Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 28. Burg/Berlin, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
435 Conversations=Blatt. 436
[Beginn Spaltensatz]
Der Lachsfang bei Högsund in
Norwegen.

Einige hundert Schritt nördlich von Högsund stürzt
sich der breite Drammenelvstrom mit seiner großen Was-
sermasse zwar nicht tief, aber mit wildschäumenden Wo-
gen brausend hinab. Ueber dem Wasserfall ist aus den
stärksten Baumstämmen ein großes Balkengerüst erbaut,
innerhalb dessen an starken eisernen Ketten ein Kasten
hängt, der oben offen ist und dessen Seiten aus Git-
terwänden bestehen. Der Lachs arbeitet sich mit einer
erstaunlichen Kraft durch die schäumenden Wogen, wel-
che das ganze Gerüst erschüttern, stromaufwärts, ver-
sucht dann mit einem hohen Sprung über die Wogen
hinweg den Wasserfall zu passiren, wobei er über das
vordere Gitter des Kastens fliegend in denselben fällt
und gefangen ist. Da der Kasten wasserleer ist und
nur von den seitwärts vorbeischäumenden Wellen benetzt
wird, so kann der Lachs nicht darin schwimmen und
wälzt sich mit zuckenden Bewegungen umher. Es ge-
währt einen eigenen Anblick, die Lachse aus den schäu-
menden Wogen hervorspringen zu sehen. Bei hellem
Wetter springen die Lachse häufig, bei trübem dagegen
kommen sie nicht hervor. Der Eigenthümer dieses Lachs-
springs zieht eine ansehnliche Einnahme daraus, indem
bei günstigem Wetter eine große Anzahl Lachse gefangen
wird. Da die gefangenen Lachse nur zu gewissen Ta-
geszeiten abzuholen sind, so ist der Fang selbst mit gar
keinen Kosten verknüpft und das Unternehmen gewährt
einen reinen Ertrag.

    Aus dem handschriftlichen Reisetage-
    buche des Hauptmanns von Versen.



Geheime Versammlung der Mar-
ron-Neger und der Vergifter.

Die Sonne begann schon am Horizont hinab zu
steigen, als Jviane, eine alte Negerin, und Bois-Pi-
quant, ihr Begleiter, noch den schwierigsten Theil des
Weges zurückzulegen hatten. Bala, das Haupt der Mar-
ron-Neger, wollte Jviane, seine Mutter, mitten in sei-
nem wilden Reiche, an einem Orte empfange, der den
Blicken der Weißen und der treuen Neger der Planta-
gen unzugänglich wäre. Hier sollte in der folgenenden
Nacht der höllische Senat der Vergifter aus den ver-
schiedenen Pflanzungen sich versammeln, um unter dem
Vorsitz der alten Jviane neue Verbrechen zu verabreden.

Bois-Piquant stieg den rauhen steilen Abhang des
Berges hinab, indem er sich an die Wurzeln, Lianen
und Felsenspitzen festklammerte; oft wandte er den Kopf
in der Furcht, die Zauberin möchte ihn dem Teufel über-
liefern und durch die leichteste Bewegung in den Abgrund
hinabstürzen. Um diesem Unglück auszuweichen, entschloß
er sich, seine alte Gefährtin auf seine kräftigen Schul-
tern zu nehmen, damit sie, wenn er hinabstürze, sein
Schicksal theilen müsse. An einem Steilabsturze setzte er sie
endlich wieder nieder, und da er sich allmählich der Ge-
fahr enthoben sah; so faßte er Muth, und begann sich
über die Alte lustig zu machen; darüber erzürnte sich diese
[Spaltenumbruch] so heftig, daß sich die Falten ihrer Stirn zusammenzo-
gen und aufrichteten, wie ein Hahnenkamm; die dicken
halbgeöffneten Lippen ließen die weißen, spitzig zugefeil-
ten Zähne sehen. Bei diesem Anblick wurde der aber-
gläubische Neger von Schrecken ergriffen, und sprang auf
die Seite, aus Furcht, die Zauberin möchte ihren ver-
gifteten Speichel nach ihm spucken; in diesem Augenblick
aber wich ein Stein unter ihm, und rollte in den Ab-
grund hinab, doch seine Gewandtheit und eine Wurzel,
die er packte, retteten ihn, und mit einem kräftigen
Schwung stand er wieder auf festem Boden.

