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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 6, Czernowitz, 05.01.1904.

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5. Jänner 1904. Czernowitzer Allgemeine Zeitung.

[Spaltenumbruch]

keinerlei Bücher, Zeitungen oder Bilder in ihrem Hause zu
halten, die in irgend einer Beziehung zu der "gefährlichen
Rotte" (der Sozialdemokratie) stehen. Außerdem sollen die
Kinder mehr Religionsunterricht erhalten. Diese Ausführun-
gen sind jedenfalls sehr bezeichnend für die Stimmung eines
Teils der russischen Juden nach den letzten Ereignissen.

(Die letzten Telegramme befinden sich auf Seite 5.)




Bunte Chronik.


Das Brandunglück von Chicago.

Mit einer furchtbaren Katastrophe hat das alte Jahr
abgeschlossen. Der Brand im Iroquois-Theater ist kein
politisches Ereignis, aber er hat die Herzen wohl aller
zivilisierten Menschen auf's tiefste erschüttert, wo sie irgendwo
auf dem Erdenrund davon Kunde bekamen, und hat Fragen
wieder auf die Tagesordnung gesetzt, die die weiteste Oeffent-
lichkeit in aller Herren Länder angehen müssen. Das schauder-
hafte Unglück ist in weiter, weiter Entfernung von uns ge-
schehen, aber wir wissen nur zu genau, wie leicht es einen
jeden von uns hier im Lande hätte betreffen können. Diese
Furcht ist sofort nach dem Bekanntwerden des Unglücks inter-
national geworden. Wir wissen aus unseren privaten Unter-
haltungen, daß da und dort ein Mitglied unserer Bekanntschaft
gestern oder vorgestern den ursprünglichen Plan aufgegeben,
die vorherige Lust zu einem Theaterbesuch verloren hat, und
aus London wird gerade heraus gemeldet: hunderte von
Leuten lassen sich an den Theaterkassen ihr Geld für bereits
gekaufte Billets wiedergeben, das Entsetzen ist allgemein. Man
wird anderswo ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und in
Amerika wird es jetzt wohl als ein Beweis von Verwegenheit
und Todesverachtung aufgefaßt werden, wenn jemand trotz
des Eindrucks jenes Riesenunglücks noch unternimmt, ein
größeres Vergnügungsetablissement zu besuchen. Diese Ein-
schüchterung ist natürlich aus Gesichtspunkten der Seelenkunde,
nicht aber aus plötzlich eingetretener, allgemeiner Feuergefähr-
lichkeit zu erklären. Denn diese hat in demselben großen oder
kleinen Umfang, in dem sie jetzt besteht, auch schon vorher
bestanden. Aber das ist das Traurige, daß man nachgerade
schon der Ueberzeugung werden muß, daß die Gefahren einen
ungeahnten, ganz unerhörten Umfang eben bereits besitzen,
und daß man es nur dem Wohlwollen einer gnädigen Fügung
zu danken hat, nicht den vorzüglichen menschlichen Vorbeugungs-
maßregeln, wenn man bislang von Erfahrungen, wie die
Chicagoer sind, verschont geblieben ist. Vollkommen hilflos
steht der Mensch den Gefahren der Riesenbrände
nicht gegenüber. Geeignete Einrichtungen und nötige Vorsicht
können sie abwehren. Wenn sie sich trotzdem immer und
immer wieder ereignen, sind die Gefühle der Beklemmung und
Angst, die die Menschheit ergreifen, berechtigt. Im gleichen
Maße natürlich auch ihr Unmut und ihre Forderung, daß
die verantwortlichen Personen oder Stellen mit der größten
Gewissenhaftigkeit ihres Amtes walten. Man bedenke wohl,
es handelt sich doch immer gleich um hunderte und hunderte
von Menschenleben, es handelt sich um unschuldige Kinder
und Frauen, die keineswegs ihren Tod etwa selber mitver-
schuldet haben, es handelt sich stets und immer nicht allein
um die Angehörigen des heimgesuchten Landes, sondern auch
um so und soviele Ausländer, die in der gastlichen Fremde
alles andere erwarteten, nur nicht den Untergang. Aus
diesem Grunde machen die Völker schwere Katastrophen, die
fremde Länder heimsuchen, zu den ihren; und aus diesem
Grunde wird die Frage der Sicherung und Vorbeugung
zur internationalen, die Pflicht der Gewissenhaftigkeit zu
einer Pflicht nicht nur gegen die Mitbürger, sondern
gegenüber der Menschheit. Auch in Chicago wieder sind Leute
um ihr Leben gekommen. Es würde natürlich töricht sein,
wenn wir damit sagen wollten, so etwas wie in der ameri-
kanischen Stadt kommt bei uns nicht vor. Wir brauchen uns
nur an das Wiener Ringtheater und an die Wohltätigkeitsvor-
stellung in Paris, oder an den Brand im Budapester Waren-
haus oder an den Tunnelbrand der Pariser Untergrundbahn




[Spaltenumbruch]

durchdrungen. Graf Goluchowski hat dieselbe Klugheit
und Gewissenhaftigkeit mitgebracht, aber dazu das Gefühl der
Kraft und Bedeutung der Monarchie, des Vertrauens in ihren
historischen Beruf und ihre hohen Geschicke. Damit -- wie
in dem Verständnis für eine aktive Orientpolitik -- ist er
zum Grafen Andrassy, unter dem er seine Karriere begonnen,
zurückgekehrt. Graf Goluchowski zieht es vor, seinen großen
Vorgänger zu verstehen, anstattt sich mit ihm verdrießlich zu
messen. Graf Andrassy war ein Zielstecker, Graf Kalnoky
ein Ausweicher, Graf Goluchowski ist ein Steher, der
manchem Renner zuvorkommt.

Sein Stehvermögen ist noch immer manchem Gegner
oder Rivalen zu viel geworden. Die Menge der neben ihm
Gepurzelten, wie Badeni, Gautsch, Thun und besonders die
Karrieremacher, die ihnen übereifrige Preßfolge leisteten, haben
ihr Fiasko Goluchowski'scher Mißgunst und Intrigue zu-
schreiben wollen. Graf Goluchowski ist zum Intriguieren zu
ehrlich und zu klug; auch klammert er sich zu wenig an sein
Amt, um sich in Ministerstürzerei einzulassen. Er dient seinem
Kaiser und König, diesem Kaiser und König, der ihm nicht
nur ein gnädiger und vertrauensvoll Herr, sondern auch die
Gewähr für den Zusammenhalt der Monarchie ist. Die Sorge
um die Monarchie ist ihm groß genug, um die Sorge für
ein Portefeuille nicht aufkommen zu lassen. Vielleicht ist
deshalb seine Stellung so fest, daß sie das Wort eines Witzlers
wahr macht, der über die Chancen Badeni's und Golu-
chowski's sagte: "Sie sind beide Poleu. Aber ich glaube,
Golu ist doch der ruhende Pol' in der Erscheinungen Flucht".




[Spaltenumbruch]

zu erinnern. Es würde auch nicht angebracht erscheinen, wenn
wir umgekehrt sagen würden, unsere Einrichtungen sind in
unserem Vaterlande ebenso mangelhaft wie sie nachgewiesener-
maßen in Chicago gewesen sind; der Brand des Iroquois-
theaters kann sich auf einer heimischen Bühne jeder Stunde
wiederholen, ob das möglich ist, wissen wir Gottseidank nicht
und wir wollen nicht hoffen, daß wirs erfahren. Aber man ist
ängstlich geworden und nicht mit Unrecht. Denn obwohl alle
die großen Katastrophen der letzten Jahre auf Vernachlässigungen
und Versäumnisse zurückzuführen waren, hat man doch immer
wieder neue Versäumnisse an den Tag gelegt. Oder war kürz-
lich in Budapest die Schuld an was anderem gelegen oder
kürzlich in Paris oder jetzt in Chicago? Es wird billig sein,
daß man, gemahnt durch das Unglück in Amerika, in unserem
Vaterlande überall gründlich nachschaut, ob alles
beim Rechten ist und daß man prüft, ob man
seine Achtsamkeit und Gewissenhaftigkeit nicht
noch etwas steigern kann. Die Anregung zu
solcher Gewissenserforschung in unserem
engeren Kreise hiermit zu geben, möchten wir
jedenfalls nicht unterlassen.




