Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 1069, Czernowitz, 06.08.1907.[Spaltenumbruch]
Redaktion u. Administration: Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz Für Deutschland: Für Rumänien und den Balkan: Telegramme: Allgemeine, Czernowitz. [Spaltenumbruch] Czernowitzer Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch] Ankündigungen: Einzelexemplare Nr. 1069. Czernowitz, Dienstag, den 6. August. 1907. [Spaltenumbruch] Uebersicht. Vom Tage. Fürst Ferdinand von Bulgarien ist in Ischl von Kaiser Bunte Chronik. Bei Angres ist ein Eisenbahnzug entgleist und in den Letzte Telegramme. In Florenz versuchten antiklerikale Demonstranten eine Das garantierte Chaos. Wien, 4. August. (Orig.-Korr.) Bekanntlich haben die Großstaaten Europas die Aufrecht- Nach wie vor wütet in Mazedonien der Kampf aller Die Türkei kann ziemlich sicher sein, daß die Mächte Ganz offenkundig ist jetzt das Bestreben der Großmächte [Spaltenumbruch] Feuilleton. Gefährliche Fahrt. Nachdruck verboten. Unmutig saß die neuengagierte Berichterstatterin vo[r] "Fräulein Meister'" rief er scharf, nachdem er einige "Ja, Herr Lauten'" erwiderte sie rasch und trat zu ihm. "Wo hast Du sie hingeschickt, Walter?" fragte ihn sein "Entführung -- nach dem Osten!" kam die knappe Dieser war erregt aufgesprungen und schlug jetzt mit "Großer Gott, Lauten, was hast Du angerichtet!" rief "Da haben wir's," gab der andere stirnrunzelnd zurück, "Du kennst sie nich, Walter" entgegnete dieser, dem "Ach, unke doch nicht so," brummte der Freund unwirsch. Stahl schwieg hierauf und versuchte eine nervöse Auf- Das gleiche versuchte auch Fräulein Meister. Sie hatte Es dauerte lange, bis sie eine Elektrische nach dem Ein Polizist sah, wie sie sich auf das Trittbrett hinauf- Aber sie schüttelte nur den Kopf. "Ich fürchte mich nicht," sagte sie lächelnd, "ich bin Achselzuckend ließ er ihr ihren Willen und entfernte "Prachtmädel," murmelte er, "hoffentlich passiert ihr Annies Unruhe wuchs, als sie von dem Schaffner, der Als sie die Markthalle im Osten erreichten, versuchten Aber es geschah für ihre Zeitung, und der Rest der Der Chefredakteur würde schon eines Tages hören, wie es Es war nur ein kleines Bildchen, eine Momentaufnahme Ueberglücklich machte sie sich auf den Heimweg. Es war jetzt spät am Nachmittag und währte geraume "Wollen Sie denn wirklich mit, Fräulein?" fragte er "Ich muß," erwiderte sie lächelnd, "der Hinweg war Der Mann gefiel ihr, er sah kräftig, stark und gutmütig In den Gassen drängte sich das Volk, und wieder tönten Aber man warf nicht nach ihr, und schon hoffte Annie, Der ganze Platz war schwarz von Menschen. Dicht vor [Spaltenumbruch]
Redaktion u. Adminiſtration: Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz Für Deutſchland: Für Rumänien und den Balkan: Telegramme: Allgemeine, Czernowitz. [Spaltenumbruch] Czernowitzer Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch] Ankündigungen: Einzelexemplare Nr. 1069. Czernowitz, Dienſtag, den 6. Auguſt. 1907. [Spaltenumbruch] Uebersicht. Vom Tage. Fürſt Ferdinand von Bulgarien iſt in Iſchl von Kaiſer Bunte Chronik. Bei Angres iſt ein Eiſenbahnzug entgleiſt und in den Letzte Telegramme. In Florenz verſuchten antiklerikale Demonſtranten eine Das garantierte Chaos. Wien, 4. Auguſt. (Orig.