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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905.

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Rich. Calwer: Adolf Wagner.
materiellen, menschheitsverbindenden Faktoren nötig. Diese aber bedingen eine
andere Einsicht und eine andere Willenszucht, als sie unter der Herrschaft des
Naturprinzips bestehen konnte; aber sie werden auch ihrerseits rückwirkend
durch diese bedingt. Hier besteht eine ständige Wechselwirkung, nicht eine bloß
einseitige Wirkung eines einzelnen der drei genannten Faktoren. Wenn man
von dem allerdings grundlegenden Einflusse gerade der wirtschaftlichen Ver-
änderungen spricht, so darf man nie vergessen, daß in der Wirtschaft selbst die
drei Faktoren, das tote Material einschließlich der die Menschen unbewußt
verbindenden Fäden, die bewußte Einsicht und der sich den Zwecken unter-
ordnende Willen bereits beisammen sind, daß sie in einer ständigen Korrelation
stehen. Das Naturprinzip ist das Prinzip der Relativität, das Ge-
meinschaftsprinzip ist von Anbeginn an das der Korrelativität.

Es bedarf also für den Sozialismus in der Tat, wenn er lebendig
werden soll, nicht bloß des "Klassenkampfes", der nur eine notwendige Reaktion
einer Form des Naturprinzips gegen eine andere ist, sondern vor allem der
genannten drei anderen Faktoren, deren Pflege über dem Kampfe oft gar zu
geringschätzig behandelt wird.

Hierüber ein andermal weiteres.

[Abbildung]
Adolf Wagner.
Von Richard Calwer, Berlin.

Nicht über die wissenschaftlichen Leistungen Adolf Wagners will ich hier
reden. Das überlasse ich Kundigeren, die dem Siebzigjährigen einen Ehren-
platz in den Reihen der neueren Nationalökonomen anweisen werden. Es
wird nicht gar leicht sein, Wagner in eine der verschiedenen Richtungen der
modernen Nationalökonomie einzuzwängen; dazu ist er viel zu sehr Eingänger
und hat mit gutem Grund vermieden, eine eigene Schule zu bilden. Mancherlei
wird sich Wagner zu seinem einundsiebzigsten Geburtstag gefallen lassen müssen,
doch weder absprechende, noch überschwängliche Urteile über seine wissenschaft-
lichen Arbeiten werden ihn allzusehr rühren. Jch will auch nicht den Lehrer
der akademischen Jugend feiern. Er hat so viele begeisterte und dankbare
Schüler, daß diese die nächsten dazu sind. Soll ich seine politische Tätigkeit
würdigen? Das wäre zwar verlockend genug, würde aber in der Hauptsache
eine Polemik werden, und mit einer solchen stellt man sich zu einer Geburts-
tagsfeier auch nicht ein.

Was aber soll ich nun zum 25. März über Adolf Wagner schreiben? Es
ist vielleicht wenig, was ich zu sagen habe, aber in der heutigen Zeit mit
dem überwuchernden Unfehlbarkeitsdünkel, durch den sich die im öffentlichen
Leben stehenden und wirkenden Personen auszeichnen, ist es doch nicht ganz

Rich. Calwer: Adolf Wagner.
materiellen, menschheitsverbindenden Faktoren nötig. Diese aber bedingen eine
andere Einsicht und eine andere Willenszucht, als sie unter der Herrschaft des
Naturprinzips bestehen konnte; aber sie werden auch ihrerseits rückwirkend
durch diese bedingt. Hier besteht eine ständige Wechselwirkung, nicht eine bloß
einseitige Wirkung eines einzelnen der drei genannten Faktoren. Wenn man
von dem allerdings grundlegenden Einflusse gerade der wirtschaftlichen Ver-
änderungen spricht, so darf man nie vergessen, daß in der Wirtschaft selbst die
drei Faktoren, das tote Material einschließlich der die Menschen unbewußt
verbindenden Fäden, die bewußte Einsicht und der sich den Zwecken unter-
ordnende Willen bereits beisammen sind, daß sie in einer ständigen Korrelation
stehen. Das Naturprinzip ist das Prinzip der Relativität, das Ge-
meinschaftsprinzip ist von Anbeginn an das der Korrelativität.

Es bedarf also für den Sozialismus in der Tat, wenn er lebendig
werden soll, nicht bloß des „Klassenkampfes“, der nur eine notwendige Reaktion
einer Form des Naturprinzips gegen eine andere ist, sondern vor allem der
genannten drei anderen Faktoren, deren Pflege über dem Kampfe oft gar zu
geringschätzig behandelt wird.

Hierüber ein andermal weiteres.

[Abbildung]
Adolf Wagner.
Von Richard Calwer, Berlin.

