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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905.

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Der neue Berliner Dom.
Von Dr. Johannes Schubert, Friedrichshagen.

Es ist keine leichte Sache um einen Kirchenbau in Berlin. Wenn die
Architektur die Kunst der Raumverhältnisse ist, so darf sie sich nicht damit be-
gnügen, ein in sich nach edlen Proportionen gegliedertes Bauwerk zu schaffen,
sie muß auch die nähere Umgebung, ja in gewissem Sinne die Physiognomie
der ganzen Stadt mit in Betracht ziehen. Eine Kirche zumal trägt wesentlich
dazu bei, das Profil, die Silhouette einer Stadt mit zu bestimmen, und es ist,
um ein Beispiel anzuführen, eine Barbarei, das edle, einheitliche altdeutsche
Profil einer Stadt wie Danzig durch eine mitten hinein gesetzte Synagoge
-- ein für sich betrachtet ganz annehmbares Bauwerk -- zu unterbrechen und
zu entstellen.

Nun, Berlin hat keine einheitliche Physiognomie; es hat auch nicht, wie
z. B. London in seiner Gotik, eine Tradition, die den Epigonen einen bestimmten
Stil zur Fortentwicklung an die Hand gäbe. Die einzigen Bauwerke, die in
Berlin nicht den Eindruck des zufällig von einem geistreichen Kopf wie z. B.
Schinkel Gemachten, sondern des Organisch=Gewordenen hervorrufen, bei denen
man das Gefühl einer gewissen Bodenständigkeit, der innerlich=notwendigen
Zusammengehörigkeit mit einem bestimmten Zeitgeist hat, sind die paar Bauten
im Stil eines edlen von Schwulst sich fernhaltenden Barock, vor allem das
Königl. Schloß. Zwischen Schinkels altes Museum und Schlüters stolzen, durch
die edle Gliederung seiner wuchtigen Massivität so schönen Barockriesen, der
wie ein rocher de bronze in dem beständigen Wechsel des Berliner Stadtbildes
schier beruhigend dasteht, hat sich nun ein Nebenbuhler eingeschoben, der mit
ihnen sich in die Herrschaft über den Schloßplatz teilt: Der neue Dom.

Ein Bauwerk in den prunkvollen, ach! so weltlichen, so wenig zur Andacht
stimmenden Formen der italienischen Hochrenaissance ist also dazu bestimmt,
gleichsam als der offizielle Ausdruck des preußischen Protestantismus, als
Gotteshaus des Königs, der ja zugleich "Bischof" der Landeskirche ist, dazu-
stehen. Jn streng protestantischen Kreisen hat man den Kopf geschüttelt über
die Zumutung, in einem solchen Bau -- ganz abgesehen von seinem künstlerischen
Wert oder Unwert -- den ästhetisch=symbolischen Ausdruck des protestantischen
Geistes erblicken zu sollen. Sicherlich nicht ohne Grund; nur sollte man nicht
vergessen, daß der Protestantismus niemals künstlerische Schöpferkraft genug
besessen hat, um einen eigenen Baustil ins Leben zu rufen; er muß sich damit
begnügen, eine Kirchenmusik zu besitzen, in deren tiefsinnigen, bei ihrem größten
Genius oft zum Abstrakt=grüblerischen neigenden Formen sein nach Jnnen ge-
wandter Geist auch allein den ihm adäquaten Ausdruck zu finden vermag.
Jmmerhin findet er in der Gotik die ihm am nächsten liegende, spezifisch
nordische Form, und in diesem Stil pflegt sich denn auch der protestantische


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Der neue Berliner Dom.
Von Dr. Johannes Schubert, Friedrichshagen.

Es ist keine leichte Sache um einen Kirchenbau in Berlin. Wenn die
Architektur die Kunst der Raumverhältnisse ist, so darf sie sich nicht damit be-
gnügen, ein in sich nach edlen Proportionen gegliedertes Bauwerk zu schaffen,
sie muß auch die nähere Umgebung, ja in gewissem Sinne die Physiognomie
der ganzen Stadt mit in Betracht ziehen. Eine Kirche zumal trägt wesentlich
dazu bei, das Profil, die Silhouette einer Stadt mit zu bestimmen, und es ist,
um ein Beispiel anzuführen, eine Barbarei, das edle, einheitliche altdeutsche
Profil einer Stadt wie Danzig durch eine mitten hinein gesetzte Synagoge
— ein für sich betrachtet ganz annehmbares Bauwerk — zu unterbrechen und
zu entstellen.

Nun, Berlin hat keine einheitliche Physiognomie; es hat auch nicht, wie
z. B. London in seiner Gotik, eine Tradition, die den Epigonen einen bestimmten
Stil zur Fortentwicklung an die Hand gäbe. Die einzigen Bauwerke, die in
Berlin nicht den Eindruck des zufällig von einem geistreichen Kopf wie z. B.
Schinkel Gemachten, sondern des Organisch=Gewordenen hervorrufen, bei denen
man das Gefühl einer gewissen Bodenständigkeit, der innerlich=notwendigen
Zusammengehörigkeit mit einem bestimmten Zeitgeist hat, sind die paar Bauten
im Stil eines edlen von Schwulst sich fernhaltenden Barock, vor allem das
Königl. Schloß. Zwischen Schinkels altes Museum und Schlüters stolzen, durch
die edle Gliederung seiner wuchtigen Massivität so schönen Barockriesen, der
wie ein rocher de bronze in dem beständigen Wechsel des Berliner Stadtbildes
schier beruhigend dasteht, hat sich nun ein Nebenbuhler eingeschoben, der mit
ihnen sich in die Herrschaft über den Schloßplatz teilt: Der neue Dom.

