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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 1437, Czernowitz, 27.10.1908.

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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 27. Oktober 1908

[Spaltenumbruch]

einfach auf die in London präsentierte Formel zurückzuführen:
Das bietet uns die direkte Verständigung; was bietest du uns,
was bietet die Konferenz uns mehr? -- Heraus mit dem
verbesserten Angebot! Dabei wird das angedeutet, was man
gegen früher mehr verlangt. Die Hauptsache darin ist außer
der Aufhebung der Kapitulation und der fremden Postämter
-- -- die Beseitigung der Kontrolle in Mazedonien und der
den Armeniern gegenüber der Pforte auferlegten Verpflich-
tungen. Das kann Oesterreich nicht schaffen, aber eine Kon-
ferenz kann es.

Fragt sich nur, ob England sich verpflichten kann und
will, die Konferenz dafür willig zu stimmen. Wenn nicht --
nun dann wird das Geschäft mit dem Konkurrenten gemacht,
die direkte Verständigung mit O[e]sterreich und Bulgarien wieder
aufgenommen und zum glücklichen Ende geführt. Und wer weiß,
was daraus noch Nützliches für die Türkei ersprießen kann.
Es wäre zu sehr Zukunftsmusik, wenn man heute schon von
einer Allianz zwischen der Türkei, Bulgarien und Oesterreich-
Ungarn sprechen würde. Daß aber eine solche mit der Zu-
stimmung Deutschlands geschlossene Allianz der bereits ge-
sättigten Staaten, Bulgarien und Oesterreich-Ungarns, mit
der Türkei ungeheuer viel zur Konsolidierung der Verhältnisse
im Balkan beitragen müßte, läßt sich nicht bestreiten.




Zur Balkankrise.
Das türkische Programm für die Konferenz.

Das türkische Programm
für eine eventuelle Ko[n]ferenz ist vom Sultan sanktioniert
worden. Großes Erstaunen erregte es, daß der Ikdam
plötzlich das einzige Heil für die Türkei in der Annahme
einer Konferenz auf der Basis des französisch-russisch-englischen
Programms erbl[i]ckt. Ikdam beschuldigt Bulgarien und
Oesterreich, die Türkei durch direkte Verhandlungen in ihren
Interessen schädigen zu wollen; hinter beiden Staaten stehe
Deutschland. Diese Haltung des Ikdam fällt um so mehr
auf, als dasselbe Blatt vor Kurzem erklärte, Deutschland habe
von neuem bewiesen, daß es an der alten aufrichtigen
Freundschaft für die Türkei festhalte.

Montenegro verlangt den Krieg.

Der hier eingetroffene
montenegrinische Abgesandte Mijuschkowitsch äußerte, ganz
Montenegro verlangt den Krieg. Nur eine schleunigst einzu-
berufende Konferenz könne die entflammte Masse beruhigen.
Kompensationen für türkische Rechnung nehme Montenegro
nicht an.

England will eine Konferenz, aus der
Krieg hervorgehen soll.

In hiesigen unterrichteten Kreisen
wird jetzt auf die Richtigkeit der ablehnenden Haltung
Deutschlands zu dem englischen Konferenzvorschlage hinge-
wiesen. Schließlich handle es sich bei England nicht um eine
Konferenz zur Befestigung des Friedens, sondern um eine
Konferenz, aus der Krieg hervorgehen solle. Natürlich suche
England wieder seine alte Methdde anzuwenden und schiebe
als Kämpfer einen Dritten, die Türkei, vor. Dies geschehe
anscheinend nicht nur Oesterreich. Ungarn und Bulgarien gegen-
über, sondern auch, wie es scheint, Rußland gegenüber in
der Dardanellenfrage.

Nowakowitsch beim Großvezier.

(Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Nowakowitsch und Nenadovich besuchten den
Großvezier.

Die Pariser Ansicht.

Die Meldungen von der Ein-
stellung der direkten Unterhandlungen zwischen Bulgarien,
Oesterreich und der Pforte erzeugten hier, obgleich sie als
Sieg des britischen Ei[n]flusses bei der türkischen Regierung
aufgefaßt werden, eher Enttäuschung und Beunruhigung. Man
befürchtet, nachdem die an die rasche Verständigung mit der
Türkei geknüpften optimistischen Erwartungen hinfällig ge-
worden sind, die Möglichkeit neuer Komplikationen und
Konflikte zwischen den Konferenzmächten. Das englandfreund-
liche Echo de Paris erblickt hingegen in der neuen Orien-
tierung der türkischen Politik, die das schon von drei Mächten
angenommene Programm akzeptiert, eine wesentliche Klärung
der Lage. Die Hauptfrage bleibt, ob Deutschland und Oesterreich
an der Konferenz teilnehmen werden.

Die türkischen Sicherheitsverhältnisse.

Die Sicherheitsver-
hältnisse werden hier täglich schlechter. Dazu trägt der Umstad
bei, daß in den letzten Tagen besonders an niedere Vo[l]ks-
schichten ungewöhnlich viel Waffen verkauft wurden. Das
hiesige griechische Konsulat sowie der Patriarch haben alle
Griechen zur Vorsicht ermahnt und namentlich vor nächtlichem
Ausgehen gewarnt. Die Nachrichten aus der Provinz lauten
ungünstig. Wenn auch die ersten Nachrichten über ein Blut-
bad in Armenien übertrieben sind, so ist es doch zweifellos, daß
dort die Kurden wieder wüst genug hausen. In Belgrad be-
klagen sich die Juden, die ebenfalls bedroht wrrden. In
Makedonien endlich kommt es wieder zu Kämpfen zwischen
Griechen und Bulgaren. Besondere Beachtung verdienen die
Nachrichten über Unabhängigkeitsbestrebungen der Albaneten
aus Südalbanien, wohin Sabahedin jetzt von Saloniki ver-
mutlich im Auftrage des Komitees abgereist ist, um die Al-
banesen zu beruhigen. Er ist der Mann der Zentralisation,
der allerdings, seit er hier ist, viel Wasser in den Wein
[Spaltenumbruch] gegossen hat. Wie wenig er bedeutet, zeigt eine Beschwerde
des Patriarchen: wenn die Griechen noch weiter bei den
Wahlen behindert würden, so werden sie überhaupt nicht
wählen. Merkwürdig ist, daß die Pforte angesichts dieser
Schwierigkeiten dem englischen Einfluß nicht widersteht, direkte
Verhandlungen mit Oesterreich Ungarn ablehnt und Kompen-
sationen verlangt, die die Aufrollung der ganzen türkischen
Orientpolitik in einer Konferenz bedeuten.

Der serbische Kronprinz auf der Fahrt
nach Rußland.

