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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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Sigmund Kaff: Das Erzhaus.
im gewerblichen Leben und bei anderen Gesellschaftsklassen gar kein Vertrags-
bruch
vorliegt, da spricht man den Landproletarier nicht nur aufgrund ver-
zopfter Gesetzesvorschriften schuldig, da müssen auch noch neue Gesetze die
Folgen eines solchen Urteils vertiefen und verschlimmern. Es gilt, eine Sonder-
bestrafung zu schaffen, während nirgendwo sonst, in Jndustrie und Handel, für
die freien Berufe, für alle modernen Lebensverhältnisse, der Vertragsbruch
strafrechtlich verfolgt und geahndet wird. Zugleich welch verbissene Kurzsichtig-
keit steckt in solch reaktionärem Gebahren! Die Landwirtschaft als Ganzes hat,
wie gesagt, von dem Vorgehen keinerlei Nutzen. Welchen produktiven Wert
kann überhaupt ein Arbeiter haben, den nur noch die Angst vor Gensdarmen
und Gerichten auf dem Gute festhält? Allerdings, dieser und jener Unternehmer
könnte seinem persönlichen Rachebedürfnis gegen einen entronnenen Sklaven
freieren Lauf lassen, wenn... der Arbeiter es nicht vorzieht, zur Jndustrie
zu desertieren, statt zu einem anderen landwirtschaftlichen Arbeitgeber. Beim
Uebertritt auf den gewerblichen Boden, da fallen diese letzten Ketten, die den
Verfolgten in seinem freien Stellenwechsel hindern. Jn der Jndustrie, da
winkt ein freies Asylrecht. Die Stadtluft macht, wie dereinst, wieder frei!
Die Rettung der Landwirtschaft läuft zuletzt auf eine Prämiierung der Land-
flucht hinaus!

Um dieses Widersinnes willen hätte man einen Einbruch in die Befug-
nisse der Reichsgesetzgebung wagen, hätte man Gefahr laufen sollen, von Reichs-
wegen schließlich genau so desavouiert zu werden, wie einst Sachsen und die
Hansestädte mit ihren Streikverordnungen? Deswegen, wie der Preußentag der
Arbeiter bewies, so viel Wasser auf die Agitationsmühlen der Sozialdemokratie?
Noch dazu in der Zeit des Zolltarifs und der agrarischen Handelsverträge, wo
es sowieso an Zündstoff aller Art nicht mangelt?

Kein Wunder, es wurde still und immer stiller um den preußischen
Landwirtschaftsminister, der den Entwurf anfangs vorbehaltslos empfohlen
hatte. Nun ist auch Herr v. Podbielski entschlossen, sich die Sache reiflicher
zu überlegen. Hoffentlich, um niemals wieder darauf zurückzukommen.

[Abbildung]
Das Erzhaus.
Von Sigmund Kaff, Wien.

Franz Kossuth, der Sohn des ungarischen Rebellenführers vom Jahre 1848,
hat als Haupt der Opposition im ungarischen Abgeordnetenhause die Berufung
zum Kaiser, pardon zum König, erhalten. Denn für die Ungarn ist Franz
Josef "nur" der König, ihr Monarch aus dem Hause Habsburg, das sie im

Sigmund Kaff: Das Erzhaus.
im gewerblichen Leben und bei anderen Gesellschaftsklassen gar kein Vertrags-
bruch
vorliegt, da spricht man den Landproletarier nicht nur aufgrund ver-
zopfter Gesetzesvorschriften schuldig, da müssen auch noch neue Gesetze die
Folgen eines solchen Urteils vertiefen und verschlimmern. Es gilt, eine Sonder-
bestrafung zu schaffen, während nirgendwo sonst, in Jndustrie und Handel, für
die freien Berufe, für alle modernen Lebensverhältnisse, der Vertragsbruch
strafrechtlich verfolgt und geahndet wird. Zugleich welch verbissene Kurzsichtig-
keit steckt in solch reaktionärem Gebahren! Die Landwirtschaft als Ganzes hat,
wie gesagt, von dem Vorgehen keinerlei Nutzen. Welchen produktiven Wert
kann überhaupt ein Arbeiter haben, den nur noch die Angst vor Gensdarmen
und Gerichten auf dem Gute festhält? Allerdings, dieser und jener Unternehmer
könnte seinem persönlichen Rachebedürfnis gegen einen entronnenen Sklaven
freieren Lauf lassen, wenn... der Arbeiter es nicht vorzieht, zur Jndustrie
zu desertieren, statt zu einem anderen landwirtschaftlichen Arbeitgeber. Beim
Uebertritt auf den gewerblichen Boden, da fallen diese letzten Ketten, die den
Verfolgten in seinem freien Stellenwechsel hindern. Jn der Jndustrie, da
winkt ein freies Asylrecht. Die Stadtluft macht, wie dereinst, wieder frei!
Die Rettung der Landwirtschaft läuft zuletzt auf eine Prämiierung der Land-
flucht hinaus!