-Korr.) Bekanntlich haben die Großſtaaten Europas die Aufrecht- Nach wie vor wütet in Mazedonien der Kampf aller Die Türkei kann ziemlich ſicher ſein, daß die Mächte Ganz offenkundig iſt jetzt das Beſtreben der Großmächte [Spaltenumbruch] Feuilleton. Gefährliche Fahrt. Nachdruck verboten. Unmutig ſaß die neuengagierte Berichterſtatterin vo[r] „Fräulein Meiſter’“ rief er ſcharf, nachdem er einige „Ja, Herr Lauten’“ erwiderte ſie raſch und trat zu ihm. „Wo haſt Du ſie hingeſchickt, Walter?“ fragte ihn ſein „Entführung — nach dem Oſten!“ kam die knappe Dieſer war erregt aufgeſprungen und ſchlug jetzt mit „Großer Gott, Lauten, was haſt Du angerichtet!“ rief „Da haben wir’s,“ gab der andere ſtirnrunzelnd zurück, „Du kennſt ſie nich, Walter“ entgegnete dieſer, dem „Ach, unke doch nicht ſo,“ brummte der Freund unwirſch. Stahl ſchwieg hierauf und verſuchte eine nervöſe Auf- Das gleiche verſuchte auch Fräulein Meiſter. Sie hatte Es dauerte lange, bis ſie eine Elektriſche nach dem Ein Poliziſt ſah, wie ſie ſich auf das Trittbrett hinauf- Aber ſie ſchüttelte nur den Kopf. „Ich fürchte mich nicht,“ ſagte ſie lächelnd, „ich bin Achſelzuckend ließ er ihr ihren Willen und entfernte „Prachtmädel,“ murmelte er, „hoffentlich paſſiert ihr Annies Unruhe wuchs, als ſie von dem Schaffner, der Als ſie die Markthalle im Oſten erreichten, verſuchten Aber es geſchah für ihre Zeitung, und der Reſt der Der Chefredakteur würde ſchon eines Tages hören, wie es Es war nur ein kleines Bildchen, eine Momentaufnahme Ueberglücklich machte ſie ſich auf den Heimweg. Es war jetzt ſpät am Nachmittag und währte geraume „Wollen Sie denn wirklich mit, Fräulein?“ fragte er „Ich muß,“ erwiderte ſie lächelnd, „der Hinweg war Der Mann gefiel ihr, er ſah kräftig, ſtark und gutmütig In den Gaſſen drängte ſich das Volk, und wieder tönten Aber man warf nicht nach ihr, und ſchon hoffte Annie, Der ganze Platz war ſchwarz von Menſchen. 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Sie ſind ja alle auf dem Balkan mehr<lb/> oder weniger intereſſiert, aber angeſichts der Serie neuer<lb/> Ententen, die in jüngſter Zeit abgeſchloſſen wurden, kann<lb/><cb/> ihnen jede durchgreifende Aenderung der europäiſchen Kon-<lb/> ſtellation, wie ſie eine Aufrollung der Balkanfrage notwendiger-<lb/> weiſe nach ſich ziehen müßte, nur unbequem ſein; einſtweilen<lb/> braucht Europa Ruhe, damit die Verbündeten, deren Freund-<lb/> ſchaft noch ſo überaus grün iſt, ſich mit einander einleben.<lb/> Später läßt ſich ja vielleicht eher über die Balkanangelegen-<lb/> heiten reden.</p><lb/> <p>Ganz offenkundig iſt jetzt das Beſtreben der Großmächte<lb/> dahin gerichtet, in den Balkanfragen allen Konfliktsſtoff aus<lb/> dem Wege zu ſchaffen. Die leitenden Miniſter Italiens und<lb/> und Oeſterreich-Ungarns haben ſich eben erſt in Deſio wieder<lb/> dahin geeinigt, daß unter allen Umſtänden der <hi rendition="#aq">status quo</hi><lb/> auf dem Balkan aufrecht erhalten werden müſſe, und die<lb/> Note der Türkei iſt vermutlich ein Nachhall dieſer Begegnung.