Der Wert des Menschen.

Es mag seltsam berühren, zu hören, daß unsere Augen,
Ohren und andere Glieder, ja sogar der ganze Mensch einen
Marktpreis, einen juristisch anerkannten Wert haben. Eine
englische Zeitschrift stellt aber eine große Zahl von Ent-
schädigungen zusammen, die in den letzten Jahren für ver-
lorene menschliche Gliedmaßen gerichtlich zuerkannt wurden;
danach mag man denn den Wert eines Menschen ermessen.
Es wird sich allerdings zeigen, daß er sehr schwankend ist.
Das Auge eines Omnibuskutschers ist anscheinend 16.000
Mark wert; denn mit dieser Summe wurde vor einiger Zeit
in Paris ein Mann entschädigt, der das Auge durch einen
zufälligen Stoß von dem Spazierstock eines Passagiers ver-
loren hatte. Eine Wärterin in Dublin jedoch, die ihr Auge
durch einen Steinwurf verloren hatte, konnte nur 4000 Mark
Entschädigung erlangen; dieselbe Summe wurde zuerkannt, als
das Auge eines kleinen Mädchens von einer Henne ausge-
pickt worden war. Eine Dame, die durch Zusammenstoß zweier
Tramwaywagen in London um ihr Auge gekommen war, er-
hielt 8000 Mark.

Sogar eine Verletzung ohne Verlust des betreffenden
Organs hat ihren Preis. Die Frau eines Polizeiagenten saß
in einem Wagen der "Great Eastern Railway", als ein
Funken von einer vorüberfahrenden Lokomotive ihr in das
Auge flog. Das darauf sich einstellende Geschwür kostete der
Gesellschaft 600 Mark. Auch Arme und Hände haben ihren
verschiedenen Wert. Eine Dame in Birmingham, die beim
Aussteigen unter eine Drahtseilbahn geschleudert worden war,
erhielt 14.000 Mark für den Berlust ihres Armes; eine
Milchfrau von Kidderminster erhielt jedoch nur die Hälfte
dieser Summe, als sie ihren Arm infolge des Bisses eines
Hundes durch Amputation verlor und ihrem Manne nicht
mehr bei seinem Geschäft helfen konnte. Für Verletzungen, die
zwei Kindern in der Schule zustießen, haben die Londoner
Schulbehörden 800 Mark im ersten, 3000 Mark im zweiten
Falle bezahlt. Ein Korbmacher erhielt jedoch mehr als das
Doppelte für den Verlust seiner Hand, als er durch den Ruck
eines Eisenbahnzuges auf die Schienen geworfen wurde. 8000
Mark bekam ein Bursche in Manchester, der drei Finger
seiner rechten Hand durch eine Buchdruckerpresse verloren hatte,
6000 Mark ein junger Tischler, der drei Fingerspitzen durch
eine uneingefriedete Hobelmaschine eingebüßt hatte. Der Verlust
der unteren Extremitäten wird meist mit größeren Summen
entschädigt; 8600 Mark erhielt ein Feuerwehrmann, der von
einem Zuge überfahren worden war, 9000 Mark ein Lift-
junge, der bei einer Firma des Londoner West-End in Dienst
stand: diese Entscheidung stützte sich darauf, daß der Junge
ungenügend über den Gebrauch des Aufzugs instruiert und
dessen Boden schlüpfrig war.

Der Werth der Zähne wird verschieden bemessen; 1200
Mark wurden von einer Eisenbahngesellschaft einer Frau in
Walworth gezahlt, die über ein Loch in der Plattform ge-
stolpert war. Das ist jedoch nichts im Vergleich zu der Summe,
die vor ungefähr einem Jahr einer berühmten russischen Opern-
sängrein, Mlle. Sarkisowa, ausgezahlt wurde. Sie reiste auf
der transkaukasischen Eisenbahn, als der Zug plötzlich entgleiste
und dabei ihre Vorderzähne zertrümmert wurden. Da sie an-
gab, daß dieser Verlust ihre Laufbahn als Sängerin verdarb,
sprach das Petersburger Civilgericht ihr einen Schadenersatz
von 40.000 Mark für den Zahn -- im Ganzen 200.000
Mark -- zu! Für ernstliche Verletzungen des ganzen Körpers
wurden in England 39.000 Mark und 80.000 Mark bezahlt.
Tödtliche Verletzungen wurden in England mit 3000 bis
11.800 Mark entschädigt; die höchste Summe erhielt eine
Mrs. Leys in New-York, deren Mann bei einem schrecklichen
Tunnelunglück umkam; nach fast zwölfmonatlicher Verhand-
lung wurden ihr 400.000 Mark zugesprochen -- die größte
Summe, die eine Eisenbahngesellschaft für ein Menschenleben
je bezahlt hat.




Prinzeß Mathilde Bonaparte +.

Prinzessin
Mathilde Bonaparte ist am Sonntag abends in Paris ge-
storben. Die Ex-Kaiserin Eugenie und Prinzessin Clotilde
weilten bis zuletzt an ihrem Sterbelager. Prinzessin Mathilde
war die Tochter des Königs Jerome von Westfalen. Sie war
verheiratet mit einem Grafen Anatole Demidow. Die zügel-
lose Verschwendungssucht des Grafen führte aber bald zu
einer Scheidung der Ehe. Während des zweiten Kaiserreichs
war der Salon der Prinzessin der Sammelpunkt der litera-
rischen Größen von Paris.

Vom Reichstag ins Gefängnis.

Aus München,
2. Januar wird berichtet: Der Reichstagsabgeordnete des
vierten Kasseler Wahlkreises, Seyboth, stand unter der Be-
schuldigung, auf einem auf die Firma Brauerei Jakob Andreas
in Eschwege lautenden Wechsel das Akzept gefälscht und den
[Spaltenumbruch] Betrag von 11.600 Mark bei der Bayerschen Handelsbank
persönlich gehoben zu haben. Seyboth erklärte sich für nicht-
schuldig. Ein Buchhalter seines Geschäftes habe ihm gestanden,
die Fälschung begangen zu haben. Der Direktor und der
Hauptkassierer der Bayerischen Handelsbank bekundeten jedoch,
daß die gefälschte Unterschrift von Seyboth herrühre und daß
Seyboth selbst das Gefd auf der Bank in Empfang genommen
habe.. Das Gericht erkannte den Angeklagten der Wechsel-
fälschung und des Betruges schuldig und verurteilte ihn unter
Zubilligung mildernder Umstände zu einem Jahr und drei
Monaten Gefängnis. Außerdem wurden dem Angeklagten die
bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren
aberkannt.

C. K. Künstlerische Briefmarken.

In Italien steht
die Ausgabe neuer Briefmarken bevor, bei denen die Kunst
mehr zu ihrem Rechte kommen soll, als es auf diesem Gebiete
leider gewöhnlich der Fall ist. König Viktor Emanuel III.
fand, daß die Marken seines Königreiches ebensowenig wie
die französischen, englischen und deutschen Anspruch auf künst-
lerischen Wert machen konnten und keineswegs einem Lande
Ehre machten, das als das klassische Land der Kunst gilt. Der
König hat sich daher entschlossen, neue Briefmareen ausgeben
zu lassen. Die Entwürfe, die ihm der Maler Michetti unter-
breitet hat, haben seine volle Billigung gefunden. Sie sollen,
wie berichtet wird, in der Tat hervorragend in der Zeichnung
sein. Jeder Wert hat ein verschiedenes Muster; einige stellen
den König en face oder im Profil dar, mit einer Landschaft
oder einem Marienebild als Hintergrund. Besonders interessieren
die Marken von 1 Centesimo und 2 Centesimi; die einen sind
Volta geweiht, der mit entsprechenden Attributen ausgestattet
ist; die anderen stellen Marconi dar und zeigen im Vorder-
grunde elektrische Wellen, die die Welt durcheilen, und einen
Telegraphenpfosten mit Drähten, die nutzlos herabhängen. Diese
neuen Briefmarken werden in der nächster Zeit in Umlauf
gesetzt werden.

Die internationale Abwehr der Epidemien.

