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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 712, Czernowitz, 22.05.1906.

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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 22. Mai 1906.

[Spaltenumbruch]

der Gegenwart sind stärker als historische Traditionen. Ein
historisches Länderprivilegium, das ermöglicht, daß es eine
Provinz wie Böhmen mit fast 7 Millionen Einwohnern
neben einer Provinz, wie etwa Salzburg, mit einigen hundert-
tausend Menschen gibt, und daß beide, ebenso wie die
anderen Erblande, den gleichen Verwaltungsapparat mit je
einem Statthalter an der Spitze haben, eine solche Verteilung
ist schon durch die numerische Ungleichheit eine mangelhafte
Einrichtung voll nachteiliger Wirkungen.

Die böhmische Statthalterei in Prag ist derart über-
lastet, d[a]ß ihre Erledigungen Ewigkeiten dauern. Solche Zu-
stände drängen naturgemäß zur Zweiteilung der Verwaltung
und so zur Zweiteilung des Landes. Diese Zerspaltung
Böhmens um jeden Preis: das ist das Ziel, das sich die
jüngere Generation gesetzt hat.

Sie besitzt nun dadurch das, was ihr bis jetzt gefehlt
hat: ein weithin leuchtendes Ideal, ein populäres Schlag-
wort. Der Wert der Reichenberger Ausstellung als nationale
Heerschau ist darum unschätzbar. Das Ziel muß und wird
erreicht werden, zumal man "oben" der Bewegung nicht mehr
antipathisch gegenübersteht. Zum erstenmale, und zwar bei der
Ausstellungseröffnung, hat ein Mitglied des Kaiserhauses den
Ausdruck Deutsch-Böhmen gebraucht, ein Wort, das gegen
den heiligen Geist des czechischen Staatsrechtes gerichtet ist
und bis jetzt vom Kaiser, wie von den Prinzen, ängstlich
vermieden wurde. Denn es konstatiert die
nationale Zweiteilung.
Wenn sie politisch er-
folgt, dann wird Böhmen auch geographisch in jene zwei
Teile zerfallen, aus denen es ideell tatsächlich besteht.
Entschließt sich die Regierung zu diesem entscheidensten
Schritte, den sie je in innerpolitischen Dingen unternommen,
dann ist die sogenannte Staatsrechtsfrage des "Königreiches"
Böhmen für immer erledigt. Das heutige Kronland Böhmen
zerfällt sodann in zwei verschiedene Provinzen, deren jede
ihre eigene Verwaltung hat. Ist das erst geschehen, dann ist
die wirkliche Grundlage für eine Neugestaltung der
Monarchie gefunden. Denn der Schritt hätte eine über
Böhmen weit hinauswirkende Bedeutung. Hat die Re-
gierung, oder vielmehr das Haus Habsburg, endlich auf ein
imaginäres "Königreich" Böhmen verzichtet, dann wird ihr
wohl an den anderen Königreichen und Herzogtümern, die
alle ihre Wappen und eigenen Landesprivilegien haben, nicht
mehr viel liegen. Der Kaiser von Oesterreich wird dann nur
ein dutzend Titel: König von Böhmen, Markgraf von Mähren,
Herzog von Steiermark u. s. w. verlieren, ohne einen Zenti-
meter Land einzubüßen. Ein Dutzend verstaubter Purpur-
mäntel wird in die historische Garderobe für abgelegte
Kleider wandern, nichts mehr. Die veraltete, willkürliche, dem
modernen Staatswesen widersprechende, die Entwicklung des
Reiches lähmende Absonderung der kleinen Länder würde
weichen, und man könnte daran gehen, die ganze Monarchie
in Departements einzuteilen. In natürlichen Zusammenhängen,
ohne den Widersinn historischer Ueberlieferung. Hier wird es
sodann auf eine geschickte, weitausschauende Geometrie an-
kommen. Nur wenn die Abzirkelung glückt, dann, und nur
dann ist eine Lösung dieses schwierigsten aller österreichischen
Probleme möglich. Einer der Faktoren, die den Bestrebungen
zu einer Neugestaltung des baufälligen Hauses günstig entge-
genkommen, ist die vom Kaiser gewollte Wahlreform, die
darum von den Deutschen nicht bekämpft werden wird. Auch
sie ist ein Problem, an dem sich bereits ein Ministerium
[Spaltenumbruch] verblutet hat. Aber sie kommt, und hat man erst in Oesterreich
begonnen, Liebgewordenes und Hergebrachtes aus Notwen-
digkeitsgründen zu vernichten, dann wird auch der Kronländer-
Zopf unter der neuen Schere fallen. Die Lostrennung Deutsch-
Böhmens wird den Anfang machen; da sie unaufhaltbar ist.
so wird sie von selbst -- auch gegen die Absicht der Dynastie
die wohl nicht gern so weit gehen möchte -- die Neuordnung
der Provinzen nach sich ziehen und dadurch sicherlich eine
allgemeine Gesundung anbahnen.




Die Vorgänge in Rußland.
Rußland und Japan. (Reuter.)

Lebhaftes Interesse ver-
ursacht in den hiesigen kompetenten Kreisen das Gerücht,
Japan sei einem schwierigen diplomatischen Problem bezüglich
Koreas gegenübergestellt, da Rußland entschlossen sei, den
japanisch-koreanischen Vertrag und das Protektorat Japans
in Korea zu ignorieren mit der Begründung, daß im Ports-
mouther Vertrag die Unabhängigkeit Koreas anerkannt sei.
England und Deutschland sollen Japan unterstützen, während
die Vereinigten Staaten und Frankreich Stillschweigen
beobachten.

Der Zar und die Dumaadresse.

Auch heute ist es noch unbe-
stimmt, wann die Audienz zur Uebergabe der Antwortadresse
der Reichsduma an den Zaren gewährt werden wird. Wie
verlautet, soll der Präsident Muromzew gleichzeitig mit dem
Grafen Solski, dem Präsidenten des Reichsrats, empfangen
werden, der dem Zaren die Adresse dieser Körperschaft über-
mitteln wird. In einer der nächsten Dumasitzungen wird
Goremykin das Programm des Ministerkabinetts einbringen.
Auf die Anfrage beim Hofmarschallamte, wann der Kaiser
das Präsidium der Reichsduma zur Ueberreichung der Antwort
auf die Thronrede empfangen wolle, ist bis jetzt keine Antwort
erfolgt. Dafür wurde Muromzew aufgefordert, den Geburts-
tagsfestlichkeiten heute in Peterhof beizuwohnen. Für die
Präsidenten des Reichsrates und der Reichsduma wurden be-
sondere Plätze in der Kirche, gleich hinter der kaiserlichen
Familie, angewiesen. Muromzew wurde zur kaiserlichen Früh-
stückstafel zugezogen, wie er überhaupt mit äußerlichen Ehren
überschüttet wurde, doch hat der Kaiser selbst mit ihm kein
Wort gesprochen, weil man in Peterhof über die Annahme
der Antwort und die Gewährung der Amnestie noch nicht
schlüssig ist.