<lb/> Die Audienz des Fürſten Ferdinand bei Kaiſer Fanz Joſeph<lb/> ſteht offenbar damit in Verbindung, und den Schlußſtein<lb/> wird dem ganzen der Beſuch Eduards in Iſchl aufſetzen. Die<lb/> Mächte ſind ſich alſo einig darüber, daß auf dem Balkan<lb/> Frieden herrſchen ſoll — und daß ſie ſich nicht die Finger<lb/> an dem Feuerchen, daß dort geſchürt wird, verbrennen wollen.<lb/> Das gilt insbeſondere von Oeſterreich, deſſen balkaniſche<lb/> Intereſſen und Aſpirationen vielfach falſch beurteilt werden.<lb/> Man ſagt uns Anexionsabſichten nach. Nun, es könnte uns<lb/> wirklich nichts Schlimmeres paſſieren, als wenn uns jemand<lb/> ganz Mazedonien ſchenken wollte. Unſere Intereſſen auf dem<lb/> Balkan ſind vorwiegend kommerzielle; es iſt alſo von Wert für<lb/> uns, daß dort ſtabile Verhältniſſe hergeſtellt werden, die unſerer<lb/> Handelswelt eine ſichere Kalkulation geſtatten. Politiſch müſſen<lb/> wir wünſchen, das wir uns mit Italien oder einer anderen Macht<lb/> nicht um diverſer Balkanaſpirationen willen in die Haare ge-<lb/> raten, daß uns aber auch niemand dort unſere <hi rendition="#g">fried-<lb/> lichen</hi> Kreiſe ſtört. Damit iſt aber unſer Intereſſe an der<lb/> Sache auch vollſtändig umgrenzt. Oeſterreich kann ſich der<lb/> Aufgabe nicht unterziehen, aus dem Balkanchaos einen<lb/> Kosmos zu geſtalten, und beſchränkt ſich <hi rendition="#b">daher darauf</hi> allen<lb/> Maßregeln beizuſtimmen, die zwar keine <supplied>ideal</supplied>e Ordnung<lb/> ſchaffen, aber wenigſtens das Schlimmſte verhüten können.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">Feuilleton.</hi> </hi> </head><lb/> <div xml:id="fahrt1" next="#fahrt2" type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Gefährliche Fahrt.</hi> </head><lb/> <byline>Novelette nach dem Engliſchen von <hi rendition="#g">Sophie Spiegel.</hi> </byline><lb/> <p> <hi rendition="#et">Nachdruck verboten.</hi> </p><lb/> <p>Unmutig ſaß die neuengagierte Berichterſtatterin vo<supplied>r</supplied><lb/> ihrem Schreibtiſch und faltete die Hände müßig im Schoß.<lb/> Das erregte die Aufmerkſamkeit des lokalen Chefredakteurs;<lb/> in ſeinem Bureau durfte niemand feiern.</p><lb/> <p>„Fräulein Meiſter’“ rief er ſcharf, nachdem er einige<lb/> Sekunden in ſeinem Notitzbuch geblättert hatte.</p><lb/> <p>„Ja, Herr Lauten’“ erwiderte ſie raſch und trat zu ihm.<lb/> Schon im nächſten Augenblick, noch während ſie ein paar<lb/> Papiere in ihr braunes Ledertäſchchen ſtopfte, war ſie aus<lb/> der Tür.</p><lb/> <p>„Wo haſt Du ſie hingeſchickt, Walter?“ fragte ihn ſein<lb/> Freund und Gehilfe und ſah von ſeiner Arbeit auf.</p><lb/> <p>„Entführung — nach dem Oſten!“ kam die knappe<lb/> Antwort. „Es wird nicht viel Intereſſantes dabei heraus-<lb/> kommen, aber wenigſtens hat ſie Beſchäftigung. Hätte ich ſie<lb/> nur dem Alten, der ſie mir ſchickte, wieder zurückgeſendet.<lb/> Mädchen ſind in unſerem Berufe nichts wert — ſie haben<lb/> keinen Mut und keine Grütze! Was iſt denn los, Stahl?“</p><lb/> <p>Dieſer war erregt aufgeſprungen und ſchlug jetzt mit<lb/> der Fauſt auf den Tiſch.</p><lb/> <p>„Großer Gott, Lauten, was haſt Du angerichtet!“ rief<lb/> er heftig, „im Oſten ſtreiken ja die Arbeiter. Und ſie gerät<lb/> mitten unter ſie!