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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2560, Czernowitz, 06.08.1912.

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Redaktion und Administration:
Ringplatz 4, 2. Stock.




Telephon-Nummer 161.
Druckerei-Telephon-Nr. 332.




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Für Czernowitz
(mit Zustellung ins Haus):
monatl. K 1·80, vierteljähr. K 5·40,
halbj. K 10·80, ganzjähr. K 21·60,
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monatlich K 2, vierteljähr. K 6,
halbjähr. K 12, ganzjähr. K. 24.

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für Rumänien und den Balkan:
vierteljährig .... 10 Lei.




Telegramme: "Allgemeine" Czernowitz


[Spaltenumbruch]
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Ankündigungen:
Es kostet im gewöhnlichen Inse-
ratenteil 12 h die 6mal gespaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einschaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inserate
nehmen alle in- und ausländischen
Inseratenbureaus sowie die Ad-
ministration entgegen. -- Einzel-
exemplare sind in allen Zeitungs-
verschleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
versitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Administration (Ring-
platz 4, 2. St.) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldschmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.

Manuskripte werden in keinem Falle
zurückgesendet, unfrankierte Briefe nicht
angenommen.




Nr. 2560. Czernowitz, Dienstag, den 6. August 1912.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Vom Tage.

Die Audienz des Kriegsministers beim Kaiser hing
mit der Frage der Artillerieforderungen zusammen. --
Die türkische Regierung beschloß auf Grund einer Ver-
fassungsinterpretation des Senates, die Kammer zu
schließen. -- An der montenegrinischen Grenze kam es
neuerlich zu ernsten Zusammenstößen.

Letzte Telegramme.

Die Skodawerke haben sich angeblich erbötig gemacht,
das Rohrmaterial für die Neubewaffnung der Feldartil-
lerie auf eigene Gefahr herzustellen. -- Die türkische
Kammer hat sich der Schließung durch einen Vertagungs-
beschluß entzogen.




Fortschreitende Zersetzung in
der Türkei.


Während die Jungtürken sich der Regierung gegen-
über unmittelbar vor dem Ende oder vor dem Anfang der
großen Auseinandersetzung zu ermannen beginnen, in
der Kammer aufbegehren, Emissäre unter das erregte
Volk entsenden, sich Kundgebungen gegen die Auflösung
telegraphieren lassen und der unschlüssigen, in ihrer Mei-
nung schwankenden zivilen und militärischen Menge den
Leichnam eines erhenkten Offiziers als erstes Wahrzeichen
der kommenden Aera entgegenhalten, -- während zu glei-
cher Zeit die Liga nach Taten ruft und der Aufstand in
Albanien ungeahnte Dimensionen und Richtungen an-
nimmt, trifft das Kabinett die letzten Vorkehrungen zur
Behebung des unhaltbaen inneren Zustandes der Türkei.
Die Krisis steht unmittelbar vor ihrem Höhepunkte und
morgen schon wird Gewißheit darüber bestehen, ob sie zur
Genesung führen soll oder neue noch gewaltigere Konvul-
sionen das krankheitsschwache Reich ergreifen werden. Die
Regierung hat sich vom Senat die Abänderung der Ver-
fassung bewilligen lassen und wird, gestützt auf die An-
schauung dieser Körperschaft, welche die Legislaturperiode
der Kammer für abgelaufen erklärt, das Unterhaus ver-
mutlich noch heute schließen. Morgen vielleicht schon wer-
den, da das Komitee dann nichts mehr zu verlieren hat,
wohl aber noch eine Chance besitzt, wenn der von ihm be-
hauptete Anhang in der Hauptstadt und in der Armee
wirklich besteht, die Gegensätze sich zu messen beginnen; der
düstere innerpolitische Horizont hat sich durch die Auf-
lösung nicht gebessert, nur das Eine bringt sie mit sich, daß
eine Klärung der Lage jetzt unbedingt eintreten muß.


[Spaltenumbruch]

Inzwischen geht es in Albanien drunter und drüber.
Die Malissoren geben sich mit der Forderung nach Auf-
lösung der Kammer nicht mehr zufrieden, sind auf ihre
alten Autonomiewünsche zurückgekommen und erinnern
sich, wie behauptet wird, neuerdings mit großer Vorliebe
der alten guten Zeiten des bamidischen Regimes, in wel-
chen sie ungestört auf einander schießen durften, keine
Steuern zahlten und zeitweilig vom Sultan schöne Ham-
melherden zum Geschenk bekamen. Die Wogen der Erre-
gung fluten hinüber über die Grenzen ins benachbarte
Montenegro, kommen verstärkt zurück, das ganze Land
bis an die Grenzen der österreichisch-ungarischen Monar-
chie ist in hellem Aufruhr und im türkisch-montenegrini-
schen Gebiet hat die Aufregung gestern zu einem blutigen
gefechtartigen Zusammenstoß zwischen Truppen des Sul-
tans und den Bewohnern der Schwarzen Berge geführt,
dem auf beiden Seiten Menschenleben zum Opfer fielen.
Serbien hat angeblich seinen auf Urlaub befindlichen
Kriegsminister zurückberufen und Gerüchte besagen, daß
in den letzten Tagen ein eifriger Verkehr zwischen dem
Belgrader auswärtigen Amte und demjenigen Bulga-
riens herrsche, der den Fortgang der Ereignisse im Norden
der Türkei zum hauptsächlichen Gegenstande habe. Das
sind neue Momente, neben welchen die leise empordäm-
mernde Friedensahnung keinen rechten Eindruck erzielt.
Die Lage am Balkan ist andauernd so kritisch und zu
Weiterungen hinneigend, daß Oesterreich-Ungarn froh
sein kann, wenn es in der Lage ist, die weitere Entwick-
lung im Gefühl des ruhigen Bewußtseins zu beobachten,
daß sein Haus bestellt und der Staat für jede eintretende
Eventualität gerüstet ist.




Ein wichtiger Ministerrat.

KB. (Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Die Minister halten auf der Pforte eine Bera-
tung
ab, welcher eine große Bedeutung beige-
messen wird.