Vom Tage.


Oesterreich und Ungarn.
(Dr. Wekerle in Wien).

Die gestrige Konferenz der beiden
Ministerpräsidenten
währte eineinhalb Stunden. Es
wurde die Frage des gemeinsamen Zolltarifes besprochen. Be-
kanntlich beabsichtigt die ungarische Regierung, den Zolltarif,
der in Oesterreich parlamentarisch erledigt ist und seit
1. März auch von Ungarn praktisch angewendet wird, im




[Spaltenumbruch]

Empfindung, und weil er sich im Gehirne förmlich physisch ein-
prägt, wird er im Gehirne zum Eindrucke, zum Sinnesein-
drucke.

Unser Gehirn ist nun in der Lage, solche aus der äußeren
Sinneswelt empfangenen Sinneseindrücke sich beliebig oft aufs
Neue vorzustellen, in Erinnerung zu bringen, zu reproduzieren.
Und ein solcher aus der Außenwelt ins Gehirn gelangter, vom
Gehirne reproduzierter Sinneseindruck heißt Vorstellung.

Unser Gehirn ist aber auch in der Lage, solche Sinnes-
eindrücke und Vorstellungen mit einander zu vergleichen. Diese
Tätigkeit des Gehirnes nennen wir Denken. Durch die Ver-
gleichungen von Vorstellungen im Gehirne entstehen Gedanken,
Ideen.

Durch die Vergleichung von Berg und Tal entsteht der
Gedanke von hoch und tief. Durch die Vergleichung des Baumes
und seiner Zweige entsteht der Gedanke vom Ganzen und seiner
Teile. Solche im Gehirne entstandenen Gedanken sind nicht
mehr Kinder der Außenwelt, sondern sie sind bereits selbst-
ständige von unserem Gehirne geschaffene Produkte. Unser
Gehirn ist also in der Lage, selbständig produktiv zu sein,
Gedanken, Ideen zu schaffen.

Diese Tätigkeit des Gehirns nennen wir die geistige
Tätigkeit, den Geist. Wir sind also fähig, unser Gehirn ist
also fähig, geistig zu schaffen. Unser ganzes Gefühls- und
Gedankenleben, alle Errungenschaften des menschlichen Geistes
sind auf solche Wege entstanden.

Die geistige Tätigkeit schafft nun zweierlei Arten von
Ideen.

Durch das willkürliche Denken krystallisiert sich die Idee
zum Begriffe und führt zur wissenschaftlichen Tätigkeit.

Durch das unwillkürliche Denken, durch das schrankenlose
Spiel des Gehirns mit Empfindungen und Vorstellungen
entwickelt sich die Idee zum Phantasiegebilde und führt zur
Poesie.


[Spaltenumbruch]

Die Tätigkeit der Phantasie wird im Gehirne auf eigen-
tümliche Art angeregt:

Sinneseindrücke, welche von ähnlichen Reizen herrühren,
gelangen auf denselben oder auf nebeneinander liegenden Nerven-
leitungen ins Gehirn und werden im Gehirne an derselben
Stelle abgelagert. Verwandte Eindrücke befinden sich daher
im Gehirne nebeneinander. Desgleichen bleiben Sinneseindrücke,
welche gleichzeitig ins Gehirn eingelangt sind, mit einander in
fortwährendem Nervenkontrakte.

Wird nun später einer dieser Eindrücke durch einen
äußeren Reiz wieder ins Gehirn telegraphiert, so bringt er
alle nebeneinanderliegenden verwandten Eindrücke, alle Ein-
drücke, die gleichzeitig ins Gehirn gelangt sind, neuerlich in
Bewegung. Durch das Anschlagen eines Nervs werden
Hunderte ihm verwandte im Gehirne tätig. Es erfolgt ein
Hin- und Hertelegraphieren von Empfindungen und Vor-
stellungen im Gehirne, ein unwillkürliches, selbsttätiges Er-
innern und Denken.

Wer hat es nicht schon an sich selbst erfahren, daß eine
einst gehörte, längst vergessene Melodie, wenn man sie plötzlich
wieder vernimmt, mit einem Schlage die ganze Situation
vor unser geistiges Auge bringt, wie sie damals war, als
wir diese Melodie zum ersten Mare hören. Das kommt da-
von, weil neben dem Eindrucke, welchen diese Melodie damals
in unserem Gehirne gemacht hat, alle jene anderen Eindrücke
liegen, bezw. wieder angeregt werden, welche damals gleich-
zeitig mit dieser Melodie in unser Gehirn gekommen waren.
Es verhält sich damit ähnlich wie mit dem Anschlagen einer
Taste an einem Klavier. Neben dem angeschlagenen Tone,
tönen sofort alle verwandten gleichgestimmten Töne mit. In
ähnlicher Weise regt oft eine einzige Empfindung eine ganze
Skala gleichartiger Empfindungen und Vorstellungen in
unserem Gehirn an.

(Schluß folgt.)


[Spaltenumbruch]

ungarischen Parlamente als autonomen ungarischen Tarif
inartikulieren zu lassen. Es gilt nun eine Vereinbarung dahin
zu treffen, daß die von der ungarischen Regierung intendierte
legislatorische Methode im Einklange stehe mit dem Geiste
des 1867 Ausgleiches und den tatsächlichen Verhältnissen.

Ferner gelangte auch die Frage der von Ungarn ge-
wünschten Revison des Ausgleiches zur Beratung.
Hiebei wurde in Erwägung gezogen, ob und in welcher
Richtung überhaupt eine Annäherung der beiden Reichs-
hälften möglich und durchführbar ist.

Nach der Konferenz der beiden Ministerpräsidenten fand
im Finanzministerum eine Konferenz der Ressort-
minister
statt, an welcher Finanzminister Dr. Kosel,
Ackerbauminister Graf Buquoy, der Leiter des Handels-
ministeriums Graf Auersperg und die Ausgleichsreferenten
teilnahmen. Es handelte sich offenbar darum, die Eröffnung
entgegenzunehmen, welche der ungarische Ministerpräsident
dem österreichischen Ministerpräsidenten gemacht hatte und
über die dadurch geschaffene Situation zu beraten. Von öster-
reichischer Seite wird ein Kompromiß in der Frage des
Zolltarifes angestrebt. Ob diese Kompromißverhandlungen zu
einem Resultate führen werden, ist vorläusig noch nicht abzu-
sehen.

Dr. Wekerle begab sich nach der Konferenz mit dem
Prinzen Hohenlohe in die Hofburg, wo er vom Kaiser
in besonderer Audienz empfangen wurde. Nachmittags kehrte
Wekerle nach Budapest zurück.


