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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 13. Burg/Berlin, 1836.

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[Beginn Spaltensatz] rung zeigt, giebt dem Aeltesten unter den Anwesenden je-
desmal einen gewissen Vorrang.     Ausland.



Rio de Janeiro.

(Fortsetzung.)

Jhr langbedachter Plan wurde auf folgende Weise
ausgeführt: Es ist nämlich Sitte in Brasilien, daß, wenn
die Sklaven bei einbrechender Nacht ihr Tagewerk abge-
than haben, sie vor ihrer Herrschaft erscheinen, um der-
selben als Zeichen der Ehrfurcht und Treue die Hand zu
küssen. Die Verschwörer, mit langen Messern bewaffnet,
hatten einen solchen Augenblick zur Ausführung ihres Pla-
nes ersehen, und da die ganze Familie, nichts Böses ah-
nend, versammelt ist, fallen die an Zahl und Körperkraft
überlegenen Afrikaner plötzlich über sie her, binden sie und
drohen mit gezücktem Messer denjenigen niederzubohren,
der nur eine Miene zur Gegenwehr oder zum Lärm macht.
Nachdem sie ihren Herrn geknebelt und jede Gegenwehr
von Seiten der Familie unmöglich gemacht haben, begin-
nen sie ihr entsetzliches Werk. Vor den Augen des un-
glücklichen Vaters werden seinen Söhnen die Hälse abge-
schnitten, in seiner ohnmächtigen Verzweiflung muß der
Unglückliche Zeuge sein, wie Gattin und Töchter durch die
entmenschten Kannibalen, deren racheentflammte Seelen
jedem Gefühl des Mitleides und Erbarmens verschlossen
bleiben, nach entehrender Mißhandlung als Opfer der nicht
zu sättigenden Rache hingeschlachtet werden. Dem un-
glücklichen Gebieter ist ein schrecklicher Tod aufbewahrt.
Nachdem man ihm die Augen ausgestochen und seinen Kör-
per auf andere gräuliche Weise verstümmelt hat, wird er
gänzlich entkleidet und noch lebend zum nahen Walde ge-
schleift, und dort auf einen großen Ameisenhaufen befestigt,
wo nach einigen Tagen ein Capitano do Matto (dessen
Amt ist, entlaufene Neger in den Wäldern zu fangen) das
Skelett des Unglücklichen findet. Welche namenlose Schmer-
zen muß nicht der Bedauernswerthe erlitten haben und
welches Menschen Haar sträubt sich nicht bei dieser Schil-
derung vor schauderndem Entsetzen!

Bei einer gelinden Behandlung sind die Neger gut
geartet und man trifft oft eine Weichheit des Gefühls un-
ter ihnen, die den zivilisirten Europäer beschämen und in
Erstaunen setzen würde. Hieher gehören Züge der Dank-
barkeit, der Freundschaft, der kindlichen Liebe. Welche
Keime schlummern nicht in der Seele eines Schwarzen,
Keime, die bei einer gehörigen Ausbildung die herrlichsten
Blüthen und Früchte verheißen! Aber unter den jetzigen
Umständen ist ihr Jdeenkreis nur sehr eng und beschränkt
sich gemeinlich blos auf sinnliche Genüsse.

Das gesellige Leben in Rio de Janeiro bietet nur
wenige Reize dar und nur eine langjährige Bekanntschaft
öffnet dem Fremden den Zutritt in den engen Familienkreis
der höhern und mittlern Stände. Eine große Lücke des-
selben füllen die häufigen Kirchenfeierlichkeiten aus, die mit
einer Pracht und einem Kostenaufwande begangen werden,
von denen ein Protestant keinen Begriff hat. Außerdem
[unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]giebt es noch viele Schauspielhäuser, [unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]uuter denen sich das
Theater Dom Pedro d'Alcantara am Konstitutionsplatze
auszeichnet, das auf eine dem heißen Klima angemessene
[Spaltenumbruch] Weise gebaut ist, indem man, um der Luft Zugang zu
verschaffen, von allen Seiten Windlöcher, die die Gestalt
von Zylindern und1 1 / 2 Fuß im Durchmesser haben, ange-
bracht hat. Das Jnnere des Theaters ist geschmackvoll
und die kaiserliche Loge wetteifert in Ansehung der Eleganz
vielleicht mit den glänzendsten fürstlichen Logen Deutsch-
lands. Gediegene, werthvolle Aufführungen werden je-
doch nirgends gesehen.

