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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905.

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P. Kampffmeyer: Feile Weiberstädte.
richtet werden. Auf öffentliche Kosten können Bordellstraßen nach Lage der
Gesetzgebung nicht geschaffen werden." Ein reicher Besitzer, dem alle Häuser
einer solchen Straße gehören, und der die Straße der Stadt zur Verfügung
stellen wird, dürfte mit der Laterne des Diogenes gesucht werden müssen.
Ein neuer Städtegründer Romulus müßte für die Bordellstadt gefunden werden,
die Dirnen werden aber dem Beispiel des Remus folgen und über die Kaser-
nierungsmauern der Bordellstadt springen.

Nicht nur der Name Bordellstraße erinnert rein äußerlich an das Bordell,
sondern auch das ganze Treiben in diesen Straßen ist vielfach auf das Bordell
gestimmt. Jn den Bordellstraßen brennen häufig auch die Altäre eines ent-
arteten Liebeskultus, gerade wie in den Bordellen. Lesbische Liebe soll in
Bremen nach den Ausführungen Dr. Stachows "nicht ganz selten getrieben
werden", zugestanden wurde sie dem Dr. Stachow in einem Falle. "Ob die
Ausübung sexueller Perversitäten häufig ist, ist mir nicht bekannt. Daß fast
in jeder Wohnung eine Rute, gelegentlich auch Schließeisen vorhanden sind,
deutet darauf hin." ( Dr. Stachow. )

Jn unseren Großstädten hat vielfach die Prostitution den zehnfachen Um-
fang angenommen wie die polizeilich reglementierte Prostitution. Das heilige
Köln zählt etwa 700 Kontrolldirnen, aber nach einer Schätzung des Assessors
Claußmann 7000 geheime Prostituierte. Die Zahl der unter sittenpolizeilicher
Kontrolle stehenden Mädchen beträgt in Berlin etwas über 4000, die sich geheim
aber gewerbsmäßig der Unzucht hingebenden Dirnen werden auf 40--50_000
berechnet. Wollten wir die ganze öffentliche und geheime großstädtische Pro-
stitution außerhalb der Peripherien dieser Großstädte verlegen, so dürften bald
neue lärmende feile Weiberstädte mit einer Einwohnerzahl von 10--40_000
entstehen. Die politische Herrschaft in diesen Städten würde allerdings nicht den
feilen Weibern gehören, sondern den Bordellwirten, die ja heute schon vielfach
"erstklassige Menschen" -- Wähler erster Klasse -- in unseren Großstädten mit
Bordellwirtschaften sind. Ansehnliche Schwesterstädte -- allerdings gerade keine
frommen Schwesterstädte -- dürften alle unsere deutschen Riesenstädte durch die
Kasernierung der Prostitution erhalten. Jn der Ausmalung der Utopie der
feilen Weiberstädte könnte ungezügelt die Phantasie eines Aristophanes schwel-
gen, die ja schon so drastische und ergötzliche Bilder über den Weiberstaat schuf.

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P. Kampffmeyer: Feile Weiberstädte.
richtet werden. Auf öffentliche Kosten können Bordellstraßen nach Lage der
Gesetzgebung nicht geschaffen werden.“ Ein reicher Besitzer, dem alle Häuser
einer solchen Straße gehören, und der die Straße der Stadt zur Verfügung
stellen wird, dürfte mit der Laterne des Diogenes gesucht werden müssen.
Ein neuer Städtegründer Romulus müßte für die Bordellstadt gefunden werden,
die Dirnen werden aber dem Beispiel des Remus folgen und über die Kaser-
nierungsmauern der Bordellstadt springen.

Nicht nur der Name Bordellstraße erinnert rein äußerlich an das Bordell,
sondern auch das ganze Treiben in diesen Straßen ist vielfach auf das Bordell
gestimmt. Jn den Bordellstraßen brennen häufig auch die Altäre eines ent-
arteten Liebeskultus, gerade wie in den Bordellen. Lesbische Liebe soll in
Bremen nach den Ausführungen Dr. Stachows „nicht ganz selten getrieben
werden“, zugestanden wurde sie dem Dr. Stachow in einem Falle. „Ob die
Ausübung sexueller Perversitäten häufig ist, ist mir nicht bekannt. Daß fast
in jeder Wohnung eine Rute, gelegentlich auch Schließeisen vorhanden sind,
deutet darauf hin.“ ( Dr. Stachow. )

