Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 4. Burg/Berlin, 1836.53 Conversations=Blatt. 54 [Beginn Spaltensatz]
gebaut waren und besser erschienen, als die Mehrzahlder Gebäude von Altkastilien und Leon. Damals war die ganze Umgegend reich an Weinstöcken. Noch wa- ren die Weingärten nicht zerstört, ihrer Stöcke beraubt, verbrannt; noch war die Furie des Kriegs mit ihrem Giftathem nicht verheerend über jenen Landstrich hinge- fahren. Es war an einem Abend des Septembers 1810. Das erwähnte Dorf hieß San Pedro und lag Unter ihnen befand sich ein junges Paar, dessen Er hatte vier Söhne und eine Tochter, das äl- Besser vielleicht, als einer ihrer Brüder, begriff (Fortsetzung folgt.) Kindernester. (Eine Antike.) Der Baum mit zwei Nestern voller Kinder ist 53 Conversations=Blatt. 54 [Beginn Spaltensatz]
gebaut waren und besser erschienen, als die Mehrzahlder Gebäude von Altkastilien und Leon. Damals war die ganze Umgegend reich an Weinstöcken. Noch wa- ren die Weingärten nicht zerstört, ihrer Stöcke beraubt, verbrannt; noch war die Furie des Kriegs mit ihrem Giftathem nicht verheerend über jenen Landstrich hinge- fahren. Es war an einem Abend des Septembers 1810. Das erwähnte Dorf hieß San Pedro und lag Unter ihnen befand sich ein junges Paar, dessen Er hatte vier Söhne und eine Tochter, das äl- Besser vielleicht, als einer ihrer Brüder, begriff (Fortsetzung folgt.) Kindernester. (Eine Antike.) Der Baum mit zwei Nestern voller Kinder ist <TEI> <text> <body> <div xml:id="Span1" type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0003"/><fw type="header" place="top">53 <hi rendition="#c">Conversations=Blatt.</hi> <hi rendition="#right">54</hi></fw><cb type="start" n="53"/> gebaut waren und besser erschienen, als die Mehrzahl<lb/> der Gebäude von Altkastilien und Leon. Damals war<lb/> die ganze Umgegend reich an Weinstöcken. Noch wa-<lb/> ren die Weingärten nicht zerstört, ihrer Stöcke beraubt,<lb/> verbrannt; noch war die Furie des Kriegs mit ihrem<lb/> Giftathem nicht verheerend über jenen Landstrich hinge-<lb/> fahren.</p><lb/> <p>Es war an einem Abend des Septembers 1810.<lb/> Lange Zeit war dieser Theil von Spanien trotz des<lb/> ewigen Hin= und Herziehens der englischen und fran-<lb/> zösischen Heere den todbringenden Blicken jener Maro-<lb/> deurs entgangen, welche von ihren Korps sich entfern-<lb/> nend, furchtbarere Werkzeuge der Zerstörung und aller<lb/> Gräuel sind, als ganze von ihren Feldherren im Zaum<lb/> gehaltene Heere.</p><lb/> <p>Das erwähnte Dorf hieß <hi rendition="#g">San Pedro</hi> und lag<lb/> nahe an der <hi rendition="#aq">Pena de Francia</hi> genannten Bergkette,<lb/> unfern des Thals von Batuecas. Seine Bewohner<lb/> waren sehr regsam, geschäftig, munter, lebten ein<lb/> friedlich heiteres Leben des Ackerbaues und erwarben<lb/> sich damit genug, um sich das Leben angenehm zu<lb/> machen.</p><lb/> <p>Unter ihnen befand sich ein junges Paar, dessen<lb/> Tugenden unwillkührlich Aller Achtung und Liebe in<lb/> hohem Grade gewonnen hatten. Die erst zwanzig<lb/> Jahr alte Frau war die Tochter eines durch das ganze<lb/> Land wegen seiner Tapferkeit gegen die Schleichhändler-<lb/> banden berühmten Mannes. Solche Tapferkeit war<lb/> von Werth für ein einzelnes Dorf, wie San Pedro,<lb/> indem vor dem französischen Kriege die Schmuggler<lb/> nicht selten frech und stark genug waren, solche Dör-<lb/> fer anzugreifen und auszuplündern. Thomas Munoz<lb/> hieß der Tapfere, er war von ungewöhnlicher Körper-<lb/> stärke und die Energie