Seit dem 10. Oktober bis Anfang Dezember hat in Paris
eine Beratung über die besten Mittel zur Abwehr von Epi-
demien stattgefunden. Die Vereinigung tagte unter dem Namen
einer Internationalen sanitären Konferenz. Zunächst handelte
es sich darum, eioe Beobachtungszeit bei Pestverdacht festzu-
stellen. Bisher hatte man es für nötig befunden, Menschen
und Waren, die einer Ansteckung mit Pestbazillen verdächtigt
waren, zehn Tage lang unter Abschluß und Beobachtung zu
halten. Die Konferenz ist dahin übereingekommen, daß diese
Zeit auf fünf Tage verringert werden kann. Ueberhaupt ist
das Bestreben der Beratungen dahin gerichtet gewesen, auf
der einen Seite die bestmöglichen Garantien für die Volks-
gesundheit ausfindig zu machen, die Maßnahmen zu diesem
Zweck aber so zu wählen, daß der internationale Verkehr
möglichst wenig behindert wird. Vorläufig wurden diese Grund-
sätze hauptsächlich für die Abwehr von Pest und Cholera
beraten. Vor Beendigung der Verhandlungen wurde der Vor-
schlag gemacht, eine internationale Sanitätsbehörde zu schaffen,
die als eine ständige Einrichtung bestehen bleiben und in Paris
ihren Sitz haben soll.

Die Verhaftung des geflüchteten Anditors
Hekajlo.

Aus Lemberg wird uns geschrieben: Vor
einigen Monaten erregte allgemeines Aufsehen die Flucht des
Oberstleutnants-Auditors Hekajlo, der unter Hinterlassung
großer Schulden aus Lemberg verschwunden war. Hekajlo
sollte eben zum Obersten avancieren und nach Wien berufen
werden, wo seiner eine glänzende Karriere wartete. Später
kam die Nachricht von der Verhaftung Hekajlos. Er wurde
in Brasilien durch österreichische Geheimpolizisten festgenommen,
die die Regierung mit der Aufsuchung des Flüchtlings betraute.
Hekajlo befand sich ursprünglich in Buenos-Aires in Argentinien,
da aber zwischen Oesterreich und diesem Staate kein Aus-
lieferungsvertrag existiert, lockten ihn die Agenten nach Brasilien
und verhafteten ihn daselbst. Die Kosten der Expedition (die
aus 6 Mitgliedern bestand) zur Festnahme Hekajlos betragen
90.000 K. Hekajlo wurde nach Steiermark gebracht und im
Garnisonsarrest in Graz interniert, wo schon in einigen Tagen
die Strafverhandlung stattfinden soll.

Jubiläum.

Aus Leitmeritz wird uns vom Heutigen
telegraphiert; Aus Anlaß des siebzigsten Geburtstages
des Abg. Funke, der seit einer Reihe von Jahren das Amt
eines Bürgermeisters der Stadt Leitmeritz bekleidet und sich
als solcher große Verdienste erwarb, hat unsere Stadt Fest-
schmuck angelegt. Der Gemeinderat hielt eine Festsitzung ab.
Am Abend veranstalteten die hiesigen Vereine zu Ehren des
Jubilars einen Fackelzug. Nach demselben fand ein Bankett
statt, bei welchem Abg. Eppinger den Toast auf Funke
ausbrachte.

Verhaftung eines Hochstaplers.

Aus Ham-
burg
wird uns telegraphiert: Der steckbrieflich verfolgte
Jakob Oesterreicher aus Budapest, der in Stuttgart Post-
anweisungen auf größere Beträge fälschte, wurde heute in
Hamburg verhaftet.

C. K. Ein siebenstündiger Walzer.

Sieben
Stunden lang ohne Unterbrechung Walzer zu tanzen, ist gewiß
eine respektable Leistung. Sie wurde in einem Wettanz aus-
geführt, der dieser Tage in Paris veranstaltet wurde. Der
Besitzer der Salle Wagram hatte angekündigt, daß er eine
bestimmte Anzahl von Preisen den Paaren geben würde, die
am längsten tanzen würden. Um 11 Uhr, als das Orchester
zu spielen begann, wurden nach drei Revolverschüssen 44 Paare
vom Start gelassen. Die Paare bestanden alle aus jungen
Männern und Frauen, bis auf ein Paar, das von zwei
Frauen gebildet wurde; unter den männlichen Partnern be-
fanden sich ein Soldat und zwei Neger. Die einzige Bedingung
des seltsamen Wettstreites war, daß die Paare ohne Unter-
brechung tanzen und während der ganzen Zeit im Walzerschritt
bleiben sollten. Am Ende der ersten Stunde hatten vier Paare
mit Tanzen aufgehört; am Ende der zweiten Stunde hatten
zwölf weitere genug und am Ende der sechsten Stunde waren
die Bewerber auf fünf Paare zusammengeschmolzen, und die

5. Jänner 1904. Czernowitzer Allgemeine Zeitung.

[Spaltenumbruch]

keinerlei Bücher, Zeitungen oder Bilder in ihrem Hauſe zu
halten, die in irgend einer Beziehung zu der „gefährlichen
Rotte“ (der Sozialdemokratie) ſtehen. Außerdem ſollen die
Kinder mehr Religionsunterricht erhalten. Dieſe Ausführun-
gen ſind jedenfalls ſehr bezeichnend für die Stimmung eines
Teils der ruſſiſchen Juden nach den letzten Ereigniſſen.

(Die letzten Telegramme befinden ſich auf Seite 5.)




Bunte Chronik.


Das Brandunglück von Chicago.

Mit einer furchtbaren Kataſtrophe hat das alte Jahr
abgeſchloſſen. Der Brand im Iroquois-Theater iſt kein
politiſches Ereignis, aber er hat die Herzen wohl aller
ziviliſierten Menſchen auf’s tiefſte erſchüttert, wo ſie irgendwo
auf dem Erdenrund davon Kunde bekamen, und hat Fragen
wieder auf die Tagesordnung geſetzt, die die weiteſte Oeffent-
lichkeit in aller Herren Länder angehen müſſen. Das ſchauder-
hafte Unglück iſt in weiter, weiter Entfernung von uns ge-
ſchehen, aber wir wiſſen nur zu genau, wie leicht es einen
jeden von uns hier im Lande hätte betreffen können. Dieſe
Furcht iſt ſofort nach dem Bekanntwerden des Unglücks inter-
national geworden. Wir wiſſen aus unſeren privaten Unter-
haltungen, daß da und dort ein Mitglied unſerer Bekanntſchaft
geſtern oder vorgeſtern den urſprünglichen Plan aufgegeben,
die vorherige Luſt zu einem Theaterbeſuch verloren hat, und
aus London wird gerade heraus gemeldet: hunderte von
Leuten laſſen ſich an den Theaterkaſſen ihr Geld für bereits
gekaufte Billets wiedergeben, das Entſetzen iſt allgemein. Man
wird anderswo ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und in
Amerika wird es jetzt wohl als ein Beweis von Verwegenheit
und Todesverachtung aufgefaßt werden, wenn jemand trotz
des Eindrucks jenes Rieſenunglücks noch unternimmt, ein
größeres Vergnügungsetabliſſement zu beſuchen. Dieſe Ein-
ſchüchterung iſt natürlich aus Geſichtspunkten der Seelenkunde,
nicht aber aus plötzlich eingetretener, allgemeiner Feuergefähr-
lichkeit zu erklären. Denn dieſe hat in demſelben großen oder
kleinen Umfang, in dem ſie jetzt beſteht, auch ſchon vorher
beſtanden. Aber das iſt das Traurige, daß man nachgerade
ſchon der Ueberzeugung werden muß, daß die Gefahren einen
ungeahnten, ganz unerhörten Umfang eben bereits beſitzen,
und daß man es nur dem Wohlwollen einer gnädigen Fügung
zu danken hat, nicht den vorzüglichen menſchlichen Vorbeugungs-
maßregeln, wenn man bislang von Erfahrungen, wie die
Chicagoer ſind, verſchont geblieben iſt. Vollkommen hilflos
ſteht der Menſch den Gefahren der Rieſenbrände
nicht gegenüber. Geeignete Einrichtungen und nötige Vorſicht
können ſie abwehren. Wenn ſie ſich trotzdem immer und
immer wieder ereignen, ſind die Gefühle der Beklemmung und
Angſt, die die Menſchheit ergreifen, berechtigt. Im gleichen
Maße natürlich auch ihr Unmut und ihre Forderung, daß
die verantwortlichen Perſonen oder Stellen mit der größten
Gewiſſenhaftigkeit ihres Amtes walten. Man bedenke wohl,
es handelt ſich doch immer gleich um hunderte und hunderte
von Menſchenleben, es handelt ſich um unſchuldige Kinder
und Frauen, die keineswegs ihren Tod etwa ſelber mitver-
ſchuldet haben, es handelt ſich ſtets und immer nicht allein
um die Angehörigen des heimgeſuchten Landes, ſondern auch
um ſo und ſoviele Ausländer, die in der gaſtlichen Fremde
alles andere erwarteten, nur nicht den Untergang. Aus
dieſem Grunde machen die Völker ſchwere Kataſtrophen, die
fremde Länder heimſuchen, zu den ihren; und aus dieſem
Grunde wird die Frage der Sicherung und Vorbeugung
zur internationalen, die Pflicht der Gewiſſenhaftigkeit zu
einer Pflicht nicht nur gegen die Mitbürger, ſondern
gegenüber der Menſchheit. Auch in Chicago wieder ſind Leute
um ihr Leben gekommen. Es würde natürlich töricht ſein,
wenn wir damit ſagen wollten, ſo etwas wie in der ameri-
kaniſchen Stadt kommt bei uns nicht vor. Wir brauchen uns
nur an das Wiener Ringtheater und an die Wohltätigkeitsvor-
ſtellung in Paris, oder an den Brand im Budapeſter Waren-
haus oder an den Tunnelbrand der Pariſer Untergrundbahn




