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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2400, Czernowitz, 23.01.1912.

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Czernowitzer Allgemeine Zeitung 23. Jänner 1912

[Spaltenumbruch]

wahren Volksvertretern und nicht aus fast lauter Reprä-
sentanten des polnischen Adels bestehen werde.

Landmarschall Graf Badeni konstatierte darauf
auf Verlangen des Abg. Lewicki die Beschlußfähigkeit
des Hauses, worauf dieses den Antrag auf Schluß der
Sitzung mit allen gegen die Stimmen der Ruthenen ab-
lehnte.

Nach Uebergang zur Tagesordnung setzte die tech-
nische Obstruktion der ukrainischen Abgeordneten,
die sich zu diesem Zwecke alle möglichen Instrumente mit-
gebracht hatten, mit voller Kraft wieder ein. Nichtsdesto-
weniger wurde die Tagesordnung vollständig erschöpft,
worauf die Abgeordneten Dr. Leo, Michalowski und
Wasung ihre Dringlichkeitsanträge betreffend die Er-
höhung der Lehrergehälter begründeten. Nachdem diese
Anträge der Schulkommission zugewiesen worden waren,
schloß der Landmarschall die Sitzung um einviertel zwei
Uhr nachmittags und setzte als Tag der nächsten Sitzung
den 25. Jänner fest.

Die Ausgleichskonferenzen.

In der vorletzten polnisch-ru-
thenischen Konferenz erklärten sich die Polen mit der ge-
setzlichen Sicherstellung der ruthenischen Mandate einver-
standen, weshalb es sich nunmehr hauptsächlich nur noch
um die Frage der prozentuellen Festsetzung der Anzahl der
ruthenischen Mandate handelt. Gestern nachmittags wur-
den die Ausgleichsverhandlungen fortgesetzt und insbe-
sondere die künftige Zusammensetzung des Landesaus-
schusses und der einzelnen Kommissionen und die Wünsche
der Ruthenen in dieser Hinsicht besprochen. An den Aus-
gleichsverhandlungen nehmen teil: namens der Landtads-
rechten Abg. Abrahamowicz, namens des Zentrums
Abg. W. Czartoryski, namens der Landtagslinken
Abg. Dr. Leo, namens der polnischen Volkspartei Abg.
Stapinski, beziehungsweise in dessen Vertretung
Abg. Stefczyk, namens der Jungruthenen die Abge-
ordneten Dr. K. Lewicki, Makuch und Dr. Petru-
szewicz,
namens der Altruthenen Abg. Dr. Korol,
ferner der Referent in der Wahlreformfrage Abg. Doktor
Starzynski, der Statthalter Dr. Bobrzynski
und der Landmarschall Graf Badeni.




Die deutsch-czechischen Verhandlungen.

Zu den Prager und Wiener
deutsch-czechischen Verhandlungen schreibt der "Cas":
Trotz aller Schönfärberei kann man sagen, daß keine
Rede
davon ist, daß ein halbwegs möglicher Frieden
zwischen den bei den Nation
en zustande kommt.
Die Regierung ist auch gar nicht in die Verhandlungen
in einer Weise eingetreten, die darauf schließen läßt, daß
sie einen wirklichen Erfolg erwartet. Sie arbeitet offen-
kundig nur, damit etwas zu geschehen scheint. Baron
Heinold hört bei den Besprechungen fast teilnahmslos
zu und weist bei jedem Worte darauf hin, daß alles, was
er sagt, nur ganz unverbindlich sei. Er müsse erst Zu-
stimmung, Ansicht und Standpunkt der Gesamtregierung
einholen. Nur in einem Punkte scheint sich die Regierung
klar zu sein, nämlich, daß die Wünsche der Deut-
schen
in der Frage des geteilten Beamtenstatus uner-
füllbar
sind. Der Regierung ist es endlich klar, daß
bei der Errichtung geteilter nationaler Beamtengruppen
in Böhmen solche nicht nur in Mähren und Schlesien,
sondern später auch in Steiermark, Krain, im Küstenlande
und in Galizien errichtet werden müssen. Was dann der
Staat mit einem deutschen, czechischen, slovenischen,
polnischen, ruthenischen und italienischen Beamtenstatus
anfangen soll, ist unfaßbar. Abgesehen von allen sachlichen
Schwierigkeiten, politisch ist die Sache einfach unmöglich.
Früher hat man für das Zustandekommen eines deutsch-
czechischen Ausgleiches die höchsten Preise ausgesetzt. Dr.
v. Körber hat sogar einen Vorschuß von tausend Millionen
Kronen gezahlt -- jetzt haben die Parteien nur einen
Preis. Wenn der deutsch-czechische Ausgleich zustande-
kommt, dürfen Deutsche und Czechen für die Steuer- und
Wehrvorlagen stimmen. Das ist verteufelt wenig.




Graf Aehrenthal.

Wie das "N. W. Tagbl." meldet,
dürfte Graf Aehrenthal nach den Delegationen einen Ur-
laub nehmen und nach der Rückkehr vom Urlaub,
wenn seine Wiederherstellung so weit vorgeschritten
sein wird, die Leitung der Geschäfte übernehmen.

Der Berliner Korrespondent des
"N. Wr. Tagbl." ist zu folgender Erklärung ermächtigt:
"In den politischen Kreisen Berlins wird mehr und mehr
mit Befremden wahrgenomen, daß die persönlichen
Angriffe gegen den Grafen Aehrenthal in gewissen
Wiener Blättern immer wieder mit Beschwerden der deut-
schen Politik über die Haltung des Ministers des Auswär-
tigen Oesterreich-Ungarns begründet waren. Man erklärt
hier, daß die Berufung auf angebliche deut-
sche Beschwerdengegen
den Grafen Aehren-
thal haltlos ist.
Man fügt hinzu, daß gerade in dem
Kernpunkt der gegen Aehrenthal erhobenen Vorwürfe,
nämlich in der sorgsamen Behandlung des Verhältnisses
zu dem verbündeten Italien, die Ansichten der maßgeben-
den deutschen Stellen durchaus mit der vom G[r]afen
Aehrenthal gewählten und konstant festgehaltenen Tonart
zusammenstimmen."