Die auffallende Tatsache, daß
der serbische Kronprinz in den letzten Tagen fortgesetzt mit
dem Sektionschef Spalatkowitsch im Ministerium des A[e]ußern
oft bis 2 Uhr nachts konferierte, findet jetzt ihre Erklärung:
Der Kronprinz wird sich morgen in Begleitung des Ex-
ministers Paschitsch und des Oberleutnant M[i]lutin Mari-
nowitsch über Rumänien nach Petersburg begeben, wo der
Zar ihn und seine Begleiter feierlich empfangen wird. Die
Reise des Kronprinzen ist das Resultat der seit einer Woche
zwischen Belgrad und Petersburg gepflogenen Verhandlungen.

Das Antwortschreiben Fallieres an Kaiser
Franz Joseph.

In hiesigen unterrichteten Kreisen
wird das Antwortschreiben des Präsidenten Fallieres an
Kaiser Franz Joseph, wie folgt, kommentiert: Frankreich
wünscht, daß über seine Haltung in den beiden für Oester-
reich. Ungarn wichtigen Fragen kein Zw[e]ifel bestehe. Die
französische Regierung hat nie daran gedacht, daß die An-
gliederung Bosniens und der Herzegowina an
Oesterreich-Ungarn zu den von der Konferenz in die
Diskussion zu ziehenden Punkten gehören sollte. In Paris
besteht immer noch die Meinung, daß die Ministerien in
Wien und in Konstantinopel sich verständigen und der Kon-
ferenz
lediglich die Konstatierung des Ergebnisses
dieser Verständigung anheimstellen sollten. Die französische
Diplomatie werde, soweit sie in Konstantinopel aufklärend
und beruhigend zu wirken vermag, dies gewiß nicht verab-
säumen. Das zweite österreichisch-ungarische Bedenken gegen
den Beitritt zur Konferenz betrifft die Besorgnis, msn könnte
beabsichtigen, Serbien und Montenegro Vorteile zu-
zuwenden, denen Oesterreich Ungarn seine Zustimmung absolut
versagen müßte. Zu diesem Punkte sei Botschafter Crozier in
der Lage, daran zu erinnern, daß die erst[e] O[e]sterreich-Ungarn
unangenehme Fassung jenes Programmpunktes niemals
Frankreichs Genehmigung erhielt und seither definitiv auf-
gegeben worden ist. Frankreich halte insbesondere daran fest,
daß man es bei etwaigen Vorteilen, die Serbien und Monte-
negro zuzuwenden wären, keineswegs auf eine Verletzung
österreichisch-ungarischer Interessen ankommen lassen würde.
Es ist wohl möglich, daß diese Gesichtspunkte auch für die
heutige Unterredung des französischen Botschafters Cambon
mit dem österreichisch-ungarischen Botschafter von Szögyeny
in Berlin maßgebend waren.




Das perfide Albion.

(Orig.-Korr.)

Die Unterhandlungen zwischen O[e]sterreich-Ungarn und
der Pforte sind gescheitert und ebenso der Versuch einer direkten
Verständigung zwischen Bulgarien und der Türkei. Diese
Wandlung ist überraschend, aber sie ist ein Werk der englischen
Diplomatie, die es geradezu darauf abgesehen hat, den
Frieden in Europa zu stören. König Eduard läßt sich zwar
stets als Friedensfürst feiern, aber alle seine Aktionen gehen
in letzter Linie darauf hinaus, den Dreibund zu sprengen,
Deutschland zu isolieren und auf dem Kontinent Unfrieden
zu stiften. Wenn irgendeiner das verkörpert, was die englische
Sprache als Cant bezeichnet, so ist dies König Eduard und
seine Diplomatie. Wir besitzen für dies Wort keinen deutschen
Ausdruck: es umfaßt so ziemlich alles das, was wir im
einzelnen als Pharisäertum, Gleiß[n]erei, Unwahrhaftigkeit,
Täuschung, Ueberhebung, Scheinwesen und damit Verwandtes
bezeichnen. Die diplomatischen Aktionen des Eduardischen
England verdienen mit dem Ausdrucke Cant charakterisiert zu
werden und die Nationen des Kontinents täten am besten,
sich einmal dieser ungebetenen Dreinmischungen gemeinsam zu
erwehren. Die Umtriebe Englands in der Balkansache sind
gemeingefährlich und sie sind gleichzeitig den niedrigsten
Motiven entsprungen. Man wird die Freundschaftsver-
sicherungen König Eduards bei seinen jährlichen Besuchen in
Oesterreich nunmehr auch treffend einzuschätzen wissen. Wie
es von besonderer Seite heißt, herrscht am Wiener
Hofe Erbitterung gegen
König Eduard, und auch
Kaiser Franz Josef soll dieser unverhohlen Ausdruck
gegeben haben. Man schreibt es allein dem englischen Ein-
flusse zu, daß die Annexion von Bosnien und der Her-
zegowina und die weiteren wirtschaftspolitischen Pläne Oester-
reich-Ungarns auf dem Balkan nicht in voller Ruhe
durchgeführt werden konnten.

Wenn man in London darauf rechnet, daß die Geduld
Oesterreich Ungarns unerschöpflich sei, daß man den Agita-
tionen in Serbien und Montenegro, die mit englischem Gelde
genährt werden, gleichmütig zusieht, so verrechnet man sich.
Man ist sich in Wien und Budapest voll bewußt, welche
großen materiellen Opfer eine Mobilisierung allein erfordert,
aber man wird diese Opfer im Notfalle auch zu bringen
wissen. Und wenn da unten einmal geklopft werden müßte,
so ist es der englische Finger, dem diese Schläge zunächst
gebühren. Das Joch dieser englischen Kibitzunarten wird un-
erträglich -- umso weniger zu dulden, als König Eduard
der einzige Herrscher wäre, dessen Gewissen weit genug, die
Nationen skrupellos in ein Meer von Blut
zu treiben.




[Spaltenumbruch]
Vom Tage.


Die Ministerkrise.

Nach Erledigung der Arbeiten
der Delegationen kehrt der Kaiser am 10. oder 12. November
nach Wien zurück. Dann dürfte noch vor der Eröffnung des
Reichsrates die Rekonstruktion des Kabinetts erfolgen. Es besteht
die Absicht, eventuell auch Mitglieder des Herrenhauses als
Landsmannminister in das Kabinett zu berufen. Die
deutschen Parteiführer haben erklärt, daß die
deutschen Minister bis auf weiteres auszu-
harren haben.
Ministerpräsident Baron Beck hat unum-
schränkte Vollmachten erhalten und die Regierung ist auf alle
Eventualitäten, auch für den Fall einer Obstruktion, vor-
bereitet. Es wird ein Austausch der einzelnen Minister oder
eine gründliche Rekonstruktion, aber immer mit
dem Ministerpräsidenten Beck, erfolgen. Es wird Sorge
getragen werden, daß sich Fraktionen unter den Mitgliedern
des Kabinetts, wie dies in der legten Zeit vorgekommen ist,
z. B. die Vorstöße der Christlichsozialen in den Delegationen,
nicht mehr ereignen, damit nicht der Kampf der Minister
stärker sei, als der Kampf der Parteien.