“</p><lb/> <p>„Da haben wir’s,“ gab der andere ſtirnrunzelnd zurück,<lb/> „warum habe ich auch das Frauenzimmer genommen! Ein<lb/> Mann kann für ſich ſelbſt ſorgen. Ah bah, ſie iſt ein Neu-<lb/> ling, ſie wird ſich ängſtigen und die Geſchichte laufen laſſen.<lb/> Kein Grund zur Beſorgnis, Max.“</p><lb/> <p>„Du kennſt ſie nich, Walter“ entgegnete dieſer, dem<lb/> das zarte junge Geſchöpf ein ihm ſelbſt unerklärliches In-<lb/> tereſſe eingeflößt hatte, noch immer beunruhigt. „Sie nimmt<lb/><cb/> die Sache ernſt. Sie ſtammt aus einer Zeitungsfamilie und<lb/> iſt mit deren Traditionen aufgewachſen. Die weicht vor dem<lb/> Streik nicht zurück. Und wenn ihr etwas zuſtößt?“</p><lb/> <p>„Ach, unke doch nicht ſo,“ brummte der Freund unwirſch.<lb/> „Es wird ihr ſchon kein Leids geſchehen. Zur Chaperone bin<lb/> ich nicht engagiert worden. Bringe lieber Dein „Buntes<lb/> Allerlei“ zu Ende.“</p><lb/> <p>Stahl ſchwieg hierauf und verſuchte eine nervöſe Auf-<lb/> regung zu beſchwichtigen.</p><lb/> <p>Das gleiche verſuchte auch Fräulein Meiſter. Sie hatte<lb/> nicht den Streik vergeſſen und wußte, daß er bedeutend<lb/> ernſthafter war, als ihn die Morgenblätter darſtellten. Sie<lb/> wußte auch, daß ſie ſich mitten hinein wagen müſſe, aber an<lb/> feigen Rückzug dachte ſie nicht.</p><lb/> <p>Es dauerte lange, bis ſie eine Elektriſche nach dem<lb/> Oſten fand, und als endlich eine kam, waren deren Fenſter-<lb/> ſcheiben zerbrochen und der Führer hatte ein blutiges<lb/> Taſchentuch um das Handgeleng geſchlungen.</p><lb/> <p>Ein Poliziſt ſah, wie ſie ſich auf das Trittbrett hinauf-<lb/> ſchwang und wollte ſie warnen.</p><lb/> <p>Aber ſie ſchüttelte nur den Kopf.</p><lb/> <p>„Ich fürchte mich nicht,“ ſagte ſie lächelnd, „ich bin<lb/> Berichterſtatterin und muß das Neueſte zu erfahren ſuchen.“</p><lb/> <p>Achſelzuckend ließ er ihr ihren Willen und entfernte<lb/> ſich ein ähnliches Gefühl wie Stahl im Herzen.</p><lb/> <p>„Prachtmädel,“ murmelte er, „hoffentlich paſſiert ihr<lb/> nichts.„</p><lb/> <p>Annies Unruhe wuchs, als ſie von dem Schaffner, der<lb/> ihrer Geſellſchaft froh war, erfuhr, wie aufgeregt das Volk<lb/> im Streikrevier ſei. An einer Straßenecke warfen einige<lb/> halbwüchſige Jungen mit Steinen nach ihr. Dem Rat des<lb/> Schaffners folgend, hockte ſie ſich im Innern auf dem Boden<lb/> nieder, doch ſich ihrer Furcht ſchämend, ſprang ſie bald wie-<lb/> der auf.</p><lb/> <p>Als ſie die Markthalle im Oſten erreichten, verſuchten<lb/> einige Männer den Wagen aufzuhalten, wüſtes Geſchrei und<lb/> Gejohle tönte um ſie her, und verdorbenes Obſt und Gemüſe<lb/> flog zu ihr hinein. Eine unreife Pflaume traf empfindlich<lb/><cb/> ihre Naſe, und eine faule Tomate überſpritzte ſie mit ihrem<lb/> Saft, und rohe Redensarten trieben ihr das Blut in die<lb/> Wangen.</p><lb/> <p>Aber es geſchah für ihre Zeitung, und der Reſt der<lb/> Fahrt verlief verhältnismäßig ruhig. Ganz ſtolz und erhaben<lb/> fühlte ſie ſich, als ſie jetzt an ihrer Halteſtelle abſtieg.</p><lb/> <p>Der Chefredakteur würde ſchon eines Tages hören, wie es<lb/> ihr gelungen war, alle Details der Entführung zu erhalten.<lb/> Denn ſie erhielt ſie, und eine Photographie der Entflohenen<lb/> mit in den Kauf.