Der Vesuch des Thronfolgers in Berlin

Die Meldung, daß Erzherzog Franz Ferdinand dem
deutschen Kaiserhofe einen Besuch abstatten wird, bestä-
tigt sich. Der Erzherzog wird als Pate bei der Taufe des
jüngsten Sohnes des Kronprinzenpaares fungieren. Viel-
[Spaltenumbruch] leicht ist der Umstand nicht ohne Bedeutung, daß auch die
Königin von Italien beim jüngsten Prinzen des Hohen-
zollernhauses Patin stehen wird. Wahrscheinlich wird
in der Uebernahme dieses Ehrenamtes durch Königin
Helene auch die Absicht einer Widerlegung gewisser Ge-
rüchte zu erblicken sein, welche der Königin nachsagten,
daß sie in jüngster Zeit ihren persönlichen Einfluß des
öfteren gegen die Interessen der Dreibundpolitik und
ihres Fortbestandes gekehrt habe. Auf diese politische
Taufangelegenheit, mit welcher sich sogar vielleicht auch die
Romreise Kiderlen-Waechters beschäftigt haben mag, neh-
men folgende Meldungen Bezug:

Die halboffiziöse Korrespondenz
"Wilhelm" bestätigt, daß Erzherzog Franz Fer-
dinand
am 28. d. M. in Berlin eintrifft, wo der Erz-
herzog auf Einladung des deutschen Kronprinzenpaares
als Pate bei der Taufe des jüngst geborenen Sohnes
des Kronprinzen fungieren wird.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Königin Helene nahm die Patenstelle bei dem
neugeborenen Sohne des deutschen Kronprinzen an.




Die Romreise Kiderlen-Waechters.

Staatssekretär v. Kiderlen-
Waechter
begab sich gestern mittags zur Consulta, um
den Minister des Aeußern Marquis di San Giulia no
zu besuchen. Er verweilte ungefähr eine Stunde bei ihm.
Um 1 Uhr nachmittags fand in der deutschen Botschaft ein
Frühstück statt. Später begab sich di San Giuliano wie-
derum nach der deutschen Botschaft, um den Besuch des
Staatssekretärs zu erwidern. An dem Frühstück, das der
deutsche Botschafter v. Jagow heute zu Ehren des Staats-
sekretärs v. Kiderlen-Waechter gab, nahmen Ministerprä-
sident Giolitti und Minister des Aeußern di San
Giuliano
teil.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Staatssekretär Kiderlen-Wächter stattete Merry
del Val
einen Besuch ab.

An dem Dejeuner, das im deutschen Konsulate zu
Ehren Kiderlen-Wächters stattfand, nahmen Minister-
präsident Giolitti, nahezu sämtliche Minister
und Exz. v. Bülow teil. Um Mitternacht reiste Kiderlen
nach Berlin ab.

Der Empfang beim König.

Staatssekretär v. Kiderlen-Waech-
ter wurde gestern abends nach sieben Uhr vom König
empfangen,
der ihm das Großkreuz des Mauritius-
und Lazarusordens verlieh. Um 8 Uhr fand Hoftafel
statt. Staatssekretär v. Kiderlen-Waechter und Marquis
di San Giuliano saßen zur Linken der Königin. Es wurde
viel bemerkt, daß die beiden Staatsmänner mehrere lang-
andauernde Unterhaltungen führten.




Das Ableben des päpstlichen Nuntius
Bavona.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Der "Osservatore Romano" meldet: Kaiser Franz
Josef
sprach, telegraphisch dem Papste seinen tiefen
Schmerz über das Ableben des Nuntius Bavona aus
und drückte den überaus lebhaften Anteil aus, den er an
der Trauer des heiligen Stuhles nehme.

Der österr.-ung. Botschafter drückte dem Papste und
Merry del Val das Beileid der österreichischen und der un-
garischen Regierung aus.




Die Stichwahlen im Deutschen Reiche.

Von den 191 Stichwahlen, die im deutschen Reiche
noch auszufechten waren, sind gestern 78 vollzogen worden.
Das Stichwahlbild war für die liberalen Parteien fol-
gendes:

Es standen gegen das Zentrum die Nationalliberalen
in 12 Wahlkreisen, in denen bis auf einen die Sozialde-
mokraten den Ausschlag gaben, gegen Konservative in 10,
gegen die Sozialdemokraten in 38 Wahlkreisen. Die fort-
schrittliche Volkspartei steht gegen 21 Konservative und
29 Sozialdemokraten, die Sozialdemokraten gegen 34
Konservative und 11 Zentrumskandidaten.

An dieser Situation hat der erste Stichwahltag nach-
stehende Aenderungen vollzogen:

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Bisherige Resultate der Reichsratsstichwahlen: Gewählt
wurden: 9 Konservative, 6 Reichspartei, 2 deutsche Re-
formpartei, 4 wirtschaftl. Vereinigung 21 Nationalliberale,
17 fortschrittliche Volkspartei, 7 Zen-
trum, 8 Sozial
de mokraten, 2 Welfen, 1 Bauern-
bündler und 1 Wilder.

Die Konservativen gewinnen drei und verlieren
fünf Mandate, die Reichspartei verliert ein Mandat und
gewinnt eines, die wirtschaftliche Vereinigung gewinnt
ein und verliert zwei Mandate, die Nationalliberalen ge-
winnen zehn und verlieren sechs, die fortschrittliche Volks-
partei gewinnt acht und verliert ein, das Zentrum ge-
winnt zwei und verliert fünf, die Sozialdemokraten ge-
winnen acht und verlieren fünf, die Welfen gewinnen
zwei Mandate und der Bauernbund gewinnt ein Mandat.




Der italienisch-türkische Krieg.
Die "Carthago".

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Der Dampfer "Carthago" ist gestern hier eingelaufen.


[Spaltenumbruch]
Die Kämpfe bei Tripolis.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Die "Agenzia Stefani" meldet aus Tripolis: Nach Be-
endigung der nötigen Sicherungsarbeiten wurde die Oase
Gargaresch gestern definitiv besetzt.

Wechsel im italienischen Oberkommando?

Ein umfassender Wechsel in
den höheren Kommandostellen der Truppen in Tripolis
steht, der "Sera" zufolge, bevor. General Caneva,
der seit Beginn der Operationen es angeblich an der nö-
tigen Energie fehlen ließ, soll durch General Frugoni
ersetzt werden. Auch andere Generale sollen abberufen
werden.

Ausdehnung des Krieges zur See.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Die "Agenzia Stefani" meldet: Der Minister des Aeu-
ßern notifizierte sämtlichen in Rom akkreditierten Bot-
schaften und Gesandtschaften eine Erklärung, nach welcher
mit Rücksicht auf den Kriegszustand zwischen Italien und
der Türkei, die italienische Regierung, indem sie sich an
die Bestimmungen des Völkerrechtes hält, erklärt, daß
vom 22. Jänner die ottomanische Küste des
roten Meeres
von Ras Isa (nördlich von Ho-
deida) bis Ras Galefka (südlich Hodeidas) von den
Seestreitkräften des Königreiches im Zustand einer
effektiven Blokade gehalten werden wird.

Den neutralen Schiffen wird eine Frist behufs
ungehinderter Entfernung aus dem Bereiche
der Blokade gegeben.

Gegen jedes Fahrzeug, das versuchen sollte, die Blo-
kade zu verletzen, wird gemäß der völkerrechtlichen Bestim-
mungen vorgegangen.