Unter den Wohlthätigkeitsanstalten verdient das große
öffentliche Krankenhaus, die Misericordia, wo für die Auf-
nahme mehrer Tausende gesorgt ist, den ersten Platz.
Hier werden Kranke von allen Farben und Nationen auf-
genommen. Aber ein Blick in die innere Einrichtung und
auf die fürchterlichen Krankheiten, die hier behandelt wer-
den, erfüllt mit schauderndem Entsetzen. Hinter diesem
Gebäude, welches in der Stadt an der Bai liegt, ist der
Beerdigungsplatz für die ärmere Klasse und die Neger
von Rio de Janeiro. Man kann sich nichts Scheuslicheres
und Ekelhafteres denken, als diesen Kirchhof, den man für
einen Schindanger zu halten versucht wird. Hier weint
keine Zypresse herab auf ein theures Grab und kein zar-
t [unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen]es Zeichen der Liebe, womit Dankbarkeit und Anhäng-
lichkeit den Hügel eines geliebten Hingeschiedenen schmückt,
erblickt man an diesem Orte des Grauens und des To-
des. Verwesung und Moder haben hier aus Todtenschä-
deln und Menschengebeinen ihren traurigen Thron aufge-
schlagen und überblicken hohläugig ihr ödes, schweigendes
Reich. Der Flächeninhalt beträgt ungefähr 80 Quadrat-
ruthen und auf einem so beschränkten Raume begräbt man
jährlich viele Tausende menschlicher Leiber, die nicht in
Särge gelegt, sondern meistens eben so nackend, als sie
das Licht der Welt erblickten, in eine große Grube gewor-
fen werden. Diese schmucklose Gruft bleibt so lange offen,
bis sie mit einigen dreißig Leichen angefüllt ist, worauf man
einige Fuß Erde auf sie wirft. Dieses geschieht mit einer
solchen Nachlässigkeit, daß häufig ein menschlicher Fuß,
Arm oder Kopf unbedeckt bleibt, und gleichsam, als habe
der Todte noch etwas zu thun auf der Oberwelt, scheint er
wieder zu ihr hinaufsteigen zu wollen. Die Menschenleichen
gehen hier so schnell in Verwesung über und werden so
schnell von der Kraft der Sonne und dem Gewürm verzehrt,
daß die Gruben schon nach einigen Tagen wieder eröffnet
werden können, um neue Grabkandidaten aufzunehmen.
Die Knochen werden zu Haufen aufgeschichtet, unter denen
man noch häufig Schädel mit ihren Haaren bemerkt. Die
vornehmen Familien lassen ihre Todten in den Kirchen bei-
setzen, ein Mißbrauch, gegen welchen nicht genug geeifert
werden kann. Die dortigen Engländer haben an der Gam-
boa einen Kirchhof, auf welchem auch Protestanten von
andern Nationen, wenn die Angehörigen es wünschen, be-
erdigt werden.     (Beschluß folgt.)



Die Franzosenbraut.

Historische Novelle aus dem Jahre 1812.
Von Friedrich Adami.

1.
Der funfzehnte August, der Tag, an welchem Na-
poleon
einst auf Korsika das Licht einer Welt erblickte,
[Ende Spaltensatz]

203 Conversations=Blatt. 204
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Rio de Janeiro.

(Fortsetzung.)

Jhr langbedachter Plan wurde auf folgende Weise
ausgeführt: Es ist nämlich Sitte in Brasilien, daß, wenn
die Sklaven bei einbrechender Nacht ihr Tagewerk abge-
than haben, sie vor ihrer Herrschaft erscheinen, um der-
selben als Zeichen der Ehrfurcht und Treue die Hand zu
küssen. Die Verschwörer, mit langen Messern bewaffnet,
hatten einen solchen Augenblick zur Ausführung ihres Pla-
nes ersehen, und da die ganze Familie, nichts Böses ah-
nend, versammelt ist, fallen die an Zahl und Körperkraft
überlegenen Afrikaner plötzlich über sie her, binden sie und
drohen mit gezücktem Messer denjenigen niederzubohren,
der nur eine Miene zur Gegenwehr oder zum Lärm macht.
Nachdem sie ihren Herrn geknebelt und jede Gegenwehr
von Seiten der Familie unmöglich gemacht haben, begin-
nen sie ihr entsetzliches Werk. Vor den Augen des un-
glücklichen Vaters werden seinen Söhnen die Hälse abge-
schnitten, in seiner ohnmächtigen Verzweiflung muß der
Unglückliche Zeuge sein, wie Gattin und Töchter durch die
entmenschten Kannibalen, deren racheentflammte Seelen
jedem Gefühl des Mitleides und Erbarmens verschlossen
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zu sättigenden Rache hingeschlachtet werden. Dem un-
glücklichen Gebieter ist ein schrecklicher Tod aufbewahrt.
Nachdem man ihm die Augen ausgestochen und seinen Kör-
per auf andere gräuliche Weise verstümmelt hat, wird er
gänzlich entkleidet und noch lebend zum nahen Walde ge-
schleift, und dort auf einen großen Ameisenhaufen befestigt,
wo nach einigen Tagen ein Capitano do Matto (dessen
Amt ist, entlaufene Neger in den Wäldern zu fangen) das
Skelett des Unglücklichen findet. Welche namenlose Schmer-
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geartet und man trifft oft eine Weichheit des Gefühls un-
ter ihnen, die den zivilisirten Europäer beschämen und in
Erstaunen setzen würde. Hieher gehören Züge der Dank-
barkeit, der Freundschaft, der kindlichen Liebe. Welche
Keime schlummern nicht in der Seele eines Schwarzen,
Keime, die bei einer gehörigen Ausbildung die herrlichsten
Blüthen und Früchte verheißen! Aber unter den jetzigen
Umständen ist ihr Jdeenkreis nur sehr eng und beschränkt
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Das gesellige Leben in Rio de Janeiro bietet nur
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von denen ein Protestant keinen Begriff hat. Außerdem
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Theater Dom Pedro d'Alcantara am Konstitutionsplatze
auszeichnet, das auf eine dem heißen Klima angemessene
[Spaltenumbruch] Weise gebaut ist, indem man, um der Luft Zugang zu
verschaffen, von allen Seiten Windlöcher, die die Gestalt
von Zylindern und1 1 / 2 Fuß im Durchmesser haben, ange-
bracht hat. Das Jnnere des Theaters ist geschmackvoll
und die kaiserliche Loge wetteifert in Ansehung der Eleganz
vielleicht mit den glänzendsten fürstlichen Logen Deutsch-
lands. Gediegene, werthvolle Aufführungen werden je-
doch nirgends gesehen.

