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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 3. Freiburg im Breisgau, 1855.

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der Katholiken durchgesetzt, welche England 1830 vor einer Revolution bewahrte, indem sie den 9 Mill. Katholiken endlich die Bürgerrechte gab. Wilhelm IV. (1830-37) hielt das Whigministerium des Lord Grey in so weit, daß dieses 1832 die Reformbill durchsetzte, durch welche viele sog. "verfaulte" Flecken ihr Wahlrecht verloren, dagegen neu aufgekommene Städte dasselbe erhielten, wodurch die Aristokratie die unbedingte Verfügung über mehr als 100 Plätze im Unterhaus verlor, jedoch noch immer das Princip festgehalten wurde, daß die Landbevölkerung und die Corporationen ein Uebergewicht über die industrielle Bevölkerung behielten. Den 20. Juni 1837 bestieg Victoria den Thron; die Parteikämpfe haben sich fortgesponnen, aber noch nicht entwickelt, weil Torys und Whigs eigentlich nur mehr verschiedene Namen einer Partei, die Radicalen aber noch nicht stark genug sind, sich der Gewalt zu bemächtigen. Die Tendenz, den Gegensatz der religiösen Bekenntnisse für den Staat indifferent zu machen, die Industrie u. dadurch den Handel auf jede Weise zu begünstigen ist unverkennbar (s. Kornbill), aber eben so gewiß, daß das Gewicht der industriellen Bevölkerung immer bedeutender wird u. dem Radicalismus die Gewalt einzuhändigen droht. In der auswärtigen Politik ist manches gelungen, manches mißglückt; gegen Kaffern, Chinesen, die Amirs von Sindh, gegen die Sikhs wurden glückl. Kriege geführt, dagegen in Afghanistan ein Heer verloren (s. Afghanistan, China, Kaffern, Sind, Sikhs) u. Nordamerika in seiner Ausbreitung auf Kosten Mexikos nicht verhindert, weil G. den Kampf mit demselben nicht wagte. Lord Palmerston, der in den kürzlich verflossenen Revolutionsjahren die auswärtigen Angelegenheiten leitete, brachte England unberechenbaren Schaden; er begünstigte die Aufstände und bewies sich gegen befreundete Regierungen hochmüthig und feindselig, ohne es jedoch zu wagen, die Revolutionäre mit Macht zu unterstützen, wodurch er die Continentalmächte eigentlich dazu nöthigte, England nie mehr die Hauptrolle in europ. Angelegenheiten zu überlassen, sondern dasselbe entweder zu isoliren od. bei gemeinschaftl. Action so in Mitleidenschaft zu ziehen, daß es seine ganze Macht einsetzen muß, u. nicht mehr nach Belieben vorwärts oder rückwärts seine eigenen Wege gehen kann. Die histor. Schriften über G. sind zahllos, die geschätztesten: über die angelsächs. Periode Lappenberg und Kemble; über die normann. August Thierry und Turner; über die Reformationszeit Lingard; die Revolution Guizot und Dahlmann; über die Zeit der Stuarts Macaulay; über die Entwicklung der engl. constitutionellen Verfassung Hallam (vergl. Irland und Schottland).


Großbritannische (engl.) Kunst. Im Mittelalter zeigte dieselbe keine wesentliche Eigenthümlichkeit, die neuere entwickelte sich aber sehr spät, als England bereits der erste Handelsstaat Europas war. Der praktische Sinn der Engländer wandte sich der Baukunst vorzugsweise zu; die Paulskirche von Vren (17. Jahrh.) u. die neuester Zeit von Barry erbauten Parlamentshäuser gelten als die bedeutendsten Denkmäler der neueren engl. Baukunst. Die Malerei beginnt eigentl. erst mit Hogarths Auftreten (1734), dem Schöpfer des charakteristischen Genrebildes; in diesem Genre stehen die Engländer auch jetzt noch unübertroffen da, wie sie auch treffliche Porträtmaler besitzen. Sie lieben bekanntlich das Landleben und suchen Naturgenuß auf, und die engl. Dichter machen solche Scenen mit Vorliebe zum Gegenstande ihrer Schilderungen, daher es begreiflich ist, warum die engl. Maler die Landschafts- und Seemalerei besonders ausgebildet haben (Wilson, Gainsborough, Calcot). Die Historienmalerei zählt gleichfalls einzelne berühmte Namen (Reynolds, West, Wilkin, Eastlake etc.); als Porträtmaler glänzt Thom. Lawrence vor allen, im komischen Charakterbild Leslie, wie denn überhaupt keine Nation so viel Anlage zur Carricatur besitzt wie die engl. Die Bildhauerkunst zeigte erst am Schlusse des vorigen Jahrh. wieder einzelne tüchtige Leistungen (Flaxmann, Chantrey, später Westmacott, Wyat, Carew etc.); sie ist weniger durch ideale Formen ausgezeichnet