Die Friedensbestrebungen der Mächte.

Römische und Konstantinopeler
Depeschen besagen übereinstimmend, daß die Groß-
mächte
erneut gemeinsame Schritte in Rom
und Konstantinopel zur Herbeiführung eines beiderseits
ehrenvollen Friedens vorbereiten. Die Romreise des deut-
schen Staatssekretärs v. Kiderlen-Waechter habe haupt-
sächlich der Friedensfrage gegolten.

Die Beschlagnahme des "Manuba".
Die Gefangenen werden auf ihre ärztlichen Kenntnisse
geprüft.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Gegenüber der Verlautbarung der "Compagne Mixte",
daß die auf dem Dampfer "Manuba" angetroffenen 29
Türken Aerzte und Krankenwärter des roten
Halbmondes seien, erklärt die "Agenzia Stefani", daß die
genannten Türken, welche versuchten, Marseille heim-
lich
zu verlassen, weder in Marseille noch anderswo chi-
rurgisches Material gekauft hätten und daß der Zweifel
an ihrer Eigenschaft als Aerzte auch dadurch gerechtfer-
tigt sei, daß einige sich als Rechnungsbeamte aus-
gaben und im Besitze bedeutender Summen (Cheks auf
1,000.000 Franks) seien.

Um die Eigenschaft der angehaltenen Türken genau
festzustellen, ist eine Untersuchung im Zuge, die von Per-
sonen von besonderer ärztlicher Kompetenz geleitet wird.




Eigenmächtigkeiten des Botschafters Barrere?

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Außerordentliches Befremden erregt hier die Tatsache, daß
der Kapitän des Dampfers "Manuba" behauptet, er habe
infolge Weisung der französischen Bot-
schaft in Rom
die türk. Reisenden ausgeliefert,
während das Ministerium des Aeußern erklärt, den Ge-
schäftsträger in Rom beauftragt zu haben, auf Grund
der Haager Konvention gegen jeden Versuch der italieni-
schen Behörden auf Auslieferung der türkischen Reisenden
entschiedenst zu protestieren.

Die Auffassung in Paris.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Dem "Echo de Paris" zufolge sind die hiesigen politischen
Kreise von der Haltung der Italiener auf das Tiefste
verletzt
und glauben, Italien wolle Zeit gewinnen, um
den Streitfall dem Haager Schiedsgericht zu unterbreiten.

Verschärfung des Zwischenfalles.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Die "Agence Havas" meldet aus Rom: Die französische
Regierung gab die Absicht kund, von der italienischen Re-
gierung die Auslieferung der 29 Türken vom Dampfer
"Manuba" zu verlangen, weil es ausschließlich Sache der
französischen Regierung sei, deren Identität
festzustellen und sicherzustellen, ob die Passagiere türkische
Offiziere seien, wie die italienische Regierung angibt oder
ob sie im Dienste des roten Halbmondes stehen, wie es
die türkische Regierung behauptet.




Kurze Nachrichten

Der Münchner Erzbischof
Dr. v. Bettinger wurde vom Kultusminister auf
Grund des § 57 des Religionsediktes zur Verant-
wortung
gezogen, weil er am Schlusse eines Vortrages,
den ein Jesuitenpater hielt, eine Ansprache an die Ver-
sammlung richtete. Die Untersuchung gegen den Erzbischof
wurde überhaupt wegen seines Verhaltens in der Jesuiten-
frage eingeleitet. Der Erzbischof und die ihm unterstehende
Geistlichkeit haben es nämlich trotz des von der Regierung
erlassenen Verbotes zugelassen, daß Jesuiten aus dem
Kloster Feldkirch in Vorarlberg nach Bayern
kamen und hier Missionen abhielten. Da sie gegen Anders-
gläubige hetzten, kam es oft zu unliebsamen Szenen.


Czernowitzer Allgemeine Zeitung 23. Jänner 1912

[Spaltenumbruch]

wahren Volksvertretern und nicht aus faſt lauter Reprä-
ſentanten des polniſchen Adels beſtehen werde.

Landmarſchall Graf Badeni konſtatierte darauf
auf Verlangen des Abg. Lewicki die Beſchlußfähigkeit
des Hauſes, worauf dieſes den Antrag auf Schluß der
Sitzung mit allen gegen die Stimmen der Ruthenen ab-
lehnte.

Nach Uebergang zur Tagesordnung ſetzte die tech-
niſche Obſtruktion der ukrainiſchen Abgeordneten,
die ſich zu dieſem Zwecke alle möglichen Inſtrumente mit-
gebracht hatten, mit voller Kraft wieder ein. Nichtsdeſto-
weniger wurde die Tagesordnung vollſtändig erſchöpft,
worauf die Abgeordneten Dr. Leo, Michalowski und
Waſung ihre Dringlichkeitsanträge betreffend die Er-
höhung der Lehrergehälter begründeten. Nachdem dieſe
Anträge der Schulkommiſſion zugewieſen worden waren,
ſchloß der Landmarſchall die Sitzung um einviertel zwei
Uhr nachmittags und ſetzte als Tag der nächſten Sitzung
den 25. Jänner feſt.

Die Ausgleichskonferenzen.

In der vorletzten polniſch-ru-
theniſchen Konferenz erklärten ſich die Polen mit der ge-
ſetzlichen Sicherſtellung der rutheniſchen Mandate einver-
ſtanden, weshalb es ſich nunmehr hauptſächlich nur noch
um die Frage der prozentuellen Feſtſetzung der Anzahl der
rutheniſchen Mandate handelt. Geſtern nachmittags wur-
den die Ausgleichsverhandlungen fortgeſetzt und insbe-
ſondere die künftige Zuſammenſetzung des Landesaus-
ſchuſſes und der einzelnen Kommiſſionen und die Wünſche
der Ruthenen in dieſer Hinſicht beſprochen. An den Aus-
gleichsverhandlungen nehmen teil: namens der Landtads-
rechten Abg. Abrahamowicz, namens des Zentrums
Abg. W. Czartoryski, namens der Landtagslinken
Abg. Dr. Leo, namens der polniſchen Volkspartei Abg.
Stapinski, beziehungsweiſe in deſſen Vertretung
Abg. Stefczyk, namens der Jungruthenen die Abge-
ordneten Dr. K. Lewicki, Makuch und Dr. Petru-
szewicz,
namens der Altruthenen Abg. Dr. Korol,
ferner der Referent in der Wahlreformfrage Abg. Doktor
Starzynski, der Statthalter Dr. Bobrzynski
und der Landmarſchall Graf Badeni.




Die deutſch-czechiſchen Verhandlungen.