Der Ministerrat, welcher bis spät nachts dauern
dürfte, soll sich mit den den Norden und dem Süden des
Reiches betreffenden Angelegenheiten, mit den Zustän-
den
in der Armee und mit der Frage der Auf-
lösung der Kammer
befassen.

Auflösung der Kammer mit Hilfe des Senates. -- Aus-
schreibung von Neuwahlen.

KB. (Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Die Regierung berief den Senat zu einer außer-
ordentlichen Sitzung ein.


[Spaltenumbruch]

Nach zehnstündiger Sitzung beschloß der Senat mit
28 gegen 5 Stimmen mehrere Artikel der Verfassung in der
Weise auszulegen, daß die Legislaturperiode der
Kammer als geschlossen anzusehen sei.. Morgen
gelangt in der Kammer eine Verordnung zur Verlesung,
welche die Schließung der Kammer und Vor-
nahme der Neuwahlen
anordnet.

Konflikt zwischen Kammer und Kriegsminister.

KB. (Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Am Schluß der Kammersitzung bringt der Präsi-
den die Antwort des Kriegsministers auf die Auffor-
derung
des Hauses in der Kammer zu erscheinen, zur
Kenntnis. Der Kriegsminister teilt mit, daß er, da er
gerade an dem Ministerrate teilnehme, die Interpellation
betreffend die Begünstigung der der Liga angehörigen
Offiziere am 8. August beantworten werde. Die Kam-
mer lehnt einstimmig den vom Kriegsminister gewünsch-
ten Termin für die Interpellationsbeantwortung ab und
setzt ihn für den 6. August fest.

Der Inhalt der Interpellation.

Die Interpellation Ha-
ladjan
fordert vom Kriegsminister Aufklärung über
folgende Punkte: 1. Warum es den Offizieren der Liga ge-
stattet sei, Proklamationen durch die Presse zu verbreiten.
2. Warum der Verfasser des gegen die Kammer gerichteten
Drohbriefes nicht bestraft werde. 3. Warum in die Kam-
merwache Offiziere der Liga kommandiert wurden. 4.
Warum sich in den Wandelgängen der Kammer so auf-
fallend viele Anhänger der Liga aufhalten.

KB. (Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

In der gestern in der Kammer eingebrachten In-
terpellation der Jungtürken an den Kriegsminister, wird
erklärt, der Kriegsminister habe in der Nacht der Bildung
des Kabinettes die Offiziere der Liga auf die
Pfortegeladen,
sie bewirtet, und sodann dem Wach-
korps in Stambul zugeteilt; ferner seien desertierte Offi-
ziere aus Monastir nach Konstantinopel geschickt worden,
wo sie unbehindert in der Stadt sogar in den Wandelgän-
gen der Kammer spazieren gehen.

Verhaftung ligafeindlicher Offiziere.

KB. (Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

An einer Versammlungligafeindlicher
Offiziere,
die in einem Gasthause nächst des Frei-
heitshügels stattfand, nahmen 4 Majore, 38 Hauptleute,
ein Leutnant und 30 Zivilisten teil. Die Offiziere unter-
zeichneten eine Erklärung, die dem Kriegsminister unter-
breitet wird, in welcher sie sich damit einverstanden er-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Ein korrekter Mann.

Mit einem leichten Alpakaanzug bekleidet trat ich aus
dem Jardin des Plantes, in welchem ich meinen Onkel,
der Beamter des dortigen Museums ist, besucht hatte. Es
war eine so erstickende Hitze, daß selbst die pneumatischen
Uhren, wahrscheinlich aus Mangel an Luft, stehen blieben.
So setzte mich der Anblick eines Herrn im Ueberzieher,
Zylinder und tadellosen Handschuhen, der mir raschen
Schrittes entgegenkam, in Erstaunen. Aber bald erkannte
ich Verduret, meinen alten Studiengenossen der Rechte, in
ihm wieder. Nach absolviertem Examen war er in die
Steuerverwaltung, ich in den Staatsdienst eingetreten.
Seine Heirat hatte unsere Beziehungen unterbrochen. Wir
waren uns seit einem halben Jahre nicht mehr wieder be-
gegnet.

"Sieh da, Verduret! Man schwitzt heute, was, mein
Alter?"

Ein gezwungenes Lächeln seiner schmalen Lippen ließ
sein gelbes Gesicht mit dem schwarzen Backenbart wenig
heiterer erscheinen. Er schlug die Hacken zusammen, ver-
neigte sich, nahm seinen Hut ab und erwiderte, mir die
Hand hinstreckend:

"Guten Tag, Lanchois. Bist du immer gesund? Und
wie geht es deiner Familie?"

"Ach richtig, Burduret! Ich vergaß, daß du der kor-
rekte Mann in der Vollendung bist. Ich bin gesund und
meiner Familie geht es gut."

"Und wie gehts jenem äußerst vornehmen Herrn,
dem Offizier mit dem Orden für landwirtschaftliche Ver-
[Spaltenumbruch] dienste, dem du mich vor einem halben Jahre in der Tram-
bahn der Pforte Rappe vorgestellt hast?"

"Vortrefflich, er ist immer gleich jovial?"

Das freut mich sehr. Und wie geht es seinen beiden
kleinen Töchtern, von denen er uns so viel erzählte?"

"Die sind alle beide ertrunken. Doch sprechen wir von
dir. Wohin gehst du zeremoniell?"

"Meiner Tante Sophie zum Geburtstag gratulie-
ren."

"Komm' doch ein Glas Bier mit mir trinken." --
"Ich danke dir sehr herzlich für deine liebenswürdige Ein-
ladung. Ich würde ihr mit Vergnügen Folge leisten, doch
ist mir nicht zum Trinken zumut."

Er stieß einen Seufzer aus, der einen Stein hätte
erweichen können.

Gerührt sagte ich: "Hast du Unannehmlichkeiten?"

