Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 10. Burg/Berlin, 1836.149 Conversations=Blatt. 150 [Beginn Spaltensatz]
"Barbaren!" schrie sie noch einmal, " Unge- Jetzt waren Befehle und Widerstand der Offiziere Sieben und dreißig französische Krieger wurden Szenen aus dem Leben Kastiliens und Anda- Friedrichs des Großen Lebens=und Tagesordnung. (Fortsetzung.) Nach dem Flötenblasen oder bei dem Herumgehen Wenn die Kabinetsräthe beurlaubt waren, legte Unter Friedrich Wilhelm wurde die Parole Nach- Schlag zwölf Uhr war angerichtet. Auch Fried- Der König saß gern bei Tische, war lebhaft in 149 Conversations=Blatt. 150 [Beginn Spaltensatz]
„Barbaren!“ schrie sie noch einmal, „ Unge- Jetzt waren Befehle und Widerstand der Offiziere Sieben und dreißig französische Krieger wurden Szenen aus dem Leben Kastiliens und Anda- Friedrichs des Großen Lebens=und Tagesordnung. (Fortsetzung.) Nach dem Flötenblasen oder bei dem Herumgehen Wenn die Kabinetsräthe beurlaubt waren, legte Unter Friedrich Wilhelm wurde die Parole Nach- Schlag zwölf Uhr war angerichtet. Auch Fried- Der König saß gern bei Tische, war lebhaft in <TEI> <text> <body> <div xml:id="Span5" type="jArticle" n="1"> <pb facs="#f0003"/> <fw type="header" place="top">149 Conversations=Blatt. 150</fw> <cb type="start" n="149"/> <p>„Barbaren!“ schrie sie noch einmal, „ Unge-<lb/> heuer! Jhr habt mich zu dieser gräßlichen That ge-<lb/> bracht, zur Mörderin meines Kindes mich gemacht;<lb/> – Aber nein, nein!“ rief sie, die Hände faltend<lb/> und gegen den Himmel emporstreckend, „nein! ich bin<lb/> nicht schuldig! Was hättest du hier gethan, arme<lb/> Waise? Sklave wärst du gewesen, die Kette der<lb/> Franzosen hättest du getragen! Nein! gesegnet sei<lb/> deine Mutter! Fluch über Frankreich!“</p><lb/> <p>Jetzt waren Befehle und Widerstand der Offiziere<lb/> vergeblich, die Soldaten stürzten sich über sie und das<lb/> todte Kind. Kaum wurde noch ein Seufzer von ihr<lb/> gehört, denn dreißig Spitzen drangen zugleich in ihr<lb/> Herz; mit dem Kind an der Brust stürzte sie unter<lb/> dem Kreuz zusammen. Außer sich vor Wuth, rissen<lb/> die Soldaten die Leiche empor, banden ihr Steine<lb/> an Arme und Füße, und schleuderten sie hinab in den<lb/> Zaparadiel. Dort sah man die Leiche noch einen Au-<lb/> genblick kreisend sich drehen, dann, von dem Gewicht<lb/> der Steine hinabgezogen, plötzlich unter den Wellen<lb/> verschwinden. Das feuchte Grab schloß sich für ewig<lb/> über ihr.</p><lb/> <p>Sieben und dreißig französische Krieger wurden<lb/> das schauerliche Todtenopfer auf ihrem Grabe, und<lb/> die Flammen von San Pedro beleuchteten das Schau-<lb/> spiel der Trauer.</p><lb/> <p><space dim="horizontal"/> Szenen aus dem Leben Kastiliens und Anda-<lb/><space dim="horizontal"/> lusiens <choice><abbr>ec.</abbr></choice> Weimar bei Voigt. 1836.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div xml:id="Friedrich1" type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#fr">Friedrichs des Großen Lebens=und<lb/> Tagesordnung.</hi> </head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#c">(Fortsetzung.)</hi> <note type="editorial">Ausgaben, die vorangegangene Teile des Artikels enthalten, fehlen.</note> </p> </argument><lb/> <p>Nach dem Flötenblasen oder bei dem Herumgehen<lb/> speiste der König von den Kirschen, Feigen, Wein-<lb/> trauben oder dem Obste, welches auf den Spiegel-<lb/> tischen stand, und welches er so sehr liebte, daß er<lb/> die ersten Kirschen im Dezember und bis Mitte Januar<lb/> das Stück mit zwei Thalern bezahlte und die kostbaren<lb/> weltberühmten Treibhäuser in Sans=Souci erhielt.