"Ich keinen Zauber auf Euch werfen wolle," sagte
Jviane, und spuckte auf die Erde (ein Zeichen der größ-
ten Verachtung bei den Negern), "ich bin es, welche
die Wurzel gehalten," setzte sie mit einem geheimnißvol-
len Blicke hinzu, willigte sodann ein, wieder auf die
Schultern des Führers zu steigen, und Bois-Piquant
begann den gefährlichen Absturz hinabzuklettern. Einige
Wurzeln, an denen er sich festhielt, erlaubten ihm, den
Boden zu erproben, ehe er die Füße niedersetzte, aber
bald fühlte er sich aufs äußerste ermattet, seine Brust
hob sich schnell, und der Schweiß floß in Strömen von der Stirne herab. "Aie," rief er, "nimm dei Blume
von deisem Rohr." Jviane, ohne ihren Sitz zu verlas-
sen, streckte die Hand aus, und brach die ungeheure
scharlachrothe Blüthe ab, die in ihrer Becherform den
Regen und Theau des Himmels empfängt; der Marron
fand genug Wasser darin, um seinen Durst zu löschen
und seine Kräfte wieder herzustellen. Je weiter er jetzt
hinabstieg, desto heftiger schluf das Brüllen des ausge-
tretenen Stroms an seine Ohren, denn hier stürzte er
sich in einen durch zwei Steilabhänge gebildeten Schlund
hinab.

Ueber den Strom, gerade über dem Schlund, bil-
dete der kolossale Stamm eines durch den Sturm ent-
wurzelten Baums eine Art natürlicher Brücke, deren sich
die Marrons und die kecken Jäger bedienten; die Feuch-
tigkeit hatte ihn mit Moos und einem schlüpfrigen
Schlamm überzogen, und wenn der Fluß angeschwellt
war, strömte das Wasser darüber in. Als Jviane und
ihr Führer von deisem gefahrvollen Uebergangspunkte an-
kamen, bedeckte schon tiefe Dunkelheit alle umliegenden
Gegenstände, nur die Spitzen der beiden Berge waren
noch schwach erleuchtet. Doch auf dem entgegengesetzten
Ufer glänzte mitten unter der Bäumen das große Feuer
im Lager Bala's. Bois-Piquant setzte seine Last auf
den Boden, und stieß einen langen kräftigen Schrei aus,
der das Toben der Gewässer übertönte; dies war das
verabredete Zeichen. Bald erschienen Feuer im Walde,
und nahmen ihre Richtung nach der andern Seite der
gefährlichen Brücke. Endlich zeigten sich die dunkelrothen
Gestalten mehrer Neger mit Fackeln in den Händen, und
die Alte rief nun: "Bala, Bala! Jviane hier!"

Unter den Marrons unterschied man einen Neger,
der besser gekleidet war, als die andern, und eine lange
und große Liane, an deren Ende ein Stein befestigt
war, in der Hand hielt. "Mutter Jviane! Bala euch
nicht vergessen," antwortete er mit starker Stimme, und
warf zugleich die Liane auf das andere Ufer hinüber.
[Ende Spaltensatz]

