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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905.

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Leo Kestenberg: Richard Strauß.

Vielleicht ohne es zu wollen, wurde dies auch kürzlich in einer offiziellen Eingabe
des Vereins der deutschen Musikalienhändler an den Reichskanzler betreffend die Ein-
richtung einer Reichs=Musikbibliothek ausgesprochen. Es heißt da: "Der gegenwärtige
Zeitpunkt dürfte für die Begründung einer Reichs=Musikbibliothek der gegebene sein, da
eine große Entwickelung der Musik durch deutsche Geistestätigkeit nach mancher Richtung
hin abgeschlossen erscheint, mithin gerade jetzt der geeignete Zeitpunkt für eine plan-
mäßige und lückenlose Sammlung der musikalischen Geistesschätze aus der zu Ende
gehenden großen Kunstepoche gekommen ist." Noch viel mehr als die hier aufgezählten
Werke geben die übrigen sinfonischen Dichtungen, die Musikdramen und die Lyrik Anlaß
zu der Ansicht, daß wir in Richard Strauß wohl ein großes, auch der Ursprünglichkeit
nicht ermangelndes Talent zu begrüßen haben, das die von den letzten Musik=Genies
nicht zu Ende gegangenen Wege beinahe bis zum erreichbaren Ziele durchschritten hat,
aber denen arge Enttäuschungen bereitet, welche glauben, daß mit Strauß nun eine
neue Aera beginnt. -- -- --

Jn der " Domestica " erst besinnt sich Strauß darauf, sein Werk nach seines
Geistes Gesetz zu bestimmen, und dieses Geistes Gesetz bedeutet ein Ende, nicht
einen Anfang, so daß die deutschen Musikalienhändler wohl ein Recht dazu
haben, von einer zu Ende gehenden großen Kunst=Epoche zu sprechen. -- -- -- Auch
die Werke Gustav Mahlers lassen die Auffassung nicht zu, daß hier ein Beginn sich
darstellt. Wie die " Domestica ", so ist die " V. Symphonie" Mahlers die deutlichste
Jllustration für diesen Abschluß, wenn auch zugestanden werden muß, daß letztere ein
höheres geistiges Niveau für sich in Anspruch nehmen darf.

Wie es feststeht, daß Johannes Brahms den einen rechtsstehenden Turm des
Gebäudes krönte, so können Strauß=Mahler -- wenn diese Behauptung bei dem uns
fehlenden Ueberblick über die Weiterentwickelung erlaubt ist -- als die Spitze des auf
der äußersten Linken stehenden Pfeilers gelten. Bei der Jugendlichkeit unserer Kunst
darf dieses Gebäude doch nur als ein Teil des großen Palastes angesprochen werden,
welchen die Zeit hier aufzuführen beabsichtigt. Schon rüsten sich die Meister, das
Fundament für den neuen Flügel zu legen. Aber nicht Deutschland, sondern Frank-
reich und die übrigen romanischen Länder kommen nach der uns bekannten Situation
hierfür in Frage. Debussy und Faure sind trotz der ihnen durch natürliche
Anlagen gesteckten Begrenzung Pfadfinder. Eine Menge ihnen folgender junger Talente
bürgt dafür, daß vielleicht schon die nächste Generation die Gelegenheit erhält, auf
dem Welttheater Passionsspiele in Szene zu setzen.

[Abbildung]
Leo Kestenberg: Richard Strauß.

Vielleicht ohne es zu wollen, wurde dies auch kürzlich in einer offiziellen Eingabe
des Vereins der deutschen Musikalienhändler an den Reichskanzler betreffend die Ein-
richtung einer Reichs=Musikbibliothek ausgesprochen. Es heißt da: „Der gegenwärtige
Zeitpunkt dürfte für die Begründung einer Reichs=Musikbibliothek der gegebene sein, da
eine große Entwickelung der Musik durch deutsche Geistestätigkeit nach mancher Richtung
hin abgeschlossen erscheint, mithin gerade jetzt der geeignete Zeitpunkt für eine plan-
mäßige und lückenlose Sammlung der musikalischen Geistesschätze aus der zu Ende
gehenden großen Kunstepoche gekommen ist.“ Noch viel mehr als die hier aufgezählten
Werke geben die übrigen sinfonischen Dichtungen, die Musikdramen und die Lyrik Anlaß
zu der Ansicht, daß wir in Richard Strauß wohl ein großes, auch der Ursprünglichkeit
nicht ermangelndes Talent zu begrüßen haben, das die von den letzten Musik=Genies
nicht zu Ende gegangenen Wege beinahe bis zum erreichbaren Ziele durchschritten hat,
aber denen arge Enttäuschungen bereitet, welche glauben, daß mit Strauß nun eine
neue Aera beginnt. — — —

Jn der „ Domestica “ erst besinnt sich Strauß darauf, sein Werk nach seines
Geistes Gesetz zu bestimmen, und dieses Geistes Gesetz bedeutet ein Ende, nicht
einen Anfang, so daß die deutschen Musikalienhändler wohl ein Recht dazu
haben, von einer zu Ende gehenden großen Kunst=Epoche zu sprechen. — — — Auch
die Werke Gustav Mahlers lassen die Auffassung nicht zu, daß hier ein Beginn sich
darstellt. Wie die „ Domestica “, so ist die „ V. Symphonie“ Mahlers die deutlichste
Jllustration für diesen Abschluß, wenn auch zugestanden werden muß, daß letztere ein
höheres geistiges Niveau für sich in Anspruch nehmen darf.