Wie verlautet, haben die heutigen
Verhandlungen zwischen Prinzen Hohenlohe und Doktor
Wekerle kein positives Resultat ergeben und es sei
keinerlei Entscheidung erfolgt. In parlamentarischen Kreisen
wird versichert, daß sich die österreichische Regierung gegen-
über dem Vorschlage der ungarischen Regierung, an Stelle
des Zoll- und Handelsbündnisses einen Handelsvertrag zu
setzen, ablehnend verhält. Ebenso vertritt die österreichische
Regierung den Standpunkt, daß nur eine vollständige Revision
des Ausgleiches platzgreifen dürfe und daß die Revision nur
eines Teiles des Ausgleiches gänzlich ausgeschlossen sei.




Das Kompromiß in der Wahlreform.

Wie in den Kreisen der polnischen
Abgeordneten verlautet, steht das Kompromißanbot, welches
die Regierung den Parteiführern für den Fall, als die Ver-
handlungen zu einer Einigung nicht führen sollten, vorschlagen
wird, bereits fest. Die Regierung wird folgende Abänderungen
der in der Gautschschen Wahlreformvorlage festgesetzten
Mandatsaufteilung vornehmen. Galizien erhält statt der
88 Mandate, welche ihm in der in Verhandlung
stehenden Wahlreformvorlage zugewiesen wurden, 102
Mandate, also um 14 mehr. Die Czechen erhalten zwei
neue Mandate, so daß die Gesamtzahl ihrer Mandate von
99 auf 101 steigt. Den Italienern werden zwei Mandate
zugewiesen, womit sie ihren früheren Besitzstand von 18
Mandaten wieder erreichen. Die Deutschen erhalten 16 neue
Mandate, wodurch die Zahl der deutschen Abgeordneten sich
von 205 auf 221 steigern wird. Diese Mandate sollen in
folgender Weise verteilt werden: drei für deutsche Bezirke in
den Sudetenländern, ein Linzer Mandat, ein Mandat
für die deutschen Landgemeinden in der Buko-
wina,
eventuell ein weiteres Mandat für Salzburg und un-
gefähr zehn Mandate für Niederösterreich. Die Spannung
zwischen dem slavischen Block und dem deutsch-romanischen
Block würde sonach von fünf auf drei Mandate herabgesetzt
werden. Die Gesamtzahl der Abgeordneten würde sich nach
diesem Vorschlage auf 489 erhöhen, also um 34 höher sein,
als sie in dem Gautschschen Entwurfe festgesetzt ist. Den
Slaven werden in dem Kompromißvorschlag der Regierung
246, den Deutschen 221, den Italienern 18 und den Ru-
mänen 4 Mandate eingeräumt.




Die Lage in Ungarn.
(Der Kaiser in Budapest.)
(Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Der
Kaiser ist abends hier eingetroffen und wurde auf der
Fahrt in die Hofburg von einer großen Menschenmenge
enthusiastisch mit Eljenrufen begrüßt.

(Zur Eröffnung des Reichsrates.)

Der gewesene Präsident des Ab-
geordnetenhauses und wahrscheinlich auch des zukünftigen,
Julius Justh, hat sich heute über die Frage geäußert, ob
die Unabhängigkeitspartei bei der Verlesung der Thronrede
in der Hofburg erscheinen werde, und zw. folgendermaßen:
"Ich werde der Thronrede in der Hofburg jedenfalls bei-
wohnen. Die Ansichten der übrigen Mitglieder meiner Partei
sind mir nicht bekannt. Ich bin jedoch überzeugt, daß es eine
Verletzung der Höflichkeit, ja mehr wäre, wenn wir der
Thronrede fern bleiben würden. Der König hat der Majo-
rität des Hauses sein Vertrauen geschenkt, aus ihrer Mitte
Mitglieder seines Kabinetts entnommen und kommt zur Er-

Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 22. Mai 1906.

[Spaltenumbruch]

der Gegenwart ſind ſtärker als hiſtoriſche Traditionen. Ein
hiſtoriſches Länderprivilegium, das ermöglicht, daß es eine
Provinz wie Böhmen mit faſt 7 Millionen Einwohnern
neben einer Provinz, wie etwa Salzburg, mit einigen hundert-
tauſend Menſchen gibt, und daß beide, ebenſo wie die
anderen Erblande, den gleichen Verwaltungsapparat mit je
einem Statthalter an der Spitze haben, eine ſolche Verteilung
iſt ſchon durch die numeriſche Ungleichheit eine mangelhafte
Einrichtung voll nachteiliger Wirkungen.

Die böhmiſche Statthalterei in Prag iſt derart über-
laſtet, d[a]ß ihre Erledigungen Ewigkeiten dauern. Solche Zu-
ſtände drängen naturgemäß zur Zweiteilung der Verwaltung
und ſo zur Zweiteilung des Landes. Dieſe Zerſpaltung
Böhmens um jeden Preis: das iſt das Ziel, das ſich die
jüngere Generation geſetzt hat.