[Spaltenumbruch]

durchdrungen. Graf Goluchowski hat dieſelbe Klugheit
und Gewiſſenhaftigkeit mitgebracht, aber dazu das Gefühl der
Kraft und Bedeutung der Monarchie, des Vertrauens in ihren
hiſtoriſchen Beruf und ihre hohen Geſchicke. Damit — wie
in dem Verſtändnis für eine aktive Orientpolitik — iſt er
zum Grafen Andraſſy, unter dem er ſeine Karriere begonnen,
zurückgekehrt. Graf Goluchowski zieht es vor, ſeinen großen
Vorgänger zu verſtehen, anſtattt ſich mit ihm verdrießlich zu
meſſen. Graf Andraſſy war ein Zielſtecker, Graf Kalnoky
ein Ausweicher, Graf Goluchowski iſt ein Steher, der
manchem Renner zuvorkommt.

Sein Stehvermögen iſt noch immer manchem Gegner
oder Rivalen zu viel geworden. Die Menge der neben ihm
Gepurzelten, wie Badeni, Gautſch, Thun und beſonders die
Karrieremacher, die ihnen übereifrige Preßfolge leiſteten, haben
ihr Fiasko Goluchowski’ſcher Mißgunſt und Intrigue zu-
ſchreiben wollen. Graf Goluchowski iſt zum Intriguieren zu
ehrlich und zu klug; auch klammert er ſich zu wenig an ſein
Amt, um ſich in Miniſterſtürzerei einzulaſſen. Er dient ſeinem
Kaiſer und König, dieſem Kaiſer und König, der ihm nicht
nur ein gnädiger und vertrauensvoll Herr, ſondern auch die
Gewähr für den Zuſammenhalt der Monarchie iſt. Die Sorge
um die Monarchie iſt ihm groß genug, um die Sorge für
ein Portefeuille nicht aufkommen zu laſſen. Vielleicht iſt
deshalb ſeine Stellung ſo feſt, daß ſie das Wort eines Witzlers
wahr macht, der über die Chancen Badeni’s und Golu-
chowski’s ſagte: „Sie ſind beide Poleu. Aber ich glaube,
Golu iſt doch der ruhende Pol’ in der Erſcheinungen Flucht“.




[Spaltenumbruch]

zu erinnern. Es würde auch nicht angebracht erſcheinen, wenn
wir umgekehrt ſagen würden, unſere Einrichtungen ſind in
unſerem Vaterlande ebenſo mangelhaft wie ſie nachgewieſener-
maßen in Chicago geweſen ſind; der Brand des Iroquois-
theaters kann ſich auf einer heimiſchen Bühne jeder Stunde
wiederholen, ob das möglich iſt, wiſſen wir Gottſeidank nicht
und wir wollen nicht hoffen, daß wirs erfahren. Aber man iſt
ängſtlich geworden und nicht mit Unrecht. Denn obwohl alle
die großen Kataſtrophen der letzten Jahre auf Vernachläſſigungen
und Verſäumniſſe zurückzuführen waren, hat man doch immer
wieder neue Verſäumniſſe an den Tag gelegt. Oder war kürz-
lich in Budapeſt die Schuld an was anderem gelegen oder
kürzlich in Paris oder jetzt in Chicago? Es wird billig ſein,
daß man, gemahnt durch das Unglück in Amerika, in unſerem
Vaterlande überall gründlich nachſchaut, ob alles
beim Rechten iſt und daß man prüft, ob man
ſeine Achtſamkeit und Gewiſſenhaftigkeit nicht
noch etwas ſteigern kann. Die Anregung zu
ſolcher Gewiſſenserforſchung in unſerem
engeren Kreiſe hiermit zu geben, möchten wir
jedenfalls nicht unterlaſſen.




Der Wert des Menſchen.

Es mag ſeltſam berühren, zu hören, daß unſere Augen,
Ohren und andere Glieder, ja ſogar der ganze Menſch einen
Marktpreis, einen juriſtiſch anerkannten Wert haben. Eine
engliſche Zeitſchrift ſtellt aber eine große Zahl von Ent-
ſchädigungen zuſammen, die in den letzten Jahren für ver-
lorene menſchliche Gliedmaßen gerichtlich zuerkannt wurden;
danach mag man denn den Wert eines Menſchen ermeſſen.
Es wird ſich allerdings zeigen, daß er ſehr ſchwankend iſt.
Das Auge eines Omnibuskutſchers iſt anſcheinend 16.000
Mark wert; denn mit dieſer Summe wurde vor einiger Zeit
in Paris ein Mann entſchädigt, der das Auge durch einen
zufälligen Stoß von dem Spazierſtock eines Paſſagiers ver-
loren hatte. Eine Wärterin in Dublin jedoch, die ihr Auge
durch einen Steinwurf verloren hatte, konnte nur 4000 Mark
Entſchädigung erlangen; dieſelbe Summe wurde zuerkannt, als
das Auge eines kleinen Mädchens von einer Henne ausge-
pickt worden war. Eine Dame, die durch Zuſammenſtoß zweier
Tramwaywagen in London um ihr Auge gekommen war, er-
hielt 8000 Mark.

Sogar eine Verletzung ohne Verluſt des betreffenden
Organs hat ihren Preis. Die Frau eines Polizeiagenten ſaß
in einem Wagen der „Great Eaſtern Railway“, als ein
Funken von einer vorüberfahrenden Lokomotive ihr in das
Auge flog. Das darauf ſich einſtellende Geſchwür koſtete der
Geſellſchaft 600 Mark. Auch Arme und Hände haben ihren
verſchiedenen Wert. Eine Dame in Birmingham, die beim
Ausſteigen unter eine Drahtſeilbahn geſchleudert worden war,
erhielt 14.000 Mark für den Berluſt ihres Armes; eine
Milchfrau von Kidderminſter erhielt jedoch nur die Hälfte
dieſer Summe, als ſie ihren Arm infolge des Biſſes eines
Hundes durch Amputation verlor und ihrem Manne nicht
mehr bei ſeinem Geſchäft helfen konnte. Für Verletzungen, die
zwei Kindern in der Schule zuſtießen, haben die Londoner
Schulbehörden 800 Mark im erſten, 3000 Mark im zweiten
Falle bezahlt. Ein Korbmacher erhielt jedoch mehr als das
Doppelte für den Verluſt ſeiner Hand, als er durch den Ruck
eines Eiſenbahnzuges auf die Schienen geworfen wurde. 8000
Mark bekam ein Burſche in Mancheſter, der drei Finger
ſeiner rechten Hand durch eine Buchdruckerpreſſe verloren hatte,
6000 Mark ein junger Tiſchler, der drei Fingerſpitzen durch
eine uneingefriedete Hobelmaſchine eingebüßt hatte. Der Verluſt
der unteren Extremitäten wird meiſt mit größeren Summen
entſchädigt; 8600 Mark erhielt ein Feuerwehrmann, der von
einem Zuge überfahren worden war, 9000 Mark ein Lift-
junge, der bei einer Firma des Londoner Weſt-End in Dienſt
ſtand: dieſe Entſcheidung ſtützte ſich darauf, daß der Junge
ungenügend über den Gebrauch des Aufzugs inſtruiert und
deſſen Boden ſchlüpfrig war.