Um dieses Widersinnes willen hätte man einen Einbruch in die Befug-
nisse der Reichsgesetzgebung wagen, hätte man Gefahr laufen sollen, von Reichs-
wegen schließlich genau so desavouiert zu werden, wie einst Sachsen und die
Hansestädte mit ihren Streikverordnungen? Deswegen, wie der Preußentag der
Arbeiter bewies, so viel Wasser auf die Agitationsmühlen der Sozialdemokratie?
Noch dazu in der Zeit des Zolltarifs und der agrarischen Handelsverträge, wo
es sowieso an Zündstoff aller Art nicht mangelt?

Kein Wunder, es wurde still und immer stiller um den preußischen
Landwirtschaftsminister, der den Entwurf anfangs vorbehaltslos empfohlen
hatte. Nun ist auch Herr v. Podbielski entschlossen, sich die Sache reiflicher
zu überlegen. Hoffentlich, um niemals wieder darauf zurückzukommen.

[Abbildung]
Das Erzhaus.
Von Sigmund Kaff, Wien.

Franz Kossuth, der Sohn des ungarischen Rebellenführers vom Jahre 1848,
hat als Haupt der Opposition im ungarischen Abgeordnetenhause die Berufung
zum Kaiser, pardon zum König, erhalten. Denn für die Ungarn ist Franz
Josef „nur“ der König, ihr Monarch aus dem Hause Habsburg, das sie im

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[261/0021] Sigmund Kaff: Das Erzhaus. im gewerblichen Leben und bei anderen Gesellschaftsklassen gar kein Vertrags- bruch vorliegt, da spricht man den Landproletarier nicht nur aufgrund ver- zopfter Gesetzesvorschriften schuldig, da müssen auch noch neue Gesetze die Folgen eines solchen Urteils vertiefen und verschlimmern. Es gilt, eine Sonder- bestrafung zu schaffen, während nirgendwo sonst, in Jndustrie und Handel, für die freien Berufe, für alle modernen Lebensverhältnisse, der Vertragsbruch strafrechtlich verfolgt und geahndet wird. Zugleich welch verbissene Kurzsichtig- keit steckt in solch reaktionärem Gebahren! Die Landwirtschaft als Ganzes hat, wie gesagt, von dem Vorgehen keinerlei Nutzen. Welchen produktiven Wert kann überhaupt ein Arbeiter haben, den nur noch die Angst vor Gensdarmen und Gerichten auf dem Gute festhält? Allerdings, dieser und jener Unternehmer könnte seinem persönlichen Rachebedürfnis gegen einen entronnenen Sklaven freieren Lauf lassen, wenn... der Arbeiter es nicht vorzieht, zur Jndustrie zu desertieren, statt zu einem anderen landwirtschaftlichen Arbeitgeber. Beim Uebertritt auf den gewerblichen Boden, da fallen diese letzten Ketten, die den Verfolgten in seinem freien Stellenwechsel hindern. Jn der Jndustrie, da winkt ein freies Asylrecht. Die Stadtluft macht, wie dereinst, wieder frei! Die Rettung der Landwirtschaft läuft zuletzt auf eine Prämiierung der Land- flucht hinaus! Um dieses Widersinnes willen hätte man einen Einbruch in die Befug- nisse der Reichsgesetzgebung wagen, hätte man Gefahr laufen sollen, von Reichs- wegen schließlich genau so desavouiert zu werden, wie einst Sachsen und die Hansestädte mit ihren Streikverordnungen? Deswegen, wie der Preußentag der Arbeiter bewies, so viel Wasser auf die Agitationsmühlen der Sozialdemokratie? Noch dazu in der Zeit des Zolltarifs und der agrarischen Handelsverträge, wo es sowieso an Zündstoff aller Art nicht mangelt? Kein Wunder, es wurde still und immer stiller um den preußischen Landwirtschaftsminister, der den Entwurf anfangs vorbehaltslos empfohlen hatte. Nun ist auch Herr v. Podbielski entschlossen, sich die Sache reiflicher zu überlegen. Hoffentlich, um niemals wieder darauf zurückzukommen. [Abbildung] Das Erzhaus. Von Sigmund Kaff, Wien. Franz Kossuth, der Sohn des ungarischen Rebellenführers vom Jahre 1848, hat als Haupt der Opposition im ungarischen Abgeordnetenhause die Berufung zum Kaiser, pardon zum König, erhalten. Denn für die Ungarn ist Franz Josef „nur“ der König, ihr Monarch aus dem Hause Habsburg, das sie im

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/21>, abgerufen am 21.11.2024.