Unter den Wohlthätigkeitsanstalten verdient das große
öffentliche Krankenhaus, die Misericordia, wo für die Auf-
nahme mehrer Tausende gesorgt ist, den ersten Platz.
Hier werden Kranke von allen Farben und Nationen auf-
genommen. Aber ein Blick in die innere Einrichtung und
auf die fürchterlichen Krankheiten, die hier behandelt wer-
den, erfüllt mit schauderndem Entsetzen. Hinter diesem
Gebäude, welches in der Stadt an der Bai liegt, ist der
Beerdigungsplatz für die ärmere Klasse und die Neger
von Rio de Janeiro. Man kann sich nichts Scheuslicheres
und Ekelhafteres denken, als diesen Kirchhof, den man für
einen Schindanger zu halten versucht wird. Hier weint
keine Zypresse herab auf ein theures Grab und kein zar-
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lichkeit den Hügel eines geliebten Hingeschiedenen schmückt,
erblickt man an diesem Orte des Grauens und des To-
des. Verwesung und Moder haben hier aus Todtenschä-
deln und Menschengebeinen ihren traurigen Thron aufge-
schlagen und überblicken hohläugig ihr ödes, schweigendes
Reich. Der Flächeninhalt beträgt ungefähr 80 Quadrat-
ruthen und auf einem so beschränkten Raume begräbt man
jährlich viele Tausende menschlicher Leiber, die nicht in
Särge gelegt, sondern meistens eben so nackend, als sie
das Licht der Welt erblickten, in eine große Grube gewor-
fen werden. Diese schmucklose Gruft bleibt so lange offen,
bis sie mit einigen dreißig Leichen angefüllt ist, worauf man
einige Fuß Erde auf sie wirft. Dieses geschieht mit einer
solchen Nachlässigkeit, daß häufig ein menschlicher Fuß,
Arm oder Kopf unbedeckt bleibt, und gleichsam, als habe
der Todte noch etwas zu thun auf der Oberwelt, scheint er
wieder zu ihr hinaufsteigen zu wollen. Die Menschenleichen
gehen hier so schnell in Verwesung über und werden so
schnell von der Kraft der Sonne und dem Gewürm verzehrt,
daß die Gruben schon nach einigen Tagen wieder eröffnet
werden können, um neue Grabkandidaten aufzunehmen.
Die Knochen werden zu Haufen aufgeschichtet, unter denen
man noch häufig Schädel mit ihren Haaren bemerkt. Die
vornehmen Familien lassen ihre Todten in den Kirchen bei-
setzen, ein Mißbrauch, gegen welchen nicht genug geeifert
werden kann. Die dortigen Engländer haben an der Gam-
boa einen Kirchhof, auf welchem auch Protestanten von
andern Nationen, wenn die Angehörigen es wünschen, be-
erdigt werden.     (Beschluß folgt.)



Die Franzosenbraut.

Historische Novelle aus dem Jahre 1812.
Von Friedrich Adami.