"Wenn ich meiner Tante gratulieren gehe, so ge-
schieht das, -- o, glaube mir, -- einzig und allein, um
mich zu betäuben. Lieber Lanchois, seit acht Tagen erleidet
mein Selbstbewußtsein die größten Demütigungen. Doch
du bist Rechtsanwalt und könntest mir vielleicht einen Rat
geben."

"Wenn du ein Glas Bier mit mir trinken kommst,
sehr gern."

Wir machten im kühlen Schatten einer Wirtschaft
halt. "Nach dir," erklärte Burduret. -- "Aber ich bitte
dich, tritt du zuerst ein." -- "In keinem Falle." -- Ich
trat ein. Nachdem er sich auf meine Einladung hin gesetzt,
mit mir angestoßen, auf meine Gesundheit und auf die
meiner ganzen Familie getrunken, nachdem er das Bier
und seine vortreffliche Würze gelobt, sagte er: "Kennst
du meine Frau?"

"Das glaube ich: sapperlot, ein schönes, üppiges Ge-
schöpf! ..." -- "Ja, sie ist schön, und besonders sehr
wohl erzogen, -- als die Tochter reicher Tierbändiger. --
[Spaltenumbruch] Ich heiratete sie vor zwei Jahren und hatte anfangs nur
Grund, Lobendes von ihr zu sagen, obgleich der Himmel
nach dem einstimmigen Ausspruch der glänzendsten Spe-
zialisten sich einem Segen unserer Vereinigung wider-
setzte. Sehr gut. Nun stelle dir vor, daß ich vor einiger
Zeit nicht ohne Erregung einen veränderten Zustand mei-
ner Frau feststellte. Ich frage sie voller Strenge aus. Sie
leugnet ganz keck, ist ganz Intrige.

Ihr Zustand schreitet von Tag zu Tag vor. Heuch-
lerisch enthalte ich mich von jetzt an jeder Bemerkung, doch
ich beobachte ... mit solcher Verschlagenheit, daß ich in
vergangener Woche einen Brief finde, den sie ... ver-
zeih! ... an einem abgelegenen Orte zu vernichten ver-
gaß ... Es war ein Brief ihres Liebhabers ... O,
er war mit entscheidendem Inhalt. Einzelheiten zum
Ueberfluß! ... Auf Wort, sie chokierten mich ... Das
Ganze war: Edgar Loupoit, 25 b rue des Canettes unter-
zeichnet. Ich nehme meine Handschuhe, meine Karte, mei-
nen Zylinder, meinen Revolver und einen Wagen, um
diesen Herrn zu Tode zu befördern."

"Teufel!"

"War das nicht meine Pflicht als beleidigter Gatte?
Doch warte auf das Weitere ... Ich befinde mich also im
Wagen, als das Pferd im Vorüberfahren an einer Ge-
mäldehandlung beim Anblick der im Schaufenster ausge-
stellten Werke von Angst ergriffen wird: es geht durch.
Der Kutscher, der auf den Boden gesetzt ist, läßt die Zügel
wider seinen Willen los. Das befreite Tier galoppiert da-
hin. "Haltet es! Haltet es!" schreien unbeweglich stehende
Leute sich gegenseitig zu. An die Polster geklammert,
wahnsinnig vor Schreck, sehe ich auf einer unempfindli-
chen Mauer, auf welche das kopflose Tier losstürmt, die
Reklame "Beste Marmelade" immer größer und größer
werden ... Da springt mit bewunderungswerter Ge-
schicklichkeit ein mutiger Mitbürger von dem Fußsteg auf


[Spaltenumbruch]

Redaktion und Adminiſtration:
Ringplatz 4, 2. Stock.




Telephon-Nummer 161.
Druckerei-Telephon-Nr. 332.




Abonnementsbedingungen:

Für Czernowitz
(mit Zuſtellung ins Haus):
monatl. K 1·80, vierteljähr. K 5·40,
halbj. K 10·80, ganzjähr. K 21·60,
(mit täglicher Poſtverſendung):
monatlich K 2, vierteljähr. K 6,
halbjähr. K 12, ganzjähr. K. 24.

Für Deutſchland:
vierteljährig .... 7 Mark.

für Rumänien und den Balkan:
vierteljährig .... 10 Lei.




Telegramme: „Allgemeine“ Czernowitz


[Spaltenumbruch]
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Ankündigungen:
Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaus ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Adminiſtration (Ring-
platz 4, 2. St.) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldſchmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.

Manuſkripte werden in keinem Falle
zurückgeſendet, unfrankierte Briefe nicht
angenommen.




Nr. 2560. Czernowitz, Dienſtag, den 6. Auguſt 1912.



[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.

Vom Tage.

Die Audienz des Kriegsminiſters beim Kaiſer hing
mit der Frage der Artillerieforderungen zuſammen. —
Die türkiſche Regierung beſchloß auf Grund einer Ver-
faſſungsinterpretation des Senates, die Kammer zu
ſchließen. — An der montenegriniſchen Grenze kam es
neuerlich zu ernſten Zuſammenſtößen.

Letzte Telegramme.

Die Skodawerke haben ſich angeblich erbötig gemacht,
das Rohrmaterial für die Neubewaffnung der Feldartil-
lerie auf eigene Gefahr herzuſtellen. — Die türkiſche
Kammer hat ſich der Schließung durch einen Vertagungs-
beſchluß entzogen.




Fortſchreitende Zerſetzung in
der Türkei.