der Katholiken durchgesetzt, welche England 1830 vor einer Revolution bewahrte, indem sie den 9 Mill. Katholiken endlich die Bürgerrechte gab. Wilhelm IV. (1830–37) hielt das Whigministerium des Lord Grey in so weit, daß dieses 1832 die Reformbill durchsetzte, durch welche viele sog. „verfaulte“ Flecken ihr Wahlrecht verloren, dagegen neu aufgekommene Städte dasselbe erhielten, wodurch die Aristokratie die unbedingte Verfügung über mehr als 100 Plätze im Unterhaus verlor, jedoch noch immer das Princip festgehalten wurde, daß die Landbevölkerung und die Corporationen ein Uebergewicht über die industrielle Bevölkerung behielten. Den 20. Juni 1837 bestieg Victoria den Thron; die Parteikämpfe haben sich fortgesponnen, aber noch nicht entwickelt, weil Torys und Whigs eigentlich nur mehr verschiedene Namen einer Partei, die Radicalen aber noch nicht stark genug sind, sich der Gewalt zu bemächtigen. Die Tendenz, den Gegensatz der religiösen Bekenntnisse für den Staat indifferent zu machen, die Industrie u. dadurch den Handel auf jede Weise zu begünstigen ist unverkennbar (s. Kornbill), aber eben so gewiß, daß das Gewicht der industriellen Bevölkerung immer bedeutender wird u. dem Radicalismus die Gewalt einzuhändigen droht. In der auswärtigen Politik ist manches gelungen, manches mißglückt; gegen Kaffern, Chinesen, die Amirs von Sindh, gegen die Sikhs wurden glückl. Kriege geführt, dagegen in Afghanistan ein Heer verloren (s. Afghanistan, China, Kaffern, Sind, Sikhs) u. Nordamerika in seiner Ausbreitung auf Kosten Mexikos nicht verhindert, weil G. den Kampf mit demselben nicht wagte. Lord Palmerston, der in den kürzlich verflossenen Revolutionsjahren die auswärtigen Angelegenheiten leitete, brachte England unberechenbaren Schaden; er begünstigte die Aufstände und bewies sich gegen befreundete Regierungen hochmüthig und feindselig, ohne es jedoch zu wagen, die Revolutionäre mit Macht zu unterstützen, wodurch er die Continentalmächte eigentlich dazu nöthigte, England nie mehr die Hauptrolle in europ. Angelegenheiten zu überlassen, sondern dasselbe entweder zu isoliren od. bei gemeinschaftl. Action so in Mitleidenschaft zu ziehen, daß es seine ganze Macht einsetzen muß, u. nicht mehr nach Belieben vorwärts oder rückwärts seine eigenen Wege gehen kann. Die histor. Schriften über G. sind zahllos, die geschätztesten: über die angelsächs. Periode Lappenberg und Kemble; über die normann. August Thierry und Turner; über die Reformationszeit Lingard; die Revolution Guizot und Dahlmann; über die Zeit der Stuarts Macaulay; über die Entwicklung der engl. constitutionellen Verfassung Hallam (vergl. Irland und Schottland).


Großbritannische (engl.) Kunst. Im Mittelalter zeigte dieselbe keine wesentliche Eigenthümlichkeit, die neuere entwickelte sich aber sehr spät, als England bereits der erste Handelsstaat Europas war. Der praktische Sinn der Engländer wandte sich der Baukunst vorzugsweise zu; die Paulskirche von Vren (17. Jahrh.) u. die neuester Zeit von Barry erbauten Parlamentshäuser gelten als die bedeutendsten Denkmäler der neueren engl. Baukunst. Die Malerei beginnt eigentl. erst mit Hogarths Auftreten (1734), dem Schöpfer des charakteristischen Genrebildes; in diesem Genre stehen die Engländer auch jetzt noch unübertroffen da, wie sie auch treffliche Porträtmaler besitzen. Sie lieben bekanntlich das Landleben und suchen Naturgenuß auf, und die engl. Dichter machen solche Scenen mit Vorliebe zum Gegenstande ihrer Schilderungen, daher es begreiflich ist, warum die engl. Maler die Landschafts- und Seemalerei besonders ausgebildet haben (Wilson, Gainsborough, Calcot). Die Historienmalerei zählt gleichfalls einzelne berühmte Namen (Reynolds, West, Wilkin, Eastlake etc.); als Porträtmaler glänzt Thom. Lawrence vor allen, im komischen Charakterbild Leslie, wie denn überhaupt keine Nation so viel Anlage zur Carricatur besitzt wie die engl. Die Bildhauerkunst zeigte erst am Schlusse des vorigen Jahrh. wieder einzelne tüchtige Leistungen (Flaxmann, Chantrey, später Westmacott, Wyat, Carew etc.); sie ist weniger durch ideale Formen ausgezeichnet

