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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 10. Burg/Berlin, 1836.

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147 Conversations=Blatt. 148
[Beginn Spaltensatz] gestürzten Partei, von welcher sich Guerillasbanden zeig-
ten, verleite, daher bereits am 12. April 1835 die
Cortes durch eine Deputation die Königin ersuchen lie-
ßen, sich sobald als möglich wieder zu vermählen. Der
Entschluß war nicht so leicht, indeß die Verhältnisse
drängten und die Wiedervermählung, welche am 10.
April 1836 mit dem jugendlichen Prinzen Ferdinand
August Franz Anton von Sachsen=Coburg, geb. den
29. Oktober 1816, statt fand, konnte nicht länger
aufgeschoben werden.

Das reizende Bild dieser liebenswürdigen Königin,
gleich ausgezeichnet an Gaben des Geistes und des
Herzens und an Schönheit, ist eine Kopie des Stahl-
stichs von Graves, nach einem Gemälde des engli-
schen Hofmalers Lawrence.



Die Spanierin.

(Beschluß.)

Jn diesem Augenblick erschienen zwei Soldaten
und trieben eine Frau mit dem Kinde auf dem Arm
in ihrer Mitte brutal vor den Kapitän. Maria war
es. Sie war sehr bleich, aber sie schritt fest einher
und senkte den Blick zur Erde. Obgleich ihre Klei-
dung die Tracht gemeiner Leute war, stand doch der
Kapitän auf und begrüßte sie durch das zur Gewohn-
heit gewordene Zeichen.

"Seid ihr aus diesem Dorfe?" fragte er in höf-
lich mildem Ton, denn er war jung, und schön war
Marie.

"Ja," antwortete die junge Frau.

"Warum ist es verlassen und warum seid ihr
allein hier?"

"Weil alle Einwohner in die Sierra la Pena de
Francia
entflohen, blieb ich allein hier mit meinem
Kind bei meiner alten lahmen Großmutter."

"Warum wurde das Brodt verbrannt?"

"Damit ihr bei eurer Ankunft es nicht mehr fin-
den solltet. Der Backofen des Spaniers soll nicht für
den Franzosen geheizt werden."

Jn diesem Augenblick bohrte einer der Soldaten
einen Schlauch an, um von dem Wein zu trinken.
Ein Gedanke fuhr dem Lieutenant durch den Kopf,
ein arger Gedanke, er war älter als der Kapitän,
was in jenem Heere nicht selten sich fand.

"Warum," sprach er zu Marien, "ist nicht
auch dieser Wein gleich dem andern ansgegossen wor-
den?"

"Weil ich ihn verbergen zu können hoffte, -
aber - euch gegenüber" -

Ein Blick des glühendsten Hasses vollendete den
Redesatz.

"Jst der Wein gut?"

"Ja gewiß."

"Wohlan, so wirst du dich nicht weigern, uns
mit gutem Beispiel voranzugehen."

"Keineswegs."

[Spaltenumbruch]

Und sie streckte die Hand nach dem Kapitän, er
füllte den silbernen Becher, den er stets bei sich trug,
und Marie leerte ihn kalt und unbefangen in einem
Zuge.

"Weil der Wein so gut ist, so wirst du wohl
auch deinem Kinde davon zu trinken geben."

Ein leichtes Zittern durchzuckte die Hand der
Mutter, aber es war so schwach, daß nur ein ge-
übtes Mutterauge es wahrnehmen konnte. Sie ergriff
den Becher, führte ihn an die Lippen des kleinen En-
gels und gab ihn dann dem Lieutenant zurück.

"Jetzt könnt ihr trinken, Kinder," sprach der
Kapitän, "laßt mir nur einen Schlauch unberührt."

Diese Worte klangen Marien, wie himmlische
Musik; im paradiesischen Lichtglanze sah sie den Him-
mel sich öffnen und die seligen Gestalten ihres Vaters,
ihres Joaquin und ihrer Brüder freundlich ihr Beifall
zuwinken.