Sie beſitzt nun dadurch das, was ihr bis jetzt gefehlt
hat: ein weithin leuchtendes Ideal, ein populäres Schlag-
wort. Der Wert der Reichenberger Ausſtellung als nationale
Heerſchau iſt darum unſchätzbar. Das Ziel muß und wird
erreicht werden, zumal man „oben“ der Bewegung nicht mehr
antipathiſch gegenüberſteht. Zum erſtenmale, und zwar bei der
Ausſtellungseröffnung, hat ein Mitglied des Kaiſerhauſes den
Ausdruck Deutſch-Böhmen gebraucht, ein Wort, das gegen
den heiligen Geiſt des czechiſchen Staatsrechtes gerichtet iſt
und bis jetzt vom Kaiſer, wie von den Prinzen, ängſtlich
vermieden wurde. Denn es konſtatiert die
nationale Zweiteilung.
Wenn ſie politiſch er-
folgt, dann wird Böhmen auch geographiſch in jene zwei
Teile zerfallen, aus denen es ideell tatſächlich beſteht.
Entſchließt ſich die Regierung zu dieſem entſcheidenſten
Schritte, den ſie je in innerpolitiſchen Dingen unternommen,
dann iſt die ſogenannte Staatsrechtsfrage des „Königreiches“
Böhmen für immer erledigt. Das heutige Kronland Böhmen
zerfällt ſodann in zwei verſchiedene Provinzen, deren jede
ihre eigene Verwaltung hat. Iſt das erſt geſchehen, dann iſt
die wirkliche Grundlage für eine Neugeſtaltung der
Monarchie gefunden. Denn der Schritt hätte eine über
Böhmen weit hinauswirkende Bedeutung. Hat die Re-
gierung, oder vielmehr das Haus Habsburg, endlich auf ein
imaginäres „Königreich“ Böhmen verzichtet, dann wird ihr
wohl an den anderen Königreichen und Herzogtümern, die
alle ihre Wappen und eigenen Landesprivilegien haben, nicht
mehr viel liegen. Der Kaiſer von Oeſterreich wird dann nur
ein dutzend Titel: König von Böhmen, Markgraf von Mähren,
Herzog von Steiermark u. ſ. w. verlieren, ohne einen Zenti-
meter Land einzubüßen. Ein Dutzend verſtaubter Purpur-
mäntel wird in die hiſtoriſche Garderobe für abgelegte
Kleider wandern, nichts mehr. Die veraltete, willkürliche, dem
modernen Staatsweſen widerſprechende, die Entwicklung des
Reiches lähmende Abſonderung der kleinen Länder würde
weichen, und man könnte daran gehen, die ganze Monarchie
in Departements einzuteilen. In natürlichen Zuſammenhängen,
ohne den Widerſinn hiſtoriſcher Ueberlieferung. Hier wird es
ſodann auf eine geſchickte, weitausſchauende Geometrie an-
kommen. Nur wenn die Abzirkelung glückt, dann, und nur
dann iſt eine Löſung dieſes ſchwierigſten aller öſterreichiſchen
Probleme möglich. Einer der Faktoren, die den Beſtrebungen
zu einer Neugeſtaltung des baufälligen Hauſes günſtig entge-
genkommen, iſt die vom Kaiſer gewollte Wahlreform, die
darum von den Deutſchen nicht bekämpft werden wird. Auch
ſie iſt ein Problem, an dem ſich bereits ein Miniſterium
[Spaltenumbruch] verblutet hat. Aber ſie kommt, und hat man erſt in Oeſterreich
begonnen, Liebgewordenes und Hergebrachtes aus Notwen-
digkeitsgründen zu vernichten, dann wird auch der Kronländer-
Zopf unter der neuen Schere fallen. Die Lostrennung Deutſch-
Böhmens wird den Anfang machen; da ſie unaufhaltbar iſt.
ſo wird ſie von ſelbſt — auch gegen die Abſicht der Dynaſtie
die wohl nicht gern ſo weit gehen möchte — die Neuordnung
der Provinzen nach ſich ziehen und dadurch ſicherlich eine
allgemeine Geſundung anbahnen.




Die Vorgänge in Rußland.
Rußland und Japan. (Reuter.)

Lebhaftes Intereſſe ver-
urſacht in den hieſigen kompetenten Kreiſen das Gerücht,
Japan ſei einem ſchwierigen diplomatiſchen Problem bezüglich
Koreas gegenübergeſtellt, da Rußland entſchloſſen ſei, den
japaniſch-koreaniſchen Vertrag und das Protektorat Japans
in Korea zu ignorieren mit der Begründung, daß im Ports-
mouther Vertrag die Unabhängigkeit Koreas anerkannt ſei.
England und Deutſchland ſollen Japan unterſtützen, während
die Vereinigten Staaten und Frankreich Stillſchweigen
beobachten.

Der Zar und die Dumaadreſſe.

Auch heute iſt es noch unbe-
ſtimmt, wann die Audienz zur Uebergabe der Antwortadreſſe
der Reichsduma an den Zaren gewährt werden wird. Wie
verlautet, ſoll der Präſident Muromzew gleichzeitig mit dem
Grafen Solski, dem Präſidenten des Reichsrats, empfangen
werden, der dem Zaren die Adreſſe dieſer Körperſchaft über-
mitteln wird. In einer der nächſten Dumaſitzungen wird
Goremykin das Programm des Miniſterkabinetts einbringen.
Auf die Anfrage beim Hofmarſchallamte, wann der Kaiſer
das Präſidium der Reichsduma zur Ueberreichung der Antwort
auf die Thronrede empfangen wolle, iſt bis jetzt keine Antwort
erfolgt. Dafür wurde Muromzew aufgefordert, den Geburts-
tagsfeſtlichkeiten heute in Peterhof beizuwohnen. Für die
Präſidenten des Reichsrates und der Reichsduma wurden be-
ſondere Plätze in der Kirche, gleich hinter der kaiſerlichen
Familie, angewieſen. Muromzew wurde zur kaiſerlichen Früh-
ſtückstafel zugezogen, wie er überhaupt mit äußerlichen Ehren
überſchüttet wurde, doch hat der Kaiſer ſelbſt mit ihm kein
Wort geſprochen, weil man in Peterhof über die Annahme
der Antwort und die Gewährung der Amneſtie noch nicht
ſchlüſſig iſt.




Vom Tage.


Oeſterreich und Ungarn.
(Dr. Wekerle in Wien).

Die geſtrige Konferenz der beiden
Miniſterpräſidenten
währte eineinhalb Stunden. Es
wurde die Frage des gemeinſamen Zolltarifes beſprochen. Be-
kanntlich beabſichtigt die ungariſche Regierung, den Zolltarif,
der in Oeſterreich parlamentariſch erledigt iſt und ſeit
1. März auch von Ungarn praktiſch angewendet wird, im




[Spaltenumbruch]

Empfindung, und weil er ſich im Gehirne förmlich phyſiſch ein-
prägt, wird er im Gehirne zum Eindrucke, zum Sinnesein-
drucke.

Unſer Gehirn iſt nun in der Lage, ſolche aus der äußeren
Sinneswelt empfangenen Sinneseindrücke ſich beliebig oft aufs
Neue vorzuſtellen, in Erinnerung zu bringen, zu reproduzieren.
Und ein ſolcher aus der Außenwelt ins Gehirn gelangter, vom
Gehirne reproduzierter Sinneseindruck heißt Vorſtellung.

Unſer Gehirn iſt aber auch in der Lage, ſolche Sinnes-
eindrücke und Vorſtellungen mit einander zu vergleichen. Dieſe
Tätigkeit des Gehirnes nennen wir Denken. Durch die Ver-
gleichungen von Vorſtellungen im Gehirne entſtehen Gedanken,
Ideen.

Durch die Vergleichung von Berg und Tal entſteht der
Gedanke von hoch und tief. Durch die Vergleichung des Baumes
und ſeiner Zweige entſteht der Gedanke vom Ganzen und ſeiner
Teile. Solche im Gehirne entſtandenen Gedanken ſind nicht
mehr Kinder der Außenwelt, ſondern ſie ſind bereits ſelbſt-
ſtändige von unſerem Gehirne geſchaffene Produkte. Unſer
Gehirn iſt alſo in der Lage, ſelbſtändig produktiv zu ſein,
Gedanken, Ideen zu ſchaffen.

Dieſe Tätigkeit des Gehirns nennen wir die geiſtige
Tätigkeit, den Geiſt. Wir ſind alſo fähig, unſer Gehirn iſt
alſo fähig, geiſtig zu ſchaffen. Unſer ganzes Gefühls- und
Gedankenleben, alle Errungenſchaften des menſchlichen Geiſtes
ſind auf ſolche Wege entſtanden.