Zu den Prager und Wiener
deutſch-czechiſchen Verhandlungen ſchreibt der „Cas“:
Trotz aller Schönfärberei kann man ſagen, daß keine
Rede
davon iſt, daß ein halbwegs möglicher Frieden
zwiſchen den bei den Nation
en zuſtande kommt.
Die Regierung iſt auch gar nicht in die Verhandlungen
in einer Weiſe eingetreten, die darauf ſchließen läßt, daß
ſie einen wirklichen Erfolg erwartet. Sie arbeitet offen-
kundig nur, damit etwas zu geſchehen ſcheint. Baron
Heinold hört bei den Beſprechungen faſt teilnahmslos
zu und weiſt bei jedem Worte darauf hin, daß alles, was
er ſagt, nur ganz unverbindlich ſei. Er müſſe erſt Zu-
ſtimmung, Anſicht und Standpunkt der Geſamtregierung
einholen. Nur in einem Punkte ſcheint ſich die Regierung
klar zu ſein, nämlich, daß die Wünſche der Deut-
ſchen
in der Frage des geteilten Beamtenſtatus uner-
füllbar
ſind. Der Regierung iſt es endlich klar, daß
bei der Errichtung geteilter nationaler Beamtengruppen
in Böhmen ſolche nicht nur in Mähren und Schleſien,
ſondern ſpäter auch in Steiermark, Krain, im Küſtenlande
und in Galizien errichtet werden müſſen. Was dann der
Staat mit einem deutſchen, czechiſchen, ſloveniſchen,
polniſchen, rutheniſchen und italieniſchen Beamtenſtatus
anfangen ſoll, iſt unfaßbar. Abgeſehen von allen ſachlichen
Schwierigkeiten, politiſch iſt die Sache einfach unmöglich.
Früher hat man für das Zuſtandekommen eines deutſch-
czechiſchen Ausgleiches die höchſten Preiſe ausgeſetzt. Dr.
v. Körber hat ſogar einen Vorſchuß von tauſend Millionen
Kronen gezahlt — jetzt haben die Parteien nur einen
Preis. Wenn der deutſch-czechiſche Ausgleich zuſtande-
kommt, dürfen Deutſche und Czechen für die Steuer- und
Wehrvorlagen ſtimmen. Das iſt verteufelt wenig.




Graf Aehrenthal.

Wie das „N. W. Tagbl.“ meldet,
dürfte Graf Aehrenthal nach den Delegationen einen Ur-
laub nehmen und nach der Rückkehr vom Urlaub,
wenn ſeine Wiederherſtellung ſo weit vorgeſchritten
ſein wird, die Leitung der Geſchäfte übernehmen.

Der Berliner Korreſpondent des
„N. Wr. Tagbl.“ iſt zu folgender Erklärung ermächtigt:
„In den politiſchen Kreiſen Berlins wird mehr und mehr
mit Befremden wahrgenomen, daß die perſönlichen
Angriffe gegen den Grafen Aehrenthal in gewiſſen
Wiener Blättern immer wieder mit Beſchwerden der deut-
ſchen Politik über die Haltung des Miniſters des Auswär-
tigen Oeſterreich-Ungarns begründet waren. Man erklärt
hier, daß die Berufung auf angebliche deut-
ſche Beſchwerdengegen
den Grafen Aehren-
thal haltlos iſt.
Man fügt hinzu, daß gerade in dem
Kernpunkt der gegen Aehrenthal erhobenen Vorwürfe,
nämlich in der ſorgſamen Behandlung des Verhältniſſes
zu dem verbündeten Italien, die Anſichten der maßgeben-
den deutſchen Stellen durchaus mit der vom G[r]afen
Aehrenthal gewählten und konſtant feſtgehaltenen Tonart
zuſammenſtimmen.“




Der Veſuch des Thronfolgers in Berlin

Die Meldung, daß Erzherzog Franz Ferdinand dem
deutſchen Kaiſerhofe einen Beſuch abſtatten wird, beſtä-
tigt ſich. Der Erzherzog wird als Pate bei der Taufe des
jüngſten Sohnes des Kronprinzenpaares fungieren. Viel-
[Spaltenumbruch] leicht iſt der Umſtand nicht ohne Bedeutung, daß auch die
Königin von Italien beim jüngſten Prinzen des Hohen-
zollernhauſes Patin ſtehen wird. Wahrſcheinlich wird
in der Uebernahme dieſes Ehrenamtes durch Königin
Helene auch die Abſicht einer Widerlegung gewiſſer Ge-
rüchte zu erblicken ſein, welche der Königin nachſagten,
daß ſie in jüngſter Zeit ihren perſönlichen Einfluß des
öfteren gegen die Intereſſen der Dreibundpolitik und
ihres Fortbeſtandes gekehrt habe. Auf dieſe politiſche
Taufangelegenheit, mit welcher ſich ſogar vielleicht auch die
Romreiſe Kiderlen-Waechters beſchäftigt haben mag, neh-
men folgende Meldungen Bezug:

Die halboffiziöſe Korreſpondenz
„Wilhelm“ beſtätigt, daß Erzherzog Franz Fer-
dinand
am 28. d. M. in Berlin eintrifft, wo der Erz-
herzog auf Einladung des deutſchen Kronprinzenpaares
als Pate bei der Taufe des jüngſt geborenen Sohnes
des Kronprinzen fungieren wird.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Königin Helene nahm die Patenſtelle bei dem
neugeborenen Sohne des deutſchen Kronprinzen an.




Die Romreiſe Kiderlen-Waechters.

Staatsſekretär v. Kiderlen-
Waechter
begab ſich geſtern mittags zur Conſulta, um
den Miniſter des Aeußern Marquis di San Giulia no
zu beſuchen. Er verweilte ungefähr eine Stunde bei ihm.
Um 1 Uhr nachmittags fand in der deutſchen Botſchaft ein
Frühſtück ſtatt. Später begab ſich di San Giuliano wie-
derum nach der deutſchen Botſchaft, um den Beſuch des
Staatsſekretärs zu erwidern. An dem Frühſtück, das der
deutſche Botſchafter v. Jagow heute zu Ehren des Staats-
ſekretärs v. Kiderlen-Waechter gab, nahmen Miniſterprä-
ſident Giolitti und Miniſter des Aeußern di San
Giuliano
teil.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Staatsſekretär Kiderlen-Wächter ſtattete Merry
del Val
einen Beſuch ab.

An dem Dejeuner, das im deutſchen Konſulate zu
Ehren Kiderlen-Wächters ſtattfand, nahmen Miniſter-
präſident Giolitti, nahezu ſämtliche Miniſter
und Exz. v. Bülow teil. Um Mitternacht reiſte Kiderlen
nach Berlin ab.

Der Empfang beim König.

Staatsſekretär v. Kiderlen-Waech-
ter wurde geſtern abends nach ſieben Uhr vom König
empfangen,
der ihm das Großkreuz des Mauritius-
und Lazarusordens verlieh. Um 8 Uhr fand Hoftafel
ſtatt. Staatsſekretär v. Kiderlen-Waechter und Marquis
di San Giuliano ſaßen zur Linken der Königin. Es wurde
viel bemerkt, daß die beiden Staatsmänner mehrere lang-
andauernde Unterhaltungen führten.