</p><lb/> <p>Es war nur ein kleines Bildchen, eine Momentaufnahme<lb/> von einer Landpartie, aber von unſchätzbarem Wert für die<lb/> Berichterſtattung.</p><lb/> <p>Ueberglücklich machte ſie ſich auf den Heimweg.</p><lb/> <p>Es war jetzt ſpät am Nachmittag und währte geraume<lb/> Zeit, bis eine Straßenbahn kam. Natürlich war ſie leer, und<lb/> der Führer ſchaute Annie betroffen an, als ſie vorne zu ihm<lb/> aufſprang.</p><lb/> <p>„Wollen Sie denn wirklich mit, Fräulein?“ fragte er<lb/> erſtaunt, „es kann unangenehm werden.“</p><lb/> <p>„Ich muß,“ erwiderte ſie lächelnd, „der Hinweg war<lb/> nicht ſchlimm, der Rückweg wird es wohl auch nicht ſein.“</p><lb/> <p>Der Mann gefiel ihr, er ſah kräftig, ſtark und gutmütig<lb/> aus. Anders wie der Schaffner, der ein unangenehmes,<lb/> mürriſches Weſen hatte.</p><lb/> <p>In den Gaſſen drängte ſich das Volk, und wieder tönten<lb/> Schimpfworte, dieſes Mal aus dem Munde von Frauen, dem<lb/> jungen Mädchen in das Ohr, während ſie an der erregten<lb/> Menge vorbeifuhr.</p><lb/> <p>Aber man warf nicht nach ihr, und ſchon hoffte Annie,<lb/> ungefährdet nach Hauſe gelangen zu können. Da bogen ſie<lb/> um eine Ecke, die Markthalle lag vor ihnen, und ſofort wußte<lb/> ſie, daß ſie ſich zu früh in Sicherheit gewähnt hatte.</p><lb/> <p>Der ganze Platz war ſchwarz von Menſchen. Dicht vor<lb/> der Elektriſchen, quer über den Schienen, ſtand ein Bierwagen<lb/> und verſperrte den Weg. Der Fahrer riß an ſeiner Klingel,<lb/> aber der Kutſcher rührte ſich nicht von der Stelle, und die<lb/> Menge brüllte und johlte.</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
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Nr. 1069. Czernowitz, Dienſtag, den 6. Auguſt. 1907.
Uebersicht.
Vom Tage.
Fürſt Ferdinand von Bulgarien iſt in Iſchl von Kaiſer
Franz Joſeph empfangen worden. — In Caſablanca herrſcht
Panik. Die Europäer fliehen.
Bunte Chronik.
Bei Angres iſt ein Eiſenbahnzug entgleiſt und in den
Fluß geſtürzt.
Letzte Telegramme.
In Florenz verſuchten antiklerikale Demonſtranten eine
Kirche in Brand zu ſtecken. — Bei dem Eiſenbahnunglück bei
Angers find 50 Perſonen getötet und 16 verwundet worden.
Das garantierte Chaos. Wien, 4. Auguſt. (Orig.-Korr.)
Bekanntlich haben die Großſtaaten Europas die Aufrecht-
erhaltung des Status quo auf dem Balkan garantiert. Die
internationale Diplomatie iſt ſehr ſtolz darauf, daß ſie dieſe
Einigung erzielt hat, und jeder Unkundige muß glauben, daß
der Zuſtand, den die Mächte mit ſo angeſtrengter Mühe-
waltung und ſo aufrichtiger Genugtuung konſervieren, ein
geradezu paradieſiſcher Zuſtand ſei. Dieſe Annahme wäre aber
ein arger Irrtum, denn auf dem Balkan herrſcht nach wie
vor eine wüſte Unordnung, und was dort durch die Mächte
garantiert iſt, das iſt lediglich das Chaos. Gewiß ſoll nicht
verkannt werden, daß wenigſtens der Ausbruch einer verheerenden
Feuersbrunſt verhindert worden iſt, aber dieſe Leiſtung iſt
doch nur eine negative; den poſitiven Erfolg, die ſtreitenden
Nationalitäten beruhigt, ihre Anſprüche befriedigt, eine dauernde
Ordnung geſchaffen zu haben, dieſen Erfolg haben die Groß-
mächte nicht zu erzielen vermocht.