Die geiſtige Tätigkeit ſchafft nun zweierlei Arten von
Ideen.

Durch das willkürliche Denken kryſtalliſiert ſich die Idee
zum Begriffe und führt zur wiſſenſchaftlichen Tätigkeit.

Durch das unwillkürliche Denken, durch das ſchrankenloſe
Spiel des Gehirns mit Empfindungen und Vorſtellungen
entwickelt ſich die Idee zum Phantaſiegebilde und führt zur
Poeſie.


[Spaltenumbruch]

Die Tätigkeit der Phantaſie wird im Gehirne auf eigen-
tümliche Art angeregt:

Sinneseindrücke, welche von ähnlichen Reizen herrühren,
gelangen auf denſelben oder auf nebeneinander liegenden Nerven-
leitungen ins Gehirn und werden im Gehirne an derſelben
Stelle abgelagert. Verwandte Eindrücke befinden ſich daher
im Gehirne nebeneinander. Desgleichen bleiben Sinneseindrücke,
welche gleichzeitig ins Gehirn eingelangt ſind, mit einander in
fortwährendem Nervenkontrakte.

Wird nun ſpäter einer dieſer Eindrücke durch einen
äußeren Reiz wieder ins Gehirn telegraphiert, ſo bringt er
alle nebeneinanderliegenden verwandten Eindrücke, alle Ein-
drücke, die gleichzeitig ins Gehirn gelangt ſind, neuerlich in
Bewegung. Durch das Anſchlagen eines Nervs werden
Hunderte ihm verwandte im Gehirne tätig. Es erfolgt ein
Hin- und Hertelegraphieren von Empfindungen und Vor-
ſtellungen im Gehirne, ein unwillkürliches, ſelbſttätiges Er-
innern und Denken.

Wer hat es nicht ſchon an ſich ſelbſt erfahren, daß eine
einſt gehörte, längſt vergeſſene Melodie, wenn man ſie plötzlich
wieder vernimmt, mit einem Schlage die ganze Situation
vor unſer geiſtiges Auge bringt, wie ſie damals war, als
wir dieſe Melodie zum erſten Mare hören. Das kommt da-
von, weil neben dem Eindrucke, welchen dieſe Melodie damals
in unſerem Gehirne gemacht hat, alle jene anderen Eindrücke
liegen, bezw. wieder angeregt werden, welche damals gleich-
zeitig mit dieſer Melodie in unſer Gehirn gekommen waren.
Es verhält ſich damit ähnlich wie mit dem Anſchlagen einer
Taſte an einem Klavier. Neben dem angeſchlagenen Tone,
tönen ſofort alle verwandten gleichgeſtimmten Töne mit. In
ähnlicher Weiſe regt oft eine einzige Empfindung eine ganze
Skala gleichartiger Empfindungen und Vorſtellungen in
unſerem Gehirn an.

(Schluß folgt.)


[Spaltenumbruch]

ungariſchen Parlamente als autonomen ungariſchen Tarif
inartikulieren zu laſſen. Es gilt nun eine Vereinbarung dahin
zu treffen, daß die von der ungariſchen Regierung intendierte
legislatoriſche Methode im Einklange ſtehe mit dem Geiſte
des 1867 Ausgleiches und den tatſächlichen Verhältniſſen.

Ferner gelangte auch die Frage der von Ungarn ge-
wünſchten Reviſon des Ausgleiches zur Beratung.
Hiebei wurde in Erwägung gezogen, ob und in welcher
Richtung überhaupt eine Annäherung der beiden Reichs-
hälften möglich und durchführbar iſt.

Nach der Konferenz der beiden Miniſterpräſidenten fand
im Finanzminiſterum eine Konferenz der Reſſort-
miniſter
ſtatt, an welcher Finanzminiſter Dr. Koſel,
Ackerbauminiſter Graf Buquoy, der Leiter des Handels-
miniſteriums Graf Auersperg und die Ausgleichsreferenten
teilnahmen. Es handelte ſich offenbar darum, die Eröffnung
entgegenzunehmen, welche der ungariſche Miniſterpräſident
dem öſterreichiſchen Miniſterpräſidenten gemacht hatte und
über die dadurch geſchaffene Situation zu beraten. Von öſter-
reichiſcher Seite wird ein Kompromiß in der Frage des
Zolltarifes angeſtrebt. Ob dieſe Kompromißverhandlungen zu
einem Reſultate führen werden, iſt vorläuſig noch nicht abzu-
ſehen.

Dr. Wekerle begab ſich nach der Konferenz mit dem
Prinzen Hohenlohe in die Hofburg, wo er vom Kaiſer
in beſonderer Audienz empfangen wurde. Nachmittags kehrte
Wekerle nach Budapeſt zurück.


Wie verlautet, haben die heutigen
Verhandlungen zwiſchen Prinzen Hohenlohe und Doktor
Wekerle kein poſitives Reſultat ergeben und es ſei
keinerlei Entſcheidung erfolgt. In parlamentariſchen Kreiſen
wird verſichert, daß ſich die öſterreichiſche Regierung gegen-
über dem Vorſchlage der ungariſchen Regierung, an Stelle
des Zoll- und Handelsbündniſſes einen Handelsvertrag zu
ſetzen, ablehnend verhält. Ebenſo vertritt die öſterreichiſche
Regierung den Standpunkt, daß nur eine vollſtändige Reviſion
des Ausgleiches platzgreifen dürfe und daß die Reviſion nur
eines Teiles des Ausgleiches gänzlich ausgeſchloſſen ſei.




Das Kompromiß in der Wahlreform.

Wie in den Kreiſen der polniſchen
Abgeordneten verlautet, ſteht das Kompromißanbot, welches
die Regierung den Parteiführern für den Fall, als die Ver-
handlungen zu einer Einigung nicht führen ſollten, vorſchlagen
wird, bereits feſt. Die Regierung wird folgende Abänderungen
der in der Gautſchſchen Wahlreformvorlage feſtgeſetzten
Mandatsaufteilung vornehmen. Galizien erhält ſtatt der
88 Mandate, welche ihm in der in Verhandlung
ſtehenden Wahlreformvorlage zugewieſen wurden, 102
Mandate, alſo um 14 mehr. Die Czechen erhalten zwei
neue Mandate, ſo daß die Geſamtzahl ihrer Mandate von
99 auf 101 ſteigt. Den Italienern werden zwei Mandate
zugewieſen, womit ſie ihren früheren Beſitzſtand von 18
Mandaten wieder erreichen. Die Deutſchen erhalten 16 neue
Mandate, wodurch die Zahl der deutſchen Abgeordneten ſich
von 205 auf 221 ſteigern wird. Dieſe Mandate ſollen in
folgender Weiſe verteilt werden: drei für deutſche Bezirke in
den Sudetenländern, ein Linzer Mandat, ein Mandat
für die deutſchen Landgemeinden in der Buko-
wina,
eventuell ein weiteres Mandat für Salzburg und un-
gefähr zehn Mandate für Niederöſterreich. Die Spannung
zwiſchen dem ſlaviſchen Block und dem deutſch-romaniſchen
Block würde ſonach von fünf auf drei Mandate herabgeſetzt
werden. Die Geſamtzahl der Abgeordneten würde ſich nach
dieſem Vorſchlage auf 489 erhöhen, alſo um 34 höher ſein,
als ſie in dem Gautſchſchen Entwurfe feſtgeſetzt iſt. Den
Slaven werden in dem Kompromißvorſchlag der Regierung
246, den Deutſchen 221, den Italienern 18 und den Ru-
mänen 4 Mandate eingeräumt.