Das Ableben des päpſtlichen Nuntius
Bavona.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Der „Oſſervatore Romano“ meldet: Kaiſer Franz
Joſef
ſprach, telegraphiſch dem Papſte ſeinen tiefen
Schmerz über das Ableben des Nuntius Bavona aus
und drückte den überaus lebhaften Anteil aus, den er an
der Trauer des heiligen Stuhles nehme.

Der öſterr.-ung. Botſchafter drückte dem Papſte und
Merry del Val das Beileid der öſterreichiſchen und der un-
gariſchen Regierung aus.




Die Stichwahlen im Deutſchen Reiche.

Von den 191 Stichwahlen, die im deutſchen Reiche
noch auszufechten waren, ſind geſtern 78 vollzogen worden.
Das Stichwahlbild war für die liberalen Parteien fol-
gendes:

Es ſtanden gegen das Zentrum die Nationalliberalen
in 12 Wahlkreiſen, in denen bis auf einen die Sozialde-
mokraten den Ausſchlag gaben, gegen Konſervative in 10,
gegen die Sozialdemokraten in 38 Wahlkreiſen. Die fort-
ſchrittliche Volkspartei ſteht gegen 21 Konſervative und
29 Sozialdemokraten, die Sozialdemokraten gegen 34
Konſervative und 11 Zentrumskandidaten.

An dieſer Situation hat der erſte Stichwahltag nach-
ſtehende Aenderungen vollzogen:

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Bisherige Reſultate der Reichsratsſtichwahlen: Gewählt
wurden: 9 Konſervative, 6 Reichspartei, 2 deutſche Re-
formpartei, 4 wirtſchaftl. Vereinigung 21 Nationalliberale,
17 fortſchrittliche Volkspartei, 7 Zen-
trum, 8 Sozial
de mokraten, 2 Welfen, 1 Bauern-
bündler und 1 Wilder.

Die Konſervativen gewinnen drei und verlieren
fünf Mandate, die Reichspartei verliert ein Mandat und
gewinnt eines, die wirtſchaftliche Vereinigung gewinnt
ein und verliert zwei Mandate, die Nationalliberalen ge-
winnen zehn und verlieren ſechs, die fortſchrittliche Volks-
partei gewinnt acht und verliert ein, das Zentrum ge-
winnt zwei und verliert fünf, die Sozialdemokraten ge-
winnen acht und verlieren fünf, die Welfen gewinnen
zwei Mandate und der Bauernbund gewinnt ein Mandat.




Der italieniſch-türkiſche Krieg.
Die „Carthago“.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Der Dampfer „Carthago“ iſt geſtern hier eingelaufen.


[Spaltenumbruch]
Die Kämpfe bei Tripolis.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Die „Agenzia Stefani“ meldet aus Tripolis: Nach Be-
endigung der nötigen Sicherungsarbeiten wurde die Oaſe
Gargareſch geſtern definitiv beſetzt.

Wechſel im italieniſchen Oberkommando?

Ein umfaſſender Wechſel in
den höheren Kommandoſtellen der Truppen in Tripolis
ſteht, der „Sera“ zufolge, bevor. General Caneva,
der ſeit Beginn der Operationen es angeblich an der nö-
tigen Energie fehlen ließ, ſoll durch General Frugoni
erſetzt werden. Auch andere Generale ſollen abberufen
werden.

Ausdehnung des Krieges zur See.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Die „Agenzia Stefani“ meldet: Der Miniſter des Aeu-
ßern notifizierte ſämtlichen in Rom akkreditierten Bot-
ſchaften und Geſandtſchaften eine Erklärung, nach welcher
mit Rückſicht auf den Kriegszuſtand zwiſchen Italien und
der Türkei, die italieniſche Regierung, indem ſie ſich an
die Beſtimmungen des Völkerrechtes hält, erklärt, daß
vom 22. Jänner die ottomaniſche Küſte des
roten Meeres
von Ras Iſa (nördlich von Ho-
deida) bis Ras Galefka (ſüdlich Hodeidas) von den
Seeſtreitkräften des Königreiches im Zuſtand einer
effektiven Blokade gehalten werden wird.

Den neutralen Schiffen wird eine Friſt behufs
ungehinderter Entfernung aus dem Bereiche
der Blokade gegeben.

Gegen jedes Fahrzeug, das verſuchen ſollte, die Blo-
kade zu verletzen, wird gemäß der völkerrechtlichen Beſtim-
mungen vorgegangen.

Die Friedensbeſtrebungen der Mächte.

Römiſche und Konſtantinopeler
Depeſchen beſagen übereinſtimmend, daß die Groß-
mächte
erneut gemeinſame Schritte in Rom
und Konſtantinopel zur Herbeiführung eines beiderſeits
ehrenvollen Friedens vorbereiten. Die Romreiſe des deut-
ſchen Staatsſekretärs v. Kiderlen-Waechter habe haupt-
ſächlich der Friedensfrage gegolten.

Die Beſchlagnahme des „Manuba“.
Die Gefangenen werden auf ihre ärztlichen Kenntniſſe
geprüft.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Gegenüber der Verlautbarung der „Compagne Mixte“,
daß die auf dem Dampfer „Manuba“ angetroffenen 29
Türken Aerzte und Krankenwärter des roten
Halbmondes ſeien, erklärt die „Agenzia Stefani“, daß die
genannten Türken, welche verſuchten, Marſeille heim-
lich
zu verlaſſen, weder in Marſeille noch anderswo chi-
rurgiſches Material gekauft hätten und daß der Zweifel
an ihrer Eigenſchaft als Aerzte auch dadurch gerechtfer-
tigt ſei, daß einige ſich als Rechnungsbeamte aus-
gaben und im Beſitze bedeutender Summen (Cheks auf
1,000.000 Franks) ſeien.

Um die Eigenſchaft der angehaltenen Türken genau
feſtzuſtellen, iſt eine Unterſuchung im Zuge, die von Per-
ſonen von beſonderer ärztlicher Kompetenz geleitet wird.




Eigenmächtigkeiten des Botſchafters Barrere?

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Außerordentliches Befremden erregt hier die Tatſache, daß
der Kapitän des Dampfers „Manuba“ behauptet, er habe
infolge Weiſung der franzöſiſchen Bot-
ſchaft in Rom
die türk. Reiſenden ausgeliefert,
während das Miniſterium des Aeußern erklärt, den Ge-
ſchäftsträger in Rom beauftragt zu haben, auf Grund
der Haager Konvention gegen jeden Verſuch der italieni-
ſchen Behörden auf Auslieferung der türkiſchen Reiſenden
entſchiedenſt zu proteſtieren.