435 Conversations=Blatt. 436
[Beginn Spaltensatz]
Der Lachsfang bei Högsund in
Norwegen.

Einige hundert Schritt nördlich von Högsund stürzt
sich der breite Drammenelvstrom mit seiner großen Was-
sermasse zwar nicht tief, aber mit wildschäumenden Wo-
gen brausend hinab. Ueber dem Wasserfall ist aus den
stärksten Baumstämmen ein großes Balkengerüst erbaut,
innerhalb dessen an starken eisernen Ketten ein Kasten
hängt, der oben offen ist und dessen Seiten aus Git-
terwänden bestehen. Der Lachs arbeitet sich mit einer
erstaunlichen Kraft durch die schäumenden Wogen, wel-
che das ganze Gerüst erschüttern, stromaufwärts, ver-
sucht dann mit einem hohen Sprung über die Wogen
hinweg den Wasserfall zu passiren, wobei er über das
vordere Gitter des Kastens fliegend in denselben fällt
und gefangen ist. Da der Kasten wasserleer ist und
nur von den seitwärts vorbeischäumenden Wellen benetzt
wird, so kann der Lachs nicht darin schwimmen und
wälzt sich mit zuckenden Bewegungen umher. Es ge-
währt einen eigenen Anblick, die Lachse aus den schäu-
menden Wogen hervorspringen zu sehen. Bei hellem
Wetter springen die Lachse häufig, bei trübem dagegen
kommen sie nicht hervor. Der Eigenthümer dieses Lachs-
springs zieht eine ansehnliche Einnahme daraus, indem
bei günstigem Wetter eine große Anzahl Lachse gefangen
wird. Da die gefangenen Lachse nur zu gewissen Ta-
geszeiten abzuholen sind, so ist der Fang selbst mit gar
keinen Kosten verknüpft und das Unternehmen gewährt
einen reinen Ertrag.

    Aus dem handschriftlichen Reisetage-
    buche des Hauptmanns von Versen.



Geheime Versammlung der Mar-
ron-Neger und der Vergifter.

Die Sonne begann schon am Horizont hinab zu
steigen, als Jviane, eine alte Negerin, und Bois-Pi-
quant, ihr Begleiter, noch den schwierigsten Theil des
Weges zurückzulegen hatten. Bala, das Haupt der Mar-
ron-Neger, wollte Jviane, seine Mutter, mitten in sei-
nem wilden Reiche, an einem Orte empfange, der den
Blicken der Weißen und der treuen Neger der Planta-
gen unzugänglich wäre. Hier sollte in der folgenenden
Nacht der höllische Senat der Vergifter aus den ver-
schiedenen Pflanzungen sich versammeln, um unter dem
Vorsitz der alten Jviane neue Verbrechen zu verabreden.

Bois-Piquant stieg den rauhen steilen Abhang des
Berges hinab, indem er sich an die Wurzeln, Lianen
und Felsenspitzen festklammerte; oft wandte er den Kopf
in der Furcht, die Zauberin möchte ihn dem Teufel über-
liefern und durch die leichteste Bewegung in den Abgrund
hinabstürzen. Um diesem Unglück auszuweichen, entschloß
er sich, seine alte Gefährtin auf seine kräftigen Schul-
tern zu nehmen, damit sie, wenn er hinabstürze, sein
Schicksal theilen müsse. An einem Steilabsturze setzte er sie
endlich wieder nieder, und da er sich allmählich der Ge-
fahr enthoben sah; so faßte er Muth, und begann sich
über die Alte lustig zu machen; darüber erzürnte sich diese
[Spaltenumbruch] so heftig, daß sich die Falten ihrer Stirn zusammenzo-
gen und aufrichteten, wie ein Hahnenkamm; die dicken
halbgeöffneten Lippen ließen die weißen, spitzig zugefeil-
ten Zähne sehen. Bei diesem Anblick wurde der aber-
gläubische Neger von Schrecken ergriffen, und sprang auf
die Seite, aus Furcht, die Zauberin möchte ihren ver-
gifteten Speichel nach ihm spucken; in diesem Augenblick
aber wich ein Stein unter ihm, und rollte in den Ab-
grund hinab, doch seine Gewandtheit und eine Wurzel,
die er packte, retteten ihn, und mit einem kräftigen
Schwung stand er wieder auf festem Boden.