Nicht über die wissenschaftlichen Leistungen Adolf Wagners will ich hier
reden. Das überlasse ich Kundigeren, die dem Siebzigjährigen einen Ehren-
platz in den Reihen der neueren Nationalökonomen anweisen werden. Es
wird nicht gar leicht sein, Wagner in eine der verschiedenen Richtungen der
modernen Nationalökonomie einzuzwängen; dazu ist er viel zu sehr Eingänger
und hat mit gutem Grund vermieden, eine eigene Schule zu bilden. Mancherlei
wird sich Wagner zu seinem einundsiebzigsten Geburtstag gefallen lassen müssen,
doch weder absprechende, noch überschwängliche Urteile über seine wissenschaft-
lichen Arbeiten werden ihn allzusehr rühren. Jch will auch nicht den Lehrer
der akademischen Jugend feiern. Er hat so viele begeisterte und dankbare
Schüler, daß diese die nächsten dazu sind. Soll ich seine politische Tätigkeit
würdigen? Das wäre zwar verlockend genug, würde aber in der Hauptsache
eine Polemik werden, und mit einer solchen stellt man sich zu einer Geburts-
tagsfeier auch nicht ein.

Was aber soll ich nun zum 25. März über Adolf Wagner schreiben? Es
ist vielleicht wenig, was ich zu sagen habe, aber in der heutigen Zeit mit
dem überwuchernden Unfehlbarkeitsdünkel, durch den sich die im öffentlichen
Leben stehenden und wirkenden Personen auszeichnen, ist es doch nicht ganz

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[450/0018] Rich. Calwer: Adolf Wagner. materiellen, menschheitsverbindenden Faktoren nötig. Diese aber bedingen eine andere Einsicht und eine andere Willenszucht, als sie unter der Herrschaft des Naturprinzips bestehen konnte; aber sie werden auch ihrerseits rückwirkend durch diese bedingt. Hier besteht eine ständige Wechselwirkung, nicht eine bloß einseitige Wirkung eines einzelnen der drei genannten Faktoren. Wenn man von dem allerdings grundlegenden Einflusse gerade der wirtschaftlichen Ver- änderungen spricht, so darf man nie vergessen, daß in der Wirtschaft selbst die drei Faktoren, das tote Material einschließlich der die Menschen unbewußt verbindenden Fäden, die bewußte Einsicht und der sich den Zwecken unter- ordnende Willen bereits beisammen sind, daß sie in einer ständigen Korrelation stehen. Das Naturprinzip ist das Prinzip der Relativität, das Ge- meinschaftsprinzip ist von Anbeginn an das der Korrelativität. Es bedarf also für den Sozialismus in der Tat, wenn er lebendig werden soll, nicht bloß des „Klassenkampfes“, der nur eine notwendige Reaktion einer Form des Naturprinzips gegen eine andere ist, sondern vor allem der genannten drei anderen Faktoren, deren Pflege über dem Kampfe oft gar zu geringschätzig behandelt wird. Hierüber ein andermal weiteres. [Abbildung] Adolf Wagner. Von Richard Calwer, Berlin. Nicht über die wissenschaftlichen Leistungen Adolf Wagners will ich hier reden. Das überlasse ich Kundigeren, die dem Siebzigjährigen einen Ehren- platz in den Reihen der neueren Nationalökonomen anweisen werden. Es wird nicht gar leicht sein, Wagner in eine der verschiedenen Richtungen der modernen Nationalökonomie einzuzwängen; dazu ist er viel zu sehr Eingänger und hat mit gutem Grund vermieden, eine eigene Schule zu bilden. Mancherlei wird sich Wagner zu seinem einundsiebzigsten Geburtstag gefallen lassen müssen, doch weder absprechende, noch überschwängliche Urteile über seine wissenschaft- lichen Arbeiten werden ihn allzusehr rühren. Jch will auch nicht den Lehrer der akademischen Jugend feiern. Er hat so viele begeisterte und dankbare Schüler, daß diese die nächsten dazu sind. Soll ich seine politische Tätigkeit würdigen? Das wäre zwar verlockend genug, würde aber in der Hauptsache eine Polemik werden, und mit einer solchen stellt man sich zu einer Geburts- tagsfeier auch nicht ein. Was aber soll ich nun zum 25. März über Adolf Wagner schreiben? Es ist vielleicht wenig, was ich zu sagen habe, aber in der heutigen Zeit mit dem überwuchernden Unfehlbarkeitsdünkel, durch den sich die im öffentlichen Leben stehenden und wirkenden Personen auszeichnen, ist es doch nicht ganz

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0110_1905/18>, abgerufen am 31.10.2024.