Ein Bauwerk in den prunkvollen, ach! so weltlichen, so wenig zur Andacht
stimmenden Formen der italienischen Hochrenaissance ist also dazu bestimmt,
gleichsam als der offizielle Ausdruck des preußischen Protestantismus, als
Gotteshaus des Königs, der ja zugleich „Bischof“ der Landeskirche ist, dazu-
stehen. Jn streng protestantischen Kreisen hat man den Kopf geschüttelt über
die Zumutung, in einem solchen Bau — ganz abgesehen von seinem künstlerischen
Wert oder Unwert — den ästhetisch=symbolischen Ausdruck des protestantischen
Geistes erblicken zu sollen. Sicherlich nicht ohne Grund; nur sollte man nicht
vergessen, daß der Protestantismus niemals künstlerische Schöpferkraft genug
besessen hat, um einen eigenen Baustil ins Leben zu rufen; er muß sich damit
begnügen, eine Kirchenmusik zu besitzen, in deren tiefsinnigen, bei ihrem größten
Genius oft zum Abstrakt=grüblerischen neigenden Formen sein nach Jnnen ge-
wandter Geist auch allein den ihm adäquaten Ausdruck zu finden vermag.
Jmmerhin findet er in der Gotik die ihm am nächsten liegende, spezifisch
nordische Form, und in diesem Stil pflegt sich denn auch der protestantische

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[381/0045] [Abbildung] Der neue Berliner Dom. Von Dr. Johannes Schubert, Friedrichshagen. Es ist keine leichte Sache um einen Kirchenbau in Berlin. Wenn die Architektur die Kunst der Raumverhältnisse ist, so darf sie sich nicht damit be- gnügen, ein in sich nach edlen Proportionen gegliedertes Bauwerk zu schaffen, sie muß auch die nähere Umgebung, ja in gewissem Sinne die Physiognomie der ganzen Stadt mit in Betracht ziehen. Eine Kirche zumal trägt wesentlich dazu bei, das Profil, die Silhouette einer Stadt mit zu bestimmen, und es ist, um ein Beispiel anzuführen, eine Barbarei, das edle, einheitliche altdeutsche Profil einer Stadt wie Danzig durch eine mitten hinein gesetzte Synagoge — ein für sich betrachtet ganz annehmbares Bauwerk — zu unterbrechen und zu entstellen. Nun, Berlin hat keine einheitliche Physiognomie; es hat auch nicht, wie z. B. London in seiner Gotik, eine Tradition, die den Epigonen einen bestimmten Stil zur Fortentwicklung an die Hand gäbe. Die einzigen Bauwerke, die in Berlin nicht den Eindruck des zufällig von einem geistreichen Kopf wie z. B. Schinkel Gemachten, sondern des Organisch=Gewordenen hervorrufen, bei denen man das Gefühl einer gewissen Bodenständigkeit, der innerlich=notwendigen Zusammengehörigkeit mit einem bestimmten Zeitgeist hat, sind die paar Bauten im Stil eines edlen von Schwulst sich fernhaltenden Barock, vor allem das Königl. Schloß. Zwischen Schinkels altes Museum und Schlüters stolzen, durch die edle Gliederung seiner wuchtigen Massivität so schönen Barockriesen, der wie ein rocher de bronze in dem beständigen Wechsel des Berliner Stadtbildes schier beruhigend dasteht, hat sich nun ein Nebenbuhler eingeschoben, der mit ihnen sich in die Herrschaft über den Schloßplatz teilt: Der neue Dom. Ein Bauwerk in den prunkvollen, ach! so weltlichen, so wenig zur Andacht stimmenden Formen der italienischen Hochrenaissance ist also dazu bestimmt, gleichsam als der offizielle Ausdruck des preußischen Protestantismus, als Gotteshaus des Königs, der ja zugleich „Bischof“ der Landeskirche ist, dazu- stehen. Jn streng protestantischen Kreisen hat man den Kopf geschüttelt über die Zumutung, in einem solchen Bau — ganz abgesehen von seinem künstlerischen Wert oder Unwert — den ästhetisch=symbolischen Ausdruck des protestantischen Geistes erblicken zu sollen. Sicherlich nicht ohne Grund; nur sollte man nicht vergessen, daß der Protestantismus niemals künstlerische Schöpferkraft genug besessen hat, um einen eigenen Baustil ins Leben zu rufen; er muß sich damit begnügen, eine Kirchenmusik zu besitzen, in deren tiefsinnigen, bei ihrem größten Genius oft zum Abstrakt=grüblerischen neigenden Formen sein nach Jnnen ge- wandter Geist auch allein den ihm adäquaten Ausdruck zu finden vermag. Jmmerhin findet er in der Gotik die ihm am nächsten liegende, spezifisch nordische Form, und in diesem Stil pflegt sich denn auch der protestantische

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0108_1905/45>, abgerufen am 21.11.2024.