Die "Poln. Korresp." bringt die
Nachricht, daß nach ihrer Information die Ministerkrise noch
vor Zusammentritt des Reichsrates gelöst w[er]den soll. Baron
Beck werde in Kürze mit den einzelnen Parteiführern ver-
handeln. Gegenwärtig handle es sich vor allem um die
Rekonstruktion des Kabinetts. Minister Fiedler
soll bleiben, während Praschek und Prade ausscheiden
dürften. Auf die Tagesordnung soll die Altersversicherung
und die Angelegenheit eines Kredits von 4 Millionen Kronen
für Wasserbauten gesetzt werden.




Der Prager Streit.
Neuerliche Exzesse.

(Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Vor-
mittags waren etwa mehrere tausend Personen auf dem
Graben angesammelt. Etwa 44 deutsche Kouleurstudenten
gingen eine halbe Stunde hinter einem dichten Kordon der
Wache auf und ab und begaben sich sodann in die Durch-
fahrt des Kasino, um einen Konflikt mit der Menschen-
menge
zu vermeiden. In der Einfahrt des Kasino kam
es zwischen den Studenten, die ins Freie wollten, und
der Polizei zu einem Handgemenge. Mehrere
Wachleute und zwei Studenten wurden ver-
letzt.
Das Publikum wollte den Polizeikordon durch-
brechen.
Inzwischen wurde das Kasinotor geschlossen. Der
Manifestationsumzug der böhmischen Studenten ist ruhig
verlaufen. Nachmittags wurden zwei deutsche Studenten in
Kouleur auf dem Graben von jungen Burschen angefallen. Der
intervenierende Polizeibeamten, der gleichfalls attakiert wurde,
verhaftete einen Angreifer. Polizei und Gendarmerie sind
in voller Bereitschaft gestanden. Abends herrschte Ruhe.




Die italienische Universitätsfrage.

Ueber Einladung des Rektors
Hofrat Exner erschien gestern ein Vertreter des ita-
lienischen Hochschulkomitees
zur Besprechung der
italienischen Hochschulforderungen bei ihm. Der Rektor riet
den Italienern von lärmenden Kundgebungen entschieden ab,
da diese sowohl der Studentenschaft als der Universität und
schließlich auch den von den italienischen Studenten verfochtenen
Forderungen schaden würden. Der Rektor versprach, die Wünsche
der Italiener in der nächsten Sitzung des akademischen
Senates zur Sprache zu bringen und sie an das Unterrichts-
ministerium zu leiten.




Aus Galizien.
Die Neuwahl des galizischen Landes-
ausschusses.
(Orig.-Korr.)

Ruthenischerseits
wurde der Jungruthene Dr. Johann Kiweluk, k. k. Gerichts-
sekretär, in den Landesausschuß gewählt. Während der gestrigen
Sitzung hielt Abg. Olesnicki in der Diskussion über das
Budget eine längere Rede, worin er sich über die Benach-
teiligung der Ruthenen bei den letzten Landtagswahlen be-
klagte und die Hoffnung aussprach, daß das neue Wahlrecht
bald die Verhältnisse zu Gunsten der Ruthenen umgestalten
werde. Redner könne es aber nicht leugnen, daß der neue
Statthalter Verordnungen erlassen habe, welche sein Wohl-
wollen gegen das ruthenische Volk bezeugen. Ferner beklagt
sich Redner über die Mißwirtschaft in der galizi-
schen Administration,
welche den Ruthenen absolut
nicht ihr gutes Recht zugestehen wolle, und ruft den polnischen
Abgeordneten zu: "Führt, meine Herren, die Gleichberechtigung
beider Nationen durch und eine ideale Eintracht wird im
Lande herrschen." Vorläufig sei es aber noch weit davon und
um ihrer Unzufriedenheit über die herrschenden Zustände Aus-

Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 27. Oktober 1908

[Spaltenumbruch]

einfach auf die in London präſentierte Formel zurückzuführen:
Das bietet uns die direkte Verſtändigung; was bieteſt du uns,
was bietet die Konferenz uns mehr? — Heraus mit dem
verbeſſerten Angebot! Dabei wird das angedeutet, was man
gegen früher mehr verlangt. Die Hauptſache darin iſt außer
der Aufhebung der Kapitulation und der fremden Poſtämter
— — die Beſeitigung der Kontrolle in Mazedonien und der
den Armeniern gegenüber der Pforte auferlegten Verpflich-
tungen. Das kann Oeſterreich nicht ſchaffen, aber eine Kon-
ferenz kann es.

Fragt ſich nur, ob England ſich verpflichten kann und
will, die Konferenz dafür willig zu ſtimmen. Wenn nicht —
nun dann wird das Geſchäft mit dem Konkurrenten gemacht,
die direkte Verſtändigung mit O[e]ſterreich und Bulgarien wieder
aufgenommen und zum glücklichen Ende geführt. Und wer weiß,
was daraus noch Nützliches für die Türkei erſprießen kann.
Es wäre zu ſehr Zukunftsmuſik, wenn man heute ſchon von
einer Allianz zwiſchen der Türkei, Bulgarien und Oeſterreich-
Ungarn ſprechen würde. Daß aber eine ſolche mit der Zu-
ſtimmung Deutſchlands geſchloſſene Allianz der bereits ge-
ſättigten Staaten, Bulgarien und Oeſterreich-Ungarns, mit
der Türkei ungeheuer viel zur Konſolidierung der Verhältniſſe
im Balkan beitragen müßte, läßt ſich nicht beſtreiten.




Zur Balkankriſe.
Das türkiſche Programm für die Konferenz.

Das türkiſche Programm
für eine eventuelle Ko[n]ferenz iſt vom Sultan ſanktioniert
worden. Großes Erſtaunen erregte es, daß der Ikdam
plötzlich das einzige Heil für die Türkei in der Annahme
einer Konferenz auf der Baſis des franzöſiſch-ruſſiſch-engliſchen
Programms erbl[i]ckt. Ikdam beſchuldigt Bulgarien und
Oeſterreich, die Türkei durch direkte Verhandlungen in ihren
Intereſſen ſchädigen zu wollen; hinter beiden Staaten ſtehe
Deutſchland. Dieſe Haltung des Ikdam fällt um ſo mehr
auf, als dasſelbe Blatt vor Kurzem erklärte, Deutſchland habe
von neuem bewieſen, daß es an der alten aufrichtigen
Freundſchaft für die Türkei feſthalte.

Montenegro verlangt den Krieg.

Der hier eingetroffene
montenegriniſche Abgeſandte Mijuſchkowitſch äußerte, ganz
Montenegro verlangt den Krieg. Nur eine ſchleunigſt einzu-
berufende Konferenz könne die entflammte Maſſe beruhigen.
Kompenſationen für türkiſche Rechnung nehme Montenegro
nicht an.

England will eine Konferenz, aus der
Krieg hervorgehen ſoll.