<lb/> Auf Reisen ließ er sich sehr gern mit Obst bewirthen.</p><lb/> <p>Wenn die Kabinetsräthe beurlaubt waren, legte<lb/> der König sein Nachtzeug ab, bestrich sich die Haare<lb/> mit Pomade, ließ sich pudern, wusch sich mit einer<lb/> Serviette Gesicht und Hände und zog die Uniform an,<lb/> welches, wenn er sich nicht barbirte, in fünf Minuten<lb/> gethan war. Zum Anziehen, wie zum Aufsetzen der<lb/> Haartour, zum Kaffee= und Chokolademachen waren<lb/> theils Kammerhusaren, theils Kammerlakeien bestimmt.</p><lb/> <p>Unter Friedrich Wilhelm wurde die Parole Nach-<lb/> mittags um drei Uhr ausgegeben, wobei in Berlin der<lb/> Gouverneur und der Kommandant nebst den Stabs-<lb/> offizieren, welche den Dienst hatten, bis halb fünf<lb/> Uhr beschäftigt waren. Friedrich änderte das. Zwi-<lb/> schen zehn und zwölf Uhr gab er dem Kommandanten<lb/> die Parole, welche bei der Parade um elf Uhr aus-<lb/> getheilt wurde. Darauf beantwortete er Familien-<lb/> papiere, sprach Einen oder den Andern, den er ge-<lb/> rade bestellt hatte, las mit lauter Stimme, übte sich<lb/><cb n="150"/> auch wohl, wenn Zeit war, in einigen Konzertstücken,<lb/> besuchte bisweilen die Parade, ritt oder ging spa-<lb/> zieren.</p><lb/> <p>Schlag zwölf Uhr war angerichtet. Auch Fried-<lb/> rich Wilhelm <hi rendition="#aq">I</hi>. ging um diese Zeit zu Tische; so alle<lb/> Privathäuser; ja unter dem großen Kurfürsten war es<lb/> um elf Uhr Mittag gewesen: aber noch unter Fried-<lb/> rich <hi rendition="#aq">II</hi>. wurde es Sitte, später, selbst erst gegen zwei<lb/> Uhr zu Tische zu gehen. Die gewöhnlichen sechs<lb/> Schüsseln wurden in zwei Gängen aufgetragen; außer<lb/> dem Obste, wie es die Jahreszeit brachte, kein Nach-<lb/> tisch. Man speiste von schönem Porzellan. Jeder<lb/> Gast konnte nach Belieben essen und Moselwein und<lb/> Pontak trinken, so viel ihm behagte; Champagner<lb/> und Ungarwein wurden nur auf besondern Befehl des<lb/> Königs gereicht, welcher selbst in der Regel Bergerac<lb/> mit Wasser vermischt, trank, auch Moselwein, bis-<lb/> weilen Champagner, Tokaier. Den Rheinwein haßte<lb/> er und sagte: „ <hi rendition="#aq">si l'on veut avoir un avant gout de<lb/> la pendaison, on n'a qu'à prendre du vin de Rhin</hi><lb/> (wenn man einen Vorschmack vom Hängen haben will,<lb/> so braucht man nur Rheinwein zu trinken) .“ Auch<lb/> glaubte er, sein Vater habe das auf ihn vererbte<lb/> Podagra durch den Rheinwein sich zugezogen. Ueber-<lb/> mäßig stark aß der König nicht; aber er liebte scharf<lb/> gewürzte französische und italienische Speisen: Polenta<lb/> (ein fettes, sehr unverdauliches italienisches Gericht<lb/> aus Käse und Mais) , Kuchen, Pasteten, Mehl-<lb/> und Käsespeisen, Schinken, Sauerkohl, Grünkohl, und<lb/> zog sich dadurch öfters Unverdaulichkeiten und Magen-<lb/> krämpfe zu. Erlaubten es die Geschäfte, oder war<lb/> die Gesellschaft besonders anziehend, so währte die Ta-<lb/> fel wohl bis 4 Uhr, selbst noch länger. Die Gäste,<lb/> in der Regel sieben bis zehn, durften abtreten und<lb/> wiederkommen. Die Anekdote ist falsch, daß ein alter<lb/> General, den das verhaltene Wasser beinahe tödtete,<lb/> endlich doch aufgesprungen und mit den Worten hin-<lb/> ausgestürzt sei: <hi rendition="#aq">Sire, tout est grand dans Votre<lb/> Majesté, jusqu'à la vessie même</hi> (Sir, an Jhrer<lb/> Majestät ist Alles groß, sogar die Blase) .