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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 116, Czernowitz, 18.05.1904.

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Rathausstraße 16, 1. Stock.




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Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


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Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

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Es kostet im gewöhnlichen Inse-
ratenteil 12 h die 6mal gespaltene
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klame 40 h die Petitzeile. Inserate
nehmen alle in- und ausländischen
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ministration entgegen. -- Einzel-
exemplare sind in allen Zeitungs-
verschleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
versitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Buchdruckerei Riemer
(Tempelgasse) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldschmidt.
Wollzeile 11.




Nr. 116. Czernowitz, Mittwoch, den 18. Mai 1904.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Der Krieg.

Der "Matin" publiziert eine interessante Depesche Kuropatkins.

Vom Tage.

Der Budgetausschuß der österreichischen Delegation hat das
Budget des Ministeriums des Aeußern angenommen. -- Die
Wähler des Abg. Walewski fordern ihn auf, das Mandat nieder-
zulegen. -- Die französische Kammer tritt wieder zusammen.

Bunte Chronik.

In Berlin streiken die Schlosser.

Letzte Telegramme.

In der ungarischen Delegation wird dem Grafen Golu-
chowski der Dank und das Vertrauen votiert. -- In Cerignola
kommt es zu Zusammenstößen zwischen Militär und streikenden
Bauern. -- Kaiser Wilhelm hat die Niederreißung der Berliner
Oper verfügt. -- Die bukowiner und dalmatinische gr.-or. Diözese
soll geteilt werden. -- Der Zar soll sehr schwer erkrankt sein. --
Eine japanische Abteilung hungert 200 Russen aus. -- Unter der
mandschurischen Bevölkerung sind Unruhen ausgebrochen.




Das Geheimnis von Nisch.


Erzittere Erdball! Se. Majestät König Peter I. von
Serbien Karageorgewitsch und Se. Königliche Hoheit der
Fürst Ferdinand von Bulgarien haben in Nisch eine
Zusammenkunst gehabt. Unergründliches, tief unerforschliches
Geheimnis ist über sie gebreitet. Aber Gutes läßt sich nicht
ahnen. Noch ist die Welt in ihren Fugen, aber wer weiß,
wie schnell ihre ganze Herrlichkeit vernichtet ist. Eine Militär-
konvention kann das Ergebnis der Entrevue gewesen sein,
ein Schutz- und Trutzbündnis gegen Oesterreich-Ungarn,
möglicherweise ein Handelsübereinkommen, möglicherweise ein
Höflichkeitsakt, sogar ein frostiger und mißglückter, ja es ist
sogar nicht ausgeschlossen, daß das Ergebnis Nichts, Null
gewesen ist; denn die Eingeweihtesten wiegen ernst die Köpfe
und meinen, daß diese letztere fürchterliche Wahrscheinlichkeit
allerdings die größte ist.

Es ruht auch ein undurchdringlicher Schleier über die
Frage, wer die Zusammenkunft, die folgenschwere überhaupt
angeregt und herbeigeführt hat, der König von Serbien oder
der König in spe von Mazedonien. Selbst die dem Thron
in Sofia am nächsten stehen, sollen bis zur letzten Minute
von der bevorstehenden Begegnung nichts gewußt haben. Das
[Spaltenumbruch] läßt darauf schließen, daß Ferdinand als derjenige anzusehen
ist, der nicht allein der Hort und Hüter, sondern auch der
Schöpfer des Geheimnisses war. Er sucht also Anschluß an
Serbien und just jetzt, wo weit hinten am letzten Weltende
der russisch-japanische Ringkampf tobt. Er hat also Angst,
daß jetzt, wo sein hoher Patron, der Zar, in der Mandschurei
beschäftigt ist, dessen Rivale an der Donau, der Habsburgische
Doppelstaat ihn verschlucken könnte, ohne daß es jemand
bemerkt und verwehrt. Peter I. von Serbien, den königlichen
Nachbarn hält er für den geeigneten Schützer, ihn vor solchem
Los zu bewahren. So lautet eine Auslegung. Eine geht
dahin, daß der weise Fürst des noch zu großer Zukunft
ausersehenen Bulgariens den Moment abgewartet habe, wo
die Verhältnisse in Serbien genügend konsolidiert erschienen,
um eine Schutz- und Trutzgemeinschaft mit ihm einzugehen,
nicht allein und keineswegs in erster Linie gegen Oesterreich,
sondern gegen die Türkei und überhaupt gegen jede Aufsicht
und zudringliche Einmischung, wie man sie sich in den letzten
Zeiten so oft von sogenannten Weltmächten gefallen lassen
mußte, die sich einbilden, eine großartige staatsmännische
Ueberlegenheit zu besitzen und dabei doch nie auch nur für
die einfachsten bulgarisch-mazedonischen Nationalvergnügungen
ein Verständnis gewinnen werden, als da sind, Kopfab-
schneiden, Hammelstehlen, Brandschatzen, Bombenattentate
ausführen u. s. w., garnicht zu reden von den mannigfachen
einschlägigen Vergnügungen equisiterer Art.

Also diesen Moment, die Konsolidierung Serbiens zur
Festigung der eigenen Position zu benutzen, hält Ferdinand
jetzt für gekommen, wo Peter damit umgeht, sich eine Königs-
krone aus einem alten Kanonenmetall gießen zu lassen. Peter
hat einmal von einer Krone geträ[umt,] die in Paris gemacht
werde, selbstverständlich von Gold und voll Edelsteiuen sein
sollte, wie die Schahs von Persien. Und Peter schlägt
freudig ein in die dargebotene Hand. Er denkt sich,
wenn ich einen stütze, so bin ich auch selber gestützt,
wenn sich einer mit seinem Rücken gegen meinen lehnt,
so kann ich mich auch gegen den seinen lehnen. Außer-
dem, es war seine erste Begegnung seit seiner Herrschaft,
die er nicht mit von aller Welt boykottierten Königsmördern,
sondern einem Seinesgleichen hatte. Mit einem ganz anderen
Selbstgefühl wird er von nun ab den Potentaten Europas
seinen Besuch antragen. Der ganze Balkan sieht vom Tage
[Spaltenumbruch] der Nischer Zusammenkunft ab anders aus. Die Balkanvölker
werden unter sich einig werden, von der Türkei werden sie
sich emanzipieren und die europäischen Großmächte werden
nicht mehr wagen, sie zu bevormunden. So mag in manchem
hitzigen Serben oder Bulgarenkopf sich die Zukunft malen,
doch so rasch und so hoch werden die Bäume nicht in den
Himmel wachsen.