Die Lage in Ungarn.
(Der Kaiſer in Budapeſt.)
(Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Der
Kaiſer iſt abends hier eingetroffen und wurde auf der
Fahrt in die Hofburg von einer großen Menſchenmenge
enthuſiaſtiſch mit Eljenrufen begrüßt.

(Zur Eröffnung des Reichsrates.)

Der geweſene Präſident des Ab-
geordnetenhauſes und wahrſcheinlich auch des zukünftigen,
Julius Juſth, hat ſich heute über die Frage geäußert, ob
die Unabhängigkeitspartei bei der Verleſung der Thronrede
in der Hofburg erſcheinen werde, und zw. folgendermaßen:
„Ich werde der Thronrede in der Hofburg jedenfalls bei-
wohnen. Die Anſichten der übrigen Mitglieder meiner Partei
ſind mir nicht bekannt. Ich bin jedoch überzeugt, daß es eine
Verletzung der Höflichkeit, ja mehr wäre, wenn wir der
Thronrede fern bleiben würden. Der König hat der Majo-
rität des Hauſes ſein Vertrauen geſchenkt, aus ihrer Mitte
Mitglieder ſeines Kabinetts entnommen und kommt zur Er-

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[2/0002] Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 22. Mai 1906. der Gegenwart ſind ſtärker als hiſtoriſche Traditionen. Ein hiſtoriſches Länderprivilegium, das ermöglicht, daß es eine Provinz wie Böhmen mit faſt 7 Millionen Einwohnern neben einer Provinz, wie etwa Salzburg, mit einigen hundert- tauſend Menſchen gibt, und daß beide, ebenſo wie die anderen Erblande, den gleichen Verwaltungsapparat mit je einem Statthalter an der Spitze haben, eine ſolche Verteilung iſt ſchon durch die numeriſche Ungleichheit eine mangelhafte Einrichtung voll nachteiliger Wirkungen. Die böhmiſche Statthalterei in Prag iſt derart über- laſtet, daß ihre Erledigungen Ewigkeiten dauern. Solche Zu- ſtände drängen naturgemäß zur Zweiteilung der Verwaltung und ſo zur Zweiteilung des Landes. Dieſe Zerſpaltung Böhmens um jeden Preis: das iſt das Ziel, das ſich die jüngere Generation geſetzt hat. Sie beſitzt nun dadurch das, was ihr bis jetzt gefehlt hat: ein weithin leuchtendes Ideal, ein populäres Schlag- wort. Der Wert der Reichenberger Ausſtellung als nationale Heerſchau iſt darum unſchätzbar. Das Ziel muß und wird erreicht werden, zumal man „oben“ der Bewegung nicht mehr antipathiſch gegenüberſteht. Zum erſtenmale, und zwar bei der Ausſtellungseröffnung, hat ein Mitglied des Kaiſerhauſes den Ausdruck Deutſch-Böhmen gebraucht, ein Wort, das gegen den heiligen Geiſt des czechiſchen Staatsrechtes gerichtet iſt und bis jetzt vom Kaiſer, wie von den Prinzen, ängſtlich vermieden wurde. Denn es konſtatiert die nationale Zweiteilung. Wenn ſie politiſch er- folgt, dann wird Böhmen auch geographiſch in jene zwei Teile zerfallen, aus denen es ideell tatſächlich beſteht. Entſchließt ſich die Regierung zu dieſem entſcheidenſten Schritte, den ſie je in innerpolitiſchen Dingen unternommen, dann iſt die ſogenannte Staatsrechtsfrage des „Königreiches“ Böhmen für immer erledigt. Das heutige Kronland Böhmen zerfällt ſodann in zwei verſchiedene Provinzen, deren jede ihre eigene Verwaltung hat. Iſt das erſt geſchehen, dann iſt die wirkliche Grundlage für eine Neugeſtaltung der Monarchie gefunden. Denn der Schritt hätte eine über Böhmen weit hinauswirkende Bedeutung. Hat die Re- gierung, oder vielmehr das Haus Habsburg, endlich auf ein imaginäres „Königreich“ Böhmen verzichtet, dann wird ihr wohl an den anderen Königreichen und Herzogtümern, die alle ihre Wappen und eigenen Landesprivilegien haben, nicht mehr viel liegen. Der Kaiſer von Oeſterreich wird dann nur ein dutzend Titel: König von Böhmen, Markgraf von Mähren, Herzog von Steiermark u. ſ. w. verlieren, ohne einen Zenti- meter Land einzubüßen. Ein Dutzend verſtaubter Purpur- mäntel wird in die hiſtoriſche Garderobe für abgelegte Kleider wandern, nichts mehr. Die veraltete, willkürliche, dem modernen Staatsweſen widerſprechende, die Entwicklung des Reiches lähmende Abſonderung der kleinen Länder würde weichen, und man könnte daran gehen, die ganze Monarchie in Departements einzuteilen. In natürlichen Zuſammenhängen, ohne den Widerſinn hiſtoriſcher Ueberlieferung. Hier wird es ſodann auf eine geſchickte, weitausſchauende Geometrie an- kommen. Nur wenn die Abzirkelung glückt, dann, und nur dann iſt eine Löſung dieſes ſchwierigſten aller öſterreichiſchen Probleme möglich. Einer der Faktoren, die den Beſtrebungen zu einer Neugeſtaltung des baufälligen Hauſes günſtig entge- genkommen, iſt die vom Kaiſer gewollte Wahlreform, die darum von den Deutſchen nicht bekämpft werden wird. Auch ſie iſt ein Problem, an dem ſich bereits ein Miniſterium verblutet hat. Aber ſie kommt, und hat man erſt in Oeſterreich begonnen, Liebgewordenes und Hergebrachtes aus Notwen- digkeitsgründen zu vernichten, dann wird auch der Kronländer- Zopf unter der neuen Schere fallen. Die Lostrennung Deutſch- Böhmens wird den Anfang machen; da ſie unaufhaltbar iſt. ſo wird ſie von ſelbſt — auch gegen die Abſicht der Dynaſtie die wohl nicht gern ſo weit gehen möchte — die Neuordnung der Provinzen nach ſich ziehen und dadurch ſicherlich eine allgemeine Geſundung anbahnen. Die Vorgänge in Rußland. Rußland und Japan. Tokio, 20. Mai. (Reuter.) Lebhaftes Intereſſe ver- urſacht in den hieſigen kompetenten Kreiſen das