</p><lb/> <p>Der König saß gern bei Tische, war lebhaft in<lb/> der Unterhaltung, sprach selbst beständig, französisch;<lb/> Politik, Religion, Geschichte, Kriegssachen und was<lb/> sonst allgemein anziehend war, bot den Stoff. Die<lb/> Tischgenossen wurden sehr gnädig behandelt und merk-<lb/> ten es kaum, daß ein gekröntes Haupt ihr Wirth<lb/> war, der indeß auf diejenigen nicht immer sanft los-<lb/> ging, die Blößen gaben. Auch aus dem reichen<lb/> Schatze von Anekdoten, welche von Kaisern, Königen,<lb/> Fürsten und andern Personen ihm bekannt waren,<lb/> wurde die Erzählung gewürzt. Solche Schwänke trug<lb/> er oft vor, besonders wenn Fremde dazu kamen.<lb/> Währte die Tafel lange, so hatte der König das<lb/> Herz auf der Zunge, denn er trank gemischten Wein,<lb/> so lange er saß. Uebrigens ist es allgemein bekannt<lb/> und auch von Voltaire in der <hi rendition="#aq">Vie privée</hi> gerühmt<lb/> worden, wie reich an Jdeen über die verschiedenartig-<lb/> sten, wichtigsten Gegenstände Friedrichs Unterhaltung<lb/> gewesen. Auch die Briefe des Königs aus allen Le-</p> </div><lb/> <cb type="end"/> </body> </text> </TEI> [0003]
149 Conversations=Blatt. 150
„Barbaren!“ schrie sie noch einmal, „ Unge-
heuer! Jhr habt mich zu dieser gräßlichen That ge-
bracht, zur Mörderin meines Kindes mich gemacht;
– Aber nein, nein!“ rief sie, die Hände faltend
und gegen den Himmel emporstreckend, „nein! ich bin
nicht schuldig! Was hättest du hier gethan, arme
Waise? Sklave wärst du gewesen, die Kette der
Franzosen hättest du getragen! Nein! gesegnet sei
deine Mutter! Fluch über Frankreich!“
Jetzt waren Befehle und Widerstand der Offiziere
vergeblich, die Soldaten stürzten sich über sie und das
todte Kind. Kaum wurde noch ein Seufzer von ihr
gehört, denn dreißig Spitzen drangen zugleich in ihr
Herz; mit dem Kind an der Brust stürzte sie unter
dem Kreuz zusammen. Außer sich vor Wuth, rissen
die Soldaten die Leiche empor, banden ihr Steine
an Arme und Füße, und schleuderten sie hinab in den
Zaparadiel. Dort sah man die Leiche noch einen Au-
genblick kreisend sich drehen, dann, von dem Gewicht
der Steine hinabgezogen, plötzlich unter den Wellen
verschwinden. Das feuchte Grab schloß sich für ewig
über ihr.
Sieben und dreißig französische Krieger wurden
das schauerliche Todtenopfer auf ihrem Grabe, und
die Flammen von San Pedro beleuchteten das Schau-
spiel der Trauer.
Szenen aus dem Leben Kastiliens und Anda-
lusiens Weimar bei Voigt. 1836.
Friedrichs des Großen Lebens=und
Tagesordnung.
(Fortsetzung.)
Nach dem Flötenblasen oder bei dem Herumgehen
speiste der König von den Kirschen, Feigen, Wein-
trauben oder dem Obste, welches auf den Spiegel-
tischen stand, und welches er so sehr liebte, daß er
die ersten Kirschen im Dezember und bis Mitte Januar
das Stück mit zwei Thalern bezahlte und die kostbaren
weltberühmten Treibhäuser in Sans=Souci erhielt.
Auf Reisen ließ er sich sehr gern mit Obst bewirthen.
Wenn die Kabinetsräthe beurlaubt waren, legte
der König sein Nachtzeug ab, bestrich sich die Haare
mit Pomade, ließ sich pudern, wusch sich mit einer
Serviette Gesicht und Hände und zog die Uniform an,
welches, wenn er sich nicht barbirte, in fünf Minuten
gethan war. Zum Anziehen, wie zum Aufsetzen der
Haartour, zum Kaffee= und Chokolademachen waren
theils Kammerhusaren, theils Kammerlakeien bestimmt.