seines Charakters entsprach sei-<lb/> ner physischen Kraft. Als der Kriegsruf über ganz<lb/> Spanien erklang, horchte Munoz, auf welcher Seite<lb/> wohl die gerechte Sache wäre. Hätte sein König Un-<lb/> recht gehabt, so wäre Munoz gewiß im Dorfe geblie-<lb/> ben und hätte sich, ohne einer andern Fahne zu fol-<lb/> gen, auf dessen Vertheidigung beschränkt. Aber als er<lb/> die ganze Gehässigkeit dieses unheiligen Kriegs begriff<lb/> und die ganze Frevelhaftigkeit des fremden Einfalls er-<lb/> kannte, da legte er seine Ackerwerkzeuge bei Seite und<lb/> entsagte jeder bäuerlichen Beschäftigung.</p><lb/> <p>Er hatte vier Söhne und eine Tochter, das äl-<lb/> teste dieser fünf Kinder zählte dreißig, das jüngste<lb/> zwanzig Jahr, und dieses jüngste hieß Maria de los<lb/> Dolores. Schön war Maria, schön durch jene Reize,<lb/> welche ein warmes Herz und eine starke Seele verlei-<lb/> hen. Gewöhnlich lag Ruhe auf ihrem Antlitz und jene<lb/> Blässe, welche weder der Lebendigkeit noch der Frische<lb/> entbehrt. Jhre Augen waren schwarz, glänzend und<lb/> sanft. Mit einem Wort, sie war eine jener Spanie-<lb/> rinnen, welche das Herz entzücken, für ewig es fes-<lb/> seln, das Vaterland und Alles, was man vor ihnen<lb/> geliebt hat, vergessen machen.</p><lb/> <p>Besser vielleicht, als einer ihrer Brüder, begriff<lb/> Maria den Vater. Als dieser an der Spitze einer<lb/> selbstgeworbenen Bauernschaar auszog, um die ersten<lb/><cb n="54"/> Guerillas zu bilden, folgte sie ihm in die Sierra,<lb/> trug ihre Flinte und tödtete mit dem Muth und der<lb/> Kaltblütigkeit des kräftigen Mannes ihren Feind.<lb/> Mächtigen Zauber übte das Wort Vaterland auf das<lb/> Herz dieses Mädchens, einen bewundernswürdigen Aus-<lb/> druck gewann ihr Mund, so oft sie es aussprach,<lb/> und ihre Augen, ihre so reinen und sanften Blicke<lb/> wurden alsdann zu flammenden Blitzen und sprachen<lb/> eindringlich die Sprache, welche damals aus jedem<lb/> spanischen Männerherzen ertönte.</p><lb/> <p> <space dim="horizontal"/> <ref target="nn_conversationsblatt05_1836#Span2">(Fortsetzung folgt.)</ref> </p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Kindernester</hi>.</hi> </head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#c">(Eine Antike.)</hi> </p> </argument><lb/> <p>Der Baum mit zwei Nestern voller Kinder ist<lb/> für Liebhaber der Kunst und des Alterthums eins der<lb/> anziehendsten marmornen Denkmäler der berühmten<lb/> Antikensammlung im Vatikan zu Rom. Es hat aber<lb/> auch den Alterthumsforschern die meiste Schwierigkeit<lb/> zur Erklärung desselben dargeboten. Dem gelehrten<lb/> Römer, dem Abbate <hi rendition="#g">Raffei,</hi> gelang es indessen, die<lb/> Bedeutung desselben sehr wahrscheinlich zu machen. Er<lb/> erinnert daran, daß unter den Statuen, welche das<lb/> Theater und die Hallen des <hi rendition="#g">Pompejus</hi> zierten,<lb/> einige Personen dargestellt waren, die als außerordent-<lb/> liche Erscheinungen in der Naturgeschichte des Menschen<lb/> zu betrachten waren. Unter andern sah man daselbst<lb/> Bildsäulen einiger Mütter, welche theils wegen der un-<lb/> gewöhnlich großen Anzahl, theils wegen der Mißgestalt<lb/> der von ihnen gebornen Kinder berühmt geworden<lb/> waren. Bei dieser Gelegenheit erwähnt er der Statue<lb/> der <hi rendition="#g">Entychidis,</hi> einer Mutter von 30 Kindern,<lb/> von denen sie 20 zu Grabe begleitete. Auch war da<lb/> die <hi rendition="#g">Alcippe</hi> abgebildet, welche alten Nachrichten zu-<lb/> folge einen Elephanten geboren