Die Auffaſſung in Paris.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Dem „Echo de Paris“ zufolge ſind die hieſigen politiſchen
Kreiſe von der Haltung der Italiener auf das Tiefſte
verletzt
und glauben, Italien wolle Zeit gewinnen, um
den Streitfall dem Haager Schiedsgericht zu unterbreiten.

Verſchärfung des Zwiſchenfalles.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Die „Agence Havas“ meldet aus Rom: Die franzöſiſche
Regierung gab die Abſicht kund, von der italieniſchen Re-
gierung die Auslieferung der 29 Türken vom Dampfer
„Manuba“ zu verlangen, weil es ausſchließlich Sache der
franzöſiſchen Regierung ſei, deren Identität
feſtzuſtellen und ſicherzuſtellen, ob die Paſſagiere türkiſche
Offiziere ſeien, wie die italieniſche Regierung angibt oder
ob ſie im Dienſte des roten Halbmondes ſtehen, wie es
die türkiſche Regierung behauptet.




Kurze Nachrichten

Der Münchner Erzbiſchof
Dr. v. Bettinger wurde vom Kultusminiſter auf
Grund des § 57 des Religionsediktes zur Verant-
wortung
gezogen, weil er am Schluſſe eines Vortrages,
den ein Jeſuitenpater hielt, eine Anſprache an die Ver-
ſammlung richtete. Die Unterſuchung gegen den Erzbiſchof
wurde überhaupt wegen ſeines Verhaltens in der Jeſuiten-
frage eingeleitet. Der Erzbiſchof und die ihm unterſtehende
Geiſtlichkeit haben es nämlich trotz des von der Regierung
erlaſſenen Verbotes zugelaſſen, daß Jeſuiten aus dem
Kloſter Feldkirch in Vorarlberg nach Bayern
kamen und hier Miſſionen abhielten. Da ſie gegen Anders-
gläubige hetzten, kam es oft zu unliebſamen Szenen.