Es ist noch kaum ein halbes Jahr her, da Herr Fer-
dinand von Bulgarien verreiste, weil ihm der Boden zu
heiß geworden und da es hieß, er werde sich nicht trauen,
wieder zu kommen. Und in Serbien, da lassen jetzt, wo sich
Peter krönen oder salben läßt, die an Zahl und Einfluß
nicht unbedeutenden Radikalen durch fühlen, daß ihnen das
Königtum schon lange ein Greuel ist und daß sie es über
kurz oder lang durch eine Republik abzulösen versuchen werden.
Auf dem Balkan werden die Dinge auch nach der Nischer
Zusammenkunft nicht stabiler, die Folgen der Zusammenkunft,
wenn sie weit reichen, reichen bis morgen, und es wird nicht
zu weit gegangen sein, wenn man urteilt, die Bedeutung
dieser vielbesprochenen Entrevue ist keine und das Geheimnis
über ihr kann man ruhig liegen lassen, da sichs nicht lohnt,
es zu lüften.




Der Krieg.


Aeußerungen eines russischen Generals. (Priv.-Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Der "Matin" veröffentlicht eine Unterredung seines Korre-
spondenten mit einem General aus dem Gefolge des Zaren,
in der es heißt: Wenn wir geschlagen werden, wird dies der
Anlaß zu einem neuen Krieg sein. Rußland darf nicht von
Japan geschlagen werden. Wir waren nicht vorbereitet. Die
Mächte hätten es nicht ohne Weiteres zugegeben,
wenn wir uns in der Mandschurei konzentriert hätten, um
die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Aber im Juni werden
wir genug Leute haben. Wenn die Japaner nach Mukden
kommen, sind sie verloren. Sie wissen, General Kuro-
patkin
hat an einen seiner Freunde telegraphiert: "Sie
können mir Glück wünschen zum Ueberschreiten
des Yalu durch die Japaner, sie haben sich
mir selbst ergeben."




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Pariser Brief.
(Von unserem Korrespondenten.)
(Ein Morgenspaziergang im Bois. -- Firnistag im "Grand
Palais". -- Kunst und Mode. -- Nichts als Durchschnittsware. --
Nationalismus oder Sozialismus. -- Die Prosa der Kandidaten. --
Eine neue Lesart.)
Paris, 14. Mai 1904.
(Nachdruck verboten.)

Seit einer Reihe von Jahren läßt sich eine kleine Um-
wälzung in den Pariser Sitten beobachten. Die Angehörigen
der "oberen Zehntausend", welche bisher als Langschläfer ver-
schrieen waren, erheben sich neuerdings zeitiger vom Lager als
ehemals. Der Rad- und Automobilsport hat dieses Wunder
vollbracht. Die Jünger desselben haben einsehen gelernt, daß
die Morgenstunden ihnen am günstigsten sind und daß es kein
idealeres Vergnügen gibt als zum Beispiel eine Morgenspazier-
fahrt durch das Bois de Boulogne. Daß die Pariser zu der
patriarchalischen Lebensweise ihrer Vorväter zurückgekehrt sind,
war am Vernissage-Tag der Artistes francais auf frappante
Weise zu konstatieren. Bereits um 10 Uhr waren die Säle
von einem dichten Herrenpublikum besetzt, dessen Kleidung be-
wies, daß man schon eine Sportpromenade hinter sich hatte.
Die Damen trafen etwas später ein, denn die Anlegung der
neuen Frühjahrstoilette erfordert Zeit und Sorgfalt, aber
schon um 11 Uhr war Tout-Paris in den Räumen des
"großen Palastes" vollzählig versammelt, freilich nur um
gleich darauf wieder auseinanderzustäuben und in den Mode-
restaurants der Champs-Elysees das traditionelle Salon-Dejeuner
einzunehmen. Nach der Bewältigung des opulenten Mahls
fühlten sich die Meisten erst recht in der Stimmung, über die
Leistungen der modernen Malerei und Bildhauerkunst ein
kompetentes Urteil abzugeben und kehrten Nachmittags unver-
zagt in die schwüle Atmosphäre des Salons zurück, wo es
bald vor Gedränge und Stimmengewirr nicht mehr auszu-
halten war. Das Publikum der Artistes francais ist fast
dasselbe wie das der Beaux-Arts, nur daß es sich am
[Spaltenumbruch] "Firnistag" viel geräuschvoller benimmt. Mit vieler Grazie
empfingen die Vorstandsmitglieder die anstürmenden illustren
Gäste, unter denen wie immer Schauspieler und Schauspiel-
erinnen stark vertreten waren, welche den Salon als Gelegenheit
benutzen, um für ihre Person eine kleine Reklame zu machen.
Auch die Kunstkritiker finden sich zum Vernissage zahlreich
ein, um auf das Geflüster der Menge zu horchen und zu
kontrollieren, ob ihre an demselben Tage in den Zeitungen auf
vielen Spalten niedergelegten kritischen Orakel beim Publikum
auf Glauben stoßen. Nicht zu vergessen sind bei der Be-
schreibung der Vernissage-Zuschauerschaft einzelne renommierte
Direktricen aus den großen Modegeschäften der Rue de la
Paix,
der Rue Royale usw., die gekommen sind, um Inspi-
rationen für ihre Häuser zu erhalten. Leider kommen diese
Damen nicht mehr so auf ihre Rechnung wie noch vor wenigen
Jahren, denn der Salon gilt nicht mehr als der Platz, wo
über das Wohl oder Wehe der Moden entschieden wird.

Was sagt nun das kunstsinnige Paris über die Ergebnisse
des diesjährigen Salons der Artistes francais? Was sagen
vor allem die eigentlichen Kunstkritiker? Nicht viel Gutes.
"Durchschnittsware hat man uns geliefert, wie seit mehreren
Jahren, aber fast kein Gemälde erhebt sich so über das
Niveau, daß es Europa und Amerika mit Staunen erfüllen
wird." Die Kritik hat Recht. Vor einem Jahrzehnt verging
kein Salon, ohne daß einige klassische Schöpfungen, welche
berufen waren, die Malerei dauernd zu beeinflussen, zu ver-
zeichnen gewesen sind. Heutzutage ist dies anders geworden
und die Maler scheinen sich auf den Lorbeeren der früheren
Zeit ausruhen zu wollen. Es ist sehr schade, daß ein gewisser
Marasmus in der französischen Kunst herrscht. Einen Teil
der Schuld tragen sicherlich die alten Herren, die im Vorstand
des Salons die erste Geige spielen und jungen Talenten nur
widerwillig Raum lassen.

