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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 3. Freiburg im Breisgau, 1855.

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gegen Friedrich von der Pfalz. der nach der böhm. Königskrone trachtete, sowie gegen Ueberlassung der Lausitz auf Seite des Kaisers. Später wollte er sich an die Spitze eines protestantischen Bündnisses stellen, als das Restitutionsedikt die Rückgabe der gegen die Bedingungen des Augsburger Friedens säcularisirten Stifte gebot. Nachdem Gustav Adolf in Deutschland eingefallen war, stellte J. G. I. ein starkes Heer auf, um so den Gang der Ereignisse abzuwarten, was ihm aber weder Tilly noch Gustav Adolf gestattete. Widerwillig warf er sich den Schweden in die Arme, trennte sich jedoch schon 1635 von denselben u. schloß den Prager Frieden mit dem Kaiser, dem fast alle protestantischen Regierungen Deutschlands beitraten. Schweden erhielt aber durch seine Allianz mit Frankreich die Mittel zur Fortsetzung des Krieges, der Kurfürst wurde von Baner geschlagen, Sachsen schauerlich verwüstet und 1645 zu einem Separatfrieden gezwungen. Sein Sohn J. G. II., Kurfürst von 1656-80, sein Enkel J. G. III., Kurfürst von 1680-91 und sein Urenkel. J. G. IV., Kurfürst von 1691-94. hielten in den Kriegen gegen die Franzosen u. Türken treu zu dem Kaiser.


Johann von Leyden, eigentlich Johann Bockhold od. Bockelson, geb. 1510 zu Leyden, ein phantastischer Schneider, der zu Amsterdam Wiedertäufer (s. d.) wurde u. 1533 mit seinem Freunde Mathiesen, einem Bäckergesellen aus Haarlem. nach Münster zog, wo er bald Anhang und Gelegenheit fand. seine communistischen Gedanken vorübergehend ins Leben zu setzen. Auf den Pöbel und einzelne Fanatiker wie Knipperdolling u. Rottmann gestützt, wurde er Herr der Stadt und gedachte als König von Zion nicht nur diese, sondern durch seine Apostel die Christenheit mit Gemeinschaft der Güter und Vielweiberei zu beglücken. Daß neben dem Schrecken religiöser od. noch besser socialistischer Fanatismus in Münster herrschte, beweist der tapfere Widerstand, den die von ihrem Bischof belagerte, von Hunger und Seuchen heimgesuchte Stadt leistete. In Folge eines Verrathes fiel Münster am 24. Juni 1535; J. wurde sammt Knipperdolling am 23. Jan. 1536 mit glühenden Zangen zu Tode gezwickt, ihre Leichname hing man in einem Eisenkäfig am Lambertusthurme auf. Vgl. Cornelius: das Münstersche Wiedertäuferreich; Berichte von Augenzeugen, Münster 1853.


Johanna, die Päpstin, der Gegenstand einer Sage oder vielmehr einer Satire auf das Papstthum, welche die Feindseligkeit oder Beschränktheit besonders im 16. und 18. Jahrh. eifrig benützte, um den Vielen Sand in die Augen zu streuen, die zwischen ewigen Grundsätzen u. Lehren u. den gebrechlichen Trägern derselben keinen Unterschied zu machen wissen. Ein Weibsbild (Herkunft u. Name werden verschieden angegeben) soll mit ihrem Buhlen nach Athen geflohen sein, daselbst in Mannestracht studiert und als Lehrer der Philosophie solche Erfolge errungen haben, daß sie 855 n. Chr. in Rom einmüthig als Johann VIII. der Nachfolger des Papstes Leo IV. (847-55) geworden sei. Nach einer Regierung von 2 Jahren 5 Monaten u. 4 Tagen (nach andern von 2 J. 1 M. und 4 T.) soll die Päpstin während einer Prozession im Lateran niedergekommen. sofort gestorben und begraben worden sein; seitdem aber soll der Papst bei Umgängen den Ort der Niederkunft meiden und jeder Neugewählte hinsichtlich seines Geschlechtes untersucht werden. Diese Erzählung ist so voll Abenteuerlichkeit und plumpen Witzes, daß niemand an eine Widerlegung dachte bis ins 16. Jahrh., wo selbst Bellarmin und Baronius (s. d.) sich mit der Sache befaßten. Fest steht 1) daß erst der Chronist Martin der Pole gegen das Ende des 13. Jahrh, diese Sage aus dem 9. umständlich bringt, welche dann in einzelne Exemplare älterer Chronisten, namentlich des Marianus Scotus und Sigebert von Gemblours, zuletzt in das liber pontificalis des Anastasius. Bibliothekars zu Rom im 9. Jahrh., hineingeschwärzt, von andern nur flüchtig erwähnt wurde; 2) daß aus einer Bildsäule der Päpstin, über deren Vorhandensein, Bedeutung, Zerstörung oder Verwandlung im 16. Jahrh. die Gelehrten ohnehin niemals