Unter Friedrich Wilhelm wurde die Parole Nach-
mittags um drei Uhr ausgegeben, wobei in Berlin der
Gouverneur und der Kommandant nebst den Stabs-
offizieren, welche den Dienst hatten, bis halb fünf
Uhr beschäftigt waren. Friedrich änderte das. Zwi-
schen zehn und zwölf Uhr gab er dem Kommandanten
die Parole, welche bei der Parade um elf Uhr aus-
getheilt wurde. Darauf beantwortete er Familien-
papiere, sprach Einen oder den Andern, den er ge-
rade bestellt hatte, las mit lauter Stimme, übte sich
auch wohl, wenn Zeit war, in einigen Konzertstücken,
besuchte bisweilen die Parade, ritt oder ging spa-
zieren.
Schlag zwölf Uhr war angerichtet. Auch Fried-
rich Wilhelm I. ging um diese Zeit zu Tische; so alle
Privathäuser; ja unter dem großen Kurfürsten war es
um elf Uhr Mittag gewesen: aber noch unter Fried-
rich II. wurde es Sitte, später, selbst erst gegen zwei
Uhr zu Tische zu gehen. Die gewöhnlichen sechs
Schüsseln wurden in zwei Gängen aufgetragen; außer
dem Obste, wie es die Jahreszeit brachte, kein Nach-
tisch. Man speiste von schönem Porzellan. Jeder
Gast konnte nach Belieben essen und Moselwein und
Pontak trinken, so viel ihm behagte; Champagner
und Ungarwein wurden nur auf besondern Befehl des
Königs gereicht, welcher selbst in der Regel Bergerac
mit Wasser vermischt, trank, auch Moselwein, bis-
weilen Champagner, Tokaier. Den Rheinwein haßte
er und sagte: „ si l'on veut avoir un avant gout de
la pendaison, on n'a qu'à prendre du vin de Rhin
(wenn man einen Vorschmack vom Hängen haben will,
so braucht man nur Rheinwein zu trinken) .“ Auch
glaubte er, sein Vater habe das auf ihn vererbte
Podagra durch den Rheinwein sich zugezogen. Ueber-
mäßig stark aß der König nicht; aber er liebte scharf
gewürzte französische und italienische Speisen: Polenta
(ein fettes, sehr unverdauliches italienisches Gericht
aus Käse und Mais) , Kuchen, Pasteten, Mehl-
und Käsespeisen, Schinken, Sauerkohl, Grünkohl, und
zog sich dadurch öfters Unverdaulichkeiten und Magen-
krämpfe zu. Erlaubten es die Geschäfte, oder war
die Gesellschaft besonders anziehend, so währte die Ta-
fel wohl bis 4 Uhr, selbst noch länger. Die Gäste,
in der Regel sieben bis zehn, durften abtreten und
wiederkommen. Die Anekdote ist falsch, daß ein alter
General, den das verhaltene Wasser beinahe tödtete,
endlich doch aufgesprungen und mit den Worten hin-
ausgestürzt sei: Sire, tout est grand dans Votre
Majesté, jusqu'à la vessie même (Sir, an Jhrer
Majestät ist Alles groß, sogar die Blase) .
Der König saß gern bei Tische, war lebhaft in
der Unterhaltung, sprach selbst beständig, französisch;
Politik, Religion, Geschichte, Kriegssachen und was
sonst allgemein anziehend war, bot den Stoff. Die
Tischgenossen wurden sehr gnädig behandelt und merk-
ten es kaum, daß ein gekröntes Haupt ihr Wirth
war, der indeß auf diejenigen nicht immer sanft los-
ging, die Blößen gaben. Auch aus dem reichen
Schatze von Anekdoten, welche von Kaisern, Königen,
Fürsten und andern Personen ihm bekannt waren,
wurde die Erzählung gewürzt. Solche Schwänke trug
er oft vor, besonders wenn Fremde dazu kamen.
Währte die Tafel lange, so hatte der König das
Herz auf der Zunge, denn er trank gemischten Wein,
so lange er saß. Uebrigens ist es allgemein bekannt
und auch von Voltaire in der Vie privée gerühmt
worden, wie reich an Jdeen über die verschiedenartig-
sten, wichtigsten Gegenstände Friedrichs Unterhaltung
gewesen. Auch die Briefe des Königs aus allen Le-
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