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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 5. Burg/Berlin, 1836.

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79 Conversations=Blatt. 80

[Abbildung] [Beginn Spaltensatz]

Der Pater Brydaine, der in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts wegen seiner hinreißenden Bered-
samkeit berühmt war, durchreiste über vierzig Jahre
fast ganz Frankreich, und predigte in Städten und
Dörfern nicht blos in Kirchen, sondern auch auf
öffentlichen Plätzen oder im freien Felde.

Diese Reisen machte er stets zu Fuß und ohne
einen Sou Geld in der Tasche, und überließ es dem
Zufall; wo er Obdach und Beköstigung finden
würde.

Jm Jahre 1753 befand er sich in einem Dorfe
unfern Lyon. Er ging, wie gewöhnlich, zu dem
Pfarrer, und bat ihn um ein Nachtlager. Dieser war
dazu bereit, aber es fehlte ihm an einem Bette, er
erbot sich daher, sein Bette mit ihm zu theilen. Bry-
daine
war es zufrieden, er und der Pfarrer entklei-
deten sich, legten ihre Kleidungsstücke auf den näm-
lichen Stuhl, stiegen. dann ins Bette und schliefen
beide recht fest.

Brydaine, früher munter, als sein Wirth,
stand auf und zog sich eiligst an, um noch ganz früh
seinen Wanderstab weiter zu setzen. Es war noch
dämmrig, und er nahm die Kleidungsstücke, die ihm
zuerst in die Hände kamen.

Er verließ nun die Wohnung des Pfarrers, und
der erste Mensch, der ihm aufstieß, war ein Bettler,
der in der Nacht dort angekommen und nur noch ein
Nachtlager unter einem Schuppen gefunden hatte. Der
Bettler sprach den Pater um eine Gabe an. Mit
wehmüthigem Achselzucken bedauerte Brydaine, daß
er nicht einen Sou im Vermögen habe.

Der Bettler wiederholte seine Bitte noch drin-
gender; Brydaine wollte, um ihn von der Wahr-
heit seiner Versicherung zu überzeugen, seine Tasche
umkehren. Als er aber in die Hosentasche griff, fand
er darin zu seinem größten Erstaunen einige Goldstücke.
Er gab solche sogleich dem armen Schelm, indem er
[Spaltenumbruch] ihn mit Begeisterung umhalsete und Wunder über
Wunder rief.

Auf diesen Ruf versammelten sich die Einwohner
des Dorfs um ihn her. Mit Begeisterung erzählte er
ihnen das Wunder, das sich eben an ihm erwiesen,
und hielt eine sehr salbungsvolle Rede über Barmher-
zigkeit und Almosenspende.

Mitten in dieser feurigen Deklamation wurde er
unerwartet von dem Pfarrer unterbrochen, der beim
Anziehen die Verwechselung sogleich bemerkt hatte und
herbeieilte, um seine Kleider und seine Goldstücke
zurückzufordern.

Zu seiner großen Betrübniß erfuhr der Pfarrer
von Brydaine, welchen Gebrauch er von seinem Gelde
gemacht hatte, das unstreitig zu einem ganz andern
Zweck bestimmt gewesen war, und es war nun nicht
mehr möglich, den Jrrthum wieder gut zu machen,
da sich der Bettler sogleich davon geschlichen hatte,
ohne die Zahl der andächtigen Zuhörer der hinreißenden
Beredsamkeit des berühmten Pater Brydaine zu ver-
mehren.



Kluge Leute glauben recht vorsichtig zu sein, wenn
sie in Quittungen die Summe nicht mit Ziffern,
sondern mit Buchstaben schreiben; das widerlegt ein
Prozeß in Berlin. Ein Spitzbube, welchem vier und
vierzig Thaler verschrieben waren, setzte dem Wörtchen
und ein h vor und ein ert nach, und das Gericht er-
kannte wirklich auf Bezahlung der 440 Thaler.



Bei Gelegenheit einer Feierlichkeit führte ein Schul-
lehrer die Schuljugend in den festlich geschmückten Prü-
fungssaal. Bei der Thür angelangt, rief er mit lau-
ter Stimme: "Kinder, enthauptet euch!"