gegen Friedrich von der Pfalz. der nach der böhm. Königskrone trachtete, sowie gegen Ueberlassung der Lausitz auf Seite des Kaisers. Später wollte er sich an die Spitze eines protestantischen Bündnisses stellen, als das Restitutionsedikt die Rückgabe der gegen die Bedingungen des Augsburger Friedens säcularisirten Stifte gebot. Nachdem Gustav Adolf in Deutschland eingefallen war, stellte J. G. I. ein starkes Heer auf, um so den Gang der Ereignisse abzuwarten, was ihm aber weder Tilly noch Gustav Adolf gestattete. Widerwillig warf er sich den Schweden in die Arme, trennte sich jedoch schon 1635 von denselben u. schloß den Prager Frieden mit dem Kaiser, dem fast alle protestantischen Regierungen Deutschlands beitraten. Schweden erhielt aber durch seine Allianz mit Frankreich die Mittel zur Fortsetzung des Krieges, der Kurfürst wurde von Banér geschlagen, Sachsen schauerlich verwüstet und 1645 zu einem Separatfrieden gezwungen. Sein Sohn J. G. II., Kurfürst von 1656–80, sein Enkel J. G. III., Kurfürst von 1680–91 und sein Urenkel. J. G. IV., Kurfürst von 1691–94. hielten in den Kriegen gegen die Franzosen u. Türken treu zu dem Kaiser.


Johann von Leyden, eigentlich Johann Bockhold od. Bockelson, geb. 1510 zu Leyden, ein phantastischer Schneider, der zu Amsterdam Wiedertäufer (s. d.) wurde u. 1533 mit seinem Freunde Mathiesen, einem Bäckergesellen aus Haarlem. nach Münster zog, wo er bald Anhang und Gelegenheit fand. seine communistischen Gedanken vorübergehend ins Leben zu setzen. Auf den Pöbel und einzelne Fanatiker wie Knipperdolling u. Rottmann gestützt, wurde er Herr der Stadt und gedachte als König von Zion nicht nur diese, sondern durch seine Apostel die Christenheit mit Gemeinschaft der Güter und Vielweiberei zu beglücken. Daß neben dem Schrecken religiöser od. noch besser socialistischer Fanatismus in Münster herrschte, beweist der tapfere Widerstand, den die von ihrem Bischof belagerte, von Hunger und Seuchen heimgesuchte Stadt leistete. In Folge eines Verrathes fiel Münster am 24. Juni 1535; J. wurde sammt Knipperdolling am 23. Jan. 1536 mit glühenden Zangen zu Tode gezwickt, ihre Leichname hing man in einem Eisenkäfig am Lambertusthurme auf. Vgl. Cornelius: das Münstersche Wiedertäuferreich; Berichte von Augenzeugen, Münster 1853.


Johanna, die Päpstin, der Gegenstand einer Sage oder vielmehr einer Satire auf das Papstthum, welche die Feindseligkeit oder Beschränktheit besonders im 16. und 18. Jahrh. eifrig benützte, um den Vielen Sand in die Augen zu streuen, die zwischen ewigen Grundsätzen u. Lehren u. den gebrechlichen Trägern derselben keinen Unterschied zu machen wissen. Ein Weibsbild (Herkunft u. Name werden verschieden angegeben) soll mit ihrem Buhlen nach Athen geflohen sein, daselbst in Mannestracht studiert und als Lehrer der Philosophie solche Erfolge errungen haben, daß sie 855 n. Chr. in Rom einmüthig als Johann VIII. der Nachfolger des Papstes Leo IV. (847–55) geworden sei. Nach einer Regierung von 2 Jahren 5 Monaten u. 4 Tagen (nach andern von 2 J. 1 M. und 4 T.) soll die Päpstin während einer Prozession im Lateran niedergekommen. sofort gestorben und begraben worden sein; seitdem aber soll der Papst bei Umgängen den Ort der Niederkunft meiden und jeder Neugewählte hinsichtlich seines Geschlechtes untersucht werden. Diese Erzählung ist so voll Abenteuerlichkeit und plumpen Witzes, daß niemand an eine Widerlegung dachte bis ins 16. Jahrh., wo selbst Bellarmin und Baronius (s. d.) sich mit der Sache befaßten. Fest steht 1) daß erst der Chronist Martin der Pole gegen das Ende des 13. Jahrh, diese Sage aus dem 9. umständlich bringt, welche dann in einzelne Exemplare älterer Chronisten, namentlich des Marianus Scotus und Sigebert von Gemblours, zuletzt in das liber pontificalis des Anastasius. Bibliothekars zu Rom im 9. Jahrh., hineingeschwärzt, von andern nur flüchtig erwähnt wurde; 2) daß aus einer Bildsäule der Päpstin, über deren Vorhandensein, Bedeutung, Zerstörung oder Verwandlung im 16. Jahrh. die Gelehrten ohnehin niemals