In hieſigen unterrichteten Kreiſen
wird jetzt auf die Richtigkeit der ablehnenden Haltung
Deutſchlands zu dem engliſchen Konferenzvorſchlage hinge-
wieſen. Schließlich handle es ſich bei England nicht um eine
Konferenz zur Befeſtigung des Friedens, ſondern um eine
Konferenz, aus der Krieg hervorgehen ſolle. Natürlich ſuche
England wieder ſeine alte Methdde anzuwenden und ſchiebe
als Kämpfer einen Dritten, die Türkei, vor. Dies geſchehe
anſcheinend nicht nur Oeſterreich. Ungarn und Bulgarien gegen-
über, ſondern auch, wie es ſcheint, Rußland gegenüber in
der Dardanellenfrage.

Nowakowitſch beim Großvezier.

(Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Nowakowitſch und Nenadovich beſuchten den
Großvezier.

Die Pariſer Anſicht.

Die Meldungen von der Ein-
ſtellung der direkten Unterhandlungen zwiſchen Bulgarien,
Oeſterreich und der Pforte erzeugten hier, obgleich ſie als
Sieg des britiſchen Ei[n]fluſſes bei der türkiſchen Regierung
aufgefaßt werden, eher Enttäuſchung und Beunruhigung. Man
befürchtet, nachdem die an die raſche Verſtändigung mit der
Türkei geknüpften optimiſtiſchen Erwartungen hinfällig ge-
worden ſind, die Möglichkeit neuer Komplikationen und
Konflikte zwiſchen den Konferenzmächten. Das englandfreund-
liche Echo de Paris erblickt hingegen in der neuen Orien-
tierung der türkiſchen Politik, die das ſchon von drei Mächten
angenommene Programm akzeptiert, eine weſentliche Klärung
der Lage. Die Hauptfrage bleibt, ob Deutſchland und Oeſterreich
an der Konferenz teilnehmen werden.

Die türkiſchen Sicherheitsverhältniſſe.

Die Sicherheitsver-
hältniſſe werden hier täglich ſchlechter. Dazu trägt der Umſtad
bei, daß in den letzten Tagen beſonders an niedere Vo[l]ks-
ſchichten ungewöhnlich viel Waffen verkauft wurden. Das
hieſige griechiſche Konſulat ſowie der Patriarch haben alle
Griechen zur Vorſicht ermahnt und namentlich vor nächtlichem
Ausgehen gewarnt. Die Nachrichten aus der Provinz lauten
ungünſtig. Wenn auch die erſten Nachrichten über ein Blut-
bad in Armenien übertrieben ſind, ſo iſt es doch zweifellos, daß
dort die Kurden wieder wüſt genug hauſen. In Belgrad be-
klagen ſich die Juden, die ebenfalls bedroht wrrden. In
Makedonien endlich kommt es wieder zu Kämpfen zwiſchen
Griechen und Bulgaren. Beſondere Beachtung verdienen die
Nachrichten über Unabhängigkeitsbeſtrebungen der Albaneten
aus Südalbanien, wohin Sabahedin jetzt von Saloniki ver-
mutlich im Auftrage des Komitees abgereiſt iſt, um die Al-
baneſen zu beruhigen. Er iſt der Mann der Zentraliſation,
der allerdings, ſeit er hier iſt, viel Waſſer in den Wein
[Spaltenumbruch] gegoſſen hat. Wie wenig er bedeutet, zeigt eine Beſchwerde
des Patriarchen: wenn die Griechen noch weiter bei den
Wahlen behindert würden, ſo werden ſie überhaupt nicht
wählen. Merkwürdig iſt, daß die Pforte angeſichts dieſer
Schwierigkeiten dem engliſchen Einfluß nicht widerſteht, direkte
Verhandlungen mit Oeſterreich Ungarn ablehnt und Kompen-
ſationen verlangt, die die Aufrollung der ganzen türkiſchen
Orientpolitik in einer Konferenz bedeuten.

Der ſerbiſche Kronprinz auf der Fahrt
nach Rußland.

Die auffallende Tatſache, daß
der ſerbiſche Kronprinz in den letzten Tagen fortgeſetzt mit
dem Sektionschef Spalatkowitſch im Miniſterium des A[e]ußern
oft bis 2 Uhr nachts konferierte, findet jetzt ihre Erklärung:
Der Kronprinz wird ſich morgen in Begleitung des Ex-
miniſters Paſchitſch und des Oberleutnant M[i]lutin Mari-
nowitſch über Rumänien nach Petersburg begeben, wo der
Zar ihn und ſeine Begleiter feierlich empfangen wird. Die
Reiſe des Kronprinzen iſt das Reſultat der ſeit einer Woche
zwiſchen Belgrad und Petersburg gepflogenen Verhandlungen.

Das Antwortſchreiben Fallieres an Kaiſer
Franz Joſeph.

In hieſigen unterrichteten Kreiſen
wird das Antwortſchreiben des Präſidenten Fallieres an
Kaiſer Franz Joſeph, wie folgt, kommentiert: Frankreich
wünſcht, daß über ſeine Haltung in den beiden für Oeſter-
reich. Ungarn wichtigen Fragen kein Zw[e]ifel beſtehe. Die
franzöſiſche Regierung hat nie daran gedacht, daß die An-
gliederung Bosniens und der Herzegowina an
Oeſterreich-Ungarn zu den von der Konferenz in die
Diskuſſion zu ziehenden Punkten gehören ſollte. In Paris
beſteht immer noch die Meinung, daß die Miniſterien in
Wien und in Konſtantinopel ſich verſtändigen und der Kon-
ferenz
lediglich die Konſtatierung des Ergebniſſes
dieſer Verſtändigung anheimſtellen ſollten. Die franzöſiſche
Diplomatie werde, ſoweit ſie in Konſtantinopel aufklärend
und beruhigend zu wirken vermag, dies gewiß nicht verab-
ſäumen. Das zweite öſterreichiſch-ungariſche Bedenken gegen
den Beitritt zur Konferenz betrifft die Beſorgnis, msn könnte
beabſichtigen, Serbien und Montenegro Vorteile zu-
zuwenden, denen Oeſterreich Ungarn ſeine Zuſtimmung abſolut
verſagen müßte. Zu dieſem Punkte ſei Botſchafter Crozier in
der Lage, daran zu erinnern, daß die erſt[e] O[e]ſterreich-Ungarn
unangenehme Faſſung jenes Programmpunktes niemals
Frankreichs Genehmigung erhielt und ſeither definitiv auf-
gegeben worden iſt. Frankreich halte insbeſondere daran feſt,
daß man es bei etwaigen Vorteilen, die Serbien und Monte-
negro zuzuwenden wären, keineswegs auf eine Verletzung
öſterreichiſch-ungariſcher Intereſſen ankommen laſſen würde.
Es iſt wohl möglich, daß dieſe Geſichtspunkte auch für die
heutige Unterredung des franzöſiſchen Botſchafters Cambon
mit dem öſterreichiſch-ungariſchen Botſchafter von Szögyeny
in Berlin maßgebend waren.