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[168/0169] der Katholiken durchgesetzt, welche England 1830 vor einer Revolution bewahrte, indem sie den 9 Mill. Katholiken endlich die Bürgerrechte gab. Wilhelm IV. (1830–37) hielt das Whigministerium des Lord Grey in so weit, daß dieses 1832 die Reformbill durchsetzte, durch welche viele sog. „verfaulte“ Flecken ihr Wahlrecht verloren, dagegen neu aufgekommene Städte dasselbe erhielten, wodurch die Aristokratie die unbedingte Verfügung über mehr als 100 Plätze im Unterhaus verlor, jedoch noch immer das Princip festgehalten wurde, daß die Landbevölkerung und die Corporationen ein Uebergewicht über die industrielle Bevölkerung behielten. Den 20. Juni 1837 bestieg Victoria den Thron; die Parteikämpfe haben sich fortgesponnen, aber noch nicht entwickelt, weil Torys und Whigs eigentlich nur mehr verschiedene Namen einer Partei, die Radicalen aber noch nicht stark genug sind, sich der Gewalt zu bemächtigen. Die Tendenz, den Gegensatz der religiösen Bekenntnisse für den Staat indifferent zu machen, die Industrie u. dadurch den Handel auf jede Weise zu begünstigen ist unverkennbar (s. Kornbill), aber eben so gewiß, daß das Gewicht der industriellen Bevölkerung immer bedeutender wird u. dem Radicalismus die Gewalt einzuhändigen droht. In der auswärtigen Politik ist manches gelungen, manches mißglückt; gegen Kaffern, Chinesen, die Amirs von Sindh, gegen die Sikhs wurden glückl. Kriege geführt, dagegen in Afghanistan ein Heer verloren (s. Afghanistan, China, Kaffern, Sind, Sikhs) u. Nordamerika in seiner Ausbreitung auf Kosten Mexikos nicht verhindert, weil G. den Kampf mit demselben nicht wagte. Lord Palmerston, der in den kürzlich verflossenen Revolutionsjahren die auswärtigen Angelegenheiten leitete, brachte England unberechenbaren Schaden; er begünstigte die Aufstände und bewies sich gegen befreundete Regierungen hochmüthig und feindselig, ohne es jedoch zu wagen, die Revolutionäre mit Macht zu unterstützen, wodurch er die Continentalmächte eigentlich dazu nöthigte, England nie mehr die Hauptrolle in europ. Angelegenheiten zu überlassen, sondern dasselbe entweder zu isoliren od. bei gemeinschaftl. Action so in Mitleidenschaft zu ziehen, daß es seine ganze Macht einsetzen muß, u. nicht mehr nach Belieben vorwärts oder rückwärts seine eigenen Wege gehen kann. Die histor. Schriften über G. sind zahllos, die geschätztesten: über die angelsächs. Periode Lappenberg und Kemble; über die normann. August Thierry und Turner; über die Reformationszeit Lingard; die Revolution Guizot und Dahlmann; über die Zeit der Stuarts Macaulay; über die Entwicklung der engl. constitutionellen Verfassung Hallam (vergl. Irland und Schottland). Großbritannische (engl.) Kunst. Im Mittelalter zeigte dieselbe keine wesentliche Eigenthümlichkeit, die neuere entwickelte sich aber sehr spät, als England bereits der erste Handelsstaat Europas war. Der praktische Sinn der Engländer wandte sich der Baukunst vorzugsweise zu; die Paulskirche von Vren (17. Jahrh.) u. die neuester Zeit von Barry erbauten Parlamentshäuser gelten als die bedeutendsten Denkmäler der neueren engl. Baukunst. Die Malerei beginnt eigentl. erst mit Hogarths Auftreten (1734), dem Schöpfer des charakteristischen Genrebildes; in diesem Genre stehen die Engländer auch jetzt noch unübertroffen da, wie sie auch treffliche Porträtmaler besitzen. Sie lieben bekanntlich das Landleben und suchen Naturgenuß auf, und die engl. Dichter machen solche Scenen mit Vorliebe zum Gegenstande ihrer Schilderungen, daher es begreiflich ist, warum die engl. Maler die Landschafts- und Seemalerei besonders ausgebildet haben (Wilson, Gainsborough, Calcot). Die Historienmalerei zählt gleichfalls einzelne berühmte Namen (Reynolds, West, Wilkin, Eastlake etc.); als Porträtmaler glänzt Thom. Lawrence vor allen, im komischen Charakterbild Leslie, wie denn überhaupt keine Nation so viel Anlage zur Carricatur besitzt wie die engl. Die Bildhauerkunst zeigte erst am Schlusse des vorigen Jahrh. wieder einzelne tüchtige Leistungen (Flaxmann, Chantrey, später Westmacott, Wyat, Carew etc.); sie ist weniger durch ideale Formen ausgezeichnet

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 3. Freiburg im Breisgau, 1855, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon03_1855/169>, abgerufen am 23.11.2024.