Das Interesse der Pariser war in den letzten Tagen
zwischen Kunst und Politik geteilt. Die Gemeinderatswahlen
wirbelten eine mächtige Staubwolke auf und entfachten die
Leidenschaften in einem solchen Grade, wie es früher bei
einem derartigen Anlaß nicht der Fall war. Nationalismus
oder Sozialismus war die Losung. Der Letztere hat den
Sieg davon getragen, nur wenig nimmt die radikale Partei
[Spaltenumbruch] an den Triumph der roten Fahne teil. Ob der im Hotel
de Ville vor sich gehende Wechsel, welcher die Nationalisten
der Mehrheit beraubt und die Sozialisten als Beherrscher
von Paris auf den Thron setzt, für die Stadt ersprießlich sein
wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist wieder einmal eine
recht unerquickliche Wahlperiode überstanden. In den Zeiten
der Munizipal- oder Deputiertenwahlen wird der Anblick der
hiesigen öffentlichen Gebäude geradezu unerträglich. Zwar hat
vor einigen Jahren der Seine-Präfekt verboten, die Denk-
mäler der Hauptstadt mit den in den schreiendsten Farben
gehaltenen Wahlplakaten zu verunzieren, aber immerhin
müssen sich die dem Staat und der Stadt gehörenden
Häuser gefallen lassen, in höchst unästhetischer Weise
von oben bis unten mit der Prosa der Kandidaten bedeckt zu
werden. Wenn man nicht ein politischer Griesgram ist, bieten
diese Affichen auch manche humoristische Seite dar. Wer von
den Anwartern auf die Volksgunst, fragt man sich, wenn man
en passant diese literarischen Erzeugnisse zweifelhaften Ge-
schmacks näher in Augenschein nimmt, wer von diesen Volks-
beglückern hat auch nur einen Augenblick die feste Absicht,
seine hochtrabenden Versprechungen durch ehrliche Bemühung
um das Wohl der guten Stadt Paris einzuhalten? Sind
diese Menschen, fragt man sich weiter, welche sich gegenseitig
als erbärmliche Subjekte bezeichnen, im Stande, im Rathause
ihre Leidenschaften und Rankünen zu vergessen, die sie jetzt
so öffentlich und widerwärtig zur Schau tragen? Achselzuckend
und innerlich erheitert geht man an diesen Affichen vorbei,
die im Grunde niemander Meinung ändern werden, denn der
Zwiespalt zwischen den beiden Paris beherrschenden Richtungen
ist augenblicklich so ausgeprägt, daß jeder Wähler schon vor
der Lektüre der Mauer-Literatur seine Ansicht fertig in der
Tasche hat. Zu bedauern ist die Verhunzung der französischen
Sprache, die sich die meisten Kandidaten in der Hitze des Ge-
fechts in ihren Expektorationen zu Schulden kommen lassen.
Da in gewöhnlichen Zeiten die Plakate der Stempelsteuer
unterworfen sind, benutzen sparsame Industrielle die Wahl-
periode, in der der Stempelzwang für Wahlaffichen aufgehoben
ist, um die sonderbarsten Ankündigungen dem neugierigen
Publikum aufzudrängen. Zahnärzte, Kaufleute, Geschäfts-
treibende jeder Art verkünden den Parisern unter der Auf-


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Redaktion u. Adminiſtration:
Rathausſtraße 16, 1. Stock.




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monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40,
halbjähr. K 10.80, ganzjähr. K21.60

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Für Rumänien und den Balkan;
vierteljährig .... 9 Franks.




Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


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Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

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Einzelexemplare:
8 Heller für Czernowitz.




Ankündigungen:
Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaux ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Buchdruckerei Riemer
(Tempelgaſſe) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldſchmidt.
Wollzeile 11.




Nr. 116. Czernowitz, Mittwoch, den 18. Mai 1904.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Der Krieg.

Der „Matin“ publiziert eine intereſſante Depeſche Kuropatkins.

Vom Tage.

Der Budgetausſchuß der öſterreichiſchen Delegation hat das
Budget des Miniſteriums des Aeußern angenommen. — Die
Wähler des Abg. Walewski fordern ihn auf, das Mandat nieder-
zulegen. — Die franzöſiſche Kammer tritt wieder zuſammen.

Bunte Chronik.

In Berlin ſtreiken die Schloſſer.

Letzte Telegramme.

In der ungariſchen Delegation wird dem Grafen Golu-
chowski der Dank und das Vertrauen votiert. — In Cerignola
kommt es zu Zuſammenſtößen zwiſchen Militär und ſtreikenden
Bauern. — Kaiſer Wilhelm hat die Niederreißung der Berliner
Oper verfügt. — Die bukowiner und dalmatiniſche gr.-or. Diözeſe
ſoll geteilt werden. — Der Zar ſoll ſehr ſchwer erkrankt ſein. —
Eine japaniſche Abteilung hungert 200 Ruſſen aus. — Unter der
mandſchuriſchen Bevölkerung ſind Unruhen ausgebrochen.




Das Geheimnis von Niſch.


Erzittere Erdball! Se. Majeſtät König Peter I. von
Serbien Karageorgewitſch und Se. Königliche Hoheit der
Fürſt Ferdinand von Bulgarien haben in Niſch eine
Zuſammenkunſt gehabt. Unergründliches, tief unerforſchliches
Geheimnis iſt über ſie gebreitet. Aber Gutes läßt ſich nicht
ahnen. Noch iſt die Welt in ihren Fugen, aber wer weiß,
wie ſchnell ihre ganze Herrlichkeit vernichtet iſt. Eine Militär-
konvention kann das Ergebnis der Entrevue geweſen ſein,
ein Schutz- und Trutzbündnis gegen Oeſterreich-Ungarn,
möglicherweiſe ein Handelsübereinkommen, möglicherweiſe ein
Höflichkeitsakt, ſogar ein froſtiger und mißglückter, ja es iſt
ſogar nicht ausgeſchloſſen, daß das Ergebnis Nichts, Null
geweſen iſt; denn die Eingeweihteſten wiegen ernſt die Köpfe
und meinen, daß dieſe letztere fürchterliche Wahrſcheinlichkeit
allerdings die größte iſt.