Das perfide Albion.

(Orig.-Korr.)

Die Unterhandlungen zwiſchen O[e]ſterreich-Ungarn und
der Pforte ſind geſcheitert und ebenſo der Verſuch einer direkten
Verſtändigung zwiſchen Bulgarien und der Türkei. Dieſe
Wandlung iſt überraſchend, aber ſie iſt ein Werk der engliſchen
Diplomatie, die es geradezu darauf abgeſehen hat, den
Frieden in Europa zu ſtören. König Eduard läßt ſich zwar
ſtets als Friedensfürſt feiern, aber alle ſeine Aktionen gehen
in letzter Linie darauf hinaus, den Dreibund zu ſprengen,
Deutſchland zu iſolieren und auf dem Kontinent Unfrieden
zu ſtiften. Wenn irgendeiner das verkörpert, was die engliſche
Sprache als Cant bezeichnet, ſo iſt dies König Eduard und
ſeine Diplomatie. Wir beſitzen für dies Wort keinen deutſchen
Ausdruck: es umfaßt ſo ziemlich alles das, was wir im
einzelnen als Phariſäertum, Gleiß[n]erei, Unwahrhaftigkeit,
Täuſchung, Ueberhebung, Scheinweſen und damit Verwandtes
bezeichnen. Die diplomatiſchen Aktionen des Eduardiſchen
England verdienen mit dem Ausdrucke Cant charakteriſiert zu
werden und die Nationen des Kontinents täten am beſten,
ſich einmal dieſer ungebetenen Dreinmiſchungen gemeinſam zu
erwehren. Die Umtriebe Englands in der Balkanſache ſind
gemeingefährlich und ſie ſind gleichzeitig den niedrigſten
Motiven entſprungen. Man wird die Freundſchaftsver-
ſicherungen König Eduards bei ſeinen jährlichen Beſuchen in
Oeſterreich nunmehr auch treffend einzuſchätzen wiſſen. Wie
es von beſonderer Seite heißt, herrſcht am Wiener
Hofe Erbitterung gegen
König Eduard, und auch
Kaiſer Franz Joſef ſoll dieſer unverhohlen Ausdruck
gegeben haben. Man ſchreibt es allein dem engliſchen Ein-
fluſſe zu, daß die Annexion von Bosnien und der Her-
zegowina und die weiteren wirtſchaftspolitiſchen Pläne Oeſter-
reich-Ungarns auf dem Balkan nicht in voller Ruhe
durchgeführt werden konnten.

Wenn man in London darauf rechnet, daß die Geduld
Oeſterreich Ungarns unerſchöpflich ſei, daß man den Agita-
tionen in Serbien und Montenegro, die mit engliſchem Gelde
genährt werden, gleichmütig zuſieht, ſo verrechnet man ſich.
Man iſt ſich in Wien und Budapeſt voll bewußt, welche
großen materiellen Opfer eine Mobiliſierung allein erfordert,
aber man wird dieſe Opfer im Notfalle auch zu bringen
wiſſen. Und wenn da unten einmal geklopft werden müßte,
ſo iſt es der engliſche Finger, dem dieſe Schläge zunächſt
gebühren. Das Joch dieſer engliſchen Kibitzunarten wird un-
erträglich — umſo weniger zu dulden, als König Eduard
der einzige Herrſcher wäre, deſſen Gewiſſen weit genug, die
Nationen ſkrupellos in ein Meer von Blut
zu treiben.




[Spaltenumbruch]
Vom Tage.


Die Miniſterkriſe.

Nach Erledigung der Arbeiten
der Delegationen kehrt der Kaiſer am 10. oder 12. November
nach Wien zurück. Dann dürfte noch vor der Eröffnung des
Reichsrates die Rekonſtruktion des Kabinetts erfolgen. Es beſteht
die Abſicht, eventuell auch Mitglieder des Herrenhauſes als
Landsmannminiſter in das Kabinett zu berufen. Die
deutſchen Parteiführer haben erklärt, daß die
deutſchen Miniſter bis auf weiteres auszu-
harren haben.
Miniſterpräſident Baron Beck hat unum-
ſchränkte Vollmachten erhalten und die Regierung iſt auf alle
Eventualitäten, auch für den Fall einer Obſtruktion, vor-
bereitet. Es wird ein Austauſch der einzelnen Miniſter oder
eine gründliche Rekonſtruktion, aber immer mit
dem Miniſterpräſidenten Beck, erfolgen. Es wird Sorge
getragen werden, daß ſich Fraktionen unter den Mitgliedern
des Kabinetts, wie dies in der legten Zeit vorgekommen iſt,
z. B. die Vorſtöße der Chriſtlichſozialen in den Delegationen,
nicht mehr ereignen, damit nicht der Kampf der Miniſter
ſtärker ſei, als der Kampf der Parteien.

Die „Poln. Korreſp.“ bringt die
Nachricht, daß nach ihrer Information die Miniſterkriſe noch
vor Zuſammentritt des Reichsrates gelöſt w[er]den ſoll. Baron
Beck werde in Kürze mit den einzelnen Parteiführern ver-
handeln. Gegenwärtig handle es ſich vor allem um die
Rekonſtruktion des Kabinetts. Miniſter Fiedler
ſoll bleiben, während Praſchek und Prade ausſcheiden
dürften. Auf die Tagesordnung ſoll die Altersverſicherung
und die Angelegenheit eines Kredits von 4 Millionen Kronen
für Waſſerbauten geſetzt werden.




Der Prager Streit.
Neuerliche Exzeſſe.

(Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Vor-
mittags waren etwa mehrere tauſend Perſonen auf dem
Graben angeſammelt. Etwa 44 deutſche Kouleurſtudenten
gingen eine halbe Stunde hinter einem dichten Kordon der
Wache auf und ab und begaben ſich ſodann in die Durch-
fahrt des Kaſino, um einen Konflikt mit der Menſchen-
menge
zu vermeiden. In der Einfahrt des Kaſino kam
es zwiſchen den Studenten, die ins Freie wollten, und
der Polizei zu einem Handgemenge. Mehrere
Wachleute und zwei Studenten wurden ver-
letzt.
Das Publikum wollte den Polizeikordon durch-
brechen.
Inzwiſchen wurde das Kaſinotor geſchloſſen. Der
Manifeſtationsumzug der böhmiſchen Studenten iſt ruhig
verlaufen. Nachmittags wurden zwei deutſche Studenten in
Kouleur auf dem Graben von jungen Burſchen angefallen. Der
intervenierende Polizeibeamten, der gleichfalls attakiert wurde,
verhaftete einen Angreifer. Polizei und Gendarmerie ſind
in voller Bereitſchaft geſtanden. Abends herrſchte Ruhe.




Die italieniſche Univerſitätsfrage.