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[2/0002] Czernowitzer Allgemeine Zeitung 23. Jänner 1912 wahren Volksvertretern und nicht aus faſt lauter Reprä- ſentanten des polniſchen Adels beſtehen werde. Landmarſchall Graf Badeni konſtatierte darauf auf Verlangen des Abg. Lewicki die Beſchlußfähigkeit des Hauſes, worauf dieſes den Antrag auf Schluß der Sitzung mit allen gegen die Stimmen der Ruthenen ab- lehnte. Nach Uebergang zur Tagesordnung ſetzte die tech- niſche Obſtruktion der ukrainiſchen Abgeordneten, die ſich zu dieſem Zwecke alle möglichen Inſtrumente mit- gebracht hatten, mit voller Kraft wieder ein. Nichtsdeſto- weniger wurde die Tagesordnung vollſtändig erſchöpft, worauf die Abgeordneten Dr. Leo, Michalowski und Waſung ihre Dringlichkeitsanträge betreffend die Er- höhung der Lehrergehälter begründeten. Nachdem dieſe Anträge der Schulkommiſſion zugewieſen worden waren, ſchloß der Landmarſchall die Sitzung um einviertel zwei Uhr nachmittags und ſetzte als Tag der nächſten Sitzung den 25. Jänner feſt. Die Ausgleichskonferenzen. Lemberg, 21. Jänner. In der vorletzten polniſch-ru- theniſchen Konferenz erklärten ſich die Polen mit der ge- ſetzlichen Sicherſtellung der rutheniſchen Mandate einver- ſtanden, weshalb es ſich nunmehr hauptſächlich nur noch um die Frage der prozentuellen Feſtſetzung der Anzahl der rutheniſchen Mandate handelt. Geſtern nachmittags wur- den die Ausgleichsverhandlungen fortgeſetzt und insbe- ſondere die künftige Zuſammenſetzung des Landesaus- ſchuſſes und der einzelnen Kommiſſionen und die Wünſche der Ruthenen in dieſer Hinſicht beſprochen. An den Aus- gleichsverhandlungen nehmen teil: namens der Landtads- rechten Abg. Abrahamowicz, namens des Zentrums Abg. W. Czartoryski, namens der Landtagslinken Abg. Dr. Leo, namens der polniſchen Volkspartei Abg. Stapinski, beziehungsweiſe in deſſen Vertretung Abg. Stefczyk, namens der Jungruthenen die Abge- ordneten Dr. K. Lewicki, Makuch und Dr. Petru- szewicz, namens der Altruthenen Abg. Dr. Korol, ferner der Referent in der Wahlreformfrage Abg. Doktor Starzynski, der Statthalter Dr. Bobrzynski und der Landmarſchall Graf Badeni. Die deutſch-czechiſchen Verhandlungen. Prag, 21. Jänner. Zu den Prager und Wiener deutſch-czechiſchen Verhandlungen ſchreibt der „Cas“: Trotz aller Schönfärberei kann man ſagen, daß keine Rede davon iſt, daß ein halbwegs möglicher Frieden zwiſchen den bei den Nation en zuſtande kommt. Die Regierung iſt auch gar nicht in die Verhandlungen in einer Weiſe eingetreten, die darauf ſchließen läßt, daß ſie einen wirklichen Erfolg erwartet. Sie arbeitet offen- kundig nur, damit etwas zu geſchehen ſcheint. Baron Heinold hört bei den Beſprechungen faſt teilnahmslos zu und weiſt bei jedem Worte darauf hin, daß alles, was er ſagt, nur ganz unverbindlich ſei. Er müſſe erſt Zu- ſtimmung, Anſicht und Standpunkt der Geſamtregierung einholen. Nur in einem Punkte ſcheint ſich die Regierung klar zu ſein, nämlich, daß die Wünſche der Deut- ſchen in der Frage des geteilten Beamtenſtatus uner- füllbar ſind. Der Regierung iſt es endlich klar, daß bei der Errichtung geteilter nationaler Beamtengruppen in Böhmen ſolche nicht nur in Mähren und Schleſien, ſondern ſpäter auch in Steiermark, Krain, im Küſtenlande und in Galizien errichtet werden müſſen. Was dann der Staat mit einem deutſchen, czechiſchen, ſloveniſchen, polniſchen, rutheniſchen und italieniſchen Beamtenſtatus anfangen ſoll, iſt unfaßbar. Abgeſehen von allen ſachlichen Schwierigkeiten, politiſch iſt die Sache einfach unmöglich. Früher hat man für das Zuſtandekommen eines deutſch- czechiſchen Ausgleiches die höchſten Preiſe ausgeſetzt. Dr. v. Körber hat ſogar einen Vorſchuß von tauſend Millionen Kronen gezahlt — jetzt haben die Parteien nur einen Preis. Wenn der deutſch-czechiſche Ausgleich zuſtande- kommt, dürfen Deutſche und Czechen für die Steuer- und Wehrvorlagen ſtimmen. Das iſt verteufelt wenig. Graf Aehrenthal. Wien, 21. Jänner. Wie das „N. W. Tagbl.“ meldet, dürfte Graf Aehrenthal nach den Delegationen einen Ur- laub nehmen und nach der Rückkehr vom Urlaub, wenn ſeine Wiederherſtellung ſo weit vorgeſchritten ſein wird, die Leitung der Geſchäfte übernehmen. Wien, 21. Jänner. Der Berliner Korreſpondent des „N. Wr. Tagbl.“ iſt zu folgender Erklärung ermächtigt: „In den politiſchen Kreiſen Berlins wird mehr und mehr mit Befremden wahrgenomen, daß die perſönlichen Angriffe gegen den Grafen Aehrenthal in gewiſſen Wiener Blättern immer wieder mit Beſchwerden der deut- ſchen Politik über die Haltung des Miniſters des Auswär- tigen Oeſterreich-Ungarns begründet waren. Man erklärt hier, daß die Berufung auf angebliche deut- ſche Beſchwerdengegen den Grafen Aehren- thal haltlos iſt. Man fügt hinzu, daß gerade in dem Kernpunkt der gegen Aehrenthal erhobenen Vorwürfe, nämlich in der ſorgſamen Behandlung des Verhältniſſes zu dem verbündeten Italien, die Anſichten der maßgeben- den deutſchen Stellen durchaus mit der vom Grafen Aehrenthal gewählten und konſtant feſtgehaltenen Tonart zuſammenſtimmen.“ Der Veſuch des Thronfolgers in Berlin Die Meldung, daß Erzherzog Franz Ferdinand dem deutſchen Kaiſerhofe einen Beſuch abſtatten wird, beſtä- tigt ſich. Der Erzherzog wird als Pate bei der Taufe des jüngſten Sohnes des Kronprinzenpaares fungieren. Viel- leicht iſt der Umſtand nicht ohne Bedeutung, daß auch die Königin von Italien beim jüngſten Prinzen des Hohen- zollernhauſes Patin ſtehen wird. Wahrſcheinlich wird in der Uebernahme dieſes Ehrenamtes durch Königin Helene auch die Abſicht einer Widerlegung gewiſſer Ge- rüchte zu erblicken ſein, welche der Königin nachſagten, daß ſie in jüngſter Zeit ihren perſönlichen Einfluß des öfteren gegen die Intereſſen der Dreibundpolitik und ihres Fortbeſtandes gekehrt habe. Auf dieſe politiſche Taufangelegenheit, mit welcher ſich ſogar vielleicht auch die Romreiſe Kiderlen-Waechters beſchäftigt haben mag, neh- men folgende Meldungen Bezug: Wien, 21. Jänner. Die halboffiziöſe Korreſpondenz „Wilhelm“ beſtätigt, daß Erzherzog Franz Fer- dinand am 28. d. M. in Berlin eintrifft, wo der Erz- herzog auf Einladung des deutſchen Kronprinzenpaares als Pate bei der Taufe des jüngſt geborenen Sohnes des Kronprinzen fungieren wird. KB. Rom, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Königin Helene nahm die Patenſtelle bei dem neugeborenen Sohne des deutſchen Kronprinzen an. Die Romreiſe Kiderlen-Waechters. Rom, 21. Jänner. Staatsſekretär v. Kiderlen- Waechter begab ſich geſtern mittags zur Conſulta, um den Miniſter des Aeußern Marquis di San Giulia no zu beſuchen. Er verweilte ungefähr eine Stunde bei ihm. Um 1 Uhr nachmittags fand in der deutſchen Botſchaft ein Frühſtück ſtatt. Später begab ſich di San Giuliano wie- derum nach der deutſchen Botſchaft, um den Beſuch des Staatsſekretärs zu erwidern. An dem Frühſtück, das der deutſche Botſchafter v. Jagow heute zu Ehren des Staats- ſekretärs v. Kiderlen-Waechter gab, nahmen Miniſterprä- ſident Giolitti und Miniſter des Aeußern di San Giuliano teil. KB. Rom, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Staatsſekretär Kiderlen-Wächter ſtattete Merry del Val einen Beſuch ab. An dem Dejeuner, das im deutſchen Konſulate zu Ehren Kiderlen-Wächters ſtattfand, nahmen Miniſter- präſident Giolitti, nahezu ſämtliche Miniſter und Exz. v. Bülow teil. Um Mitternacht reiſte Kiderlen nach Berlin ab. Der Empfang beim König. Rom, 21. Jänner. Staatsſekretär v. Kiderlen-Waech- ter wurde geſtern abends nach ſieben Uhr vom König empfangen, der ihm das Großkreuz des Mauritius- und Lazarusordens verlieh. Um 8 Uhr fand Hoftafel ſtatt. Staatsſekretär v. Kiderlen-Waechter und Marquis di San Giuliano ſaßen zur Linken der Königin. Es wurde viel bemerkt, daß die beiden Staatsmänner mehrere lang- andauernde Unterhaltungen führten. Das Ableben des päpſtlichen Nuntius Bavona. KB. Rom, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Der „Oſſervatore Romano“ meldet: Kaiſer Franz Joſef ſprach, telegraphiſch dem Papſte ſeinen tiefen Schmerz über das Ableben des Nuntius Bavona aus und drückte den überaus lebhaften Anteil aus, den er an der Trauer des heiligen Stuhles nehme. Der öſterr.