Es ruht auch ein undurchdringlicher Schleier über die
Frage, wer die Zuſammenkunft, die folgenſchwere überhaupt
angeregt und herbeigeführt hat, der König von Serbien oder
der König in spe von Mazedonien. Selbſt die dem Thron
in Sofia am nächſten ſtehen, ſollen bis zur letzten Minute
von der bevorſtehenden Begegnung nichts gewußt haben. Das
[Spaltenumbruch] läßt darauf ſchließen, daß Ferdinand als derjenige anzuſehen
iſt, der nicht allein der Hort und Hüter, ſondern auch der
Schöpfer des Geheimniſſes war. Er ſucht alſo Anſchluß an
Serbien und juſt jetzt, wo weit hinten am letzten Weltende
der ruſſiſch-japaniſche Ringkampf tobt. Er hat alſo Angſt,
daß jetzt, wo ſein hoher Patron, der Zar, in der Mandſchurei
beſchäftigt iſt, deſſen Rivale an der Donau, der Habsburgiſche
Doppelſtaat ihn verſchlucken könnte, ohne daß es jemand
bemerkt und verwehrt. Peter I. von Serbien, den königlichen
Nachbarn hält er für den geeigneten Schützer, ihn vor ſolchem
Los zu bewahren. So lautet eine Auslegung. Eine geht
dahin, daß der weiſe Fürſt des noch zu großer Zukunft
auserſehenen Bulgariens den Moment abgewartet habe, wo
die Verhältniſſe in Serbien genügend konſolidiert erſchienen,
um eine Schutz- und Trutzgemeinſchaft mit ihm einzugehen,
nicht allein und keineswegs in erſter Linie gegen Oeſterreich,
ſondern gegen die Türkei und überhaupt gegen jede Aufſicht
und zudringliche Einmiſchung, wie man ſie ſich in den letzten
Zeiten ſo oft von ſogenannten Weltmächten gefallen laſſen
mußte, die ſich einbilden, eine großartige ſtaatsmänniſche
Ueberlegenheit zu beſitzen und dabei doch nie auch nur für
die einfachſten bulgariſch-mazedoniſchen Nationalvergnügungen
ein Verſtändnis gewinnen werden, als da ſind, Kopfab-
ſchneiden, Hammelſtehlen, Brandſchatzen, Bombenattentate
ausführen u. ſ. w., garnicht zu reden von den mannigfachen
einſchlägigen Vergnügungen equiſiterer Art.

Alſo dieſen Moment, die Konſolidierung Serbiens zur
Feſtigung der eigenen Poſition zu benutzen, hält Ferdinand
jetzt für gekommen, wo Peter damit umgeht, ſich eine Königs-
krone aus einem alten Kanonenmetall gießen zu laſſen. Peter
hat einmal von einer Krone geträ[umt,] die in Paris gemacht
werde, ſelbſtverſtändlich von Gold und voll Edelſteiuen ſein
ſollte, wie die Schahs von Perſien. Und Peter ſchlägt
freudig ein in die dargebotene Hand. Er denkt ſich,
wenn ich einen ſtütze, ſo bin ich auch ſelber geſtützt,
wenn ſich einer mit ſeinem Rücken gegen meinen lehnt,
ſo kann ich mich auch gegen den ſeinen lehnen. Außer-
dem, es war ſeine erſte Begegnung ſeit ſeiner Herrſchaft,
die er nicht mit von aller Welt boykottierten Königsmördern,
ſondern einem Seinesgleichen hatte. Mit einem ganz anderen
Selbſtgefühl wird er von nun ab den Potentaten Europas
ſeinen Beſuch antragen. Der ganze Balkan ſieht vom Tage
[Spaltenumbruch] der Niſcher Zuſammenkunft ab anders aus. Die Balkanvölker
werden unter ſich einig werden, von der Türkei werden ſie
ſich emanzipieren und die europäiſchen Großmächte werden
nicht mehr wagen, ſie zu bevormunden. So mag in manchem
hitzigen Serben oder Bulgarenkopf ſich die Zukunft malen,
doch ſo raſch und ſo hoch werden die Bäume nicht in den
Himmel wachſen.

Es iſt noch kaum ein halbes Jahr her, da Herr Fer-
dinand von Bulgarien verreiſte, weil ihm der Boden zu
heiß geworden und da es hieß, er werde ſich nicht trauen,
wieder zu kommen. Und in Serbien, da laſſen jetzt, wo ſich
Peter krönen oder ſalben läßt, die an Zahl und Einfluß
nicht unbedeutenden Radikalen durch fühlen, daß ihnen das
Königtum ſchon lange ein Greuel iſt und daß ſie es über
kurz oder lang durch eine Republik abzulöſen verſuchen werden.
Auf dem Balkan werden die Dinge auch nach der Niſcher
Zuſammenkunft nicht ſtabiler, die Folgen der Zuſammenkunft,
wenn ſie weit reichen, reichen bis morgen, und es wird nicht
zu weit gegangen ſein, wenn man urteilt, die Bedeutung
dieſer vielbeſprochenen Entrevue iſt keine und das Geheimnis
über ihr kann man ruhig liegen laſſen, da ſichs nicht lohnt,
es zu lüften.




Der Krieg.


Aeußerungen eines ruſſiſchen Generals. (Priv.-Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Der „Matin“ veröffentlicht eine Unterredung ſeines Korre-
ſpondenten mit einem General aus dem Gefolge des Zaren,
in der es heißt: Wenn wir geſchlagen werden, wird dies der
Anlaß zu einem neuen Krieg ſein. Rußland darf nicht von
Japan geſchlagen werden. Wir waren nicht vorbereitet. Die
Mächte hätten es nicht ohne Weiteres zugegeben,
wenn wir uns in der Mandſchurei konzentriert hätten, um
die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Aber im Juni werden
wir genug Leute haben. Wenn die Japaner nach Mukden
kommen, ſind ſie verloren. Sie wiſſen, General Kuro-
patkin
hat an einen ſeiner Freunde telegraphiert: „Sie
können mir Glück wünſchen zum Ueberſchreiten
des Yalu durch die Japaner, ſie haben ſich
mir ſelbſt ergeben.“




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Pariſer Brief.
(Von unſerem Korreſpondenten.)
(Ein Morgenſpaziergang im Bois. — Firnistag im „Grand
Palais“. — Kunſt und Mode. — Nichts als Durchſchnittsware. —
Nationalismus oder Sozialismus. — Die Proſa der Kandidaten. —
Eine neue Lesart.)
Paris, 14. Mai 1904.
(Nachdruck verboten.)