haben soll. Noch ge-<lb/> schieht beiläufig Meldung von einer andern peloponesi-<lb/> schen Frau, die in 4 Wochenbetten 20 Kinder zur<lb/> Welt brachte, und es kann beinahe als gewiß gelten,<lb/> daß ihre Bildsäule neben jener der <hi rendition="#g">Entychidis</hi> und<lb/> der <hi rendition="#g">Alcippe</hi> aufgestellt war. Der römische Natur-<lb/> forscher <hi rendition="#g">Plinius</hi> berichtet ferner, daß die größten<lb/> Künstler zur Zeit des <hi rendition="#g">Pompejus</hi> an dergleichen Ge-<lb/> genständen ihre Kunst und Erfindungsgabe bewiesen<lb/> hätten; woraus man schließen darf, daß den obgedach-<lb/> ten Statuen gewisse Sinnbilder und Nebenwerke beige-<lb/> geben gewesen, welche die Sache, wodurch die abge-<lb/> bildeten Personen berühmt geworden, auf eine edle<lb/> und geschmackvolle Weise andeuteten. Da mochte nun,<lb/> um die Bildsäule der zuletzt genannten peloponesischen<lb/> Frau zu bezeichnen, der Bildhauer neben sie einen<lb/> Baumstamm gesetzt haben, wie solches bei antiken<lb/> Statuen häufig geschah, und auf diesen Stamm vier<lb/> Nester, jedes mit 5 Kindern angefüllt, wodurch das Na-<lb/> turwunder der 20 Kinder aus 4 Wochenbetten auf<lb/> gefällige Art angedeutet worden wäre. Hierdurch wäre<lb/> denn dies Monument auf ungezwungene Weise er-<lb/> klärt.</p><lb/> <cb type="end"/> </div> </body> </text> </TEI> [0003]
53 Conversations=Blatt. 54
gebaut waren und besser erschienen, als die Mehrzahl
der Gebäude von Altkastilien und Leon. Damals war
die ganze Umgegend reich an Weinstöcken. Noch wa-
ren die Weingärten nicht zerstört, ihrer Stöcke beraubt,
verbrannt; noch war die Furie des Kriegs mit ihrem
Giftathem nicht verheerend über jenen Landstrich hinge-
fahren.
Es war an einem Abend des Septembers 1810.
Lange Zeit war dieser Theil von Spanien trotz des
ewigen Hin= und Herziehens der englischen und fran-
zösischen Heere den todbringenden Blicken jener Maro-
deurs entgangen, welche von ihren Korps sich entfern-
nend, furchtbarere Werkzeuge der Zerstörung und aller
Gräuel sind, als ganze von ihren Feldherren im Zaum
gehaltene Heere.
Das erwähnte Dorf hieß San Pedro und lag
nahe an der Pena de Francia genannten Bergkette,
unfern des Thals von Batuecas. Seine Bewohner
waren sehr regsam, geschäftig, munter, lebten ein
friedlich heiteres Leben des Ackerbaues und erwarben
sich damit genug, um sich das Leben angenehm zu
machen.
Unter ihnen befand sich ein junges Paar, dessen
Tugenden unwillkührlich Aller Achtung und Liebe in
hohem Grade gewonnen hatten. Die erst zwanzig
Jahr alte Frau war die Tochter eines durch das ganze
Land wegen seiner Tapferkeit gegen die Schleichhändler-
banden berühmten Mannes. Solche Tapferkeit war
von Werth für ein einzelnes Dorf, wie San Pedro,
indem vor dem französischen Kriege die Schmuggler
nicht selten frech und stark genug waren, solche Dör-
fer anzugreifen und auszuplündern. Thomas Munoz
hieß der Tapfere, er war von ungewöhnlicher Körper-
stärke und die Energie seines Charakters entsprach sei-
ner physischen Kraft. Als der Kriegsruf über ganz
Spanien erklang, horchte Munoz, auf welcher Seite
wohl die gerechte Sache wäre. Hätte sein König Un-
recht gehabt, so wäre Munoz gewiß im Dorfe geblie-
ben und hätte sich, ohne einer andern Fahne zu fol-
gen, auf dessen Vertheidigung beschränkt. Aber als er
die ganze Gehässigkeit dieses unheiligen Kriegs begriff
und die ganze Frevelhaftigkeit des fremden Einfalls er-
kannte, da legte er seine Ackerwerkzeuge bei Seite und
entsagte jeder bäuerlichen Beschäftigung.