Nach wie vor wütet in Mazedonien der Kampf aller
gegen alle, und die verſchiedenen Völkerſtämme arbeiten rüſtig
an der Propaganda der Tat. Der Bandenkrieg dauert fort,
nur mit der neuen Nuance, daß jetzt immer eine beſtimmte
Nation ſich der Führung bemächtigt, während die andern ſich
ein wenig verſchnaufen, um alsbald wieder mit friſchen Kräften
in den patriotiſchen Wettbewerb einzutreten. Eine Zeitlang
waren es vor allem die Bulgaren, die die landſäſſige
Bevölkerung mit der ſanften Gewalt von Blut und Brand
für ſich zu gewinnen ſuchten. Dann aber entzog die bulgariſche
Regierung den Banden ihre Unterſtützung, weil Fürſt Ferdinand
ſich lieber bei ſeinen Untertanen als bei den Großmächten
diskreditieren wollte. Wenn auch heute noch bulgariſche Banden
in Mazedonien ihr Unweſen treiben, ſo geſchieht dies doch
nur inoffiziell, auf eigene Rechnung und Gefahr, und Fürſt
Ferdinand kann ſeine Hände in Unſchuld waſchen. Neben den
Bulgaren ließen ſich auch die Serben nicht lumpen, indeſſen ſcheinen
ſie augenblicklich ein wenig erſchöpft zu ſein. Sie haben auch im
eigenen Lande ſo viel Zerſtreuung, daß ſie ſich nicht außer-
halb der Grenzen Motion zu machen brauchen. Unter ſolchen
Umſtänden war es für die Griechen eine Ehrenſache, die
Lücke auszufüllen und in Mazedonien den Guerillakrieg da
fortzuſetzen, wo die Bulgaren und Serben ihn abgebrochen
hatten. Griechiſche Banden unter griechiſchen Offizieren
nationaliſieren jetzt mit Feuer und Schwert die mazedoniſche
Bevölkerung. Dieſem Treiben iſt nun die Pforte in einer
ſehr beſtimmt gehaltenen Note entgegengetreten.
Die Türkei kann ziemlich ſicher ſein, daß die Mächte
ſie in dieſer Angelegenheit unterſtützen werden; ſelbſt die
enragierteſten Türkenfeinde ſind längſt zu der Ueberzeugung
gekommen, daß es unmöglich iſt, die Beſtrebungen der
chriſtlichen Balkanvölker zu fördern. Niemand weiß, wie die
Dinge geordnet werden ſollten, wenn die türkiſche Herrſchaft
zuſammenbräche, und alle ſind darin einig, das Leben des
kranken Mannes ſo lange wie irgend möglich hinzufriſten
So unzulänglich der jetzige Zuſtand iſt, jede Aenderung
ſcheint eine Verſchlimmerung zu bedeuten. Die Note der
Türkei wird daher vermutlich die Zuſtimmung ſämtlicher
Mächte finden, ja, man kann annehmen, daß ſie der Ini-
tiative der europäiſchen Diplomatie ihre Entſtehung verdankt.
Der Dreibund will eo ipso, daß auf dem Balkan Ruhe
gehalten wird und der status quo aufrecht bleibt, und auch
die anderen Mächte haben ein ſtarkes Intereſſe daran, daß
jetzt in dem Wetterwinkel Europas nicht etwa eine ernſte
Komplikation eintritt. Sie ſind ja alle auf dem Balkan mehr
oder weniger intereſſiert, aber angeſichts der Serie neuer
Ententen, die in jüngſter Zeit abgeſchloſſen wurden, kann
ihnen jede durchgreifende Aenderung der europäiſchen Kon-
ſtellation, wie ſie eine Aufrollung der Balkanfrage notwendiger-
weiſe nach ſich ziehen müßte, nur unbequem ſein; einſtweilen
braucht Europa Ruhe, damit die Verbündeten, deren Freund-
ſchaft noch ſo überaus grün iſt, ſich mit einander einleben.
Später läßt ſich ja vielleicht eher über die Balkanangelegen-
heiten reden.
Ganz offenkundig iſt jetzt das Beſtreben der Großmächte
dahin gerichtet, in den Balkanfragen allen Konfliktsſtoff aus
dem Wege zu ſchaffen. Die leitenden Miniſter Italiens und
und Oeſterreich-Ungarns haben ſich eben erſt in Deſio wieder
dahin geeinigt, daß unter allen Umſtänden der status quo
auf dem Balkan aufrecht erhalten werden müſſe, und die
Note der Türkei iſt vermutlich ein Nachhall dieſer Begegnung.
Die Audienz des Fürſten Ferdinand bei Kaiſer Fanz Joſeph
ſteht offenbar damit in Verbindung, und den Schlußſtein
wird dem ganzen der Beſuch Eduards in Iſchl aufſetzen. Die
Mächte ſind ſich alſo einig darüber, daß auf dem Balkan
Frieden herrſchen ſoll — und daß ſie ſich nicht die Finger
an dem Feuerchen, daß dort geſchürt wird, verbrennen wollen.