Seit einer Reihe von Jahren läßt ſich eine kleine Um-
wälzung in den Pariſer Sitten beobachten. Die Angehörigen
der „oberen Zehntauſend“, welche bisher als Langſchläfer ver-
ſchrieen waren, erheben ſich neuerdings zeitiger vom Lager als
ehemals. Der Rad- und Automobilſport hat dieſes Wunder
vollbracht. Die Jünger desſelben haben einſehen gelernt, daß
die Morgenſtunden ihnen am günſtigſten ſind und daß es kein
idealeres Vergnügen gibt als zum Beiſpiel eine Morgenſpazier-
fahrt durch das Bois de Boulogne. Daß die Pariſer zu der
patriarchaliſchen Lebensweiſe ihrer Vorväter zurückgekehrt ſind,
war am Verniſſage-Tag der Artistes français auf frappante
Weiſe zu konſtatieren. Bereits um 10 Uhr waren die Säle
von einem dichten Herrenpublikum beſetzt, deſſen Kleidung be-
wies, daß man ſchon eine Sportpromenade hinter ſich hatte.
Die Damen trafen etwas ſpäter ein, denn die Anlegung der
neuen Frühjahrstoilette erfordert Zeit und Sorgfalt, aber
ſchon um 11 Uhr war Tout-Paris in den Räumen des
„großen Palaſtes“ vollzählig verſammelt, freilich nur um
gleich darauf wieder auseinanderzuſtäuben und in den Mode-
reſtaurants der Champs-Elyſees das traditionelle Salon-Dejeuner
einzunehmen. Nach der Bewältigung des opulenten Mahls
fühlten ſich die Meiſten erſt recht in der Stimmung, über die
Leiſtungen der modernen Malerei und Bildhauerkunſt ein
kompetentes Urteil abzugeben und kehrten Nachmittags unver-
zagt in die ſchwüle Atmoſphäre des Salons zurück, wo es
bald vor Gedränge und Stimmengewirr nicht mehr auszu-
halten war. Das Publikum der Artistes français iſt faſt
dasſelbe wie das der Beaux-Arts, nur daß es ſich am
[Spaltenumbruch] „Firnistag“ viel geräuſchvoller benimmt. Mit vieler Grazie
empfingen die Vorſtandsmitglieder die anſtürmenden illuſtren
Gäſte, unter denen wie immer Schauſpieler und Schauſpiel-
erinnen ſtark vertreten waren, welche den Salon als Gelegenheit
benutzen, um für ihre Perſon eine kleine Reklame zu machen.
Auch die Kunſtkritiker finden ſich zum Verniſſage zahlreich
ein, um auf das Geflüſter der Menge zu horchen und zu
kontrollieren, ob ihre an demſelben Tage in den Zeitungen auf
vielen Spalten niedergelegten kritiſchen Orakel beim Publikum
auf Glauben ſtoßen. Nicht zu vergeſſen ſind bei der Be-
ſchreibung der Verniſſage-Zuſchauerſchaft einzelne renommierte
Direktricen aus den großen Modegeſchäften der Rue de la
Paix,
der Rue Royale uſw., die gekommen ſind, um Inſpi-
rationen für ihre Häuſer zu erhalten. Leider kommen dieſe
Damen nicht mehr ſo auf ihre Rechnung wie noch vor wenigen
Jahren, denn der Salon gilt nicht mehr als der Platz, wo
über das Wohl oder Wehe der Moden entſchieden wird.

Was ſagt nun das kunſtſinnige Paris über die Ergebniſſe
des diesjährigen Salons der Artistes francais? Was ſagen
vor allem die eigentlichen Kunſtkritiker? Nicht viel Gutes.
„Durchſchnittsware hat man uns geliefert, wie ſeit mehreren
Jahren, aber faſt kein Gemälde erhebt ſich ſo über das
Niveau, daß es Europa und Amerika mit Staunen erfüllen
wird.“ Die Kritik hat Recht. Vor einem Jahrzehnt verging
kein Salon, ohne daß einige klaſſiſche Schöpfungen, welche
berufen waren, die Malerei dauernd zu beeinfluſſen, zu ver-
zeichnen geweſen ſind. Heutzutage iſt dies anders geworden
und die Maler ſcheinen ſich auf den Lorbeeren der früheren
Zeit ausruhen zu wollen. Es iſt ſehr ſchade, daß ein gewiſſer
Marasmus in der franzöſiſchen Kunſt herrſcht. Einen Teil
der Schuld tragen ſicherlich die alten Herren, die im Vorſtand
des Salons die erſte Geige ſpielen und jungen Talenten nur
widerwillig Raum laſſen.