1.
Der funfzehnte August, der Tag, an welchem Na-
poleon
einst auf Korsika das Licht einer Welt erblickte,
[Ende Spaltensatz]

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Vor den Augen des un- glücklichen Vaters werden seinen Söhnen die Hälse abge- schnitten, in seiner ohnmächtigen Verzweiflung muß der Unglückliche Zeuge sein, wie Gattin und Töchter durch die entmenschten Kannibalen, deren racheentflammte Seelen jedem Gefühl des Mitleides und Erbarmens verschlossen bleiben, nach entehrender Mißhandlung als Opfer der nicht zu sättigenden Rache hingeschlachtet werden. Dem un- glücklichen Gebieter ist ein schrecklicher Tod aufbewahrt. Nachdem man ihm die Augen ausgestochen und seinen Kör- per auf andere gräuliche Weise verstümmelt hat, wird er gänzlich entkleidet und noch lebend zum nahen Walde ge- schleift, und dort auf einen großen Ameisenhaufen befestigt, wo nach einigen Tagen ein Capitano do Matto (dessen Amt ist, entlaufene Neger in den Wäldern zu fangen) das Skelett des Unglücklichen findet. Welche namenlose Schmer- zen muß nicht der Bedauernswerthe erlitten haben und welches Menschen Haar sträubt sich nicht bei dieser Schil- derung vor schauderndem Entsetzen! Bei einer gelinden Behandlung sind die Neger gut geartet und man trifft oft eine Weichheit des Gefühls un- ter ihnen, die den zivilisirten Europäer beschämen und in Erstaunen setzen würde. Hieher gehören Züge der Dank- barkeit, der Freundschaft, der kindlichen Liebe. Welche Keime schlummern nicht in der Seele eines Schwarzen, Keime, die bei einer gehörigen Ausbildung die herrlichsten Blüthen und Früchte verheißen! Aber unter den jetzigen Umständen ist ihr Jdeenkreis nur sehr eng und beschränkt sich gemeinlich blos auf sinnliche Genüsse. Das gesellige Leben in Rio de Janeiro bietet nur wenige Reize dar und nur eine langjährige Bekanntschaft öffnet dem Fremden den Zutritt in den engen Familienkreis der höhern und mittlern Stände. 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Hier werden Kranke von allen Farben und Nationen auf- genommen. Aber ein Blick in die innere Einrichtung und auf die fürchterlichen Krankheiten, die hier behandelt wer- den, erfüllt mit schauderndem Entsetzen. Hinter diesem Gebäude, welches in der Stadt an der Bai liegt, ist der Beerdigungsplatz für die ärmere Klasse und die Neger von Rio de Janeiro. Man kann sich nichts Scheuslicheres und Ekelhafteres denken, als diesen Kirchhof, den man für einen Schindanger zu halten versucht wird. Hier weint keine Zypresse herab auf ein theures Grab und kein zar- t __es Zeichen der Liebe, womit Dankbarkeit und Anhäng- lichkeit den Hügel eines geliebten Hingeschiedenen schmückt, erblickt man an diesem Orte des Grauens und des To- des. Verwesung und Moder haben hier aus Todtenschä- deln und Menschengebeinen ihren traurigen Thron aufge- schlagen und überblicken hohläugig ihr ödes, schweigendes Reich. Der Flächeninhalt beträgt ungefähr 80 Quadrat- ruthen und auf einem so beschränkten Raume begräbt man jährlich viele Tausende menschlicher Leiber, die nicht in Särge gelegt, sondern meistens eben so nackend, als sie das Licht der Welt erblickten, in eine große Grube gewor- fen werden. Diese schmucklose Gruft bleibt so lange offen, bis sie mit einigen dreißig Leichen angefüllt ist, worauf man einige Fuß Erde auf sie wirft. Dieses geschieht mit einer solchen Nachlässigkeit, daß häufig ein menschlicher Fuß, Arm oder Kopf unbedeckt bleibt, und gleichsam, als habe der Todte noch etwas zu thun auf der Oberwelt, scheint er wieder zu ihr hinaufsteigen zu wollen. Die Menschenleichen gehen hier so schnell in Verwesung über und werden so schnell von der Kraft der Sonne und dem Gewürm verzehrt, daß die Gruben schon nach einigen Tagen wieder eröffnet werden können, um neue Grabkandidaten aufzunehmen. Die Knochen werden zu Haufen aufgeschichtet, unter denen man noch häufig Schädel mit ihren Haaren bemerkt. Die vornehmen Familien lassen ihre Todten in den Kirchen bei- setzen, ein Mißbrauch, gegen welchen nicht genug geeifert werden kann. Die dortigen Engländer haben an der Gam- boa einen Kirchhof, auf welchem auch Protestanten von andern Nationen, wenn die Angehörigen es wünschen, be- erdigt werden. (Beschluß folgt.) Die Franzosenbraut. Historische Novelle aus dem Jahre 1812. Von Friedrich Adami. 1. Der funfzehnte August, der Tag, an welchem Na- poleon einst auf Korsika das Licht einer Welt erblickte,

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 13. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt13_1836/6>, abgerufen am 16.07.2024.