Gerücht, Japan ſei einem ſchwierigen diplomatiſchen Problem bezüglich Koreas gegenübergeſtellt, da Rußland entſchloſſen ſei, den japaniſch-koreaniſchen Vertrag und das Protektorat Japans in Korea zu ignorieren mit der Begründung, daß im Ports- mouther Vertrag die Unabhängigkeit Koreas anerkannt ſei. England und Deutſchland ſollen Japan unterſtützen, während die Vereinigten Staaten und Frankreich Stillſchweigen beobachten. Der Zar und die Dumaadreſſe. Petersburg, 20. Mai. Auch heute iſt es noch unbe- ſtimmt, wann die Audienz zur Uebergabe der Antwortadreſſe der Reichsduma an den Zaren gewährt werden wird. Wie verlautet, ſoll der Präſident Muromzew gleichzeitig mit dem Grafen Solski, dem Präſidenten des Reichsrats, empfangen werden, der dem Zaren die Adreſſe dieſer Körperſchaft über- mitteln wird. In einer der nächſten Dumaſitzungen wird Goremykin das Programm des Miniſterkabinetts einbringen. Auf die Anfrage beim Hofmarſchallamte, wann der Kaiſer das Präſidium der Reichsduma zur Ueberreichung der Antwort auf die Thronrede empfangen wolle, iſt bis jetzt keine Antwort erfolgt. Dafür wurde Muromzew aufgefordert, den Geburts- tagsfeſtlichkeiten heute in Peterhof beizuwohnen. Für die Präſidenten des Reichsrates und der Reichsduma wurden be- ſondere Plätze in der Kirche, gleich hinter der kaiſerlichen Familie, angewieſen. Muromzew wurde zur kaiſerlichen Früh- ſtückstafel zugezogen, wie er überhaupt mit äußerlichen Ehren überſchüttet wurde, doch hat der Kaiſer ſelbſt mit ihm kein Wort geſprochen, weil man in Peterhof über die Annahme der Antwort und die Gewährung der Amneſtie noch nicht ſchlüſſig iſt. Vom Tage. Czernowitz, 21. Mai. Oeſterreich und Ungarn. (Dr. Wekerle in Wien). Wien, 20. Mai. Die geſtrige Konferenz der beiden Miniſterpräſidenten währte eineinhalb Stunden. Es wurde die Frage des gemeinſamen Zolltarifes beſprochen. Be- kanntlich beabſichtigt die ungariſche Regierung, den Zolltarif, der in Oeſterreich parlamentariſch erledigt iſt und ſeit 1. März auch von Ungarn praktiſch angewendet wird, im Empfindung, und weil er ſich im Gehirne förmlich phyſiſch ein- prägt, wird er im Gehirne zum Eindrucke, zum Sinnesein- drucke. Unſer Gehirn iſt nun in der Lage, ſolche aus der äußeren Sinneswelt empfangenen Sinneseindrücke ſich beliebig oft aufs Neue vorzuſtellen, in Erinnerung zu bringen, zu reproduzieren. Und ein ſolcher aus der Außenwelt ins Gehirn gelangter, vom Gehirne reproduzierter Sinneseindruck heißt Vorſtellung. Unſer Gehirn iſt aber auch in der Lage, ſolche Sinnes- eindrücke und Vorſtellungen mit einander zu vergleichen. Dieſe Tätigkeit des Gehirnes nennen wir Denken. Durch die Ver- gleichungen von Vorſtellungen im Gehirne entſtehen Gedanken, Ideen. Durch die Vergleichung von Berg und Tal entſteht der Gedanke von hoch und tief. Durch die Vergleichung des Baumes und ſeiner Zweige entſteht der Gedanke vom Ganzen und ſeiner Teile. Solche im Gehirne entſtandenen Gedanken ſind nicht mehr Kinder der Außenwelt, ſondern ſie ſind bereits ſelbſt- ſtändige von unſerem Gehirne geſchaffene Produkte. Unſer Gehirn iſt alſo in der Lage, ſelbſtändig produktiv zu ſein, Gedanken, Ideen zu ſchaffen. Dieſe Tätigkeit des Gehirns nennen wir die geiſtige Tätigkeit, den Geiſt. Wir ſind alſo fähig, unſer Gehirn iſt alſo fähig, geiſtig zu ſchaffen. Unſer ganzes Gefühls- und Gedankenleben, alle Errungenſchaften des menſchlichen Geiſtes ſind auf ſolche Wege entſtanden. Die geiſtige Tätigkeit ſchafft nun zweierlei Arten von Ideen. Durch das willkürliche Denken kryſtalliſiert ſich die Idee zum Begriffe und führt zur wiſſenſchaftlichen Tätigkeit. Durch das unwillkürliche Denken, durch das ſchrankenloſe Spiel des Gehirns mit Empfindungen und Vorſtellungen entwickelt ſich die Idee zum Phantaſiegebilde und führt zur Poeſie. Die Tätigkeit der Phantaſie wird im Gehirne auf eigen- tümliche Art angeregt: Sinneseindrücke, welche von ähnlichen Reizen herrühren, gelangen auf denſelben oder auf nebeneinander liegenden Nerven- leitungen ins Gehirn und werden im Gehirne an derſelben Stelle abgelagert. Verwandte Eindrücke befinden ſich daher im Gehirne nebeneinander. Desgleichen bleiben Sinneseindrücke, welche gleichzeitig ins Gehirn eingelangt ſind, mit einander in fortwährendem Nervenkontrakte. Wird nun ſpäter einer dieſer Eindrücke durch einen äußeren Reiz wieder ins Gehirn telegraphiert, ſo bringt er alle nebeneinanderliegenden verwandten Eindrücke, alle Ein- drücke, die gleichzeitig ins Gehirn gelangt ſind, neuerlich in Bewegung. Durch das Anſchlagen eines Nervs werden Hunderte ihm verwandte im Gehirne tätig. Es erfolgt ein Hin- und Hertelegraphieren von Empfindungen und Vor- ſtellungen im Gehirne, ein unwillkürliches, ſelbſttätiges Er- innern und Denken. Wer hat es nicht ſchon an ſich ſelbſt erfahren, daß eine einſt gehörte, längſt vergeſſene Melodie, wenn man ſie plötzlich wieder vernimmt, mit einem Schlage die ganze Situation vor unſer geiſtiges Auge bringt, wie ſie damals war, als wir dieſe Melodie zum erſten Mare hören. Das kommt da- von, weil neben dem Eindrucke, welchen dieſe Melodie damals in unſerem Gehirne gemacht hat, alle jene anderen Eindrücke liegen, bezw. wieder angeregt werden, welche damals gleich- zeitig mit