Während die Jungtürken ſich der Regierung gegen-
über unmittelbar vor dem Ende oder vor dem Anfang der
großen Auseinanderſetzung zu ermannen beginnen, in
der Kammer aufbegehren, Emiſſäre unter das erregte
Volk entſenden, ſich Kundgebungen gegen die Auflöſung
telegraphieren laſſen und der unſchlüſſigen, in ihrer Mei-
nung ſchwankenden zivilen und militäriſchen Menge den
Leichnam eines erhenkten Offiziers als erſtes Wahrzeichen
der kommenden Aera entgegenhalten, — während zu glei-
cher Zeit die Liga nach Taten ruft und der Aufſtand in
Albanien ungeahnte Dimenſionen und Richtungen an-
nimmt, trifft das Kabinett die letzten Vorkehrungen zur
Behebung des unhaltbaen inneren Zuſtandes der Türkei.
Die Kriſis ſteht unmittelbar vor ihrem Höhepunkte und
morgen ſchon wird Gewißheit darüber beſtehen, ob ſie zur
Geneſung führen ſoll oder neue noch gewaltigere Konvul-
ſionen das krankheitsſchwache Reich ergreifen werden. Die
Regierung hat ſich vom Senat die Abänderung der Ver-
faſſung bewilligen laſſen und wird, geſtützt auf die An-
ſchauung dieſer Körperſchaft, welche die Legislaturperiode
der Kammer für abgelaufen erklärt, das Unterhaus ver-
mutlich noch heute ſchließen. Morgen vielleicht ſchon wer-
den, da das Komitee dann nichts mehr zu verlieren hat,
wohl aber noch eine Chance beſitzt, wenn der von ihm be-
hauptete Anhang in der Hauptſtadt und in der Armee
wirklich beſteht, die Gegenſätze ſich zu meſſen beginnen; der
düſtere innerpolitiſche Horizont hat ſich durch die Auf-
löſung nicht gebeſſert, nur das Eine bringt ſie mit ſich, daß
eine Klärung der Lage jetzt unbedingt eintreten muß.


[Spaltenumbruch]

Inzwiſchen geht es in Albanien drunter und drüber.
Die Maliſſoren geben ſich mit der Forderung nach Auf-
löſung der Kammer nicht mehr zufrieden, ſind auf ihre
alten Autonomiewünſche zurückgekommen und erinnern
ſich, wie behauptet wird, neuerdings mit großer Vorliebe
der alten guten Zeiten des bamidiſchen Regimes, in wel-
chen ſie ungeſtört auf einander ſchießen durften, keine
Steuern zahlten und zeitweilig vom Sultan ſchöne Ham-
melherden zum Geſchenk bekamen. Die Wogen der Erre-
gung fluten hinüber über die Grenzen ins benachbarte
Montenegro, kommen verſtärkt zurück, das ganze Land
bis an die Grenzen der öſterreichiſch-ungariſchen Monar-
chie iſt in hellem Aufruhr und im türkiſch-montenegrini-
ſchen Gebiet hat die Aufregung geſtern zu einem blutigen
gefechtartigen Zuſammenſtoß zwiſchen Truppen des Sul-
tans und den Bewohnern der Schwarzen Berge geführt,
dem auf beiden Seiten Menſchenleben zum Opfer fielen.
Serbien hat angeblich ſeinen auf Urlaub befindlichen
Kriegsminiſter zurückberufen und Gerüchte beſagen, daß
in den letzten Tagen ein eifriger Verkehr zwiſchen dem
Belgrader auswärtigen Amte und demjenigen Bulga-
riens herrſche, der den Fortgang der Ereigniſſe im Norden
der Türkei zum hauptſächlichen Gegenſtande habe. Das
ſind neue Momente, neben welchen die leiſe empordäm-
mernde Friedensahnung keinen rechten Eindruck erzielt.
Die Lage am Balkan iſt andauernd ſo kritiſch und zu
Weiterungen hinneigend, daß Oeſterreich-Ungarn froh
ſein kann, wenn es in der Lage iſt, die weitere Entwick-
lung im Gefühl des ruhigen Bewußtſeins zu beobachten,
daß ſein Haus beſtellt und der Staat für jede eintretende
Eventualität gerüſtet iſt.




Ein wichtiger Miniſterrat.

KB. (Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Die Miniſter halten auf der Pforte eine Bera-
tung
ab, welcher eine große Bedeutung beige-
meſſen wird.

Der Miniſterrat, welcher bis ſpät nachts dauern
dürfte, ſoll ſich mit den den Norden und dem Süden des
Reiches betreffenden Angelegenheiten, mit den Zuſtän-
den
in der Armee und mit der Frage der Auf-
löſung der Kammer
befaſſen.

Auflöſung der Kammer mit Hilfe des Senates. — Aus-
ſchreibung von Neuwahlen.

KB. (Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Die Regierung berief den Senat zu einer außer-
ordentlichen Sitzung ein.


[Spaltenumbruch]

Nach zehnſtündiger Sitzung beſchloß der Senat mit
28 gegen 5 Stimmen mehrere Artikel der Verfaſſung in der
Weiſe auszulegen, daß die Legislaturperiode der
Kammer als geſchloſſen anzuſehen ſei.. Morgen
gelangt in der Kammer eine Verordnung zur Verleſung,
welche die Schließung der Kammer und Vor-
nahme der Neuwahlen
anordnet.

Konflikt zwiſchen Kammer und Kriegsminiſter.

KB. (Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Am Schluß der Kammerſitzung bringt der Präſi-
den die Antwort des Kriegsminiſters auf die Auffor-
derung
des Hauſes in der Kammer zu erſcheinen, zur
Kenntnis. Der Kriegsminiſter teilt mit, daß er, da er
gerade an dem Miniſterrate teilnehme, die Interpellation
betreffend die Begünſtigung der der Liga angehörigen
Offiziere am 8. Auguſt beantworten werde. Die Kam-
mer lehnt einſtimmig den vom Kriegsminiſter gewünſch-
ten Termin für die Interpellationsbeantwortung ab und
ſetzt ihn für den 6. Auguſt feſt.

Der Inhalt der Interpellation.

Die Interpellation Ha-
ladjan
fordert vom Kriegsminiſter Aufklärung über
folgende Punkte: 1. Warum es den Offizieren der Liga ge-
ſtattet ſei, Proklamationen durch die Preſſe zu verbreiten.
2. Warum der Verfaſſer des gegen die Kammer gerichteten
Drohbriefes nicht beſtraft werde. 3. Warum in die Kam-
merwache Offiziere der Liga kommandiert wurden. 4.
Warum ſich in den Wandelgängen der Kammer ſo auf-
fallend viele Anhänger der Liga aufhalten.

