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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905.

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EUROPA
Wochenschrift für Kultur und Politik.


I. Band Berlin=Charlottenburg, 23. März 1905 10. Heft


Verlagsgesellschaft Europa G. m. b. H., Berlin=Charlottenburg, Niebuhrstr. 1.
Fernsprecher: Amt Charlottenburg No. 2101.



Unsere Schwenkung zu Japan.
Von Heinrich Michalski.

Es ist einer der Hauptmängel der oppositionellen Presse Deutschlands,
daß sie sich nicht zu einem freien Blick auf die Ereignisse und Wandlungen der
äußeren Politik durchringen kann. Selbst wenn sie die Maßregeln der Regie-
rung kritisiert, bleibt sie in ihrem Kielwasser. Sie kritisiert für gewöhnlich
erst Dinge, die geschehen und unabänderlich sind und aus denen nun einmal
die notwendigen Konsequenzen gezogen werden müssen. Jn Nr. 7 dieser
Blätter machte ich auf die Schwenkung der englischen Politik Rußland und
Japan gegenüber aufmerksam und auf die innige Fühlung, die seit einiger
Zeit sich zwischen der russischen und englischen Diplomatie hergestellt hat,
und der die nach der vorhergehenden Aufregung in England beinahe komisch
wirkende Erledigung des Huller Zwischenfalls durch den Schiedsspruch der
internationalen Kommission zu danken ist. Damals, also vor drei Wochen,
machte ich auch schon darauf aufmerksam, wie dasselbe England, welches Japan
zum Kriege gegen Rußland gereizt, es durch den Abschluß eines ausdrücklichen
Bündnisses ermutigt hat, zwei Tage nach Beginn des russisch=japanischen
Krieges seine Tibet=Aktion begann, wie die englische Politik es verstanden hat,
Deutschland vollkommen aus seinem so sauer erworbenen Einfluß auf
die russische Politik zu verdrängen. England wird seinen Lohn in Tibet ein-
heimsen und Deutschland? Nun, die deutschen Staatsmänner sagen: was die
englischen können, können wir auch, schwenkt die englische Politik, so schwenkt
die deutsche auch. Aber ich machte schon in meinem Aufsatz in der vorigen
Nummer darauf aufmerksam, daß hier doch ein erheblicher Unterschied vor-
liegt. Was bei England eine taktische Schwenkung ist, sieht bei Deutschland
leider nur zu sehr wie ein Schwanken aus.

Die Andeutungen, die ich in Nr. 9 darauf machte, daß die deutsche
Diplomatie eine innigere Fühlung mit Japan suche, sind natürlich nirgends
beachtet worden, auch die oppositionelle Presse Deutschlands wagt im allge-
meinen erst Nachrichten aufzugreifen, die ihr offiziell oder offiziös von der
Regierung zugeworfen werden. Wie wenig zuverlässig diese Art von Nach-
richtendienst ist, drückt eine Anekdote sehr hübsch aus. Als Bismarck noch am
Ruder war, empfing der Berliner Korrespondent der "Times" eines Tages

EUROPA
Wochenschrift für Kultur und Politik.


I. Band Berlin=Charlottenburg, 23. März 1905 10. Heft


Verlagsgesellschaft Europa G. m. b. H., Berlin=Charlottenburg, Niebuhrstr. 1.
Fernsprecher: Amt Charlottenburg No. 2101.



Unsere Schwenkung zu Japan.
Von Heinrich Michalski.

Es ist einer der Hauptmängel der oppositionellen Presse Deutschlands,
daß sie sich nicht zu einem freien Blick auf die Ereignisse und Wandlungen der
äußeren Politik durchringen kann. Selbst wenn sie die Maßregeln der Regie-
rung kritisiert, bleibt sie in ihrem Kielwasser. Sie kritisiert für gewöhnlich
erst Dinge, die geschehen und unabänderlich sind und aus denen nun einmal
die notwendigen Konsequenzen gezogen werden müssen. Jn Nr. 7 dieser
Blätter machte ich auf die Schwenkung der englischen Politik Rußland und
Japan gegenüber aufmerksam und auf die innige Fühlung, die seit einiger
Zeit sich zwischen der russischen und englischen Diplomatie hergestellt hat,
und der die nach der vorhergehenden Aufregung in England beinahe komisch
wirkende Erledigung des Huller Zwischenfalls durch den Schiedsspruch der
internationalen Kommission zu danken ist. Damals, also vor drei Wochen,
machte ich auch schon darauf aufmerksam, wie dasselbe England, welches Japan
zum Kriege gegen Rußland gereizt, es durch den Abschluß eines ausdrücklichen
Bündnisses ermutigt hat, zwei Tage nach Beginn des russisch=japanischen
Krieges seine Tibet=Aktion begann, wie die englische Politik es verstanden hat,
Deutschland vollkommen aus seinem so sauer erworbenen Einfluß auf
die russische Politik zu verdrängen. England wird seinen Lohn in Tibet ein-
heimsen und Deutschland? Nun, die deutschen Staatsmänner sagen: was die
englischen können, können wir auch, schwenkt die englische Politik, so schwenkt
die deutsche auch. Aber ich machte schon in meinem Aufsatz in der vorigen
Nummer darauf aufmerksam, daß hier doch ein erheblicher Unterschied vor-
liegt. Was bei England eine taktische Schwenkung ist, sieht bei Deutschland
leider nur zu sehr wie ein Schwanken aus.

Die Andeutungen, die ich in Nr. 9 darauf machte, daß die deutsche
Diplomatie eine innigere Fühlung mit Japan suche, sind natürlich nirgends
beachtet worden, auch die oppositionelle Presse Deutschlands wagt im allge-
meinen erst Nachrichten aufzugreifen, die ihr offiziell oder offiziös von der
Regierung zugeworfen werden. Wie wenig zuverlässig diese Art von Nach-
richtendienst ist, drückt eine Anekdote sehr hübsch aus. Als Bismarck noch am
Ruder war, empfing der Berliner Korrespondent der „Times“ eines Tages

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905, S. [433]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0110_1905/1>, abgerufen am 21.11.2024.