Jn unseren Großstädten hat vielfach die Prostitution den zehnfachen Um-
fang angenommen wie die polizeilich reglementierte Prostitution. Das heilige
Köln zählt etwa 700 Kontrolldirnen, aber nach einer Schätzung des Assessors
Claußmann 7000 geheime Prostituierte. Die Zahl der unter sittenpolizeilicher
Kontrolle stehenden Mädchen beträgt in Berlin etwas über 4000, die sich geheim
aber gewerbsmäßig der Unzucht hingebenden Dirnen werden auf 40—50_000
berechnet. Wollten wir die ganze öffentliche und geheime großstädtische Pro-
stitution außerhalb der Peripherien dieser Großstädte verlegen, so dürften bald
neue lärmende feile Weiberstädte mit einer Einwohnerzahl von 10—40_000
entstehen. Die politische Herrschaft in diesen Städten würde allerdings nicht den
feilen Weibern gehören, sondern den Bordellwirten, die ja heute schon vielfach
„erstklassige Menschen“ — Wähler erster Klasse — in unseren Großstädten mit
Bordellwirtschaften sind. Ansehnliche Schwesterstädte — allerdings gerade keine
frommen Schwesterstädte — dürften alle unsere deutschen Riesenstädte durch die
Kasernierung der Prostitution erhalten. Jn der Ausmalung der Utopie der
feilen Weiberstädte könnte ungezügelt die Phantasie eines Aristophanes schwel-
gen, die ja schon so drastische und ergötzliche Bilder über den Weiberstaat schuf.

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[463/0031] P. Kampffmeyer: Feile Weiberstädte. richtet werden. Auf öffentliche Kosten können Bordellstraßen nach Lage der Gesetzgebung nicht geschaffen werden.“ Ein reicher Besitzer, dem alle Häuser einer solchen Straße gehören, und der die Straße der Stadt zur Verfügung stellen wird, dürfte mit der Laterne des Diogenes gesucht werden müssen. Ein neuer Städtegründer Romulus müßte für die Bordellstadt gefunden werden, die Dirnen werden aber dem Beispiel des Remus folgen und über die Kaser- nierungsmauern der Bordellstadt springen. Nicht nur der Name Bordellstraße erinnert rein äußerlich an das Bordell, sondern auch das ganze Treiben in diesen Straßen ist vielfach auf das Bordell gestimmt. Jn den Bordellstraßen brennen häufig auch die Altäre eines ent- arteten Liebeskultus, gerade wie in den Bordellen. Lesbische Liebe soll in Bremen nach den Ausführungen Dr. Stachows „nicht ganz selten getrieben werden“, zugestanden wurde sie dem Dr. Stachow in einem Falle. „Ob die Ausübung sexueller Perversitäten häufig ist, ist mir nicht bekannt. Daß fast in jeder Wohnung eine Rute, gelegentlich auch Schließeisen vorhanden sind, deutet darauf hin.“ ( Dr. Stachow. ) Jn unseren Großstädten hat vielfach die Prostitution den zehnfachen Um- fang angenommen wie die polizeilich reglementierte Prostitution. Das heilige Köln zählt etwa 700 Kontrolldirnen, aber nach einer Schätzung des Assessors Claußmann 7000 geheime Prostituierte. Die Zahl der unter sittenpolizeilicher Kontrolle stehenden Mädchen beträgt in Berlin etwas über 4000, die sich geheim aber gewerbsmäßig der Unzucht hingebenden Dirnen werden auf 40—50_000 berechnet. Wollten wir die ganze öffentliche und geheime großstädtische Pro- stitution außerhalb der Peripherien dieser Großstädte verlegen, so dürften bald neue lärmende feile Weiberstädte mit einer Einwohnerzahl von 10—40_000 entstehen. Die politische Herrschaft in diesen Städten würde allerdings nicht den feilen Weibern gehören, sondern den Bordellwirten, die ja heute schon vielfach „erstklassige Menschen“ — Wähler erster Klasse — in unseren Großstädten mit Bordellwirtschaften sind. Ansehnliche Schwesterstädte — allerdings gerade keine frommen Schwesterstädte — dürften alle unsere deutschen Riesenstädte durch die Kasernierung der Prostitution erhalten. Jn der Ausmalung der Utopie der feilen Weiberstädte könnte ungezügelt die Phantasie eines Aristophanes schwel- gen, die ja schon so drastische und ergötzliche Bilder über den Weiberstaat schuf. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0110_1905/31>, abgerufen am 26.09.2024.