[Ende Spaltensatz]
79 Conversations=Blatt. 80

[Abbildung] [Beginn Spaltensatz]

Der Pater Brydaine, der in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts wegen seiner hinreißenden Bered-
samkeit berühmt war, durchreiste über vierzig Jahre
fast ganz Frankreich, und predigte in Städten und
Dörfern nicht blos in Kirchen, sondern auch auf
öffentlichen Plätzen oder im freien Felde.

Diese Reisen machte er stets zu Fuß und ohne
einen Sou Geld in der Tasche, und überließ es dem
Zufall; wo er Obdach und Beköstigung finden
würde.

Jm Jahre 1753 befand er sich in einem Dorfe
unfern Lyon. Er ging, wie gewöhnlich, zu dem
Pfarrer, und bat ihn um ein Nachtlager. Dieser war
dazu bereit, aber es fehlte ihm an einem Bette, er
erbot sich daher, sein Bette mit ihm zu theilen. Bry-
daine
war es zufrieden, er und der Pfarrer entklei-
deten sich, legten ihre Kleidungsstücke auf den näm-
lichen Stuhl, stiegen. dann ins Bette und schliefen
beide recht fest.

Brydaine, früher munter, als sein Wirth,
stand auf und zog sich eiligst an, um noch ganz früh
seinen Wanderstab weiter zu setzen. Es war noch
dämmrig, und er nahm die Kleidungsstücke, die ihm
zuerst in die Hände kamen.

Er verließ nun die Wohnung des Pfarrers, und
der erste Mensch, der ihm aufstieß, war ein Bettler,
der in der Nacht dort angekommen und nur noch ein
Nachtlager unter einem Schuppen gefunden hatte. Der
Bettler sprach den Pater um eine Gabe an. Mit
wehmüthigem Achselzucken bedauerte Brydaine, daß
er nicht einen Sou im Vermögen habe.

Der Bettler wiederholte seine Bitte noch drin-
gender; Brydaine wollte, um ihn von der Wahr-
heit seiner Versicherung zu überzeugen, seine Tasche
umkehren. Als er aber in die Hosentasche griff, fand
er darin zu seinem größten Erstaunen einige Goldstücke.
Er gab solche sogleich dem armen Schelm, indem er
[Spaltenumbruch] ihn mit Begeisterung umhalsete und Wunder über
Wunder rief.

Auf diesen Ruf versammelten sich die Einwohner
des Dorfs um ihn her. Mit Begeisterung erzählte er
ihnen das Wunder, das sich eben an ihm erwiesen,
und hielt eine sehr salbungsvolle Rede über Barmher-
zigkeit und Almosenspende.

Mitten in dieser feurigen Deklamation wurde er
unerwartet von dem Pfarrer unterbrochen, der beim
Anziehen die Verwechselung sogleich bemerkt hatte und
herbeieilte, um seine Kleider und seine Goldstücke
zurückzufordern.

Zu seiner großen Betrübniß erfuhr der Pfarrer
von Brydaine, welchen Gebrauch er von seinem Gelde
gemacht hatte, das unstreitig zu einem ganz andern
Zweck bestimmt gewesen war, und es war nun nicht
mehr möglich, den Jrrthum wieder gut zu machen,
da sich der Bettler sogleich davon geschlichen hatte,
ohne die Zahl der andächtigen Zuhörer der hinreißenden
Beredsamkeit des berühmten Pater Brydaine zu ver-
mehren.



Kluge Leute glauben recht vorsichtig zu sein, wenn
sie in Quittungen die Summe nicht mit Ziffern,
sondern mit Buchstaben schreiben; das widerlegt ein
Prozeß in Berlin. Ein Spitzbube, welchem vier und
vierzig Thaler verschrieben waren, setzte dem Wörtchen
und ein h vor und ein ert nach, und das Gericht er-
kannte wirklich auf Bezahlung der 440 Thaler.