Das gilt insbeſondere von Oeſterreich, deſſen balkaniſche
Intereſſen und Aſpirationen vielfach falſch beurteilt werden.
Man ſagt uns Anexionsabſichten nach. Nun, es könnte uns
wirklich nichts Schlimmeres paſſieren, als wenn uns jemand
ganz Mazedonien ſchenken wollte. Unſere Intereſſen auf dem
Balkan ſind vorwiegend kommerzielle; es iſt alſo von Wert für
uns, daß dort ſtabile Verhältniſſe hergeſtellt werden, die unſerer
Handelswelt eine ſichere Kalkulation geſtatten. Politiſch müſſen
wir wünſchen, das wir uns mit Italien oder einer anderen Macht
nicht um diverſer Balkanaſpirationen willen in die Haare ge-
raten, daß uns aber auch niemand dort unſere fried-
lichen Kreiſe ſtört. Damit iſt aber unſer Intereſſe an der
Sache auch vollſtändig umgrenzt. Oeſterreich kann ſich der
Aufgabe nicht unterziehen, aus dem Balkanchaos einen
Kosmos zu geſtalten, und beſchränkt ſich daher darauf allen
Maßregeln beizuſtimmen, die zwar keine ideale Ordnung
ſchaffen, aber wenigſtens das Schlimmſte verhüten können.
Feuilleton.
Gefährliche Fahrt.
Novelette nach dem Engliſchen von Sophie Spiegel.
Nachdruck verboten.
Unmutig ſaß die neuengagierte Berichterſtatterin vor
ihrem Schreibtiſch und faltete die Hände müßig im Schoß.
Das erregte die Aufmerkſamkeit des lokalen Chefredakteurs;
in ſeinem Bureau durfte niemand feiern.
„Fräulein Meiſter’“ rief er ſcharf, nachdem er einige
Sekunden in ſeinem Notitzbuch geblättert hatte.
„Ja, Herr Lauten’“ erwiderte ſie raſch und trat zu ihm.
Schon im nächſten Augenblick, noch während ſie ein paar
Papiere in ihr braunes Ledertäſchchen ſtopfte, war ſie aus
der Tür.
„Wo haſt Du ſie hingeſchickt, Walter?“ fragte ihn ſein
Freund und Gehilfe und ſah von ſeiner Arbeit auf.
„Entführung — nach dem Oſten!“ kam die knappe
Antwort. „Es wird nicht viel Intereſſantes dabei heraus-
kommen, aber wenigſtens hat ſie Beſchäftigung. Hätte ich ſie
nur dem Alten, der ſie mir ſchickte, wieder zurückgeſendet.
Mädchen ſind in unſerem Berufe nichts wert — ſie haben
keinen Mut und keine Grütze! Was iſt denn los, Stahl?“
Dieſer war erregt aufgeſprungen und ſchlug jetzt mit
der Fauſt auf den Tiſch.
„Großer Gott, Lauten, was haſt Du angerichtet!“ rief
er heftig, „im Oſten ſtreiken ja die Arbeiter. Und ſie gerät
mitten unter ſie!“
„Da haben wir’s,“ gab der andere ſtirnrunzelnd zurück,
„warum habe ich auch das Frauenzimmer genommen! Ein
Mann kann für ſich ſelbſt ſorgen. Ah bah, ſie iſt ein Neu-
ling, ſie wird ſich ängſtigen und die Geſchichte laufen laſſen.
Kein Grund zur Beſorgnis, Max.“
„Du kennſt ſie nich, Walter“ entgegnete dieſer, dem
das zarte junge Geſchöpf ein ihm ſelbſt unerklärliches In-
tereſſe eingeflößt hatte, noch immer beunruhigt. „Sie nimmt
die Sache ernſt. Sie ſtammt aus einer Zeitungsfamilie und
iſt mit deren Traditionen aufgewachſen. Die weicht vor dem
Streik nicht zurück. Und wenn ihr etwas zuſtößt?“
„Ach, unke doch nicht ſo,“ brummte der Freund unwirſch.
„Es wird ihr ſchon kein Leids geſchehen. Zur Chaperone bin
ich nicht engagiert worden. Bringe lieber Dein „Buntes
Allerlei“ zu Ende.“
Stahl ſchwieg hierauf und verſuchte eine nervöſe Auf-
regung zu beſchwichtigen.