dieſer Melodie in unſer Gehirn gekommen waren. Es verhält ſich damit ähnlich wie mit dem Anſchlagen einer Taſte an einem Klavier. Neben dem angeſchlagenen Tone, tönen ſofort alle verwandten gleichgeſtimmten Töne mit. In ähnlicher Weiſe regt oft eine einzige Empfindung eine ganze Skala gleichartiger Empfindungen und Vorſtellungen in unſerem Gehirn an. (Schluß folgt.) ungariſchen Parlamente als autonomen ungariſchen Tarif inartikulieren zu laſſen. Es gilt nun eine Vereinbarung dahin zu treffen, daß die von der ungariſchen Regierung intendierte legislatoriſche Methode im Einklange ſtehe mit dem Geiſte des 1867 Ausgleiches und den tatſächlichen Verhältniſſen. Ferner gelangte auch die Frage der von Ungarn ge- wünſchten Reviſon des Ausgleiches zur Beratung. Hiebei wurde in Erwägung gezogen, ob und in welcher Richtung überhaupt eine Annäherung der beiden Reichs- hälften möglich und durchführbar iſt. Nach der Konferenz der beiden Miniſterpräſidenten fand im Finanzminiſterum eine Konferenz der Reſſort- miniſter ſtatt, an welcher Finanzminiſter Dr. Koſel, Ackerbauminiſter Graf Buquoy, der Leiter des Handels- miniſteriums Graf Auersperg und die Ausgleichsreferenten teilnahmen. Es handelte ſich offenbar darum, die Eröffnung entgegenzunehmen, welche der ungariſche Miniſterpräſident dem öſterreichiſchen Miniſterpräſidenten gemacht hatte und über die dadurch geſchaffene Situation zu beraten. Von öſter- reichiſcher Seite wird ein Kompromiß in der Frage des Zolltarifes angeſtrebt. Ob dieſe Kompromißverhandlungen zu einem Reſultate führen werden, iſt vorläuſig noch nicht abzu- ſehen. Dr. Wekerle begab ſich nach der Konferenz mit dem Prinzen Hohenlohe in die Hofburg, wo er vom Kaiſer in beſonderer Audienz empfangen wurde. Nachmittags kehrte Wekerle nach Budapeſt zurück. Wien, 20. Mai. Wie verlautet, haben die heutigen Verhandlungen zwiſchen Prinzen Hohenlohe und Doktor Wekerle kein poſitives Reſultat ergeben und es ſei keinerlei Entſcheidung erfolgt. In parlamentariſchen Kreiſen wird verſichert, daß ſich die öſterreichiſche Regierung gegen- über dem Vorſchlage der ungariſchen Regierung, an Stelle des Zoll- und Handelsbündniſſes einen Handelsvertrag zu ſetzen, ablehnend verhält. Ebenſo vertritt die öſterreichiſche Regierung den Standpunkt, daß nur eine vollſtändige Reviſion des Ausgleiches platzgreifen dürfe und daß die Reviſion nur eines Teiles des Ausgleiches gänzlich ausgeſchloſſen ſei. Das Kompromiß in der Wahlreform. Wien, 20. Mai. Wie in den Kreiſen der polniſchen Abgeordneten verlautet, ſteht das Kompromißanbot, welches die Regierung den Parteiführern für den Fall, als die Ver- handlungen zu einer Einigung nicht führen ſollten, vorſchlagen wird, bereits feſt. Die Regierung wird folgende Abänderungen der in der Gautſchſchen Wahlreformvorlage feſtgeſetzten Mandatsaufteilung vornehmen. Galizien erhält ſtatt der 88 Mandate, welche ihm in der in Verhandlung ſtehenden Wahlreformvorlage zugewieſen wurden, 102 Mandate, alſo um 14 mehr. Die Czechen erhalten zwei neue Mandate, ſo daß die Geſamtzahl ihrer Mandate von 99 auf 101 ſteigt. Den Italienern werden zwei Mandate zugewieſen, womit ſie ihren früheren Beſitzſtand von 18 Mandaten wieder erreichen. Die Deutſchen erhalten 16 neue Mandate, wodurch die Zahl der deutſchen Abgeordneten ſich von 205 auf 221 ſteigern wird. Dieſe Mandate ſollen in folgender Weiſe verteilt werden: drei für deutſche Bezirke in den Sudetenländern, ein Linzer Mandat, ein Mandat für die deutſchen Landgemeinden in der Buko- wina, eventuell ein weiteres Mandat für Salzburg und un- gefähr zehn Mandate für Niederöſterreich. Die Spannung zwiſchen dem ſlaviſchen Block und dem deutſch-romaniſchen Block würde ſonach von fünf auf drei Mandate herabgeſetzt werden. Die Geſamtzahl der Abgeordneten würde ſich nach dieſem Vorſchlage auf 489 erhöhen, alſo um 34 höher ſein, als ſie in dem Gautſchſchen Entwurfe feſtgeſetzt iſt. Den Slaven werden in dem Kompromißvorſchlag der Regierung 246, den Deutſchen 221, den Italienern 18 und den Ru- mänen 4 Mandate eingeräumt. Die Lage in Ungarn. (Der Kaiſer in Budapeſt.) Budapeſt, 21. Mai. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Der Kaiſer iſt abends hier eingetroffen und wurde auf der Fahrt in die Hofburg von einer großen Menſchenmenge enthuſiaſtiſch mit Eljenrufen begrüßt. (Zur Eröffnung des Reichsrates.) Budapeſt, 20. Mai. Der geweſene Präſident des Ab- geordnetenhauſes und wahrſcheinlich auch des zukünftigen, Julius Juſth, hat ſich heute über die Frage geäußert, ob die Unabhängigkeitspartei bei der Verleſung der Thronrede in der Hofburg erſcheinen werde, und zw. folgendermaßen: „Ich werde der Thronrede in der Hofburg jedenfalls bei- wohnen. Die Anſichten der übrigen Mitglieder meiner Partei ſind mir nicht bekannt. Ich bin jedoch überzeugt, daß es eine Verletzung der Höflichkeit, ja mehr wäre, wenn wir der Thronrede fern bleiben würden. Der König hat der Majo- rität des Hauſes ſein Vertrauen geſchenkt, aus ihrer Mitte Mitglieder ſeines Kabinetts entnommen und kommt zur Er-

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 712, Czernowitz, 22.05.1906, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer712_1906/2>, abgerufen am 28.04.2024.