Der Werth der Zähne wird verſchieden bemeſſen; 1200
Mark wurden von einer Eiſenbahngeſellſchaft einer Frau in
Walworth gezahlt, die über ein Loch in der Plattform ge-
ſtolpert war. Das iſt jedoch nichts im Vergleich zu der Summe,
die vor ungefähr einem Jahr einer berühmten ruſſiſchen Opern-
ſängrein, Mlle. Sarkiſowa, ausgezahlt wurde. Sie reiſte auf
der transkaukaſiſchen Eiſenbahn, als der Zug plötzlich entgleiſte
und dabei ihre Vorderzähne zertrümmert wurden. Da ſie an-
gab, daß dieſer Verluſt ihre Laufbahn als Sängerin verdarb,
ſprach das Petersburger Civilgericht ihr einen Schadenerſatz
von 40.000 Mark für den Zahn — im Ganzen 200.000
Mark — zu! Für ernſtliche Verletzungen des ganzen Körpers
wurden in England 39.000 Mark und 80.000 Mark bezahlt.
Tödtliche Verletzungen wurden in England mit 3000 bis
11.800 Mark entſchädigt; die höchſte Summe erhielt eine
Mrs. Leys in New-York, deren Mann bei einem ſchrecklichen
Tunnelunglück umkam; nach faſt zwölfmonatlicher Verhand-
lung wurden ihr 400.000 Mark zugeſprochen — die größte
Summe, die eine Eiſenbahngeſellſchaft für ein Menſchenleben
je bezahlt hat.




Prinzeß Mathilde Bonaparte †.

Prinzeſſin
Mathilde Bonaparte iſt am Sonntag abends in Paris ge-
ſtorben. Die Ex-Kaiſerin Eugenie und Prinzeſſin Clotilde
weilten bis zuletzt an ihrem Sterbelager. Prinzeſſin Mathilde
war die Tochter des Königs Jerome von Weſtfalen. Sie war
verheiratet mit einem Grafen Anatole Demidow. Die zügel-
loſe Verſchwendungsſucht des Grafen führte aber bald zu
einer Scheidung der Ehe. Während des zweiten Kaiſerreichs
war der Salon der Prinzeſſin der Sammelpunkt der litera-
riſchen Größen von Paris.

Vom Reichstag ins Gefängnis.

Aus München,
2. Januar wird berichtet: Der Reichstagsabgeordnete des
vierten Kaſſeler Wahlkreiſes, Seyboth, ſtand unter der Be-
ſchuldigung, auf einem auf die Firma Brauerei Jakob Andreas
in Eſchwege lautenden Wechſel das Akzept gefälſcht und den
[Spaltenumbruch] Betrag von 11.600 Mark bei der Bayerſchen Handelsbank
perſönlich gehoben zu haben. Seyboth erklärte ſich für nicht-
ſchuldig. Ein Buchhalter ſeines Geſchäftes habe ihm geſtanden,
die Fälſchung begangen zu haben. Der Direktor und der
Hauptkaſſierer der Bayeriſchen Handelsbank bekundeten jedoch,
daß die gefälſchte Unterſchrift von Seyboth herrühre und daß
Seyboth ſelbſt das Gefd auf der Bank in Empfang genommen
habe.. Das Gericht erkannte den Angeklagten der Wechſel-
fälſchung und des Betruges ſchuldig und verurteilte ihn unter
Zubilligung mildernder Umſtände zu einem Jahr und drei
Monaten Gefängnis. Außerdem wurden dem Angeklagten die
bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren
aberkannt.

C. K. Künſtleriſche Briefmarken.

In Italien ſteht
die Ausgabe neuer Briefmarken bevor, bei denen die Kunſt
mehr zu ihrem Rechte kommen ſoll, als es auf dieſem Gebiete
leider gewöhnlich der Fall iſt. König Viktor Emanuel III.
fand, daß die Marken ſeines Königreiches ebenſowenig wie
die franzöſiſchen, engliſchen und deutſchen Anſpruch auf künſt-
leriſchen Wert machen konnten und keineswegs einem Lande
Ehre machten, das als das klaſſiſche Land der Kunſt gilt. Der
König hat ſich daher entſchloſſen, neue Briefmareen ausgeben
zu laſſen. Die Entwürfe, die ihm der Maler Michetti unter-
breitet hat, haben ſeine volle Billigung gefunden. Sie ſollen,
wie berichtet wird, in der Tat hervorragend in der Zeichnung
ſein. Jeder Wert hat ein verſchiedenes Muſter; einige ſtellen
den König en face oder im Profil dar, mit einer Landſchaft
oder einem Marienebild als Hintergrund. Beſonders intereſſieren
die Marken von 1 Centeſimo und 2 Centeſimi; die einen ſind
Volta geweiht, der mit entſprechenden Attributen ausgeſtattet
iſt; die anderen ſtellen Marconi dar und zeigen im Vorder-
grunde elektriſche Wellen, die die Welt durcheilen, und einen
Telegraphenpfoſten mit Drähten, die nutzlos herabhängen. Dieſe
neuen Briefmarken werden in der nächſter Zeit in Umlauf
geſetzt werden.

Die internationale Abwehr der Epidemien.

Seit dem 10. Oktober bis Anfang Dezember hat in Paris
eine Beratung über die beſten Mittel zur Abwehr von Epi-
demien ſtattgefunden. Die Vereinigung tagte unter dem Namen
einer Internationalen ſanitären Konferenz. Zunächſt handelte
es ſich darum, eioe Beobachtungszeit bei Peſtverdacht feſtzu-
ſtellen. Bisher hatte man es für nötig befunden, Menſchen
und Waren, die einer Anſteckung mit Peſtbazillen verdächtigt
waren, zehn Tage lang unter Abſchluß und Beobachtung zu
halten. Die Konferenz iſt dahin übereingekommen, daß dieſe
Zeit auf fünf Tage verringert werden kann. Ueberhaupt iſt
das Beſtreben der Beratungen dahin gerichtet geweſen, auf
der einen Seite die beſtmöglichen Garantien für die Volks-
geſundheit ausfindig zu machen, die Maßnahmen zu dieſem
Zweck aber ſo zu wählen, daß der internationale Verkehr
möglichſt wenig behindert wird. Vorläufig wurden dieſe Grund-
ſätze hauptſächlich für die Abwehr von Peſt und Cholera
beraten. Vor Beendigung der Verhandlungen wurde der Vor-
ſchlag gemacht, eine internationale Sanitätsbehörde zu ſchaffen,
die als eine ſtändige Einrichtung beſtehen bleiben und in Paris
ihren Sitz haben ſoll.

Die Verhaftung des geflüchteten Anditors
Hekajlo.

Aus Lemberg wird uns geſchrieben: Vor
einigen Monaten erregte allgemeines Aufſehen die Flucht des
Oberſtleutnants-Auditors Hekajlo, der unter Hinterlaſſung
großer Schulden aus Lemberg verſchwunden war. Hekajlo
ſollte eben zum Oberſten avancieren und nach Wien berufen
werden, wo ſeiner eine glänzende Karriere wartete. Später
kam die Nachricht von der Verhaftung Hekajlos. Er wurde
in Braſilien durch öſterreichiſche Geheimpoliziſten feſtgenommen,
die die Regierung mit der Aufſuchung des Flüchtlings betraute.
Hekajlo befand ſich urſprünglich in Buenos-Aires in Argentinien,
da aber zwiſchen Oeſterreich und dieſem Staate kein Aus-
lieferungsvertrag exiſtiert, lockten ihn die Agenten nach Braſilien
und verhafteten ihn daſelbſt. Die Koſten der Expedition (die
aus 6 Mitgliedern beſtand) zur Feſtnahme Hekajlos betragen
90.000 K. Hekajlo wurde nach Steiermark gebracht und im
Garniſonsarreſt in Graz interniert, wo ſchon in einigen Tagen
die Strafverhandlung ſtattfinden ſoll.