„Ich keinen Zauber auf Euch werfen wolle,“ sagte
Jviane, und spuckte auf die Erde (ein Zeichen der größ-
ten Verachtung bei den Negern), „ich bin es, welche
die Wurzel gehalten,“ setzte sie mit einem geheimnißvol-
len Blicke hinzu, willigte sodann ein, wieder auf die
Schultern des Führers zu steigen, und Bois-Piquant
begann den gefährlichen Absturz hinabzuklettern. Einige
Wurzeln, an denen er sich festhielt, erlaubten ihm, den
Boden zu erproben, ehe er die Füße niedersetzte, aber
bald fühlte er sich aufs äußerste ermattet, seine Brust
hob sich schnell, und der Schweiß floß in Strömen von der Stirne herab. „Aie,“ rief er, „nimm dei Blume
von deisem Rohr.“ Jviane, ohne ihren Sitz zu verlas-
sen, streckte die Hand aus, und brach die ungeheure
scharlachrothe Blüthe ab, die in ihrer Becherform den
Regen und Theau des Himmels empfängt; der Marron
fand genug Wasser darin, um seinen Durst zu löschen
und seine Kräfte wieder herzustellen. Je weiter er jetzt
hinabstieg, desto heftiger schluf das Brüllen des ausge-
tretenen Stroms an seine Ohren, denn hier stürzte er
sich in einen durch zwei Steilabhänge gebildeten Schlund
hinab.

Ueber den Strom, gerade über dem Schlund, bil-
dete der kolossale Stamm eines durch den Sturm ent-
wurzelten Baums eine Art natürlicher Brücke, deren sich
die Marrons und die kecken Jäger bedienten; die Feuch-
tigkeit hatte ihn mit Moos und einem schlüpfrigen
Schlamm überzogen, und wenn der Fluß angeschwellt
war, strömte das Wasser darüber in. Als Jviane und
ihr Führer von deisem gefahrvollen Uebergangspunkte an-
kamen, bedeckte schon tiefe Dunkelheit alle umliegenden
Gegenstände, nur die Spitzen der beiden Berge waren
noch schwach erleuchtet. Doch auf dem entgegengesetzten
Ufer glänzte mitten unter der Bäumen das große Feuer
im Lager Bala's. Bois-Piquant setzte seine Last auf
den Boden, und stieß einen langen kräftigen Schrei aus,
der das Toben der Gewässer übertönte; dies war das
verabredete Zeichen. Bald erschienen Feuer im Walde,
und nahmen ihre Richtung nach der andern Seite der
gefährlichen Brücke. Endlich zeigten sich die dunkelrothen
Gestalten mehrer Neger mit Fackeln in den Händen, und
die Alte rief nun: „Bala, Bala! Jviane hier!“