Aber schon in diesem Augenblick empfand das
junge und schwache Geschöpf an ihrem Busen, welches
bald eine Leiche in ihren Armen werden sollte, die er-
sten schmerzvollen Anfälle des starken Gifts in dem
Wein; der Arsenik wirkte. Bleich wurde das arme
Kind, dann heftig blau, krümmte sich und fiel in
Zuckungen. Einen Moment kämpfte Maria gegen die-
sen schaudervollen Anblick, aber bald erlag das Mut-
terherz solcher Höllenqual, und das Wimmern des
Kindes raubre ihr alle Besinnung.

"Verzeih, mein süßer Engel!" schrie sie, sank
auf die Kniee und legte das Kind zu Füßen des großen
Kreuzes. "Sei gut, sei still, mein Kind, meine Perle,
meine Freude, mein Alles! Bald ist die Mutter wie-
der bei dir!"

"Unglückliche!" riefen die Offiziere, "der Wein
ist vergiftet!?"

Marie erhob sich von der Erde und stand voll
erhabener Majestät vor den Männern. Sie war dop-
pelt bleich, bleich von den schrecklichen Qualen ihrer
Seele und bleich von den furchtbaren Wirkungen des
Giftes, welche zu wüthen begannen.

"Ja," sprach sie mit bitterm Lächeln, "ja,
dieser Wein ist vergiftet, und ich selbst habe das Gift
hineingethan! Verruchte Henker aller der Meinigen!
Binnen einem Monate habt ihr meinen Vater, meine
vier Brüder und meinen Mann gemordet! - Ja,
ihr seid vergiftet! - Fluch über euch! Fluch über
Frankreich! Fluch rufe ich an meinem Sarge und der
Fluch eines Sterbenden wird im Himmel erhört!"

Ein neuer Schrei des Kindes schreckte sie auf,
sie flog zu ihm. Zwei von den Offizieren, welche
nichts von dem Wein getrunken hatten, wollten sie
gegen die Wuth der Soldaten schützen und stellten sich
zwischen sie und den Andrang. Aber die Unglückliche
hörte sie nicht mehr. Jhr kleiner Manuel war so
eben unter furchtbaren Zuckungen an ihrem Herzen ge-
storben, sie hielt ihn fest umklammert mit beiden Ar-
men, er war kalt und bleich, wie eine dem Boden
gewaltsam entrissene Blume.

[Ende Spaltensatz]

147 Conversations=Blatt. 148
[Beginn Spaltensatz] gestürzten Partei, von welcher sich Guerillasbanden zeig-
ten, verleite, daher bereits am 12. April 1835 die
Cortes durch eine Deputation die Königin ersuchen lie-
ßen, sich sobald als möglich wieder zu vermählen. Der
Entschluß war nicht so leicht, indeß die Verhältnisse
drängten und die Wiedervermählung, welche am 10.
April 1836 mit dem jugendlichen Prinzen Ferdinand
August Franz Anton von Sachsen=Coburg, geb. den
29. Oktober 1816, statt fand, konnte nicht länger
aufgeschoben werden.

Das reizende Bild dieser liebenswürdigen Königin,
gleich ausgezeichnet an Gaben des Geistes und des
Herzens und an Schönheit, ist eine Kopie des Stahl-
stichs von Graves, nach einem Gemälde des engli-
schen Hofmalers Lawrence.



Die Spanierin.

(Beschluß.)

Jn diesem Augenblick erschienen zwei Soldaten
und trieben eine Frau mit dem Kinde auf dem Arm
in ihrer Mitte brutal vor den Kapitän. Maria war
es. Sie war sehr bleich, aber sie schritt fest einher
und senkte den Blick zur Erde. Obgleich ihre Klei-
dung die Tracht gemeiner Leute war, stand doch der
Kapitän auf und begrüßte sie durch das zur Gewohn-
heit gewordene Zeichen.

„Seid ihr aus diesem Dorfe?“ fragte er in höf-
lich mildem Ton, denn er war jung, und schön war
Marie.

„Ja,“ antwortete die junge Frau.

„Warum ist es verlassen und warum seid ihr
allein hier?“

„Weil alle Einwohner in die Sierra la Pena de
Francia
entflohen, blieb ich allein hier mit meinem
Kind bei meiner alten lahmen Großmutter.“

„Warum wurde das Brodt verbrannt?“

„Damit ihr bei eurer Ankunft es nicht mehr fin-
den solltet. Der Backofen des Spaniers soll nicht für
den Franzosen geheizt werden.“

Jn diesem Augenblick bohrte einer der Soldaten
einen Schlauch an, um von dem Wein zu trinken.
Ein Gedanke fuhr dem Lieutenant durch den Kopf,
ein arger Gedanke, er war älter als der Kapitän,
was in jenem Heere nicht selten sich fand.