Das Intereſſe der Pariſer war in den letzten Tagen
zwiſchen Kunſt und Politik geteilt. Die Gemeinderatswahlen
wirbelten eine mächtige Staubwolke auf und entfachten die
Leidenſchaften in einem ſolchen Grade, wie es früher bei
einem derartigen Anlaß nicht der Fall war. Nationalismus
oder Sozialismus war die Loſung. Der Letztere hat den
Sieg davon getragen, nur wenig nimmt die radikale Partei
[Spaltenumbruch] an den Triumph der roten Fahne teil. Ob der im Hotel
de Ville vor ſich gehende Wechſel, welcher die Nationaliſten
der Mehrheit beraubt und die Sozialiſten als Beherrſcher
von Paris auf den Thron ſetzt, für die Stadt erſprießlich ſein
wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls iſt wieder einmal eine
recht unerquickliche Wahlperiode überſtanden. In den Zeiten
der Munizipal- oder Deputiertenwahlen wird der Anblick der
hieſigen öffentlichen Gebäude geradezu unerträglich. Zwar hat
vor einigen Jahren der Seine-Präfekt verboten, die Denk-
mäler der Hauptſtadt mit den in den ſchreiendſten Farben
gehaltenen Wahlplakaten zu verunzieren, aber immerhin
müſſen ſich die dem Staat und der Stadt gehörenden
Häuſer gefallen laſſen, in höchſt unäſthetiſcher Weiſe
von oben bis unten mit der Proſa der Kandidaten bedeckt zu
werden. Wenn man nicht ein politiſcher Griesgram iſt, bieten
dieſe Affichen auch manche humoriſtiſche Seite dar. Wer von
den Anwartern auf die Volksgunſt, fragt man ſich, wenn man
en passant dieſe literariſchen Erzeugniſſe zweifelhaften Ge-
ſchmacks näher in Augenſchein nimmt, wer von dieſen Volks-
beglückern hat auch nur einen Augenblick die feſte Abſicht,
ſeine hochtrabenden Verſprechungen durch ehrliche Bemühung
um das Wohl der guten Stadt Paris einzuhalten? Sind
dieſe Menſchen, fragt man ſich weiter, welche ſich gegenſeitig
als erbärmliche Subjekte bezeichnen, im Stande, im Rathauſe
ihre Leidenſchaften und Rankünen zu vergeſſen, die ſie jetzt
ſo öffentlich und widerwärtig zur Schau tragen? Achſelzuckend
und innerlich erheitert geht man an dieſen Affichen vorbei,
die im Grunde niemander Meinung ändern werden, denn der
Zwieſpalt zwiſchen den beiden Paris beherrſchenden Richtungen
iſt augenblicklich ſo ausgeprägt, daß jeder Wähler ſchon vor
der Lektüre der Mauer-Literatur ſeine Anſicht fertig in der
Taſche hat. Zu bedauern iſt die Verhunzung der franzöſiſchen
Sprache, die ſich die meiſten Kandidaten in der Hitze des Ge-
fechts in ihren Expektorationen zu Schulden kommen laſſen.
Da in gewöhnlichen Zeiten die Plakate der Stempelſteuer
unterworfen ſind, benutzen ſparſame Induſtrielle die Wahl-
periode, in der der Stempelzwang für Wahlaffichen aufgehoben
iſt, um die ſonderbarſten Ankündigungen dem neugierigen
Publikum aufzudrängen. Zahnärzte, Kaufleute, Geſchäfts-
treibende jeder Art verkünden den Pariſern unter der Auf-