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[491/0492] gegen Friedrich von der Pfalz. der nach der böhm. Königskrone trachtete, sowie gegen Ueberlassung der Lausitz auf Seite des Kaisers. Später wollte er sich an die Spitze eines protestantischen Bündnisses stellen, als das Restitutionsedikt die Rückgabe der gegen die Bedingungen des Augsburger Friedens säcularisirten Stifte gebot. Nachdem Gustav Adolf in Deutschland eingefallen war, stellte J. G. I. ein starkes Heer auf, um so den Gang der Ereignisse abzuwarten, was ihm aber weder Tilly noch Gustav Adolf gestattete. Widerwillig warf er sich den Schweden in die Arme, trennte sich jedoch schon 1635 von denselben u. schloß den Prager Frieden mit dem Kaiser, dem fast alle protestantischen Regierungen Deutschlands beitraten. Schweden erhielt aber durch seine Allianz mit Frankreich die Mittel zur Fortsetzung des Krieges, der Kurfürst wurde von Banér geschlagen, Sachsen schauerlich verwüstet und 1645 zu einem Separatfrieden gezwungen. Sein Sohn J. G. II., Kurfürst von 1656–80, sein Enkel J. G. III., Kurfürst von 1680–91 und sein Urenkel. J. G. IV., Kurfürst von 1691–94. hielten in den Kriegen gegen die Franzosen u. Türken treu zu dem Kaiser. Johann von Leyden, eigentlich Johann Bockhold od. Bockelson, geb. 1510 zu Leyden, ein phantastischer Schneider, der zu Amsterdam Wiedertäufer (s. d.) wurde u. 1533 mit seinem Freunde Mathiesen, einem Bäckergesellen aus Haarlem. nach Münster zog, wo er bald Anhang und Gelegenheit fand. seine communistischen Gedanken vorübergehend ins Leben zu setzen. Auf den Pöbel und einzelne Fanatiker wie Knipperdolling u. Rottmann gestützt, wurde er Herr der Stadt und gedachte als König von Zion nicht nur diese, sondern durch seine Apostel die Christenheit mit Gemeinschaft der Güter und Vielweiberei zu beglücken. Daß neben dem Schrecken religiöser od. noch besser socialistischer Fanatismus in Münster herrschte, beweist der tapfere Widerstand, den die von ihrem Bischof belagerte, von Hunger und Seuchen heimgesuchte Stadt leistete. In Folge eines Verrathes fiel Münster am 24. Juni 1535; J. wurde sammt Knipperdolling am 23. Jan. 1536 mit glühenden Zangen zu Tode gezwickt, ihre Leichname hing man in einem Eisenkäfig am Lambertusthurme auf. Vgl. Cornelius: das Münstersche Wiedertäuferreich; Berichte von Augenzeugen, Münster 1853. Johanna, die Päpstin, der Gegenstand einer Sage oder vielmehr einer Satire auf das Papstthum, welche die Feindseligkeit oder Beschränktheit besonders im 16. und 18. Jahrh. eifrig benützte, um den Vielen Sand in die Augen zu streuen, die zwischen ewigen Grundsätzen u. Lehren u. den gebrechlichen Trägern derselben keinen Unterschied zu machen wissen. Ein Weibsbild (Herkunft u. Name werden verschieden angegeben) soll mit ihrem Buhlen nach Athen geflohen sein, daselbst in Mannestracht studiert und als Lehrer der Philosophie solche Erfolge errungen haben, daß sie 855 n. Chr. in Rom einmüthig als Johann VIII. der Nachfolger des Papstes Leo IV. (847–55) geworden sei. Nach einer Regierung von 2 Jahren 5 Monaten u. 4 Tagen (nach andern von 2 J. 1 M. und 4 T.) soll die Päpstin während einer Prozession im Lateran niedergekommen. sofort gestorben und begraben worden sein; seitdem aber soll der Papst bei Umgängen den Ort der Niederkunft meiden und jeder Neugewählte hinsichtlich seines Geschlechtes untersucht werden. Diese Erzählung ist so voll Abenteuerlichkeit und plumpen Witzes, daß niemand an eine Widerlegung dachte bis ins 16. Jahrh., wo selbst Bellarmin und Baronius (s. d.) sich mit der Sache befaßten. Fest steht 1) daß erst der Chronist Martin der Pole gegen das Ende des 13. Jahrh, diese Sage aus dem 9. umständlich bringt, welche dann in einzelne Exemplare älterer Chronisten, namentlich des Marianus Scotus und Sigebert von Gemblours, zuletzt in das liber pontificalis des Anastasius. Bibliothekars zu Rom im 9. Jahrh., hineingeschwärzt, von andern nur flüchtig erwähnt wurde; 2) daß aus einer Bildsäule der Päpstin, über deren Vorhandensein, Bedeutung, Zerstörung oder Verwandlung im 16. Jahrh. die Gelehrten ohnehin niemals

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 3. Freiburg im Breisgau, 1855, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon03_1855/492>, abgerufen am 23.11.2024.