„Warum,“ sprach er zu Marien, „ist nicht
auch dieser Wein gleich dem andern ansgegossen wor-
den?“

„Weil ich ihn verbergen zu können hoffte, –
aber – euch gegenüber“ –

Ein Blick des glühendsten Hasses vollendete den
Redesatz.

„Jst der Wein gut?“

„Ja gewiß.“

„Wohlan, so wirst du dich nicht weigern, uns
mit gutem Beispiel voranzugehen.“

„Keineswegs.“

[Spaltenumbruch]

Und sie streckte die Hand nach dem Kapitän, er
füllte den silbernen Becher, den er stets bei sich trug,
und Marie leerte ihn kalt und unbefangen in einem
Zuge.

„Weil der Wein so gut ist, so wirst du wohl
auch deinem Kinde davon zu trinken geben.“

Ein leichtes Zittern durchzuckte die Hand der
Mutter, aber es war so schwach, daß nur ein ge-
übtes Mutterauge es wahrnehmen konnte. Sie ergriff
den Becher, führte ihn an die Lippen des kleinen En-
gels und gab ihn dann dem Lieutenant zurück.

„Jetzt könnt ihr trinken, Kinder,“ sprach der
Kapitän, „laßt mir nur einen Schlauch unberührt.“

Diese Worte klangen Marien, wie himmlische
Musik; im paradiesischen Lichtglanze sah sie den Him-
mel sich öffnen und die seligen Gestalten ihres Vaters,
ihres Joaquin und ihrer Brüder freundlich ihr Beifall
zuwinken.

Aber schon in diesem Augenblick empfand das
junge und schwache Geschöpf an ihrem Busen, welches
bald eine Leiche in ihren Armen werden sollte, die er-
sten schmerzvollen Anfälle des starken Gifts in dem
Wein; der Arsenik wirkte. Bleich wurde das arme
Kind, dann heftig blau, krümmte sich und fiel in
Zuckungen. Einen Moment kämpfte Maria gegen die-
sen schaudervollen Anblick, aber bald erlag das Mut-
terherz solcher Höllenqual, und das Wimmern des
Kindes raubre ihr alle Besinnung.

„Verzeih, mein süßer Engel!“ schrie sie, sank
auf die Kniee und legte das Kind zu Füßen des großen
Kreuzes. „Sei gut, sei still, mein Kind, meine Perle,
meine Freude, mein Alles! Bald ist die Mutter wie-
der bei dir!“

„Unglückliche!“ riefen die Offiziere, „der Wein
ist vergiftet!?“

Marie erhob sich von der Erde und stand voll
erhabener Majestät vor den Männern. Sie war dop-
pelt bleich, bleich von den schrecklichen Qualen ihrer
Seele und bleich von den furchtbaren Wirkungen des
Giftes, welche zu wüthen begannen.

„Ja,“ sprach sie mit bitterm Lächeln, „ja,
dieser Wein ist vergiftet, und ich selbst habe das Gift
hineingethan! Verruchte Henker aller der Meinigen!
Binnen einem Monate habt ihr meinen Vater, meine
vier Brüder und meinen Mann gemordet! – Ja,
ihr seid vergiftet! – Fluch über euch! Fluch über
Frankreich! Fluch rufe ich an meinem Sarge und der
Fluch eines Sterbenden wird im Himmel erhört!“

Ein neuer Schrei des Kindes schreckte sie auf,
sie flog zu ihm. Zwei von den Offizieren, welche
nichts von dem Wein getrunken hatten, wollten sie
gegen die Wuth der Soldaten schützen und stellten sich
zwischen sie und den Andrang. Aber die Unglückliche
hörte sie nicht mehr. Jhr kleiner Manuel war so
eben unter furchtbaren Zuckungen an ihrem Herzen ge-
storben, sie hielt ihn fest umklammert mit beiden Ar-
men, er war kalt und bleich, wie eine dem Boden
gewaltsam entrissene Blume.

[Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 10. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt10_1836/2>, abgerufen am 21.11.2024.