KB. (Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

In der geſtern in der Kammer eingebrachten In-
terpellation der Jungtürken an den Kriegsminiſter, wird
erklärt, der Kriegsminiſter habe in der Nacht der Bildung
des Kabinettes die Offiziere der Liga auf die
Pfortegeladen,
ſie bewirtet, und ſodann dem Wach-
korps in Stambul zugeteilt; ferner ſeien deſertierte Offi-
ziere aus Monaſtir nach Konſtantinopel geſchickt worden,
wo ſie unbehindert in der Stadt ſogar in den Wandelgän-
gen der Kammer ſpazieren gehen.

Verhaftung ligafeindlicher Offiziere.

KB. (Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

An einer Verſammlungligafeindlicher
Offiziere,
die in einem Gaſthauſe nächſt des Frei-
heitshügels ſtattfand, nahmen 4 Majore, 38 Hauptleute,
ein Leutnant und 30 Ziviliſten teil. Die Offiziere unter-
zeichneten eine Erklärung, die dem Kriegsminiſter unter-
breitet wird, in welcher ſie ſich damit einverſtanden er-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Ein korrekter Mann.

Mit einem leichten Alpakaanzug bekleidet trat ich aus
dem Jardin des Plantes, in welchem ich meinen Onkel,
der Beamter des dortigen Muſeums iſt, beſucht hatte. Es
war eine ſo erſtickende Hitze, daß ſelbſt die pneumatiſchen
Uhren, wahrſcheinlich aus Mangel an Luft, ſtehen blieben.
So ſetzte mich der Anblick eines Herrn im Ueberzieher,
Zylinder und tadelloſen Handſchuhen, der mir raſchen
Schrittes entgegenkam, in Erſtaunen. Aber bald erkannte
ich Verduret, meinen alten Studiengenoſſen der Rechte, in
ihm wieder. Nach abſolviertem Examen war er in die
Steuerverwaltung, ich in den Staatsdienſt eingetreten.
Seine Heirat hatte unſere Beziehungen unterbrochen. Wir
waren uns ſeit einem halben Jahre nicht mehr wieder be-
gegnet.

„Sieh da, Verduret! Man ſchwitzt heute, was, mein
Alter?“

Ein gezwungenes Lächeln ſeiner ſchmalen Lippen ließ
ſein gelbes Geſicht mit dem ſchwarzen Backenbart wenig
heiterer erſcheinen. Er ſchlug die Hacken zuſammen, ver-
neigte ſich, nahm ſeinen Hut ab und erwiderte, mir die
Hand hinſtreckend:

„Guten Tag, Lanchois. Biſt du immer geſund? Und
wie geht es deiner Familie?“

„Ach richtig, Burduret! Ich vergaß, daß du der kor-
rekte Mann in der Vollendung biſt. Ich bin geſund und
meiner Familie geht es gut.“

„Und wie gehts jenem äußerſt vornehmen Herrn,
dem Offizier mit dem Orden für landwirtſchaftliche Ver-
[Spaltenumbruch] dienſte, dem du mich vor einem halben Jahre in der Tram-
bahn der Pforte Rappe vorgeſtellt haſt?“

„Vortrefflich, er iſt immer gleich jovial?“

Das freut mich ſehr. Und wie geht es ſeinen beiden
kleinen Töchtern, von denen er uns ſo viel erzählte?“

„Die ſind alle beide ertrunken. Doch ſprechen wir von
dir. Wohin gehſt du zeremoniell?“

„Meiner Tante Sophie zum Geburtstag gratulie-
ren.“

„Komm’ doch ein Glas Bier mit mir trinken.“ —
„Ich danke dir ſehr herzlich für deine liebenswürdige Ein-
ladung. Ich würde ihr mit Vergnügen Folge leiſten, doch
iſt mir nicht zum Trinken zumut.“

Er ſtieß einen Seufzer aus, der einen Stein hätte
erweichen können.

Gerührt ſagte ich: „Haſt du Unannehmlichkeiten?“

„Wenn ich meiner Tante gratulieren gehe, ſo ge-
ſchieht das, — o, glaube mir, — einzig und allein, um
mich zu betäuben. Lieber Lanchois, ſeit acht Tagen erleidet
mein Selbſtbewußtſein die größten Demütigungen. Doch
du biſt Rechtsanwalt und könnteſt mir vielleicht einen Rat
geben.“

„Wenn du ein Glas Bier mit mir trinken kommſt,
ſehr gern.“

Wir machten im kühlen Schatten einer Wirtſchaft
halt. „Nach dir,“ erklärte Burduret. — „Aber ich bitte
dich, tritt du zuerſt ein.“ — „In keinem Falle.“ — Ich
trat ein. Nachdem er ſich auf meine Einladung hin geſetzt,
mit mir angeſtoßen, auf meine Geſundheit und auf die
meiner ganzen Familie getrunken, nachdem er das Bier
und ſeine vortreffliche Würze gelobt, ſagte er: „Kennſt
du meine Frau?“

„Das glaube ich: ſapperlot, ein ſchönes, üppiges Ge-
ſchöpf! ...“ — „Ja, ſie iſt ſchön, und beſonders ſehr
wohl erzogen, — als die Tochter reicher Tierbändiger. —
[Spaltenumbruch] Ich heiratete ſie vor zwei Jahren und hatte anfangs nur
Grund, Lobendes von ihr zu ſagen, obgleich der Himmel
nach dem einſtimmigen Ausſpruch der glänzendſten Spe-
zialiſten ſich einem Segen unſerer Vereinigung wider-
ſetzte. Sehr gut. Nun ſtelle dir vor, daß ich vor einiger
Zeit nicht ohne Erregung einen veränderten Zuſtand mei-
ner Frau feſtſtellte. Ich frage ſie voller Strenge aus. Sie
leugnet ganz keck, iſt ganz Intrige.

