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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 5. Burg/Berlin, 1836.

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77 Conversations=Blatt. 78
[Beginn Spaltensatz] und die Seitentaschen mit Weinbouteillen und Tabak
hinlänglich ausgefüllt. Mitten in diesem Trubel be-
trat Bernhard den Amthof, gelangte unaufgehalten
und ungefragt in das Haus, und so weiter in die
Wohnstube, wo der Amtmann eben beschäftigt war,
die verschiedenen Reisepfeifen zu ordnen.

"Was steht dem Herrn zu Diensten?" schnarrte
der Amtmann den Eintretenden an, denn er vermerkte
es sehr übel, wenn Jemand so geradezu ging, dage-
gen war Bernhard durchaus nicht verlegen und wußte
sich gleich auf eine Weise zu introduziren, die dem
Amtmann imponirte. -

"Mein Eintreten müssen Sie nicht übel deuten!"
rief der junge Bildhauer munter, "es war Niemand
draußen, den ich hätte bitten können, mich zu mel-
den, auch glaubte ich nicht unrecht zu haben, wenn
ich den Landbewohnern einen gewissen Jnstinkt für Un-
genirtheit zuschriebe. Schließlich will ich nun auch we-
der um Jhre Tochter anhalten, noch Sie um einige
Tausend Thaler anpumpen, am wenigsten aber Sie
bestehlen, denn aufrichtig gesagt, Sie besitzen gar
nichts, was des Stehlens werth wäre." -

"Herr! wer sind Sie?" fragte der Amtmann
verdutzt.

"Ein Reisender!" war die Antwort. "Ein Mann,
der die ganze Welt bereist hat, alle Menschen kennt und
nun auch Sie kennen zu lernen wünscht. Jch reise
hier durch, meine Pferde ruhen im Gasthofe aus, und
ich konnte mir die Freude nicht versagen, einen so
ausgezeichneten und vielberühmten Landwirth, dessen
Musterwirthschaft Alt und Jung in der ganzen Pro-
vinz preist, aufzusuchen. Vergönnen Sie mir also,
während der kurzen Zeit, die mir hier zu bleiben er-
laubt ist, mich ihres belehrenden Umganges erfreuen zu
können." -

"Bitte recht sehr!" antwortete der Amtmann,
und zeigte noch immer etwas mürrisch auf eine der
vor ihm liegenden Pfeifen, wodurch er andeuten
wollte, daß der Fremde so gut sein möge, eine Pfeife
mit ihm zu rauchen.

Bernhard ließ sich die Pfeife gefallen und sagte,
nachdem er den Taback angebrannt hatte: "Herrlich!
Vortrefflich! Welche Leichtigkeit! Welch ein angenehmer
Geruch! Diese Blätter sind für einen gewöhnlichen
amerikanischen Varinas viel zu schlecht, die sind ganz
gewiß auf der Feldmark Jhres vortrefflichen Vorwerks
gewachsen! Es ist wahr, man bemerkt hier mit jedem
Fußtritt den Segen einer fortschreitenden Kultur."

"Bitte recht sehr!" brummte der Amtmann we-
niger unangenehm, und deutete auf einen nahen Stuhl:
"Bitte Platz zu nehmen!"

Aber Bernhard nahm von diesem letzten Anerbie-
bieten keine Notiz, er fuhr fort, im Zimmer auf und
nieder zu gehen und alle Gegenstände zu mustern,
wobei er nicht unterließ, jedesmal in ein Lob auszu-
brechen, das dem Amtmann nicht anders als schmei-
chelhaft sein konnte. Endlich stand er vor einem Por-
trait still, das einen jungen Mann im Nationalkostüm
des Landes vorstellte; er betrachtete es genau, lobte
[Spaltenumbruch] es über die Maaßen und fragte endlich den Amtmann,
ob er nicht wisse, wen dies vorstellen solle? -

"Das bin ich!" erwiederte dieser, "man hat
mich in meiner Jugend so gemalt!" -

"Sie müssen damals sehr hübsch gewesen sein!"
rief Bernhard lebhaft aus, "verzeihen Sie; ich meine
nicht damit, daß Sie jetzt häßlich sind, ich will nur
sagen, daß jetzt eine gewisse männliche Würde dem
jugendlichen Schmelz der Wangen Eintrag thut; aber
wahrhaftig, diese Physiognomie ist die Physiognomie
eines jugendlichen Apollo."