Bei Gelegenheit einer Feierlichkeit führte ein Schul-
lehrer die Schuljugend in den festlich geschmückten Prü-
fungssaal. Bei der Thür angelangt, rief er mit lau-
ter Stimme: „Kinder, enthauptet euch!“



[Ende Spaltensatz]
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[0008] 79 Conversations=Blatt. 80 [Abbildung] Der Pater Brydaine, der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts wegen seiner hinreißenden Bered- samkeit berühmt war, durchreiste über vierzig Jahre fast ganz Frankreich, und predigte in Städten und Dörfern nicht blos in Kirchen, sondern auch auf öffentlichen Plätzen oder im freien Felde. Diese Reisen machte er stets zu Fuß und ohne einen Sou Geld in der Tasche, und überließ es dem Zufall; wo er Obdach und Beköstigung finden würde. Jm Jahre 1753 befand er sich in einem Dorfe unfern Lyon. Er ging, wie gewöhnlich, zu dem Pfarrer, und bat ihn um ein Nachtlager. Dieser war dazu bereit, aber es fehlte ihm an einem Bette, er erbot sich daher, sein Bette mit ihm zu theilen. Bry- daine war es zufrieden, er und der Pfarrer entklei- deten sich, legten ihre Kleidungsstücke auf den näm- lichen Stuhl, stiegen. dann ins Bette und schliefen beide recht fest. Brydaine, früher munter, als sein Wirth, stand auf und zog sich eiligst an, um noch ganz früh seinen Wanderstab weiter zu setzen. Es war noch dämmrig, und er nahm die Kleidungsstücke, die ihm zuerst in die Hände kamen. Er verließ nun die Wohnung des Pfarrers, und der erste Mensch, der ihm aufstieß, war ein Bettler, der in der Nacht dort angekommen und nur noch ein Nachtlager unter einem Schuppen gefunden hatte. Der Bettler sprach den Pater um eine Gabe an. Mit wehmüthigem Achselzucken bedauerte Brydaine, daß er nicht einen Sou im Vermögen habe. Der Bettler wiederholte seine Bitte noch drin- gender; Brydaine wollte, um ihn von der Wahr- heit seiner Versicherung zu überzeugen, seine Tasche umkehren. Als er aber in die Hosentasche griff, fand er darin zu seinem größten Erstaunen einige Goldstücke. Er gab solche sogleich dem armen Schelm, indem er ihn mit Begeisterung umhalsete und Wunder über Wunder rief. Auf diesen Ruf versammelten sich die Einwohner des Dorfs um ihn her. Mit Begeisterung erzählte er ihnen das Wunder, das sich eben an ihm erwiesen, und hielt eine sehr salbungsvolle Rede über Barmher- zigkeit und Almosenspende. Mitten in dieser feurigen Deklamation wurde er unerwartet von dem Pfarrer unterbrochen, der beim Anziehen die Verwechselung sogleich bemerkt hatte und herbeieilte, um seine Kleider und seine Goldstücke zurückzufordern. Zu seiner großen Betrübniß erfuhr der Pfarrer von Brydaine, welchen Gebrauch er von seinem Gelde gemacht hatte, das unstreitig zu einem ganz andern Zweck bestimmt gewesen war, und es war nun nicht mehr möglich, den Jrrthum wieder gut zu machen, da sich der Bettler sogleich davon geschlichen hatte, ohne die Zahl der andächtigen Zuhörer der hinreißenden Beredsamkeit des berühmten Pater Brydaine zu ver- mehren. Kluge Leute glauben recht vorsichtig zu sein, wenn sie in Quittungen die Summe nicht mit Ziffern, sondern mit Buchstaben schreiben; das widerlegt ein Prozeß in Berlin. Ein Spitzbube, welchem vier und vierzig Thaler verschrieben waren, setzte dem Wörtchen und ein h vor und ein ert nach, und das Gericht er- kannte wirklich auf Bezahlung der 440 Thaler. Bei Gelegenheit einer Feierlichkeit führte ein Schul- lehrer die Schuljugend in den festlich geschmückten Prü- fungssaal. Bei der Thür angelangt, rief er mit lau- ter Stimme: „Kinder, enthauptet euch!“

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 5. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt05_1836/8>, abgerufen am 21.11.2024.