Ihr Zuſtand ſchreitet von Tag zu Tag vor. Heuch-
leriſch enthalte ich mich von jetzt an jeder Bemerkung, doch
ich beobachte ... mit ſolcher Verſchlagenheit, daß ich in
vergangener Woche einen Brief finde, den ſie ... ver-
zeih! ... an einem abgelegenen Orte zu vernichten ver-
gaß ... Es war ein Brief ihres Liebhabers ... O,
er war mit entſcheidendem Inhalt. Einzelheiten zum
Ueberfluß! ... Auf Wort, ſie chokierten mich ... Das
Ganze war: Edgar Loupoit, 25 b rue des Canettes unter-
zeichnet. Ich nehme meine Handſchuhe, meine Karte, mei-
nen Zylinder, meinen Revolver und einen Wagen, um
dieſen Herrn zu Tode zu befördern.“

„Teufel!“

„War das nicht meine Pflicht als beleidigter Gatte?
Doch warte auf das Weitere ... Ich befinde mich alſo im
Wagen, als das Pferd im Vorüberfahren an einer Ge-
mäldehandlung beim Anblick der im Schaufenſter ausge-
ſtellten Werke von Angſt ergriffen wird: es geht durch.
Der Kutſcher, der auf den Boden geſetzt iſt, läßt die Zügel
wider ſeinen Willen los. Das befreite Tier galoppiert da-
hin. „Haltet es! Haltet es!“ ſchreien unbeweglich ſtehende
Leute ſich gegenſeitig zu. An die Polſter geklammert,
wahnſinnig vor Schreck, ſehe ich auf einer unempfindli-
chen Mauer, auf welche das kopfloſe Tier losſtürmt, die
Reklame „Beſte Marmelade“ immer größer und größer
werden ... Da ſpringt mit bewunderungswerter Ge-
ſchicklichkeit ein mutiger Mitbürger von dem Fußſteg auf