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Pardini und in der Buchdruckerei Riemer (Tempelgaſſe) erhältlich. In Wien im Zeitungsbureau Goldſchmidt. Wollzeile 11. Nr. 116. Czernowitz, Mittwoch, den 18. Mai 1904. Uebersicht. Der Krieg. Der „Matin“ publiziert eine intereſſante Depeſche Kuropatkins. Vom Tage. Der Budgetausſchuß der öſterreichiſchen Delegation hat das Budget des Miniſteriums des Aeußern angenommen. — Die Wähler des Abg. Walewski fordern ihn auf, das Mandat nieder- zulegen. — Die franzöſiſche Kammer tritt wieder zuſammen. Bunte Chronik. In Berlin ſtreiken die Schloſſer. Letzte Telegramme. In der ungariſchen Delegation wird dem Grafen Golu- chowski der Dank und das Vertrauen votiert. — In Cerignola kommt es zu Zuſammenſtößen zwiſchen Militär und ſtreikenden Bauern. — Kaiſer Wilhelm hat die Niederreißung der Berliner Oper verfügt. — Die bukowiner und dalmatiniſche gr.-or. Diözeſe ſoll geteilt werden. — Der Zar ſoll ſehr ſchwer erkrankt ſein. — Eine japaniſche Abteilung hungert 200 Ruſſen aus. — Unter der mandſchuriſchen Bevölkerung ſind Unruhen ausgebrochen. Das Geheimnis von Niſch. Czernowitz, den 17. Mai 1904. Erzittere Erdball! Se. Majeſtät König Peter I. von Serbien Karageorgewitſch und Se. Königliche Hoheit der Fürſt Ferdinand von Bulgarien haben in Niſch eine Zuſammenkunſt gehabt. Unergründliches, tief unerforſchliches Geheimnis iſt über ſie gebreitet. Aber Gutes läßt ſich nicht ahnen. Noch iſt die Welt in ihren Fugen, aber wer weiß, wie ſchnell ihre ganze Herrlichkeit vernichtet iſt. Eine Militär- konvention kann das Ergebnis der Entrevue geweſen ſein, ein Schutz- und Trutzbündnis gegen Oeſterreich-Ungarn, möglicherweiſe ein Handelsübereinkommen, möglicherweiſe ein Höflichkeitsakt, ſogar ein froſtiger und mißglückter, ja es iſt ſogar nicht ausgeſchloſſen, daß das Ergebnis Nichts, Null geweſen iſt; denn die Eingeweihteſten wiegen ernſt die Köpfe und meinen, daß dieſe letztere fürchterliche Wahrſcheinlichkeit allerdings die größte iſt. Es ruht auch ein undurchdringlicher Schleier über die Frage, wer die Zuſammenkunft, die folgenſchwere überhaupt angeregt und herbeigeführt hat, der König von Serbien oder der König in spe von Mazedonien. Selbſt die dem Thron in Sofia am nächſten ſtehen, ſollen bis zur letzten Minute von der bevorſtehenden Begegnung nichts gewußt haben. Das läßt darauf ſchließen, daß Ferdinand als derjenige anzuſehen iſt, der nicht allein der Hort und Hüter, ſondern auch der Schöpfer des Geheimniſſes war. Er ſucht alſo Anſchluß an Serbien und juſt jetzt, wo weit hinten am letzten Weltende der ruſſiſch-japaniſche Ringkampf tobt. Er hat alſo Angſt, daß jetzt, wo ſein hoher Patron, der Zar, in der Mandſchurei beſchäftigt iſt, deſſen Rivale an der Donau, der Habsburgiſche Doppelſtaat ihn verſchlucken könnte, ohne daß es jemand bemerkt und verwehrt. Peter I. von Serbien, den königlichen Nachbarn hält er für den geeigneten Schützer, ihn vor ſolchem Los zu bewahren. So lautet eine Auslegung. Eine geht dahin, daß der weiſe Fürſt des noch zu großer Zukunft auserſehenen Bulgariens den Moment abgewartet habe, wo die Verhältniſſe in Serbien genügend konſolidiert erſchienen, um eine Schutz- und Trutzgemeinſchaft mit ihm einzugehen, nicht allein und keineswegs in erſter Linie gegen Oeſterreich, ſondern gegen die Türkei und überhaupt gegen jede Aufſicht und zudringliche Einmiſchung, wie man ſie ſich in den letzten Zeiten ſo oft von ſogenannten Weltmächten gefallen laſſen mußte, die ſich einbilden, eine großartige ſtaatsmänniſche Ueberlegenheit zu beſitzen und dabei doch nie auch nur für die einfachſten bulgariſch-mazedoniſchen Nationalvergnügungen ein Verſtändnis gewinnen werden, als da ſind, Kopfab- ſchneiden, Hammelſtehlen, Brandſchatzen, Bombenattentate ausführen u. ſ. w., garnicht zu reden von den mannigfachen einſchlägigen Vergnügungen equiſiterer Art. Alſo dieſen Moment, die Konſolidierung Serbiens zur Feſtigung der eigenen Poſition zu benutzen, hält Ferdinand jetzt für gekommen, wo Peter damit umgeht, ſich eine Königs- krone aus einem alten Kanonenmetall gießen zu laſſen. Peter hat einmal von einer Krone geträumt, die in Paris gemacht werde, ſelbſtverſtändlich von Gold und voll Edelſteiuen ſein ſollte, wie die Schahs von Perſien. Und Peter ſchlägt freudig ein in die dargebotene Hand. Er denkt ſich, wenn ich einen ſtütze, ſo bin ich auch ſelber geſtützt, wenn ſich einer mit ſeinem Rücken gegen meinen lehnt, ſo kann ich mich auch gegen den ſeinen lehnen. Außer- dem, es war ſeine erſte Begegnung ſeit ſeiner Herrſchaft, die er nicht mit von aller Welt boykottierten Königsmördern, ſondern einem Seinesgleichen hatte. Mit einem ganz anderen Selbſtgefühl wird er von nun ab den Potentaten Europas ſeinen Beſuch antragen. Der ganze Balkan ſieht vom Tage der Niſcher Zuſammenkunft ab anders aus. Die Balkanvölker werden unter ſich einig werden, von der Türkei werden ſie ſich emanzipieren und die europäiſchen Großmächte werden nicht mehr wagen, ſie zu bevormunden. So mag in manchem hitzigen Serben oder Bulgarenkopf ſich die Zukunft malen, doch ſo raſch und ſo hoch werden die Bäume nicht in den Himmel wachſen. Es iſt noch kaum ein halbes Jahr her, da Herr Fer- dinand von Bulgarien verreiſte, weil ihm der Boden zu heiß geworden und da es hieß, er werde ſich nicht trauen, wieder zu kommen. Und in Serbien, da laſſen jetzt, wo ſich Peter krönen oder ſalben läßt, die an Zahl und Einfluß nicht unbedeutenden Radikalen durch fühlen, daß ihnen das Königtum ſchon lange ein Greuel iſt und daß ſie es über kurz oder lang durch eine Republik abzulöſen verſuchen werden. Auf dem Balkan werden die Dinge auch nach der Niſcher Zuſammenkunft nicht ſtabiler, die Folgen der Zuſammenkunft, wenn ſie weit reichen, reichen bis morgen, und es wird nicht zu weit gegangen ſein, wenn man urteilt, die Bedeutung dieſer vielbeſprochenen Entrevue iſt keine und das Geheimnis über ihr kann man ruhig liegen laſſen, da ſichs nicht lohnt, es zu lüften. Der Krieg. Czernowitz, 17. Mai 1904. Aeußerungen eines ruſſiſchen Generals. Paris, 17. Mai. (Priv.-Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Der „Matin“ veröffentlicht eine Unterredung ſeines Korre- ſpondenten mit einem General aus dem Gefolge des Zaren, in der es heißt: Wenn wir geſchlagen werden, wird dies der Anlaß zu einem neuen Krieg ſein. Rußland darf nicht von Japan geſchlagen werden. Wir waren nicht vorbereitet. Die Mächte hätten es nicht ohne Weiteres zugegeben, wenn wir uns in der Mandſchurei konzentriert hätten, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Aber im Juni werden wir genug Leute haben. Wenn die Japaner nach Mukden kommen, ſind ſie verloren. Sie wiſſen, General Kuro- patkin hat an einen ſeiner Freunde telegraphiert: „Sie können mir Glück wünſchen zum Ueberſchreiten des Yalu durch die Japaner, ſie haben ſich mir ſelbſt ergeben.