"Bitte recht sehr!" schmunzelte der Amtmann
und konnte ein selbstgefälliges Lächeln nicht unterdrücken,
"man hat mich in meiner Jugend wegen meines Aeu-
ßern oft sehr gelobt, und die beiden Kirchengeschwor-
nen in Wangersleben, die mich von Kindesbeinen an
kennen, wollen behaupten, daß ich mich nur wenig
verändert habe." Dieser Explikation folgte dann die
Einladung, der fremde Herr Reisende möge sich doch
ein einfaches Abendbrodt gefallen lassen. -

Bernhard dankte mit einer Verbeugung für die
Einladung, kam dann mit einer feinen Wendung auf
das Bild des Amtmanns wieder zurück, zog eine
Brieftasche hervor und sagte: "Jch kann mich noch
gar nicht von diesem Portrait losreißen. Es gehört
zu meinen Eigenthümlichkeiten auf Reisen, dergleichen
kostbare Schätze zu sammeln, und Sie glauben nicht,
was ich in meiner Heimath für einen wahren Reich-
thum von solchen Seltenheiten aufzuweisen habe. Ge-
statten Sie mir, das Bild flüchtig abzuzeichnen und
als ein theures Angedenken an diese schöne Stunde mit
mir hinwegzunehmen."

Der Amtmann konnte natürlich nichts dagegen
haben, sprach von ungemein viel Ehre und ließ den
Fremden gewähren, der nicht nur das Portrait, son-
dern auch die jetzige Physiognomie des Amtmanns mit
solcher Raschheit und solchem Fleiße kopirte, wie man
dem gewandten Künstler nur immer zutrauen konnte.

    (Fortsetzung folgt.)



Miscellen.
Die sonderbaren Besteuerungen.

Unter dem ersten Könige von Preußen war der
ledige Stand besteuert: Mädchen unter vierzig Jahren
mußten ihre freiwillige oder erzwungene Ledigkeit jähr-
lich mit zwei Thalern büßen. Ob dies zur Beförde-
dung der Ehen gedient hat, wird nicht gesagt. Auch
die Perücken waren besteuert, und jede im Staate
vorhandene wurde auf der Stempelkammer mit einem
Siegel versehen. Dies war eine sehr ergiebige Rente;
denn die Perücke war ein nothwendiges Kleidungsstück
für Jeden, der etwas war oder sein wollte, und selbst
Kinder vornehmer Eltern wurden damit geschmückt.
Die Steuer minderte den Gebrauch nicht.



[Ende Spaltensatz]

77 Conversations=Blatt. 78
[Beginn Spaltensatz] und die Seitentaschen mit Weinbouteillen und Tabak
hinlänglich ausgefüllt. Mitten in diesem Trubel be-
trat Bernhard den Amthof, gelangte unaufgehalten
und ungefragt in das Haus, und so weiter in die
Wohnstube, wo der Amtmann eben beschäftigt war,
die verschiedenen Reisepfeifen zu ordnen.

„Was steht dem Herrn zu Diensten?“ schnarrte
der Amtmann den Eintretenden an, denn er vermerkte
es sehr übel, wenn Jemand so geradezu ging, dage-
gen war Bernhard durchaus nicht verlegen und wußte
sich gleich auf eine Weise zu introduziren, die dem
Amtmann imponirte. –

„Mein Eintreten müssen Sie nicht übel deuten!“
rief der junge Bildhauer munter, „es war Niemand
draußen, den ich hätte bitten können, mich zu mel-
den, auch glaubte ich nicht unrecht zu haben, wenn
ich den Landbewohnern einen gewissen Jnstinkt für Un-
genirtheit zuschriebe. Schließlich will ich nun auch we-
der um Jhre Tochter anhalten, noch Sie um einige
Tausend Thaler anpumpen, am wenigsten aber Sie
bestehlen, denn aufrichtig gesagt, Sie besitzen gar
nichts, was des Stehlens werth wäre.“ –

„Herr! wer sind Sie?“ fragte der Amtmann
verdutzt.

„Ein Reisender!“ war die Antwort. „Ein Mann,
der die ganze Welt bereist hat, alle Menschen kennt und
nun auch Sie kennen zu lernen wünscht. Jch reise
hier durch, meine Pferde ruhen im Gasthofe aus, und
ich konnte mir die Freude nicht versagen, einen so
ausgezeichneten und vielberühmten Landwirth, dessen
Musterwirthschaft Alt und Jung in der ganzen Pro-
vinz preist, aufzusuchen. Vergönnen Sie mir also,
während der kurzen Zeit, die mir hier zu bleiben er-
laubt ist, mich ihres belehrenden Umganges erfreuen zu
können.“ –

„Bitte recht sehr!“ antwortete der Amtmann,
und zeigte noch immer etwas mürrisch auf eine der
vor ihm liegenden Pfeifen, wodurch er andeuten
wollte, daß der Fremde so gut sein möge, eine Pfeife
mit ihm zu rauchen.