Jubiläum.

Aus Leitmeritz wird uns vom Heutigen
telegraphiert; Aus Anlaß des ſiebzigſten Geburtstages
des Abg. Funke, der ſeit einer Reihe von Jahren das Amt
eines Bürgermeiſters der Stadt Leitmeritz bekleidet und ſich
als ſolcher große Verdienſte erwarb, hat unſere Stadt Feſt-
ſchmuck angelegt. Der Gemeinderat hielt eine Feſtſitzung ab.
Am Abend veranſtalteten die hieſigen Vereine zu Ehren des
Jubilars einen Fackelzug. Nach demſelben fand ein Bankett
ſtatt, bei welchem Abg. Eppinger den Toaſt auf Funke
ausbrachte.

Verhaftung eines Hochſtaplers.

Aus Ham-
burg
wird uns telegraphiert: Der ſteckbrieflich verfolgte
Jakob Oeſterreicher aus Budapeſt, der in Stuttgart Poſt-
anweiſungen auf größere Beträge fälſchte, wurde heute in
Hamburg verhaftet.

C. K. Ein ſiebenſtündiger Walzer.

Sieben
Stunden lang ohne Unterbrechung Walzer zu tanzen, iſt gewiß
eine reſpektable Leiſtung. Sie wurde in einem Wettanz aus-
geführt, der dieſer Tage in Paris veranſtaltet wurde. Der
Beſitzer der Salle Wagram hatte angekündigt, daß er eine
beſtimmte Anzahl von Preiſen den Paaren geben würde, die
am längſten tanzen würden. Um 11 Uhr, als das Orcheſter
zu ſpielen begann, wurden nach drei Revolverſchüſſen 44 Paare
vom Start gelaſſen. Die Paare beſtanden alle aus jungen
Männern und Frauen, bis auf ein Paar, das von zwei
Frauen gebildet wurde; unter den männlichen Partnern be-
fanden ſich ein Soldat und zwei Neger. Die einzige Bedingung
des ſeltſamen Wettſtreites war, daß die Paare ohne Unter-
brechung tanzen und während der ganzen Zeit im Walzerſchritt
bleiben ſollten. Am Ende der erſten Stunde hatten vier Paare
mit Tanzen aufgehört; am Ende der zweiten Stunde hatten
zwölf weitere genug und am Ende der ſechſten Stunde waren
die Bewerber auf fünf Paare zuſammengeſchmolzen, und die