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[[1]/0001] Redaktion und Adminiſtration: Ringplatz 4, 2. Stock. Telephon-Nummer 161. Druckerei-Telephon-Nr. 332. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz (mit Zuſtellung ins Haus): monatl. K 1·80, vierteljähr. K 5·40, halbj. K 10·80, ganzjähr. K 21·60, (mit täglicher Poſtverſendung): monatlich K 2, vierteljähr. K 6, halbjähr. K 12, ganzjähr. K. 24. Für Deutſchland: vierteljährig .... 7 Mark. für Rumänien und den Balkan: vierteljährig .... 10 Lei. Telegramme: „Allgemeine“ Czernowitz Czernowitzer Allgemeine Zeitung Ankündigungen: Es koſtet im gewöhnlichen Inſe- ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei mehrmaliger Einſchaltung, für Re- klame 40 h die Petitzeile. Inſerate nehmen alle in- und ausländiſchen Inſeratenbureaus ſowie die Ad- miniſtration entgegen. — Einzel- exemplare ſind in allen Zeitungs- verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni- verſitätsbuchhandlung H. Pardini und in der Adminiſtration (Ring- platz 4, 2. St.) erhältlich. In Wien im Zeitungsbureau Goldſchmidt, Wollzeile 11. Einzelexemplare 10 Heller für Czernowitz. Manuſkripte werden in keinem Falle zurückgeſendet, unfrankierte Briefe nicht angenommen. Nr. 2560. Czernowitz, Dienſtag, den 6. Auguſt 1912. Ueberſicht. Vom Tage. Die Audienz des Kriegsminiſters beim Kaiſer hing mit der Frage der Artillerieforderungen zuſammen. — Die türkiſche Regierung beſchloß auf Grund einer Ver- faſſungsinterpretation des Senates, die Kammer zu ſchließen. — An der montenegriniſchen Grenze kam es neuerlich zu ernſten Zuſammenſtößen. Letzte Telegramme. Die Skodawerke haben ſich angeblich erbötig gemacht, das Rohrmaterial für die Neubewaffnung der Feldartil- lerie auf eigene Gefahr herzuſtellen. — Die türkiſche Kammer hat ſich der Schließung durch einen Vertagungs- beſchluß entzogen. Fortſchreitende Zerſetzung in der Türkei. Czernowitz, 5. Auguſt. Während die Jungtürken ſich der Regierung gegen- über unmittelbar vor dem Ende oder vor dem Anfang der großen Auseinanderſetzung zu ermannen beginnen, in der Kammer aufbegehren, Emiſſäre unter das erregte Volk entſenden, ſich Kundgebungen gegen die Auflöſung telegraphieren laſſen und der unſchlüſſigen, in ihrer Mei- nung ſchwankenden zivilen und militäriſchen Menge den Leichnam eines erhenkten Offiziers als erſtes Wahrzeichen der kommenden Aera entgegenhalten, — während zu glei- cher Zeit die Liga nach Taten ruft und der Aufſtand in Albanien ungeahnte Dimenſionen und Richtungen an- nimmt, trifft das Kabinett die letzten Vorkehrungen zur Behebung des unhaltbaen inneren Zuſtandes der Türkei. Die Kriſis ſteht unmittelbar vor ihrem Höhepunkte und morgen ſchon wird Gewißheit darüber beſtehen, ob ſie zur Geneſung führen ſoll oder neue noch gewaltigere Konvul- ſionen das krankheitsſchwache Reich ergreifen werden. Die Regierung hat ſich vom Senat die Abänderung der Ver- faſſung bewilligen laſſen und wird, geſtützt auf die An- ſchauung dieſer Körperſchaft, welche die Legislaturperiode der Kammer für abgelaufen erklärt, das Unterhaus ver- mutlich noch heute ſchließen. Morgen vielleicht ſchon wer- den, da das Komitee dann nichts mehr zu verlieren hat, wohl aber noch eine Chance beſitzt, wenn der von ihm be- hauptete Anhang in der Hauptſtadt und in der Armee wirklich beſteht, die Gegenſätze ſich zu meſſen beginnen; der düſtere innerpolitiſche Horizont hat ſich durch die Auf- löſung nicht gebeſſert, nur das Eine bringt ſie mit ſich, daß eine Klärung der Lage jetzt unbedingt eintreten muß. Inzwiſchen geht es in Albanien drunter und drüber. Die Maliſſoren geben ſich mit der Forderung nach Auf- löſung der Kammer nicht mehr zufrieden, ſind auf ihre alten Autonomiewünſche zurückgekommen und erinnern ſich, wie behauptet wird, neuerdings mit großer Vorliebe der alten guten Zeiten des bamidiſchen Regimes, in wel- chen ſie ungeſtört auf einander ſchießen durften, keine Steuern zahlten und zeitweilig vom Sultan ſchöne Ham- melherden zum Geſchenk bekamen. Die Wogen der Erre- gung fluten hinüber über die Grenzen ins benachbarte Montenegro, kommen verſtärkt zurück, das ganze Land bis an die Grenzen der öſterreichiſch-ungariſchen Monar- chie iſt in hellem Aufruhr und im türkiſch-montenegrini- ſchen Gebiet hat die Aufregung geſtern zu einem blutigen gefechtartigen Zuſammenſtoß zwiſchen Truppen des Sul- tans und den Bewohnern der Schwarzen Berge geführt, dem auf beiden Seiten Menſchenleben zum Opfer fielen. Serbien hat angeblich ſeinen auf Urlaub befindlichen Kriegsminiſter zurückberufen und Gerüchte beſagen, daß in den letzten Tagen ein eifriger Verkehr zwiſchen dem Belgrader auswärtigen Amte und demjenigen Bulga- riens herrſche, der den Fortgang der Ereigniſſe im Norden der Türkei zum hauptſächlichen Gegenſtande habe. Das ſind neue Momente, neben welchen die leiſe empordäm- mernde Friedensahnung keinen rechten Eindruck erzielt. Die Lage am Balkan iſt andauernd ſo kritiſch und zu Weiterungen hinneigend, daß Oeſterreich-Ungarn froh ſein kann, wenn es in der Lage iſt, die weitere Entwick- lung im Gefühl des ruhigen Bewußtſeins zu beobachten, daß ſein Haus beſtellt und der Staat für jede eintretende Eventualität gerüſtet iſt. Ein wichtiger Miniſterrat. KB. Konſtantinopel, 4. Auguſt. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die Miniſter halten auf der Pforte eine Bera- tung ab, welcher eine große Bedeutung beige- meſſen wird. Der Miniſterrat, welcher bis ſpät nachts dauern dürfte, ſoll ſich mit den den Norden und dem Süden des Reiches betreffenden Angelegenheiten, mit den Zuſtän- den in der Armee und mit der Frage der Auf- löſung der Kammer befaſſen. Auflöſung der Kammer mit Hilfe des Senates. — Aus- ſchreibung von Neuwahlen. KB. Konſtantinopel, 4. Auguſt. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die Regierung berief den Senat zu einer außer- ordentlichen Sitzung ein. Nach zehnſtündiger Sitzung beſchloß der Senat mit 28 gegen 5 Stimmen mehrere Artikel der Verfaſſung in der Weiſe auszulegen, daß die Legislaturperiode der Kammer als geſchloſſen anzuſehen ſei.. Morgen gelangt in der Kammer eine Verordnung zur Verleſung, welche die Schließung der Kammer und Vor- nahme der Neuwahlen anordnet. Konflikt zwiſchen Kammer und Kriegsminiſter. KB. Konſtantinopel, 4. Auguſt. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Am Schluß der Kammerſitzung bringt der Präſi- den die Antwort des Kriegsminiſters auf die Auffor- derung des Hauſes in der Kammer zu erſcheinen, zur Kenntnis. Der Kriegsminiſter teilt mit, daß er, da er gerade an dem Miniſterrate teilnehme, die Interpellation betreffend die Begünſtigung der der Liga angehörigen Offiziere am 8. Auguſt beantworten werde. Die Kam- mer lehnt einſtimmig den vom Kriegsminiſter gewünſch- ten Termin für die Interpellationsbeantwortung ab und ſetzt ihn für den 6. Auguſt feſt. Der Inhalt der Interpellation. Konſtantinopel, 4. Auguſt. Die Interpellation Ha- ladjan fordert vom Kriegsminiſter Aufklärung über folgende Punkte: 1. Warum es den Offizieren der Liga ge- ſtattet ſei, Proklamationen durch die Preſſe zu verbreiten. 