-ung. Botſchafter drückte dem Papſte und Merry del Val das Beileid der öſterreichiſchen und der un- gariſchen Regierung aus. Die Stichwahlen im Deutſchen Reiche. Von den 191 Stichwahlen, die im deutſchen Reiche noch auszufechten waren, ſind geſtern 78 vollzogen worden. Das Stichwahlbild war für die liberalen Parteien fol- gendes: Es ſtanden gegen das Zentrum die Nationalliberalen in 12 Wahlkreiſen, in denen bis auf einen die Sozialde- mokraten den Ausſchlag gaben, gegen Konſervative in 10, gegen die Sozialdemokraten in 38 Wahlkreiſen. Die fort- ſchrittliche Volkspartei ſteht gegen 21 Konſervative und 29 Sozialdemokraten, die Sozialdemokraten gegen 34 Konſervative und 11 Zentrumskandidaten. An dieſer Situation hat der erſte Stichwahltag nach- ſtehende Aenderungen vollzogen: KB. Berlin, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Bisherige Reſultate der Reichsratsſtichwahlen: Gewählt wurden: 9 Konſervative, 6 Reichspartei, 2 deutſche Re- formpartei, 4 wirtſchaftl. Vereinigung 21 Nationalliberale, 17 fortſchrittliche Volkspartei, 7 Zen- trum, 8 Sozial de mokraten, 2 Welfen, 1 Bauern- bündler und 1 Wilder. Die Konſervativen gewinnen drei und verlieren fünf Mandate, die Reichspartei verliert ein Mandat und gewinnt eines, die wirtſchaftliche Vereinigung gewinnt ein und verliert zwei Mandate, die Nationalliberalen ge- winnen zehn und verlieren ſechs, die fortſchrittliche Volks- partei gewinnt acht und verliert ein, das Zentrum ge- winnt zwei und verliert fünf, die Sozialdemokraten ge- winnen acht und verlieren fünf, die Welfen gewinnen zwei Mandate und der Bauernbund gewinnt ein Mandat. Der italieniſch-türkiſche Krieg. Die „Carthago“. KB. Tunis, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Der Dampfer „Carthago“ iſt geſtern hier eingelaufen. Die Kämpfe bei Tripolis. KB. Rom, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die „Agenzia Stefani“ meldet aus Tripolis: Nach Be- endigung der nötigen Sicherungsarbeiten wurde die Oaſe Gargareſch geſtern definitiv beſetzt. Wechſel im italieniſchen Oberkommando? Mailand, 21. Jänner. Ein umfaſſender Wechſel in den höheren Kommandoſtellen der Truppen in Tripolis ſteht, der „Sera“ zufolge, bevor. General Caneva, der ſeit Beginn der Operationen es angeblich an der nö- tigen Energie fehlen ließ, ſoll durch General Frugoni erſetzt werden. Auch andere Generale ſollen abberufen werden. Ausdehnung des Krieges zur See. KB. Rom, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die „Agenzia Stefani“ meldet: Der Miniſter des Aeu- ßern notifizierte ſämtlichen in Rom akkreditierten Bot- ſchaften und Geſandtſchaften eine Erklärung, nach welcher mit Rückſicht auf den Kriegszuſtand zwiſchen Italien und der Türkei, die italieniſche Regierung, indem ſie ſich an die Beſtimmungen des Völkerrechtes hält, erklärt, daß vom 22. Jänner die ottomaniſche Küſte des roten Meeres von Ras Iſa (nördlich von Ho- deida) bis Ras Galefka (ſüdlich Hodeidas) von den Seeſtreitkräften des Königreiches im Zuſtand einer effektiven Blokade gehalten werden wird. Den neutralen Schiffen wird eine Friſt behufs ungehinderter Entfernung aus dem Bereiche der Blokade gegeben. Gegen jedes Fahrzeug, das verſuchen ſollte, die Blo- kade zu verletzen, wird gemäß der völkerrechtlichen Beſtim- mungen vorgegangen. Die Friedensbeſtrebungen der Mächte. Köln, 21. Jänner. Römiſche und Konſtantinopeler Depeſchen beſagen übereinſtimmend, daß die Groß- mächte erneut gemeinſame Schritte in Rom und Konſtantinopel zur Herbeiführung eines beiderſeits ehrenvollen Friedens vorbereiten. Die Romreiſe des deut- ſchen Staatsſekretärs v. Kiderlen-Waechter habe haupt- ſächlich der Friedensfrage gegolten. Die Beſchlagnahme des „Manuba“. Die Gefangenen werden auf ihre ärztlichen Kenntniſſe geprüft. KB. Rom, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Gegenüber der Verlautbarung der „Compagne Mixte“, daß die auf dem Dampfer „Manuba“ angetroffenen 29 Türken Aerzte und Krankenwärter des roten Halbmondes ſeien, erklärt die „Agenzia Stefani“, daß die genannten Türken, welche verſuchten, Marſeille heim- lich zu verlaſſen, weder in Marſeille noch anderswo chi- rurgiſches Material gekauft hätten und daß der Zweifel an ihrer Eigenſchaft als Aerzte auch dadurch gerechtfer- tigt ſei, daß einige ſich als Rechnungsbeamte aus- gaben und im Beſitze bedeutender Summen (Cheks auf 1,000.000 Franks) ſeien. Um die Eigenſchaft der angehaltenen Türken genau feſtzuſtellen, iſt eine Unterſuchung im Zuge, die von Per- ſonen von beſonderer ärztlicher Kompetenz geleitet wird. Eigenmächtigkeiten des Botſchafters Barrere? KB. Paris, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Außerordentliches Befremden erregt hier die Tatſache, daß der Kapitän des Dampfers „Manuba“ behauptet, er habe infolge Weiſung der franzöſiſchen Bot- ſchaft in Rom die türk. Reiſenden ausgeliefert, während das Miniſterium des Aeußern erklärt, den Ge- ſchäftsträger in Rom beauftragt zu haben, auf Grund der Haager Konvention gegen jeden Verſuch der italieni- ſchen Behörden auf Auslieferung der türkiſchen Reiſenden entſchiedenſt zu proteſtieren. Die Auffaſſung in Paris. KB. Paris, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Dem „Echo de Paris“ zufolge ſind die hieſigen politiſchen Kreiſe von der Haltung der Italiener auf das Tiefſte verletzt und glauben, Italien wolle Zeit gewinnen, um den Streitfall dem Haager Schiedsgericht zu unterbreiten. Verſchärfung des Zwiſchenfalles. KB. Paris, 21. Jänner. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die „Agence Havas“ meldet aus Rom: Die franzöſiſche Regierung gab die Abſicht kund, von der italieniſchen Re- gierung die Auslieferung der 29 Türken vom Dampfer „Manuba“ zu verlangen, weil es ausſchließlich Sache der franzöſiſchen Regierung ſei, deren Identität feſtzuſtellen und ſicherzuſtellen, ob die Paſſagiere türkiſche Offiziere ſeien, wie die italieniſche Regierung angibt oder ob ſie im Dienſte des roten Halbmondes ſtehen, wie es die türkiſche Regierung behauptet. Kurze Nachrichten München, 21. Jänner. Der Münchner Erzbiſchof Dr. v. Bettinger wurde vom Kultusminiſter auf Grund des § 57 des Religionsediktes zur Verant- wortung gezogen, weil er am Schluſſe eines Vortrages, den ein Jeſuitenpater hielt, eine Anſprache an die Ver- ſammlung richtete. Die Unterſuchung gegen den Erzbiſchof wurde überhaupt wegen ſeines Verhaltens in der Jeſuiten- frage eingeleitet. Der Erzbiſchof und die ihm unterſtehende Geiſtlichkeit haben es nämlich trotz des von der Regierung erlaſſenen Verbotes zugelaſſen, daß Jeſuiten aus dem Kloſter Feldkirch in Vorarlberg nach Bayern kamen und hier Miſſionen abhielten. Da ſie gegen Anders- gläubige hetzten, kam es oft zu unliebſamen Szenen.

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2400, Czernowitz, 23.01.1912, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer2400_1912/2>, abgerufen am 21.11.2024.