Bernhard ließ sich die Pfeife gefallen und sagte,
nachdem er den Taback angebrannt hatte: „Herrlich!
Vortrefflich! Welche Leichtigkeit! Welch ein angenehmer
Geruch! Diese Blätter sind für einen gewöhnlichen
amerikanischen Varinas viel zu schlecht, die sind ganz
gewiß auf der Feldmark Jhres vortrefflichen Vorwerks
gewachsen! Es ist wahr, man bemerkt hier mit jedem
Fußtritt den Segen einer fortschreitenden Kultur.“

„Bitte recht sehr!“ brummte der Amtmann we-
niger unangenehm, und deutete auf einen nahen Stuhl:
„Bitte Platz zu nehmen!“

Aber Bernhard nahm von diesem letzten Anerbie-
bieten keine Notiz, er fuhr fort, im Zimmer auf und
nieder zu gehen und alle Gegenstände zu mustern,
wobei er nicht unterließ, jedesmal in ein Lob auszu-
brechen, das dem Amtmann nicht anders als schmei-
chelhaft sein konnte. Endlich stand er vor einem Por-
trait still, das einen jungen Mann im Nationalkostüm
des Landes vorstellte; er betrachtete es genau, lobte
[Spaltenumbruch] es über die Maaßen und fragte endlich den Amtmann,
ob er nicht wisse, wen dies vorstellen solle? –

„Das bin ich!“ erwiederte dieser, „man hat
mich in meiner Jugend so gemalt!“ –

„Sie müssen damals sehr hübsch gewesen sein!“
rief Bernhard lebhaft aus, „verzeihen Sie; ich meine
nicht damit, daß Sie jetzt häßlich sind, ich will nur
sagen, daß jetzt eine gewisse männliche Würde dem
jugendlichen Schmelz der Wangen Eintrag thut; aber
wahrhaftig, diese Physiognomie ist die Physiognomie
eines jugendlichen Apollo.“

„Bitte recht sehr!“ schmunzelte der Amtmann
und konnte ein selbstgefälliges Lächeln nicht unterdrücken,
„man hat mich in meiner Jugend wegen meines Aeu-
ßern oft sehr gelobt, und die beiden Kirchengeschwor-
nen in Wangersleben, die mich von Kindesbeinen an
kennen, wollen behaupten, daß ich mich nur wenig
verändert habe.“ Dieser Explikation folgte dann die
Einladung, der fremde Herr Reisende möge sich doch
ein einfaches Abendbrodt gefallen lassen. –

Bernhard dankte mit einer Verbeugung für die
Einladung, kam dann mit einer feinen Wendung auf
das Bild des Amtmanns wieder zurück, zog eine
Brieftasche hervor und sagte: „Jch kann mich noch
gar nicht von diesem Portrait losreißen. Es gehört
zu meinen Eigenthümlichkeiten auf Reisen, dergleichen
kostbare Schätze zu sammeln, und Sie glauben nicht,
was ich in meiner Heimath für einen wahren Reich-
thum von solchen Seltenheiten aufzuweisen habe. Ge-
statten Sie mir, das Bild flüchtig abzuzeichnen und
als ein theures Angedenken an diese schöne Stunde mit
mir hinwegzunehmen.“

Der Amtmann konnte natürlich nichts dagegen
haben, sprach von ungemein viel Ehre und ließ den
Fremden gewähren, der nicht nur das Portrait, son-
dern auch die jetzige Physiognomie des Amtmanns mit
solcher Raschheit und solchem Fleiße kopirte, wie man
dem gewandten Künstler nur immer zutrauen konnte.

    (Fortsetzung folgt.)



Miscellen.
Die sonderbaren Besteuerungen.

Unter dem ersten Könige von Preußen war der
ledige Stand besteuert: Mädchen unter vierzig Jahren
mußten ihre freiwillige oder erzwungene Ledigkeit jähr-
lich mit zwei Thalern büßen. Ob dies zur Beförde-
dung der Ehen gedient hat, wird nicht gesagt. Auch
die Perücken waren besteuert, und jede im Staate
vorhandene wurde auf der Stempelkammer mit einem
Siegel versehen. Dies war eine sehr ergiebige Rente;
denn die Perücke war ein nothwendiges Kleidungsstück
für Jeden, der etwas war oder sein wollte, und selbst
Kinder vornehmer Eltern wurden damit geschmückt.
Die Steuer minderte den Gebrauch nicht.



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Auch die Perücken waren besteuert, und jede im Staate vorhandene wurde auf der Stempelkammer mit einem Siegel versehen. Dies war eine sehr ergiebige Rente; denn die Perücke war ein nothwendiges Kleidungsstück für Jeden, der etwas war oder sein wollte, und selbst Kinder vornehmer Eltern wurden damit geschmückt. Die Steuer minderte den Gebrauch nicht.

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 5. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt05_1836/7>, abgerufen am 23.11.2024.