Unter den Marrons unterschied man einen Neger,
der besser gekleidet war, als die andern, und eine lange
und große Liane, an deren Ende ein Stein befestigt
war, in der Hand hielt. „Mutter Jviane! Bala euch
nicht vergessen,“ antwortete er mit starker Stimme, und
warf zugleich die Liane auf das andere Ufer hinüber.
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0004"/>
      <fw type="header" place="top">435 <hi rendition="#c">Conversations=Blatt.</hi> <hi rendition="#right">436</hi></fw>
      <cb type="start" n="435"/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Der Lachsfang bei Högsund in<lb/>
Norwegen.</hi> </head><lb/>
        <p>Einige hundert Schritt nördlich von Högsund stürzt<lb/>
sich der breite Drammenelvstrom mit seiner großen Was-<lb/>
sermasse zwar nicht tief, aber mit wildschäumenden Wo-<lb/>
gen brausend hinab. Ueber dem Wasserfall ist aus den<lb/>
stärksten Baumstämmen ein großes Balkengerüst erbaut,<lb/>
innerhalb dessen an starken eisernen Ketten ein Kasten<lb/>
hängt, der oben offen ist und dessen Seiten aus Git-<lb/>
terwänden bestehen. Der Lachs arbeitet sich mit einer<lb/>
erstaunlichen Kraft durch die schäumenden Wogen, wel-<lb/>
che das ganze Gerüst erschüttern, stromaufwärts, ver-<lb/>
sucht dann mit einem hohen Sprung über die Wogen<lb/>
hinweg den Wasserfall zu passiren, wobei er über das<lb/>
vordere Gitter des Kastens fliegend in denselben fällt<lb/>
und gefangen ist. Da der Kasten wasserleer ist und<lb/>
nur von den seitwärts vorbeischäumenden Wellen benetzt<lb/>
wird, so kann der Lachs nicht darin schwimmen und<lb/>
wälzt sich mit zuckenden Bewegungen umher. Es ge-<lb/>
währt einen eigenen Anblick, die Lachse aus den schäu-<lb/>
menden Wogen hervorspringen zu sehen. Bei hellem<lb/>
Wetter springen die Lachse häufig, bei trübem dagegen<lb/>
kommen sie nicht hervor. Der Eigenthümer dieses Lachs-<lb/>
springs zieht eine ansehnliche Einnahme daraus, indem<lb/>
bei günstigem Wetter eine große Anzahl Lachse gefangen<lb/>
wird. Da die gefangenen Lachse nur zu gewissen Ta-<lb/>
geszeiten abzuholen sind, so ist der Fang selbst mit gar<lb/>
keinen Kosten verknüpft und das Unternehmen gewährt<lb/>
einen reinen Ertrag.</p><lb/>
        <p><space dim="horizontal"/>   Aus dem handschriftlichen Reisetage-<lb/><space dim="horizontal"/>  buche des Hauptmanns <hi rendition="#g">von Versen</hi>. </p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div xml:id="Geheim1" type="jArticle" n="1">
        <head>Geheime Versammlung der Mar-<lb/>
ron-Neger und der Vergifter.</head><lb/>
        <p>Die Sonne begann schon am Horizont hinab zu<lb/>
steigen, als Jviane, eine alte Negerin, und Bois-Pi-<lb/>
quant, ihr Begleiter, noch den schwierigsten Theil des<lb/>
Weges zurückzulegen hatten. Bala, das Haupt der Mar-<lb/>
ron-Neger, wollte Jviane, seine Mutter, mitten in sei-<lb/>
nem wilden Reiche, an einem Orte empfange, der den<lb/>
Blicken der Weißen und der treuen Neger der Planta-<lb/>
gen unzugänglich wäre. Hier sollte in der folgenenden<lb/>
Nacht der höllische Senat der Vergifter aus den ver-<lb/>
schiedenen Pflanzungen sich versammeln, um unter dem<lb/>
Vorsitz der alten Jviane neue Verbrechen zu verabreden.<lb/></p>
        <p>Bois-Piquant stieg den rauhen steilen Abhang des<lb/>
Berges hinab, indem er sich an die Wurzeln, Lianen<lb/>
und Felsenspitzen festklammerte; oft wandte er den Kopf<lb/>
in der Furcht, die Zauberin möchte ihn dem Teufel über-<lb/>