“ Feuilleton. Pariſer Brief. (Von unſerem Korreſpondenten.) (Ein Morgenſpaziergang im Bois. — Firnistag im „Grand Palais“. — Kunſt und Mode. — Nichts als Durchſchnittsware. — Nationalismus oder Sozialismus. — Die Proſa der Kandidaten. — Eine neue Lesart.) Paris, 14. Mai 1904. (Nachdruck verboten.) Seit einer Reihe von Jahren läßt ſich eine kleine Um- wälzung in den Pariſer Sitten beobachten. Die Angehörigen der „oberen Zehntauſend“, welche bisher als Langſchläfer ver- ſchrieen waren, erheben ſich neuerdings zeitiger vom Lager als ehemals. Der Rad- und Automobilſport hat dieſes Wunder vollbracht. Die Jünger desſelben haben einſehen gelernt, daß die Morgenſtunden ihnen am günſtigſten ſind und daß es kein idealeres Vergnügen gibt als zum Beiſpiel eine Morgenſpazier- fahrt durch das Bois de Boulogne. Daß die Pariſer zu der patriarchaliſchen Lebensweiſe ihrer Vorväter zurückgekehrt ſind, war am Verniſſage-Tag der Artistes français auf frappante Weiſe zu konſtatieren. Bereits um 10 Uhr waren die Säle von einem dichten Herrenpublikum beſetzt, deſſen Kleidung be- wies, daß man ſchon eine Sportpromenade hinter ſich hatte. Die Damen trafen etwas ſpäter ein, denn die Anlegung der neuen Frühjahrstoilette erfordert Zeit und Sorgfalt, aber ſchon um 11 Uhr war Tout-Paris in den Räumen des „großen Palaſtes“ vollzählig verſammelt, freilich nur um gleich darauf wieder auseinanderzuſtäuben und in den Mode- reſtaurants der Champs-Elyſees das traditionelle Salon-Dejeuner einzunehmen. Nach der Bewältigung des opulenten Mahls fühlten ſich die Meiſten erſt recht in der Stimmung, über die Leiſtungen der modernen Malerei und Bildhauerkunſt ein kompetentes Urteil abzugeben und kehrten Nachmittags unver- zagt in die ſchwüle Atmoſphäre des Salons zurück, wo es bald vor Gedränge und Stimmengewirr nicht mehr auszu- halten war. Das Publikum der Artistes français iſt faſt dasſelbe wie das der Beaux-Arts, nur daß es ſich am „Firnistag“ viel geräuſchvoller benimmt. Mit vieler Grazie empfingen die Vorſtandsmitglieder die anſtürmenden illuſtren Gäſte, unter denen wie immer Schauſpieler und Schauſpiel- erinnen ſtark vertreten waren, welche den Salon als Gelegenheit benutzen, um für ihre Perſon eine kleine Reklame zu machen. Auch die Kunſtkritiker finden ſich zum Verniſſage zahlreich ein, um auf das Geflüſter der Menge zu horchen und zu kontrollieren, ob ihre an demſelben Tage in den Zeitungen auf vielen Spalten niedergelegten kritiſchen Orakel beim Publikum auf Glauben ſtoßen. Nicht zu vergeſſen ſind bei der Be- ſchreibung der Verniſſage-Zuſchauerſchaft einzelne renommierte Direktricen aus den großen Modegeſchäften der Rue de la Paix, der Rue Royale uſw., die gekommen ſind, um Inſpi- rationen für ihre Häuſer zu erhalten. Leider kommen dieſe Damen nicht mehr ſo auf ihre Rechnung wie noch vor wenigen Jahren, denn der Salon gilt nicht mehr als der Platz, wo über das Wohl oder Wehe der Moden entſchieden wird. Was ſagt nun das kunſtſinnige Paris über die Ergebniſſe des diesjährigen Salons der Artistes francais? Was ſagen vor allem die eigentlichen Kunſtkritiker? Nicht viel Gutes. „Durchſchnittsware hat man uns geliefert, wie ſeit mehreren Jahren, aber faſt kein Gemälde erhebt ſich ſo über das Niveau, daß es Europa und Amerika mit Staunen erfüllen wird.“ Die Kritik hat Recht. Vor einem Jahrzehnt verging kein Salon, ohne daß einige klaſſiſche Schöpfungen, welche berufen waren, die Malerei dauernd zu beeinfluſſen, zu ver- zeichnen geweſen ſind. Heutzutage iſt dies anders geworden und die Maler ſcheinen ſich auf den Lorbeeren der früheren Zeit ausruhen zu wollen. Es iſt ſehr ſchade, daß ein gewiſſer Marasmus in der franzöſiſchen Kunſt herrſcht. Einen Teil der Schuld tragen ſicherlich die alten Herren, die im Vorſtand des Salons die erſte Geige ſpielen und jungen Talenten nur widerwillig Raum laſſen. Das Intereſſe der Pariſer war in den letzten Tagen zwiſchen Kunſt und Politik geteilt. Die Gemeinderatswahlen wirbelten eine mächtige Staubwolke auf und entfachten die Leidenſchaften in einem ſolchen Grade, wie es früher bei einem derartigen Anlaß nicht der Fall war. Nationalismus oder Sozialismus war die Loſung. Der Letztere hat den Sieg davon getragen, nur wenig nimmt die radikale Partei an den Triumph der roten Fahne teil. Ob der im Hotel de Ville vor ſich gehende Wechſel, welcher die Nationaliſten der Mehrheit beraubt und die Sozialiſten als Beherrſcher von Paris auf den Thron ſetzt, für die Stadt erſprießlich ſein wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls iſt wieder einmal eine recht unerquickliche Wahlperiode überſtanden. In den Zeiten der Munizipal- oder Deputiertenwahlen wird der Anblick der hieſigen öffentlichen Gebäude geradezu unerträglich. Zwar hat vor einigen Jahren der Seine-Präfekt verboten, die Denk- mäler der Hauptſtadt mit den in den ſchreiendſten Farben gehaltenen Wahlplakaten zu verunzieren, aber immerhin müſſen ſich die dem Staat und der Stadt gehörenden Häuſer gefallen laſſen, in höchſt unäſthetiſcher Weiſe von oben bis unten mit der Proſa der Kandidaten bedeckt zu werden. Wenn man nicht ein politiſcher Griesgram iſt, bieten dieſe Affichen auch manche humoriſtiſche Seite dar. Wer von den Anwartern auf die Volksgunſt, fragt man ſich, wenn man en passant dieſe literariſchen Erzeugniſſe zweifelhaften Ge- ſchmacks näher in Augenſchein nimmt, wer von dieſen Volks- beglückern hat auch nur einen Augenblick die feſte Abſicht, ſeine hochtrabenden Verſprechungen durch ehrliche Bemühung um das Wohl der guten Stadt Paris einzuhalten? Sind dieſe Menſchen, fragt man ſich weiter, welche ſich gegenſeitig als erbärmliche Subjekte bezeichnen, im Stande, im Rathauſe ihre Leidenſchaften und Rankünen zu vergeſſen, die ſie jetzt ſo öffentlich und widerwärtig zur Schau tragen? Achſelzuckend und innerlich erheitert geht man an dieſen Affichen vorbei, die im Grunde niemander Meinung ändern werden, denn der Zwieſpalt zwiſchen den beiden Paris beherrſchenden Richtungen iſt augenblicklich ſo ausgeprägt, daß jeder Wähler ſchon vor der Lektüre der Mauer-Literatur ſeine Anſicht fertig in der Taſche hat. Zu bedauern iſt die Verhunzung der franzöſiſchen Sprache, die ſich die meiſten Kandidaten in der Hitze des Ge- fechts in ihren Expektorationen zu Schulden kommen laſſen. Da in gewöhnlichen Zeiten die Plakate der Stempelſteuer unterworfen ſind, benutzen ſparſame Induſtrielle die Wahl- periode, in der der Stempelzwang für Wahlaffichen aufgehoben iſt, um die ſonderbarſten Ankündigungen dem neugierigen Publikum aufzudrängen. Zahnärzte, Kaufleute, Geſchäfts- treibende jeder Art verkünden den Pariſern unter der Auf-

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 116, Czernowitz, 18.05.1904, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer116_1904/1>, abgerufen am 21.11.2024.