Ueber Einladung des Rektors
Hofrat Exner erſchien geſtern ein Vertreter des ita-
lieniſchen Hochſchulkomitees
zur Beſprechung der
italieniſchen Hochſchulforderungen bei ihm. Der Rektor riet
den Italienern von lärmenden Kundgebungen entſchieden ab,
da dieſe ſowohl der Studentenſchaft als der Univerſität und
ſchließlich auch den von den italieniſchen Studenten verfochtenen
Forderungen ſchaden würden. Der Rektor verſprach, die Wünſche
der Italiener in der nächſten Sitzung des akademiſchen
Senates zur Sprache zu bringen und ſie an das Unterrichts-
miniſterium zu leiten.




Aus Galizien.
Die Neuwahl des galiziſchen Landes-
ausſchuſſes.
(Orig.-Korr.)

Rutheniſcherſeits
wurde der Jungruthene Dr. Johann Kiweluk, k. k. Gerichts-
ſekretär, in den Landesausſchuß gewählt. Während der geſtrigen
Sitzung hielt Abg. Olesnicki in der Diskuſſion über das
Budget eine längere Rede, worin er ſich über die Benach-
teiligung der Ruthenen bei den letzten Landtagswahlen be-
klagte und die Hoffnung ausſprach, daß das neue Wahlrecht
bald die Verhältniſſe zu Gunſten der Ruthenen umgeſtalten
werde. Redner könne es aber nicht leugnen, daß der neue
Statthalter Verordnungen erlaſſen habe, welche ſein Wohl-
wollen gegen das rutheniſche Volk bezeugen. Ferner beklagt
ſich Redner über die Mißwirtſchaft in der galizi-
ſchen Adminiſtration,
welche den Ruthenen abſolut
nicht ihr gutes Recht zugeſtehen wolle, und ruft den polniſchen
Abgeordneten zu: „Führt, meine Herren, die Gleichberechtigung
beider Nationen durch und eine ideale Eintracht wird im
Lande herrſchen.“ Vorläufig ſei es aber noch weit davon und
um ihrer Unzufriedenheit über die herrſchenden Zuſtände Aus-