liefern und durch die leichteste Bewegung in den Abgrund<lb/>
hinabstürzen. Um diesem Unglück auszuweichen, entschloß<lb/>
er sich, seine alte Gefährtin auf seine kräftigen Schul-<lb/>
tern zu nehmen, damit sie, wenn er hinabstürze, sein<lb/>
Schicksal theilen müsse. An einem Steilabsturze setzte er sie<lb/>
endlich wieder nieder, und da er sich allmählich der Ge-<lb/>
fahr enthoben sah; so faßte er Muth, und begann sich<lb/>
über die Alte lustig zu machen; darüber erzürnte sich diese<lb/><cb n="436"/>
so heftig, daß sich die Falten ihrer Stirn zusammenzo-<lb/>
gen und aufrichteten, wie ein Hahnenkamm; die dicken<lb/>
halbgeöffneten Lippen ließen die weißen, spitzig zugefeil-<lb/>
ten Zähne sehen. Bei diesem Anblick wurde der aber-<lb/>
gläubische Neger von Schrecken ergriffen, und sprang auf<lb/>
die Seite, aus Furcht, die Zauberin möchte ihren ver-<lb/>
gifteten Speichel nach ihm spucken; in diesem Augenblick<lb/>
aber wich ein Stein unter ihm, und rollte in den Ab-<lb/>
grund hinab, doch seine Gewandtheit und eine Wurzel,<lb/>
die er packte, retteten ihn, und mit einem kräftigen<lb/>
Schwung stand er wieder auf festem Boden.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich keinen Zauber auf Euch werfen wolle,&#x201C; sagte<lb/>
Jviane, und spuckte auf die Erde (ein Zeichen der größ-<lb/>
ten Verachtung bei den Negern), &#x201E;ich bin es, welche<lb/>
die Wurzel gehalten,&#x201C; setzte sie mit einem geheimnißvol-<lb/>
len Blicke hinzu, willigte sodann ein, wieder auf die<lb/>
Schultern des Führers zu steigen, und Bois-Piquant<lb/>
begann den gefährlichen Absturz hinabzuklettern. Einige<lb/>
Wurzeln, an denen er sich festhielt, erlaubten ihm, den<lb/>
Boden zu erproben, ehe er die Füße niedersetzte, aber<lb/>
bald fühlte er sich aufs äußerste ermattet, seine Brust<lb/>
hob sich schnell, und der Schweiß floß in Strömen von der Stirne herab. &#x201E;Aie,&#x201C; rief er, &#x201E;nimm dei Blume<lb/>
von deisem Rohr.&#x201C; Jviane, ohne ihren Sitz zu verlas-<lb/>
sen, streckte die Hand aus, und brach die ungeheure<lb/>
scharlachrothe Blüthe ab, die in ihrer Becherform den<lb/>
Regen und Theau des Himmels empfängt; der Marron<lb/>
fand genug Wasser darin, um seinen Durst zu löschen<lb/>
und seine Kräfte wieder herzustellen. Je weiter er jetzt<lb/>
hinabstieg, desto heftiger schluf das Brüllen des ausge-<lb/>
tretenen Stroms an seine Ohren, denn hier stürzte er<lb/>
sich in einen durch zwei Steilabhänge gebildeten Schlund<lb/>
hinab.</p><lb/>
        <p>Ueber den Strom, gerade über dem Schlund, bil-<lb/>
dete der kolossale Stamm eines durch den Sturm ent-<lb/>
wurzelten Baums eine Art natürlicher Brücke, deren sich<lb/>
die Marrons und die kecken Jäger bedienten; die Feuch-<lb/>
tigkeit hatte ihn mit Moos und einem schlüpfrigen<lb/>
Schlamm überzogen, und wenn der Fluß angeschwellt<lb/>
war, strömte das Wasser darüber in. Als Jviane und<lb/>
ihr Führer von deisem gefahrvollen Uebergangspunkte an-<lb/>
kamen, bedeckte schon tiefe Dunkelheit alle umliegenden<lb/>
Gegenstände, nur die Spitzen der beiden Berge waren<lb/>
noch schwach erleuchtet. Doch auf dem entgegengesetzten<lb/>
Ufer glänzte mitten unter der Bäumen das große Feuer<lb/>
im Lager Bala's. Bois-Piquant setzte seine Last auf<lb/>
den Boden, und stieß einen langen kräftigen Schrei aus,<lb/>
der das Toben der Gewässer übertönte; dies war das<lb/>
verabredete Zeichen. Bald erschienen Feuer im Walde,<lb/>