Das gleiche verſuchte auch Fräulein Meiſter. Sie hatte
nicht den Streik vergeſſen und wußte, daß er bedeutend
ernſthafter war, als ihn die Morgenblätter darſtellten. Sie
wußte auch, daß ſie ſich mitten hinein wagen müſſe, aber an
feigen Rückzug dachte ſie nicht.
Es dauerte lange, bis ſie eine Elektriſche nach dem
Oſten fand, und als endlich eine kam, waren deren Fenſter-
ſcheiben zerbrochen und der Führer hatte ein blutiges
Taſchentuch um das Handgeleng geſchlungen.
Ein Poliziſt ſah, wie ſie ſich auf das Trittbrett hinauf-
ſchwang und wollte ſie warnen.
Aber ſie ſchüttelte nur den Kopf.
„Ich fürchte mich nicht,“ ſagte ſie lächelnd, „ich bin
Berichterſtatterin und muß das Neueſte zu erfahren ſuchen.“
Achſelzuckend ließ er ihr ihren Willen und entfernte
ſich ein ähnliches Gefühl wie Stahl im Herzen.
„Prachtmädel,“ murmelte er, „hoffentlich paſſiert ihr
nichts.„
Annies Unruhe wuchs, als ſie von dem Schaffner, der
ihrer Geſellſchaft froh war, erfuhr, wie aufgeregt das Volk
im Streikrevier ſei. An einer Straßenecke warfen einige
halbwüchſige Jungen mit Steinen nach ihr. Dem Rat des
Schaffners folgend, hockte ſie ſich im Innern auf dem Boden
nieder, doch ſich ihrer Furcht ſchämend, ſprang ſie bald wie-
der auf.
Als ſie die Markthalle im Oſten erreichten, verſuchten
einige Männer den Wagen aufzuhalten, wüſtes Geſchrei und
Gejohle tönte um ſie her, und verdorbenes Obſt und Gemüſe
flog zu ihr hinein. Eine unreife Pflaume traf empfindlich
ihre Naſe, und eine faule Tomate überſpritzte ſie mit ihrem
Saft, und rohe Redensarten trieben ihr das Blut in die
Wangen.
Aber es geſchah für ihre Zeitung, und der Reſt der
Fahrt verlief verhältnismäßig ruhig. Ganz ſtolz und erhaben
fühlte ſie ſich, als ſie jetzt an ihrer Halteſtelle abſtieg.
Der Chefredakteur würde ſchon eines Tages hören, wie es
ihr gelungen war, alle Details der Entführung zu erhalten.
Denn ſie erhielt ſie, und eine Photographie der Entflohenen
mit in den Kauf.
Es war nur ein kleines Bildchen, eine Momentaufnahme
von einer Landpartie, aber von unſchätzbarem Wert für die
Berichterſtattung.
Ueberglücklich machte ſie ſich auf den Heimweg.
Es war jetzt ſpät am Nachmittag und währte geraume
Zeit, bis eine Straßenbahn kam. Natürlich war ſie leer, und
der Führer ſchaute Annie betroffen an, als ſie vorne zu ihm
aufſprang.
„Wollen Sie denn wirklich mit, Fräulein?“ fragte er
erſtaunt, „es kann unangenehm werden.“
„Ich muß,“ erwiderte ſie lächelnd, „der Hinweg war
nicht ſchlimm, der Rückweg wird es wohl auch nicht ſein.“
Der Mann gefiel ihr, er ſah kräftig, ſtark und gutmütig
aus. Anders wie der Schaffner, der ein unangenehmes,
mürriſches Weſen hatte.
In den Gaſſen drängte ſich das Volk, und wieder tönten
Schimpfworte, dieſes Mal aus dem Munde von Frauen, dem
jungen Mädchen in das Ohr, während ſie an der erregten
Menge vorbeifuhr.
Aber man warf nicht nach ihr, und ſchon hoffte Annie,
ungefährdet nach Hauſe gelangen zu können. Da bogen ſie
um eine Ecke, die Markthalle lag vor ihnen, und ſofort wußte
ſie, daß ſie ſich zu früh in Sicherheit gewähnt hatte.
Der ganze Platz war ſchwarz von Menſchen. Dicht vor
der Elektriſchen, quer über den Schienen, ſtand ein Bierwagen
und verſperrte den Weg. Der Fahrer riß an ſeiner Klingel,
aber der Kutſcher rührte ſich nicht von der Stelle, und die
Menge brüllte und johlte.
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