2. Warum der Verfaſſer des gegen die Kammer gerichteten Drohbriefes nicht beſtraft werde. 3. Warum in die Kam- merwache Offiziere der Liga kommandiert wurden. 4. Warum ſich in den Wandelgängen der Kammer ſo auf- fallend viele Anhänger der Liga aufhalten. KB. Konſtantinopel, 4. Auguſt. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) In der geſtern in der Kammer eingebrachten In- terpellation der Jungtürken an den Kriegsminiſter, wird erklärt, der Kriegsminiſter habe in der Nacht der Bildung des Kabinettes die Offiziere der Liga auf die Pfortegeladen, ſie bewirtet, und ſodann dem Wach- korps in Stambul zugeteilt; ferner ſeien deſertierte Offi- ziere aus Monaſtir nach Konſtantinopel geſchickt worden, wo ſie unbehindert in der Stadt ſogar in den Wandelgän- gen der Kammer ſpazieren gehen. Verhaftung ligafeindlicher Offiziere. KB. Konſtantinopel, 4. Auguſt. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) An einer Verſammlungligafeindlicher Offiziere, die in einem Gaſthauſe nächſt des Frei- heitshügels ſtattfand, nahmen 4 Majore, 38 Hauptleute, ein Leutnant und 30 Ziviliſten teil. Die Offiziere unter- zeichneten eine Erklärung, die dem Kriegsminiſter unter- breitet wird, in welcher ſie ſich damit einverſtanden er- Feuilleton. Ein korrekter Mann. Von Heuri Falk. Autor. Ueberſetzung von Gulti Alſen. Mit einem leichten Alpakaanzug bekleidet trat ich aus dem Jardin des Plantes, in welchem ich meinen Onkel, der Beamter des dortigen Muſeums iſt, beſucht hatte. Es war eine ſo erſtickende Hitze, daß ſelbſt die pneumatiſchen Uhren, wahrſcheinlich aus Mangel an Luft, ſtehen blieben. So ſetzte mich der Anblick eines Herrn im Ueberzieher, Zylinder und tadelloſen Handſchuhen, der mir raſchen Schrittes entgegenkam, in Erſtaunen. Aber bald erkannte ich Verduret, meinen alten Studiengenoſſen der Rechte, in ihm wieder. Nach abſolviertem Examen war er in die Steuerverwaltung, ich in den Staatsdienſt eingetreten. Seine Heirat hatte unſere Beziehungen unterbrochen. Wir waren uns ſeit einem halben Jahre nicht mehr wieder be- gegnet. „Sieh da, Verduret! Man ſchwitzt heute, was, mein Alter?“ Ein gezwungenes Lächeln ſeiner ſchmalen Lippen ließ ſein gelbes Geſicht mit dem ſchwarzen Backenbart wenig heiterer erſcheinen. Er ſchlug die Hacken zuſammen, ver- neigte ſich, nahm ſeinen Hut ab und erwiderte, mir die Hand hinſtreckend: „Guten Tag, Lanchois. Biſt du immer geſund? Und wie geht es deiner Familie?“ „Ach richtig, Burduret! Ich vergaß, daß du der kor- rekte Mann in der Vollendung biſt. Ich bin geſund und meiner Familie geht es gut.“ „Und wie gehts jenem äußerſt vornehmen Herrn, dem Offizier mit dem Orden für landwirtſchaftliche Ver- dienſte, dem du mich vor einem halben Jahre in der Tram- bahn der Pforte Rappe vorgeſtellt haſt?“ „Vortrefflich, er iſt immer gleich jovial?“ Das freut mich ſehr. Und wie geht es ſeinen beiden kleinen Töchtern, von denen er uns ſo viel erzählte?“ „Die ſind alle beide ertrunken. Doch ſprechen wir von dir. Wohin gehſt du zeremoniell?“ „Meiner Tante Sophie zum Geburtstag gratulie- ren.“ „Komm’ doch ein Glas Bier mit mir trinken.“ — „Ich danke dir ſehr herzlich für deine liebenswürdige Ein- ladung. Ich würde ihr mit Vergnügen Folge leiſten, doch iſt mir nicht zum Trinken zumut.“ Er ſtieß einen Seufzer aus, der einen Stein hätte erweichen können. Gerührt ſagte ich: „Haſt du Unannehmlichkeiten?“ „Wenn ich meiner Tante gratulieren gehe, ſo ge- ſchieht das, — o, glaube mir, — einzig und allein, um mich zu betäuben. Lieber Lanchois, ſeit acht Tagen erleidet mein Selbſtbewußtſein die größten Demütigungen. Doch du biſt Rechtsanwalt und könnteſt mir vielleicht einen Rat geben.“ „Wenn du ein Glas Bier mit mir trinken kommſt, ſehr gern.“ Wir machten im kühlen Schatten einer Wirtſchaft halt. „Nach dir,“ erklärte Burduret. — „Aber ich bitte dich, tritt du zuerſt ein.“ — „In keinem Falle.“ — Ich trat ein. Nachdem er ſich auf meine Einladung hin geſetzt, mit mir angeſtoßen, auf meine Geſundheit und auf die meiner ganzen Familie getrunken, nachdem er das Bier und ſeine vortreffliche Würze gelobt, ſagte er: „Kennſt du meine Frau?“ „Das glaube ich: ſapperlot, ein ſchönes, üppiges Ge- ſchöpf! ...“ — „Ja, ſie iſt ſchön, und beſonders ſehr wohl erzogen, — als die Tochter reicher Tierbändiger. — Ich heiratete ſie vor zwei Jahren und hatte anfangs nur Grund, Lobendes von ihr zu ſagen, obgleich der Himmel nach dem einſtimmigen Ausſpruch der glänzendſten Spe- zialiſten ſich einem Segen unſerer Vereinigung wider- ſetzte. Sehr gut. Nun ſtelle dir vor, daß ich vor einiger Zeit nicht ohne Erregung einen veränderten Zuſtand mei- ner Frau feſtſtellte. Ich frage ſie voller Strenge aus. Sie leugnet ganz keck, iſt ganz Intrige. Ihr Zuſtand ſchreitet von Tag zu Tag vor. Heuch- leriſch enthalte ich mich von jetzt an jeder Bemerkung, doch ich beobachte ... mit ſolcher Verſchlagenheit, daß ich in vergangener Woche einen Brief finde, den ſie ... ver- zeih! ... an einem abgelegenen Orte zu vernichten ver- gaß ... Es war ein Brief ihres Liebhabers ... O, er war mit entſcheidendem Inhalt. Einzelheiten zum Ueberfluß! ... Auf Wort, ſie chokierten mich ... Das Ganze war: Edgar Loupoit, 25 b rue des Canettes unter- zeichnet. Ich nehme meine Handſchuhe, meine Karte, mei- nen Zylinder, meinen Revolver und einen Wagen, um dieſen Herrn zu Tode zu befördern.“ „Teufel!“ „War das nicht meine Pflicht als beleidigter Gatte? Doch warte auf das Weitere ... Ich befinde mich alſo im Wagen, als das Pferd im Vorüberfahren an einer Ge- mäldehandlung beim Anblick der im Schaufenſter ausge- ſtellten Werke von Angſt ergriffen wird: es geht durch. Der Kutſcher, der auf den Boden geſetzt iſt, läßt die Zügel wider ſeinen Willen los. Das befreite Tier galoppiert da- hin. „Haltet es! Haltet es!“ ſchreien unbeweglich ſtehende Leute ſich gegenſeitig zu. An die Polſter geklammert, wahnſinnig vor Schreck, ſehe ich auf einer unempfindli- chen Mauer, auf welche das kopfloſe Tier losſtürmt, die Reklame „Beſte Marmelade“ immer größer und größer werden ... Da ſpringt mit bewunderungswerter Ge- ſchicklichkeit ein mutiger Mitbürger von dem Fußſteg auf

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2560, Czernowitz, 06.08.1912, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer2560_1912/1>, abgerufen am 21.11.2024.