und nahmen ihre Richtung nach der andern Seite der<lb/>
gefährlichen Brücke. Endlich zeigten sich die dunkelrothen<lb/>
Gestalten mehrer Neger mit Fackeln in den Händen, und<lb/>
die Alte rief nun: &#x201E;Bala, Bala! Jviane hier!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Unter den Marrons unterschied man einen Neger,<lb/>
der besser gekleidet war, als die andern, und eine lange<lb/>
und große Liane, an deren Ende ein Stein befestigt<lb/>
war, in der Hand hielt. &#x201E;Mutter Jviane! Bala euch<lb/>
nicht vergessen,&#x201C; antwortete er mit starker Stimme, und<lb/>
warf zugleich die Liane auf das andere Ufer hinüber.<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0004] 435 Conversations=Blatt. 436 Der Lachsfang bei Högsund in Norwegen. Einige hundert Schritt nördlich von Högsund stürzt sich der breite Drammenelvstrom mit seiner großen Was- sermasse zwar nicht tief, aber mit wildschäumenden Wo- gen brausend hinab. Ueber dem Wasserfall ist aus den stärksten Baumstämmen ein großes Balkengerüst erbaut, innerhalb dessen an starken eisernen Ketten ein Kasten hängt, der oben offen ist und dessen Seiten aus Git- terwänden bestehen. Der Lachs arbeitet sich mit einer erstaunlichen Kraft durch die schäumenden Wogen, wel- che das ganze Gerüst erschüttern, stromaufwärts, ver- sucht dann mit einem hohen Sprung über die Wogen hinweg den Wasserfall zu passiren, wobei er über das vordere Gitter des Kastens fliegend in denselben fällt und gefangen ist. Da der Kasten wasserleer ist und nur von den seitwärts vorbeischäumenden Wellen benetzt wird, so kann der Lachs nicht darin schwimmen und wälzt sich mit zuckenden Bewegungen umher. Es ge- währt einen eigenen Anblick, die Lachse aus den schäu- menden Wogen hervorspringen zu sehen. Bei hellem Wetter springen die Lachse häufig, bei trübem dagegen kommen sie nicht hervor. Der Eigenthümer dieses Lachs- springs zieht eine ansehnliche Einnahme daraus, indem bei günstigem Wetter eine große Anzahl Lachse gefangen wird. Da die gefangenen Lachse nur zu gewissen Ta- geszeiten abzuholen sind, so ist der Fang selbst mit gar keinen Kosten verknüpft und das Unternehmen gewährt einen reinen Ertrag. Aus dem handschriftlichen Reisetage- buche des Hauptmanns von Versen. Geheime Versammlung der Mar- ron-Neger und der Vergifter. Die Sonne begann schon am Horizont hinab zu steigen, als Jviane, eine alte Negerin, und Bois-Pi- quant, ihr Begleiter, noch den schwierigsten Theil des Weges zurückzulegen hatten. Bala, das Haupt der Mar- ron-Neger, wollte Jviane, seine Mutter, mitten in sei- nem wilden Reiche, an einem Orte empfange, der den Blicken der Weißen und der treuen Neger der Planta- gen unzugänglich wäre. Hier sollte in der folgenenden Nacht der höllische Senat der Vergifter aus den ver- schiedenen Pflanzungen sich versammeln, um unter dem Vorsitz der alten Jviane neue Verbrechen zu verabreden. Bois-Piquant stieg den rauhen steilen Abhang des Berges hinab, indem er sich an die Wurzeln, Lianen und Felsenspitzen festklammerte; oft wandte er den Kopf in der Furcht, die Zauberin möchte ihn dem Teufel über- liefern und durch die leichteste Bewegung in den Abgrund hinabstürzen. Um diesem Unglück auszuweichen, entschloß er sich, seine alte Gefährtin auf seine kräftigen Schul- tern zu nehmen, damit sie, wenn er hinabstürze, sein Schicksal theilen müsse. An einem Steilabsturze setzte er sie endlich wieder nieder, und da er sich allmählich der Ge- fahr enthoben sah; so faßte er Muth, und begann