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[2/0002] Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 27. Oktober 1908 einfach auf die in London präſentierte Formel zurückzuführen: Das bietet uns die direkte Verſtändigung; was bieteſt du uns, was bietet die Konferenz uns mehr? — Heraus mit dem verbeſſerten Angebot! Dabei wird das angedeutet, was man gegen früher mehr verlangt. Die Hauptſache darin iſt außer der Aufhebung der Kapitulation und der fremden Poſtämter — — die Beſeitigung der Kontrolle in Mazedonien und der den Armeniern gegenüber der Pforte auferlegten Verpflich- tungen. Das kann Oeſterreich nicht ſchaffen, aber eine Kon- ferenz kann es. Fragt ſich nur, ob England ſich verpflichten kann und will, die Konferenz dafür willig zu ſtimmen. Wenn nicht — nun dann wird das Geſchäft mit dem Konkurrenten gemacht, die direkte Verſtändigung mit Oeſterreich und Bulgarien wieder aufgenommen und zum glücklichen Ende geführt. Und wer weiß, was daraus noch Nützliches für die Türkei erſprießen kann. Es wäre zu ſehr Zukunftsmuſik, wenn man heute ſchon von einer Allianz zwiſchen der Türkei, Bulgarien und Oeſterreich- Ungarn ſprechen würde. Daß aber eine ſolche mit der Zu- ſtimmung Deutſchlands geſchloſſene Allianz der bereits ge- ſättigten Staaten, Bulgarien und Oeſterreich-Ungarns, mit der Türkei ungeheuer viel zur Konſolidierung der Verhältniſſe im Balkan beitragen müßte, läßt ſich nicht beſtreiten. Zur Balkankriſe. Das türkiſche Programm für die Konferenz. Konſtantinopel, 25. Oktober. Das türkiſche Programm für eine eventuelle Konferenz iſt vom Sultan ſanktioniert worden. Großes Erſtaunen erregte es, daß der Ikdam plötzlich das einzige Heil für die Türkei in der Annahme einer Konferenz auf der Baſis des franzöſiſch-ruſſiſch-engliſchen Programms erblickt. Ikdam beſchuldigt Bulgarien und Oeſterreich, die Türkei durch direkte Verhandlungen in ihren Intereſſen ſchädigen zu wollen; hinter beiden Staaten ſtehe Deutſchland. Dieſe Haltung des Ikdam fällt um ſo mehr auf, als dasſelbe Blatt vor Kurzem erklärte, Deutſchland habe von neuem bewieſen, daß es an der alten aufrichtigen Freundſchaft für die Türkei feſthalte. Montenegro verlangt den Krieg. Petersburg, 25. Oktober. Der hier eingetroffene montenegriniſche Abgeſandte Mijuſchkowitſch äußerte, ganz Montenegro verlangt den Krieg. Nur eine ſchleunigſt einzu- berufende Konferenz könne die entflammte Maſſe beruhigen. Kompenſationen für türkiſche Rechnung nehme Montenegro nicht an. England will eine Konferenz, aus der Krieg hervorgehen ſoll. Wien, 25. Oktober. In hieſigen unterrichteten Kreiſen wird jetzt auf die Richtigkeit der ablehnenden Haltung Deutſchlands zu dem engliſchen Konferenzvorſchlage hinge- wieſen. Schließlich handle es ſich bei England nicht um eine Konferenz zur Befeſtigung des Friedens, ſondern um eine Konferenz, aus der Krieg hervorgehen ſolle. Natürlich ſuche England wieder ſeine alte Methdde anzuwenden und ſchiebe als Kämpfer einen Dritten, die Türkei, vor. Dies geſchehe anſcheinend nicht nur Oeſterreich. Ungarn und Bulgarien gegen- über, ſondern auch, wie es ſcheint, Rußland gegenüber in der Dardanellenfrage. Nowakowitſch beim Großvezier. Konſtantinopel, 26. Oktober. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Nowakowitſch und Nenadovich beſuchten den Großvezier. Die Pariſer Anſicht. Paris, 24. Oktober. Die Meldungen von der Ein- ſtellung der direkten Unterhandlungen zwiſchen Bulgarien, Oeſterreich und der Pforte erzeugten hier, obgleich ſie als Sieg des britiſchen Einfluſſes bei der türkiſchen Regierung aufgefaßt werden, eher Enttäuſchung und Beunruhigung. Man befürchtet, nachdem die an die raſche Verſtändigung mit der Türkei geknüpften optimiſtiſchen Erwartungen hinfällig ge- worden ſind, die Möglichkeit neuer Komplikationen und Konflikte zwiſchen den Konferenzmächten. Das englandfreund- liche Echo de Paris erblickt hingegen in der neuen Orien- tierung der türkiſchen Politik, die das ſchon von drei Mächten angenommene Programm akzeptiert, eine weſentliche Klärung der Lage. Die Hauptfrage bleibt, ob Deutſchland und Oeſterreich an der Konferenz teilnehmen werden. Die türkiſchen Sicherheitsverhältniſſe. Konſtantinopel, 24. Oktober. Die Sicherheitsver- hältniſſe werden hier täglich ſchlechter. Dazu trägt der Umſtad bei, daß in den letzten Tagen beſonders an niedere Volks- ſchichten ungewöhnlich viel Waffen verkauft wurden. Das hieſige griechiſche Konſulat ſowie der Patriarch haben alle Griechen zur Vorſicht ermahnt und namentlich vor nächtlichem Ausgehen gewarnt. Die Nachrichten aus der Provinz lauten ungünſtig. Wenn auch die erſten Nachrichten über ein Blut- bad in Armenien übertrieben ſind, ſo iſt es doch zweifellos, daß dort die Kurden wieder wüſt genug hauſen. In Belgrad be- klagen ſich die Juden, die ebenfalls bedroht wrrden. In Makedonien endlich kommt es wieder zu Kämpfen zwiſchen Griechen und Bulgaren. Beſondere Beachtung verdienen die Nachrichten über Unabhängigkeitsbeſtrebungen der Albaneten aus Südalbanien, wohin Sabahedin jetzt von Saloniki ver- mutlich im Auftrage des Komitees abgereiſt iſt, um die Al- baneſen zu beruhigen. Er iſt der Mann der Zentraliſation, der allerdings, ſeit er hier iſt, viel Waſſer in den Wein gegoſſen hat. Wie wenig er bedeutet, zeigt eine Beſchwerde des Patriarchen: wenn die Griechen noch weiter bei den Wahlen behindert würden, ſo werden ſie überhaupt nicht wählen. Merkwürdig iſt, daß die Pforte angeſichts dieſer Schwierigkeiten dem engliſchen Einfluß nicht widerſteht, direkte Verhandlungen mit Oeſterreich Ungarn ablehnt und Kompen- ſationen verlangt, die die Aufrollung der ganzen türkiſchen Orientpolitik in einer Konferenz bedeuten. Der ſerbiſche Kronprinz auf der Fahrt nach Rußland. Belgrad, 25. Oktober. Die auffallende Tatſache, daß der ſerbiſche Kronprinz in den letzten Tagen fortgeſetzt mit dem Sektionschef Spalatkowitſch im Miniſterium des Aeußern oft bis 2 Uhr nachts konferierte, findet jetzt ihre Erklärung: Der Kronprinz wird ſich morgen in Begleitung des Ex- miniſters Paſchitſch und des Oberleutnant Milutin Mari- nowitſch über Rumänien nach Petersburg begeben, wo der Zar ihn und ſeine Begleiter feierlich empfangen wird. Die Reiſe des Kronprinzen iſt das Reſultat der ſeit einer Woche zwiſchen Belgrad und Petersburg gepflogenen Verhandlungen. Das Antwortſchreiben Fallieres an Kaiſer Franz Joſeph. Paris, 25. Oktober. In hieſigen unterrichteten Kreiſen wird das Antwortſchreiben des Präſidenten Fallieres an Kaiſer Franz Joſeph, wie folgt, kommentiert: Frankreich wünſcht, daß über ſeine Haltung in den beiden für Oeſter- reich. Ungarn wichtigen Fragen kein Zweifel beſtehe. Die franzöſiſche Regierung hat nie daran gedacht, daß die An- gliederung Bosniens und der Herzegowina an Oeſterreich-Ungarn zu den von der Konferenz in die Diskuſſion zu ziehenden Punkten gehören ſollte. In Paris beſteht immer noch die Meinung, daß die Miniſterien in Wien und in Konſtantinopel ſich verſtändigen und der Kon- ferenz lediglich die Konſtatierung des Ergebniſſes dieſer Verſtändigung anheimſtellen ſollten. Die franzöſiſche Diplomatie werde, ſoweit ſie in Konſtantinopel aufklärend und beruhigend zu wirken vermag, dies gewiß nicht verab- ſäumen. Das zweite öſterreichiſch-ungariſche Bedenken gegen den Beitritt zur Konferenz betrifft die Beſorgnis, msn könnte beabſichtigen, Serbien und Montenegro Vorteile zu- zuwenden, denen Oeſterreich Ungarn ſeine Zuſtimmung abſolut verſagen müßte. Zu dieſem Punkte ſei Botſchafter Crozier in der Lage, daran zu erinnern, daß die erſte Oeſterreich-Ungarn unangenehme Faſſung jenes Programmpunktes niemals Frankreichs Genehmigung erhielt und ſeither definitiv auf- gegeben worden iſt. Frankreich halte insbeſondere daran feſt, daß man es bei etwaigen Vorteilen, die Serbien und Monte- negro zuzuwenden wären, keineswegs auf eine Verletzung öſterreichiſch-ungariſcher Intereſſen ankommen laſſen würde. Es iſt wohl möglich, daß dieſe Geſichtspunkte auch für die heutige Unterredung des franzöſiſchen Botſchafters Cambon mit dem öſterreichiſch-ungariſchen Botſchafter von Szögyeny in Berlin maßgebend waren. Das perfide Albion. Wien, 25. Oktober. (Orig.