilte von dannen; sie sank ohnmächtig zu
Boden.
Der Abend hüllte bereits die Fluren in einen
leichten Nebel und die Sterne gingen schon am
Himmel auf, als die Unglückliche aus ihrer Be-
täubung erwachte. Mit halbem Bewußtseyn wankte
sie ihrer Wohnung zu; heftige Rückenschmerzen
hinderten sie am Gehen. Es war schon ganz finster
in ihrem Zimmer; gewohnt, alle Dienstleistungen
selbst zu verrichten, zündete sie ein Licht an und
warf sich todmüde aufs Sopha. Nach einer Weile
stürzte Eduard mit glühendem Gesichte herein. Emi-
lie zündete schnell noch ein Licht an, weil er immer
über ihre Kargheit schalt, wenn sie nur Ein Licht
brannte; aber diesmal achtete er nicht darauf, er
war von andern Dingen erfüllt.
Habe ich es Dir nicht oft genug gesagt, daß
Du an all meinem Unglücke Schuld bist! rief er,
Du bist ganz allein Schuld! Der dümmste Streich,
den ich in meinem Leben gemacht habe, war, Dich
zu heirathen! Dein ungehorsames unweibliches Be-
nehmen vorhin hat meinen Widerspruchsgeist gereizt.
Es wäre gegen meine Mannes=Ehre gewesen, nun
von der Bank wegzubleiben – die Coeurdame, ich
dachte dabei an Dich, Emilie, obgleich Du es nicht
um mich verdient hattest, sie gewann Paroli und
Septleva; ich setzte hundert Louisd'or darauf und
bog die Karte; sie gewann achtundzwanzig Leva,
ein unerhörtes Glück! Jch wollte mich zurückziehen
und Dir wie ich so oft gewünscht, einen Haufen
Goldes in den Schoos schütten – da rief der Graf
Kalkstein: Erst Revanche, mein Herr Hauptmann!
Du weißt, wie ich auf militärische Ehre halte –
ich blieb; ach, mein Schicksal ist gräßlich! Jch war
tollkühn durch mein Glück geworden, doch setzte ich
Anfangs mäßig und gewann jeden Satz. Jch hatte
wohl ein paar Gläser Grog getrunken; nichts als
Goldhaufen sah ich um mich her – Dich in präch-
tigen Kleidern, die Kinder alle wie Engel geputzt –
Equipage, Reitpferde, ein schönes Haus, Silber-
zeug, Bediente – der Banquier rief: Jeu fait –
Attention schrie ich dazwischen. Rien ne va plus
kam über seine Lippen, aber ich schob ihm die
schrecklich verdeckte Karte ohne Einbug, ohne Satz
hin und schrie: vabanque! Der Hund wurde blaß,
leichenblaß, aber er fing sogleich wieder an: huit
et dix, aber nicht wie vorher valet perd, dame
gagne, sondern dame et valet. Jch habe Alles
verloren! Mag mich und Dich nun...!
Aber um Gottes Willen, Eduard, wo hast Du
denn das Geld herbekommen?
Er trat dicht an sie heran und sprach mit dump-
fer Stimme: Der Spitzbube der Jude hat mir das
ganze Legat auf Deine Unterschrift ausgezahlt. Es
ist Alles fort, ich habe nicht einmal mehr so viel,
um nach Hause zu kommen.
So sei Gott mir und den Kindern gnädig!
rief Emilie und stürzte in den Alkoven, dessen Thür
sie zuzog und dann in heftigen Krämpfen auf ihr
Bett fiel. Eduard warf sich auf das Sopha und
schlief ein; die Lichter brannten tief herunter.
Vier Wochen später erhielt Josephine folgenden
Brief von Tante Traut:
Du bist zur guten oder bösen Stunde von Pyr-
mont weiter gereist, liebe Josephine; aber an Oei-
nes Bruders hartem Schicksale hättest Du doch
wohl nichts ändern können. Acht Tage nach Deiner
Abreise von P. erhielt ich einen Brief von Emiliens
Wirhin, worin sie mir meldete, die junge Frau
liege im heftigsten Fieber und phantasire immerfort
von mir und ihren Kindern; ihr Mann sei ganz
außer sich und nicht im Stand ihr zu helfen. Jch
machte mich sogleich auf nach Pyrmont und nahm
Emiliens ältestes Kind mit, um der Armen Trost
zu bringen. Als ich ankam, war in Folge einer un-
glücklichen zu frühen Niederkunft das Fieber vorüber
gegangen, – aber die Besinnung war der armen
Frau nicht wiedergekehrt – sie ist wahnsinnig! und
die Aerzte geben wenig Hoffnung auf Besserung.
Jch habe die Unglückliche unter ärztlicher Aufsicht
in P. zurücklassen müssen, die Kinder bleiben nun
vorläufig ganz bei mir, ich weiß, Du wirst das
Deinige redlich für sie thun. – O Josephine, sollen
wir Emilie beklagen? Hat nicht ein wohlthätiger
Genius sie ihren rettungslosen Verhältnissen ent-
rückt? Sie ist jetzt ganz heiter und zufrieden, sie
spricht davon, daß sie so viel Geld habe, daß sie
sich und die Kinder putzen wolle, daß sie neue
Sachen ins Hauswesen anschaffen und die Schul-
den bezahlen könne. Oft ziehen auch fromme Ge-
danken durch diese weltlichen. Sie meint dann, sie
wäre im Himmel als weißgekleideter Engel, und
ihre Kinder kämen mit gefaltenen Händchen zu ihr;
dann glaubt sie Engelsgesänge zu hören und greift
dazu einzelne Accorde auf dem Klavier. Mit Hand-
Arbeit beschäftigt sie sich auch zuweilen still und
fleißig. Jhr Gesicht ist das eines fröhlichen Kin-
des, nur im Auge liegt etwas Wirres und zugleich
Aetherisches. Jhres Gatten erwähnt sie nie; ob sie
ihn wiedersehen wird? hier oder dort? – Eduard
ist wieder in seine Garnison zurückgekehrt; er mußte
dazu meine Geldhülfe in Anspruch nehmen. Man
sagt, er würde verabschiedet werden, da der Vorfall
nicht unbekannt bleiben konnte und der König den
Offizieren und Beamten das Spielen untersagt hat.
Was soll nun aus Eduard werden? Jhr Weltkinder
spottet der Bibel und ihrer Wahrheit; der unsaubern
Geister, die im Menschen wohnen – sie haben in
Eduard getobt, bis sein Haus eine öde Stätte ge-
worden ist – und es sollte keine Vergeltung geben?!
Amtliche Bekanntmachungen.
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Lacal=Wagen eine Stunde früher, als bisher, also
Nachmittags um 4 Uhr aus Stuttgart abgefer-
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