sich über die Alte lustig zu machen; darüber erzürnte sich diese so heftig, daß sich die Falten ihrer Stirn zusammenzo- gen und aufrichteten, wie ein Hahnenkamm; die dicken halbgeöffneten Lippen ließen die weißen, spitzig zugefeil- ten Zähne sehen. Bei diesem Anblick wurde der aber- gläubische Neger von Schrecken ergriffen, und sprang auf die Seite, aus Furcht, die Zauberin möchte ihren ver- gifteten Speichel nach ihm spucken; in diesem Augenblick aber wich ein Stein unter ihm, und rollte in den Ab- grund hinab, doch seine Gewandtheit und eine Wurzel, die er packte, retteten ihn, und mit einem kräftigen Schwung stand er wieder auf festem Boden. „Ich keinen Zauber auf Euch werfen wolle,“ sagte Jviane, und spuckte auf die Erde (ein Zeichen der größ- ten Verachtung bei den Negern), „ich bin es, welche die Wurzel gehalten,“ setzte sie mit einem geheimnißvol- len Blicke hinzu, willigte sodann ein, wieder auf die Schultern des Führers zu steigen, und Bois-Piquant begann den gefährlichen Absturz hinabzuklettern. Einige Wurzeln, an denen er sich festhielt, erlaubten ihm, den Boden zu erproben, ehe er die Füße niedersetzte, aber bald fühlte er sich aufs äußerste ermattet, seine Brust hob sich schnell, und der Schweiß floß in Strömen von der Stirne herab. „Aie,“ rief er, „nimm dei Blume von deisem Rohr.“ Jviane, ohne ihren Sitz zu verlas- sen, streckte die Hand aus, und brach die ungeheure scharlachrothe Blüthe ab, die in ihrer Becherform den Regen und Theau des Himmels empfängt; der Marron fand genug Wasser darin, um seinen Durst zu löschen und seine Kräfte wieder herzustellen. Je weiter er jetzt hinabstieg, desto heftiger schluf das Brüllen des ausge- tretenen Stroms an seine Ohren, denn hier stürzte er sich in einen durch zwei Steilabhänge gebildeten Schlund hinab. Ueber den Strom, gerade über dem Schlund, bil- dete der kolossale Stamm eines durch den Sturm ent- wurzelten Baums eine Art natürlicher Brücke, deren sich die Marrons und die kecken Jäger bedienten; die Feuch- tigkeit hatte ihn mit Moos und einem schlüpfrigen Schlamm überzogen, und wenn der Fluß angeschwellt war, strömte das Wasser darüber in. Als Jviane und ihr Führer von deisem gefahrvollen Uebergangspunkte an- kamen, bedeckte schon tiefe Dunkelheit alle umliegenden Gegenstände, nur die Spitzen der beiden Berge waren noch schwach erleuchtet. Doch auf dem entgegengesetzten Ufer glänzte mitten unter der Bäumen das große Feuer im Lager Bala's. Bois-Piquant setzte seine Last auf den Boden, und stieß einen langen kräftigen Schrei aus, der das Toben der Gewässer übertönte; dies war das verabredete Zeichen. Bald erschienen Feuer im Walde, und nahmen ihre Richtung nach der andern Seite der gefährlichen Brücke. Endlich zeigten sich die dunkelrothen Gestalten mehrer Neger mit Fackeln in den Händen, und die Alte rief nun: „Bala, Bala! Jviane hier!“ Unter den Marrons unterschied man einen Neger, der besser gekleidet war, als die andern, und eine lange und große Liane, an deren Ende ein Stein befestigt war, in der Hand hielt. „Mutter Jviane! Bala euch nicht vergessen,“ antwortete er mit starker Stimme, und warf zugleich die Liane auf das andere Ufer hinüber.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt28_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt28_1837/4
Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 28. Burg/Berlin, 1837, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt28_1837/4>, abgerufen am 11.06.2024.