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[3/0003] 5. Jänner 1904. Czernowitzer Allgemeine Zeitung. keinerlei Bücher, Zeitungen oder Bilder in ihrem Hauſe zu halten, die in irgend einer Beziehung zu der „gefährlichen Rotte“ (der Sozialdemokratie) ſtehen. Außerdem ſollen die Kinder mehr Religionsunterricht erhalten. Dieſe Ausführun- gen ſind jedenfalls ſehr bezeichnend für die Stimmung eines Teils der ruſſiſchen Juden nach den letzten Ereigniſſen. (Die letzten Telegramme befinden ſich auf Seite 5.) Bunte Chronik. Czernowitz, den 4. Jänner 1904. Das Brandunglück von Chicago. Mit einer furchtbaren Kataſtrophe hat das alte Jahr abgeſchloſſen. Der Brand im Iroquois-Theater iſt kein politiſches Ereignis, aber er hat die Herzen wohl aller ziviliſierten Menſchen auf’s tiefſte erſchüttert, wo ſie irgendwo auf dem Erdenrund davon Kunde bekamen, und hat Fragen wieder auf die Tagesordnung geſetzt, die die weiteſte Oeffent- lichkeit in aller Herren Länder angehen müſſen. Das ſchauder- hafte Unglück iſt in weiter, weiter Entfernung von uns ge- ſchehen, aber wir wiſſen nur zu genau, wie leicht es einen jeden von uns hier im Lande hätte betreffen können. Dieſe Furcht iſt ſofort nach dem Bekanntwerden des Unglücks inter- national geworden. Wir wiſſen aus unſeren privaten Unter- haltungen, daß da und dort ein Mitglied unſerer Bekanntſchaft geſtern oder vorgeſtern den urſprünglichen Plan aufgegeben, die vorherige Luſt zu einem Theaterbeſuch verloren hat, und aus London wird gerade heraus gemeldet: hunderte von Leuten laſſen ſich an den Theaterkaſſen ihr Geld für bereits gekaufte Billets wiedergeben, das Entſetzen iſt allgemein. Man wird anderswo ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und in Amerika wird es jetzt wohl als ein Beweis von Verwegenheit und Todesverachtung aufgefaßt werden, wenn jemand trotz des Eindrucks jenes Rieſenunglücks noch unternimmt, ein größeres Vergnügungsetabliſſement zu beſuchen. Dieſe Ein- ſchüchterung iſt natürlich aus Geſichtspunkten der Seelenkunde, nicht aber aus plötzlich eingetretener, allgemeiner Feuergefähr- lichkeit zu erklären. Denn dieſe hat in demſelben großen oder kleinen Umfang, in dem ſie jetzt beſteht, auch ſchon vorher beſtanden. Aber das iſt das Traurige, daß man nachgerade ſchon der Ueberzeugung werden muß, daß die Gefahren einen ungeahnten, ganz unerhörten Umfang eben bereits beſitzen, und daß man es nur dem Wohlwollen einer gnädigen Fügung zu danken hat, nicht den vorzüglichen menſchlichen Vorbeugungs- maßregeln, wenn man bislang von Erfahrungen, wie die Chicagoer ſind, verſchont geblieben iſt. Vollkommen hilflos ſteht der Menſch den Gefahren der Rieſenbrände nicht gegenüber. Geeignete Einrichtungen und nötige Vorſicht können ſie abwehren. Wenn ſie ſich trotzdem immer und immer wieder ereignen, ſind die Gefühle der Beklemmung und Angſt, die die Menſchheit ergreifen, berechtigt. Im gleichen Maße natürlich auch ihr Unmut und ihre Forderung, daß die verantwortlichen Perſonen oder Stellen mit der größten Gewiſſenhaftigkeit ihres Amtes walten. Man bedenke wohl, es handelt ſich doch immer gleich um hunderte und hunderte von Menſchenleben, es handelt ſich um unſchuldige Kinder und Frauen, die keineswegs ihren Tod etwa ſelber mitver- ſchuldet haben, es handelt ſich ſtets und immer nicht allein um die Angehörigen des heimgeſuchten Landes, ſondern auch um ſo und ſoviele Ausländer, die in der gaſtlichen Fremde alles andere erwarteten, nur nicht den Untergang. Aus dieſem Grunde machen die Völker ſchwere Kataſtrophen, die fremde Länder heimſuchen, zu den ihren; und aus dieſem Grunde wird die Frage der Sicherung und Vorbeugung zur internationalen, die Pflicht der Gewiſſenhaftigkeit zu einer Pflicht nicht nur gegen die Mitbürger, ſondern gegenüber der Menſchheit. Auch in Chicago wieder ſind Leute um ihr Leben gekommen. Es würde natürlich töricht ſein, wenn wir damit ſagen wollten, ſo etwas wie in der ameri- kaniſchen Stadt kommt bei uns nicht vor. Wir brauchen uns nur an das Wiener Ringtheater und an die Wohltätigkeitsvor- ſtellung in Paris, oder an den Brand im Budapeſter Waren- haus oder an den Tunnelbrand der Pariſer Untergrundbahn durchdrungen. Graf Goluchowski hat dieſelbe Klugheit und Gewiſſenhaftigkeit mitgebracht, aber dazu das Gefühl der Kraft und Bedeutung der Monarchie, des Vertrauens in ihren hiſtoriſchen Beruf und ihre hohen Geſchicke. Damit — wie in dem Verſtändnis für eine aktive Orientpolitik — iſt er zum Grafen Andraſſy, unter dem er ſeine Karriere begonnen, zurückgekehrt. Graf Goluchowski zieht es vor, ſeinen großen Vorgänger zu verſtehen, anſtattt ſich mit ihm verdrießlich zu meſſen. Graf Andraſſy war ein Zielſtecker, Graf Kalnoky ein Ausweicher, Graf Goluchowski iſt ein Steher, der manchem Renner zuvorkommt. Sein Stehvermögen iſt noch immer manchem Gegner oder Rivalen zu viel geworden. Die Menge der neben ihm Gepurzelten, wie Badeni, Gautſch, Thun und beſonders die Karrieremacher, die ihnen übereifrige Preßfolge leiſteten, haben ihr Fiasko Goluchowski’ſcher Mißgunſt und Intrigue zu- ſchreiben wollen. Graf Goluchowski iſt zum Intriguieren zu ehrlich und zu klug; auch klammert er ſich zu wenig an ſein Amt, um ſich in Miniſterſtürzerei einzulaſſen. Er dient ſeinem Kaiſer und König, dieſem Kaiſer und König, der ihm nicht nur ein gnädiger und vertrauensvoll Herr, ſondern auch die Gewähr für den Zuſammenhalt der Monarchie iſt. Die Sorge um die Monarchie iſt ihm groß genug, um die Sorge für ein Portefeuille nicht aufkommen zu laſſen. Vielleicht iſt deshalb ſeine Stellung ſo feſt, daß ſie das Wort eines Witzlers wahr macht, der über die Chancen Badeni’s und Golu- chowski’s ſagte: „Sie ſind beide Poleu. Aber ich glaube, Golu iſt doch der ruhende Pol’ in der Erſcheinungen Flucht“. „N. P. J.“ zu erinnern. Es würde auch nicht angebracht erſcheinen, wenn wir umgekehrt ſagen würden, unſere Einrichtungen ſind in unſerem Vaterlande ebenſo mangelhaft wie ſie nachgewieſener- maßen in Chicago geweſen ſind; der Brand des Iroquois- theaters kann ſich auf einer heimiſchen Bühne jeder Stunde wiederholen, ob das möglich iſt, wiſſen wir Gottſeidank nicht und wir wollen nicht hoffen, daß wirs erfahren. Aber man iſt ängſtlich geworden und nicht mit Unrecht. Denn obwohl alle die großen Kataſtrophen der letzten Jahre auf Vernachläſſigungen und Verſäumniſſe zurückzuführen waren, hat man doch immer wieder neue Verſäumniſſe an den Tag gelegt. Oder war kürz- lich in Budapeſt die Schuld an was anderem gelegen oder kürzlich in Paris oder jetzt in Chicago? Es wird billig ſein, daß man, gemahnt durch das Unglück in Amerika, in unſerem Vaterlande überall gründlich nachſchaut, ob alles beim Rechten iſt und daß man prüft, ob man ſeine Achtſamkeit und Gewiſſenhaftigkeit nicht noch etwas ſteigern kann. Die Anregung zu ſolcher Gewiſſenserforſchung in unſerem engeren Kreiſe hiermit zu geben, möchten wir jedenfalls nicht unterlaſſen. Der Wert des Menſchen. Es mag ſeltſam berühren, zu hören, daß unſere Augen, Ohren und andere Glieder, ja ſogar der ganze Menſch einen Marktpreis, einen juriſtiſch anerkannten Wert haben. Eine engliſche Zeitſchrift ſtellt aber eine große Zahl von Ent- ſchädigungen zuſammen, die in den letzten Jahren für ver- lorene menſchliche Gliedmaßen gerichtlich zuerkannt wurden; danach mag man denn den Wert eines Menſchen ermeſſen. Es wird ſich allerdings zeigen, daß er ſehr ſchwankend iſt. Das Auge eines Omnibuskutſchers iſt anſcheinend 16.000 Mark wert; denn mit dieſer Summe wurde vor einiger Zeit in Paris ein Mann entſchädigt, der das Auge durch einen zufälligen Stoß von dem Spazierſtock eines Paſſagiers ver- loren hatte. Eine Wärterin in Dublin jedoch, die ihr Auge durch einen Steinwurf verloren hatte, konnte nur 4000 Mark Entſchädigung erlangen; dieſelbe Summe wurde zuerkannt, als das Auge eines kleinen Mädchens von einer Henne ausge- pickt worden war. Eine Dame, die durch Zuſammenſtoß zweier Tramwaywagen in London um ihr Auge gekommen war, er- hielt 8000 Mark. Sogar eine Verletzung ohne Verluſt des betreffenden Organs hat ihren Preis. Die Frau eines Polizeiagenten ſaß in einem Wagen der „Great Eaſtern Railway“, als ein Funken von einer vorüberfahrenden Lokomotive ihr in das Auge flog. Das darauf ſich einſtellende Geſchwür koſtete der Geſellſchaft 600 Mark. Auch Arme und Hände haben ihren verſchiedenen Wert. Eine Dame in Birmingham, die beim Ausſteigen unter eine Drahtſeilbahn geſchleudert worden war, erhielt 14.000 Mark für den Berluſt ihres Armes; eine Milchfrau von Kidderminſter erhielt jedoch nur die Hälfte dieſer Summe, als ſie ihren Arm infolge des Biſſes eines Hundes durch Amputation verlor und ihrem Manne nicht mehr bei ſeinem Geſchäft helfen konnte. Für Verletzungen, die zwei Kindern in der Schule zuſtießen, haben die Londoner Schulbehörden 800 Mark im erſten, 3000 Mark im zweiten Falle bezahlt. Ein Korbmacher erhielt jedoch mehr als das Doppelte für den Verluſt ſeiner Hand, als er durch den Ruck eines Eiſenbahnzuges auf die Schienen geworfen wurde. 