Er hatte vier Söhne und eine Tochter, das äl-
teste dieser fünf Kinder zählte dreißig, das jüngste
zwanzig Jahr, und dieses jüngste hieß Maria de los
Dolores. Schön war Maria, schön durch jene Reize,
welche ein warmes Herz und eine starke Seele verlei-
hen. Gewöhnlich lag Ruhe auf ihrem Antlitz und jene
Blässe, welche weder der Lebendigkeit noch der Frische
entbehrt. Jhre Augen waren schwarz, glänzend und
sanft. Mit einem Wort, sie war eine jener Spanie-
rinnen, welche das Herz entzücken, für ewig es fes-
seln, das Vaterland und Alles, was man vor ihnen
geliebt hat, vergessen machen.
Besser vielleicht, als einer ihrer Brüder, begriff
Maria den Vater. Als dieser an der Spitze einer
selbstgeworbenen Bauernschaar auszog, um die ersten
Guerillas zu bilden, folgte sie ihm in die Sierra,
trug ihre Flinte und tödtete mit dem Muth und der
Kaltblütigkeit des kräftigen Mannes ihren Feind.
Mächtigen Zauber übte das Wort Vaterland auf das
Herz dieses Mädchens, einen bewundernswürdigen Aus-
druck gewann ihr Mund, so oft sie es aussprach,
und ihre Augen, ihre so reinen und sanften Blicke
wurden alsdann zu flammenden Blitzen und sprachen
eindringlich die Sprache, welche damals aus jedem
spanischen Männerherzen ertönte.
(Fortsetzung folgt.)
Kindernester.
(Eine Antike.)
Der Baum mit zwei Nestern voller Kinder ist
für Liebhaber der Kunst und des Alterthums eins der
anziehendsten marmornen Denkmäler der berühmten
Antikensammlung im Vatikan zu Rom. Es hat aber
auch den Alterthumsforschern die meiste Schwierigkeit
zur Erklärung desselben dargeboten. Dem gelehrten
Römer, dem Abbate Raffei, gelang es indessen, die
Bedeutung desselben sehr wahrscheinlich zu machen. Er
erinnert daran, daß unter den Statuen, welche das
Theater und die Hallen des Pompejus zierten,
einige Personen dargestellt waren, die als außerordent-
liche Erscheinungen in der Naturgeschichte des Menschen
zu betrachten waren. Unter andern sah man daselbst
Bildsäulen einiger Mütter, welche theils wegen der un-
gewöhnlich großen Anzahl, theils wegen der Mißgestalt
der von ihnen gebornen Kinder berühmt geworden
waren. Bei dieser Gelegenheit erwähnt er der Statue
der Entychidis, einer Mutter von 30 Kindern,
von denen sie 20 zu Grabe begleitete. Auch war da
die Alcippe abgebildet, welche alten Nachrichten zu-
folge einen Elephanten geboren haben soll. Noch ge-
schieht beiläufig Meldung von einer andern peloponesi-
schen Frau, die in 4 Wochenbetten 20 Kinder zur
Welt brachte, und es kann beinahe als gewiß gelten,
daß ihre Bildsäule neben jener der Entychidis und
der Alcippe aufgestellt war. Der römische Natur-
forscher Plinius berichtet ferner, daß die größten
Künstler zur Zeit des Pompejus an dergleichen Ge-
genständen ihre Kunst und Erfindungsgabe bewiesen
hätten; woraus man schließen darf, daß den obgedach-
ten Statuen gewisse Sinnbilder und Nebenwerke beige-
geben gewesen, welche die Sache, wodurch die abge-
bildeten Personen berühmt geworden, auf eine edle
und geschmackvolle Weise andeuteten. Da mochte nun,
um die Bildsäule der zuletzt genannten peloponesischen
Frau zu bezeichnen, der Bildhauer neben sie einen
Baumstamm gesetzt haben, wie solches bei antiken
Statuen häufig geschah, und auf diesen Stamm vier
Nester, jedes mit 5 Kindern angefüllt, wodurch das Na-
turwunder der 20 Kinder aus 4 Wochenbetten auf
gefällige Art angedeutet worden wäre. Hierdurch wäre
denn dies Monument auf ungezwungene Weise er-
klärt.
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