-Korr.) Die Unterhandlungen zwiſchen Oeſterreich-Ungarn und der Pforte ſind geſcheitert und ebenſo der Verſuch einer direkten Verſtändigung zwiſchen Bulgarien und der Türkei. Dieſe Wandlung iſt überraſchend, aber ſie iſt ein Werk der engliſchen Diplomatie, die es geradezu darauf abgeſehen hat, den Frieden in Europa zu ſtören. König Eduard läßt ſich zwar ſtets als Friedensfürſt feiern, aber alle ſeine Aktionen gehen in letzter Linie darauf hinaus, den Dreibund zu ſprengen, Deutſchland zu iſolieren und auf dem Kontinent Unfrieden zu ſtiften. Wenn irgendeiner das verkörpert, was die engliſche Sprache als Cant bezeichnet, ſo iſt dies König Eduard und ſeine Diplomatie. Wir beſitzen für dies Wort keinen deutſchen Ausdruck: es umfaßt ſo ziemlich alles das, was wir im einzelnen als Phariſäertum, Gleißnerei, Unwahrhaftigkeit, Täuſchung, Ueberhebung, Scheinweſen und damit Verwandtes bezeichnen. Die diplomatiſchen Aktionen des Eduardiſchen England verdienen mit dem Ausdrucke Cant charakteriſiert zu werden und die Nationen des Kontinents täten am beſten, ſich einmal dieſer ungebetenen Dreinmiſchungen gemeinſam zu erwehren. Die Umtriebe Englands in der Balkanſache ſind gemeingefährlich und ſie ſind gleichzeitig den niedrigſten Motiven entſprungen. Man wird die Freundſchaftsver- ſicherungen König Eduards bei ſeinen jährlichen Beſuchen in Oeſterreich nunmehr auch treffend einzuſchätzen wiſſen. Wie es von beſonderer Seite heißt, herrſcht am Wiener Hofe Erbitterung gegen König Eduard, und auch Kaiſer Franz Joſef ſoll dieſer unverhohlen Ausdruck gegeben haben. Man ſchreibt es allein dem engliſchen Ein- fluſſe zu, daß die Annexion von Bosnien und der Her- zegowina und die weiteren wirtſchaftspolitiſchen Pläne Oeſter- reich-Ungarns auf dem Balkan nicht in voller Ruhe durchgeführt werden konnten. Wenn man in London darauf rechnet, daß die Geduld Oeſterreich Ungarns unerſchöpflich ſei, daß man den Agita- tionen in Serbien und Montenegro, die mit engliſchem Gelde genährt werden, gleichmütig zuſieht, ſo verrechnet man ſich. Man iſt ſich in Wien und Budapeſt voll bewußt, welche großen materiellen Opfer eine Mobiliſierung allein erfordert, aber man wird dieſe Opfer im Notfalle auch zu bringen wiſſen. Und wenn da unten einmal geklopft werden müßte, ſo iſt es der engliſche Finger, dem dieſe Schläge zunächſt gebühren. Das Joch dieſer engliſchen Kibitzunarten wird un- erträglich — umſo weniger zu dulden, als König Eduard der einzige Herrſcher wäre, deſſen Gewiſſen weit genug, die Nationen ſkrupellos in ein Meer von Blut zu treiben. Vom Tage. Czernowitz, 26. Oktober. Die Miniſterkriſe. Wien, 25. Oktober. Nach Erledigung der Arbeiten der Delegationen kehrt der Kaiſer am 10. oder 12. November nach Wien zurück. Dann dürfte noch vor der Eröffnung des Reichsrates die Rekonſtruktion des Kabinetts erfolgen. Es beſteht die Abſicht, eventuell auch Mitglieder des Herrenhauſes als Landsmannminiſter in das Kabinett zu berufen. Die deutſchen Parteiführer haben erklärt, daß die deutſchen Miniſter bis auf weiteres auszu- harren haben. Miniſterpräſident Baron Beck hat unum- ſchränkte Vollmachten erhalten und die Regierung iſt auf alle Eventualitäten, auch für den Fall einer Obſtruktion, vor- bereitet. Es wird ein Austauſch der einzelnen Miniſter oder eine gründliche Rekonſtruktion, aber immer mit dem Miniſterpräſidenten Beck, erfolgen. Es wird Sorge getragen werden, daß ſich Fraktionen unter den Mitgliedern des Kabinetts, wie dies in der legten Zeit vorgekommen iſt, z. B. die Vorſtöße der Chriſtlichſozialen in den Delegationen, nicht mehr ereignen, damit nicht der Kampf der Miniſter ſtärker ſei, als der Kampf der Parteien. Wien, 25. Oktober. Die „Poln. Korreſp.“ bringt die Nachricht, daß nach ihrer Information die Miniſterkriſe noch vor Zuſammentritt des Reichsrates gelöſt werden ſoll. Baron Beck werde in Kürze mit den einzelnen Parteiführern ver- handeln. Gegenwärtig handle es ſich vor allem um die Rekonſtruktion des Kabinetts. Miniſter Fiedler ſoll bleiben, während Praſchek und Prade ausſcheiden dürften. Auf die Tagesordnung ſoll die Altersverſicherung und die Angelegenheit eines Kredits von 4 Millionen Kronen für Waſſerbauten geſetzt werden. Der Prager Streit. Neuerliche Exzeſſe. Prag, 25. Oktober. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Vor- mittags waren etwa mehrere tauſend Perſonen auf dem Graben angeſammelt. Etwa 44 deutſche Kouleurſtudenten gingen eine halbe Stunde hinter einem dichten Kordon der Wache auf und ab und begaben ſich ſodann in die Durch- fahrt des Kaſino, um einen Konflikt mit der Menſchen- menge zu vermeiden. In der Einfahrt des Kaſino kam es zwiſchen den Studenten, die ins Freie wollten, und der Polizei zu einem Handgemenge. Mehrere Wachleute und zwei Studenten wurden ver- letzt. Das Publikum wollte den Polizeikordon durch- brechen. Inzwiſchen wurde das Kaſinotor geſchloſſen. Der Manifeſtationsumzug der böhmiſchen Studenten iſt ruhig verlaufen. Nachmittags wurden zwei deutſche Studenten in Kouleur auf dem Graben von jungen Burſchen angefallen. Der intervenierende Polizeibeamten, der gleichfalls attakiert wurde, verhaftete einen Angreifer. Polizei und Gendarmerie ſind in voller Bereitſchaft geſtanden. Abends herrſchte Ruhe. Die italieniſche Univerſitätsfrage. Wien, 25. Oktober. Ueber Einladung des Rektors Hofrat Exner erſchien geſtern ein Vertreter des ita- lieniſchen Hochſchulkomitees zur Beſprechung der italieniſchen Hochſchulforderungen bei ihm. Der Rektor riet den Italienern von lärmenden Kundgebungen entſchieden ab, da dieſe ſowohl der Studentenſchaft als der Univerſität und ſchließlich auch den von den italieniſchen Studenten verfochtenen Forderungen ſchaden würden. Der Rektor verſprach, die Wünſche der Italiener in der nächſten Sitzung des akademiſchen Senates zur Sprache zu bringen und ſie an das Unterrichts- miniſterium zu leiten. Aus Galizien. Die Neuwahl des galiziſchen Landes- ausſchuſſes. Lemberg, 25. Oktober. (Orig.-Korr.) Rutheniſcherſeits wurde der Jungruthene Dr. Johann Kiweluk, k. k. Gerichts- ſekretär, in den Landesausſchuß gewählt. Während der geſtrigen Sitzung hielt Abg. Olesnicki in der Diskuſſion über das Budget eine längere Rede, worin er ſich über die Benach- teiligung der Ruthenen bei den letzten Landtagswahlen be- klagte und die Hoffnung ausſprach, daß das neue Wahlrecht bald die Verhältniſſe zu Gunſten der Ruthenen umgeſtalten werde. Redner könne es aber nicht leugnen, daß der neue Statthalter Verordnungen erlaſſen habe, welche ſein Wohl- wollen gegen das rutheniſche Volk bezeugen. Ferner beklagt ſich Redner über die Mißwirtſchaft in der galizi- ſchen Adminiſtration, welche den Ruthenen abſolut nicht ihr gutes Recht zugeſtehen wolle, und ruft den polniſchen Abgeordneten zu: „Führt, meine Herren, die Gleichberechtigung beider Nationen durch und eine ideale Eintracht wird im Lande herrſchen.“ Vorläufig ſei es aber noch weit davon und um ihrer Unzufriedenheit über die herrſchenden Zuſtände Aus-

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 1437, Czernowitz, 27.10.1908, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer1437_1908/2>, abgerufen am 28.03.2024.