8000 Mark bekam ein Burſche in Mancheſter, der drei Finger ſeiner rechten Hand durch eine Buchdruckerpreſſe verloren hatte, 6000 Mark ein junger Tiſchler, der drei Fingerſpitzen durch eine uneingefriedete Hobelmaſchine eingebüßt hatte. Der Verluſt der unteren Extremitäten wird meiſt mit größeren Summen entſchädigt; 8600 Mark erhielt ein Feuerwehrmann, der von einem Zuge überfahren worden war, 9000 Mark ein Lift- junge, der bei einer Firma des Londoner Weſt-End in Dienſt ſtand: dieſe Entſcheidung ſtützte ſich darauf, daß der Junge ungenügend über den Gebrauch des Aufzugs inſtruiert und deſſen Boden ſchlüpfrig war. Der Werth der Zähne wird verſchieden bemeſſen; 1200 Mark wurden von einer Eiſenbahngeſellſchaft einer Frau in Walworth gezahlt, die über ein Loch in der Plattform ge- ſtolpert war. Das iſt jedoch nichts im Vergleich zu der Summe, die vor ungefähr einem Jahr einer berühmten ruſſiſchen Opern- ſängrein, Mlle. Sarkiſowa, ausgezahlt wurde. Sie reiſte auf der transkaukaſiſchen Eiſenbahn, als der Zug plötzlich entgleiſte und dabei ihre Vorderzähne zertrümmert wurden. Da ſie an- gab, daß dieſer Verluſt ihre Laufbahn als Sängerin verdarb, ſprach das Petersburger Civilgericht ihr einen Schadenerſatz von 40.000 Mark für den Zahn — im Ganzen 200.000 Mark — zu! Für ernſtliche Verletzungen des ganzen Körpers wurden in England 39.000 Mark und 80.000 Mark bezahlt. Tödtliche Verletzungen wurden in England mit 3000 bis 11.800 Mark entſchädigt; die höchſte Summe erhielt eine Mrs. Leys in New-York, deren Mann bei einem ſchrecklichen Tunnelunglück umkam; nach faſt zwölfmonatlicher Verhand- lung wurden ihr 400.000 Mark zugeſprochen — die größte Summe, die eine Eiſenbahngeſellſchaft für ein Menſchenleben je bezahlt hat. Prinzeß Mathilde Bonaparte †. Prinzeſſin Mathilde Bonaparte iſt am Sonntag abends in Paris ge- ſtorben. Die Ex-Kaiſerin Eugenie und Prinzeſſin Clotilde weilten bis zuletzt an ihrem Sterbelager. Prinzeſſin Mathilde war die Tochter des Königs Jerome von Weſtfalen. Sie war verheiratet mit einem Grafen Anatole Demidow. Die zügel- loſe Verſchwendungsſucht des Grafen führte aber bald zu einer Scheidung der Ehe. Während des zweiten Kaiſerreichs war der Salon der Prinzeſſin der Sammelpunkt der litera- riſchen Größen von Paris. Vom Reichstag ins Gefängnis. Aus München, 2. Januar wird berichtet: Der Reichstagsabgeordnete des vierten Kaſſeler Wahlkreiſes, Seyboth, ſtand unter der Be- ſchuldigung, auf einem auf die Firma Brauerei Jakob Andreas in Eſchwege lautenden Wechſel das Akzept gefälſcht und den Betrag von 11.600 Mark bei der Bayerſchen Handelsbank perſönlich gehoben zu haben. Seyboth erklärte ſich für nicht- ſchuldig. Ein Buchhalter ſeines Geſchäftes habe ihm geſtanden, die Fälſchung begangen zu haben. Der Direktor und der Hauptkaſſierer der Bayeriſchen Handelsbank bekundeten jedoch, daß die gefälſchte Unterſchrift von Seyboth herrühre und daß Seyboth ſelbſt das Gefd auf der Bank in Empfang genommen habe.. Das Gericht erkannte den Angeklagten der Wechſel- fälſchung und des Betruges ſchuldig und verurteilte ihn unter Zubilligung mildernder Umſtände zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis. Außerdem wurden dem Angeklagten die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren aberkannt. C. K. Künſtleriſche Briefmarken. In Italien ſteht die Ausgabe neuer Briefmarken bevor, bei denen die Kunſt mehr zu ihrem Rechte kommen ſoll, als es auf dieſem Gebiete leider gewöhnlich der Fall iſt. König Viktor Emanuel III. fand, daß die Marken ſeines Königreiches ebenſowenig wie die franzöſiſchen, engliſchen und deutſchen Anſpruch auf künſt- leriſchen Wert machen konnten und keineswegs einem Lande Ehre machten, das als das klaſſiſche Land der Kunſt gilt. Der König hat ſich daher entſchloſſen, neue Briefmareen ausgeben zu laſſen. Die Entwürfe, die ihm der Maler Michetti unter- breitet hat, haben ſeine volle Billigung gefunden. Sie ſollen, wie berichtet wird, in der Tat hervorragend in der Zeichnung ſein. Jeder Wert hat ein verſchiedenes Muſter; einige ſtellen den König en face oder im Profil dar, mit einer Landſchaft oder einem Marienebild als Hintergrund. Beſonders intereſſieren die Marken von 1 Centeſimo und 2 Centeſimi; die einen ſind Volta geweiht, der mit entſprechenden Attributen ausgeſtattet iſt; die anderen ſtellen Marconi dar und zeigen im Vorder- grunde elektriſche Wellen, die die Welt durcheilen, und einen Telegraphenpfoſten mit Drähten, die nutzlos herabhängen. Dieſe neuen Briefmarken werden in der nächſter Zeit in Umlauf geſetzt werden. Die internationale Abwehr der Epidemien. Seit dem 10. Oktober bis Anfang Dezember hat in Paris eine Beratung über die beſten Mittel zur Abwehr von Epi- demien ſtattgefunden. Die Vereinigung tagte unter dem Namen einer Internationalen ſanitären Konferenz. Zunächſt handelte es ſich darum, eioe Beobachtungszeit bei Peſtverdacht feſtzu- ſtellen. Bisher hatte man es für nötig befunden, Menſchen und Waren, die einer Anſteckung mit Peſtbazillen verdächtigt waren, zehn Tage lang unter Abſchluß und Beobachtung zu halten. Die Konferenz iſt dahin übereingekommen, daß dieſe Zeit auf fünf Tage verringert werden kann. Ueberhaupt iſt das Beſtreben der Beratungen dahin gerichtet geweſen, auf der einen Seite die beſtmöglichen Garantien für die Volks- geſundheit ausfindig zu machen, die Maßnahmen zu dieſem Zweck aber ſo zu wählen, daß der internationale Verkehr möglichſt wenig behindert wird. Vorläufig wurden dieſe Grund- ſätze hauptſächlich für die Abwehr von Peſt und Cholera beraten. Vor Beendigung der Verhandlungen wurde der Vor- ſchlag gemacht, eine internationale Sanitätsbehörde zu ſchaffen, die als eine ſtändige Einrichtung beſtehen bleiben und in Paris ihren Sitz haben ſoll. Die Verhaftung des geflüchteten Anditors Hekajlo. Aus Lemberg wird uns geſchrieben: Vor einigen Monaten erregte allgemeines Aufſehen die Flucht des Oberſtleutnants-Auditors Hekajlo, der unter Hinterlaſſung großer Schulden aus Lemberg verſchwunden war. Hekajlo ſollte eben zum Oberſten avancieren und nach Wien berufen werden, wo ſeiner eine glänzende Karriere wartete. Später kam die Nachricht von der Verhaftung Hekajlos. Er wurde in Braſilien durch öſterreichiſche Geheimpoliziſten feſtgenommen, die die Regierung mit der Aufſuchung des Flüchtlings betraute. Hekajlo befand ſich urſprünglich in Buenos-Aires in Argentinien, da aber zwiſchen Oeſterreich und dieſem Staate kein Aus- lieferungsvertrag exiſtiert, lockten ihn die Agenten nach Braſilien und verhafteten ihn daſelbſt. Die Koſten der Expedition (die aus 6 Mitgliedern beſtand) zur Feſtnahme Hekajlos betragen 90.000 K. Hekajlo wurde nach Steiermark gebracht und im Garniſonsarreſt in Graz interniert, wo ſchon in einigen Tagen die Strafverhandlung ſtattfinden ſoll. Jubiläum. Aus Leitmeritz wird uns vom Heutigen telegraphiert; Aus Anlaß des ſiebzigſten Geburtstages des Abg. Funke, der ſeit einer Reihe von Jahren das Amt eines Bürgermeiſters der Stadt Leitmeritz bekleidet und ſich als ſolcher große Verdienſte erwarb, hat unſere Stadt Feſt- ſchmuck angelegt. Der Gemeinderat hielt eine Feſtſitzung ab. Am Abend veranſtalteten die hieſigen Vereine zu Ehren des Jubilars einen Fackelzug. Nach demſelben fand ein Bankett ſtatt, bei welchem Abg. Eppinger den Toaſt auf Funke ausbrachte. Verhaftung eines Hochſtaplers. Aus Ham- burg wird uns telegraphiert: Der ſteckbrieflich verfolgte Jakob Oeſterreicher aus Budapeſt, der in Stuttgart Poſt- anweiſungen auf größere Beträge fälſchte, wurde heute in Hamburg verhaftet. C. K. Ein ſiebenſtündiger Walzer. Sieben Stunden lang ohne Unterbrechung Walzer zu tanzen, iſt gewiß eine reſpektable Leiſtung. Sie wurde in einem Wettanz aus- geführt, der dieſer Tage in Paris veranſtaltet wurde. Der Beſitzer der Salle Wagram hatte angekündigt, daß er eine beſtimmte Anzahl von Preiſen den Paaren geben würde, die am längſten tanzen würden. Um 11 Uhr, als das Orcheſter zu ſpielen begann, wurden nach drei Revolverſchüſſen 44 Paare vom Start gelaſſen. Die Paare beſtanden alle aus jungen Männern und Frauen, bis auf ein Paar, das von zwei Frauen gebildet wurde; unter den männlichen Partnern be- fanden ſich ein Soldat und zwei Neger. Die einzige Bedingung des ſeltſamen Wettſtreites war, daß die Paare ohne Unter- brechung tanzen und während der ganzen Zeit im Walzerſchritt bleiben ſollten. Am Ende der erſten Stunde hatten vier Paare mit Tanzen aufgehört; am Ende der zweiten Stunde hatten zwölf weitere genug und am Ende der ſechſten Stunde waren die Bewerber auf fünf Paare zuſammengeſchmolzen, und die

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grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 6, Czernowitz, 05.01.1904, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer006_1904/3>, abgerufen am 21.11.2024.