Wie es feststeht, daß Johannes Brahms den einen rechtsstehenden Turm des
Gebäudes krönte, so können Strauß=Mahler — wenn diese Behauptung bei dem uns
fehlenden Ueberblick über die Weiterentwickelung erlaubt ist — als die Spitze des auf
der äußersten Linken stehenden Pfeilers gelten. Bei der Jugendlichkeit unserer Kunst
darf dieses Gebäude doch nur als ein Teil des großen Palastes angesprochen werden,
welchen die Zeit hier aufzuführen beabsichtigt. Schon rüsten sich die Meister, das
Fundament für den neuen Flügel zu legen. Aber nicht Deutschland, sondern Frank-
reich und die übrigen romanischen Länder kommen nach der uns bekannten Situation
hierfür in Frage. Debussy und Fauré sind trotz der ihnen durch natürliche
Anlagen gesteckten Begrenzung Pfadfinder. Eine Menge ihnen folgender junger Talente
bürgt dafür, daß vielleicht schon die nächste Generation die Gelegenheit erhält, auf
dem Welttheater Passionsspiele in Szene zu setzen.

[Abbildung]
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[474/0042] Leo Kestenberg: Richard Strauß. Vielleicht ohne es zu wollen, wurde dies auch kürzlich in einer offiziellen Eingabe des Vereins der deutschen Musikalienhändler an den Reichskanzler betreffend die Ein- richtung einer Reichs=Musikbibliothek ausgesprochen. Es heißt da: „Der gegenwärtige Zeitpunkt dürfte für die Begründung einer Reichs=Musikbibliothek der gegebene sein, da eine große Entwickelung der Musik durch deutsche Geistestätigkeit nach mancher Richtung hin abgeschlossen erscheint, mithin gerade jetzt der geeignete Zeitpunkt für eine plan- mäßige und lückenlose Sammlung der musikalischen Geistesschätze aus der zu Ende gehenden großen Kunstepoche gekommen ist.“ Noch viel mehr als die hier aufgezählten Werke geben die übrigen sinfonischen Dichtungen, die Musikdramen und die Lyrik Anlaß zu der Ansicht, daß wir in Richard Strauß wohl ein großes, auch der Ursprünglichkeit nicht ermangelndes Talent zu begrüßen haben, das die von den letzten Musik=Genies nicht zu Ende gegangenen Wege beinahe bis zum erreichbaren Ziele durchschritten hat, aber denen arge Enttäuschungen bereitet, welche glauben, daß mit Strauß nun eine neue Aera beginnt. — — — Jn der „ Domestica “ erst besinnt sich Strauß darauf, sein Werk nach seines Geistes Gesetz zu bestimmen, und dieses Geistes Gesetz bedeutet ein Ende, nicht einen Anfang, so daß die deutschen Musikalienhändler wohl ein Recht dazu haben, von einer zu Ende gehenden großen Kunst=Epoche zu sprechen. — — — Auch die Werke Gustav Mahlers lassen die Auffassung nicht zu, daß hier ein Beginn sich darstellt. Wie die „ Domestica “, so ist die „ V. Symphonie“ Mahlers die deutlichste Jllustration für diesen Abschluß, wenn auch zugestanden werden muß, daß letztere ein höheres geistiges Niveau für sich in Anspruch nehmen darf. Wie es feststeht, daß Johannes Brahms den einen rechtsstehenden Turm des Gebäudes krönte, so können Strauß=Mahler — wenn diese Behauptung bei dem uns fehlenden Ueberblick über die Weiterentwickelung erlaubt ist — als die Spitze des auf der äußersten Linken stehenden Pfeilers gelten. Bei der Jugendlichkeit unserer Kunst darf dieses Gebäude doch nur als ein Teil des großen Palastes angesprochen werden, welchen die Zeit hier aufzuführen beabsichtigt. Schon rüsten sich die Meister, das Fundament für den neuen Flügel zu legen. Aber nicht Deutschland, sondern Frank- reich und die übrigen romanischen Länder kommen nach der uns bekannten Situation hierfür in Frage. Debussy und Fauré sind trotz der ihnen durch natürliche Anlagen gesteckten Begrenzung Pfadfinder. Eine Menge ihnen folgender junger Talente bürgt dafür, daß vielleicht schon die nächste Generation die Gelegenheit erhält, auf dem Welttheater Passionsspiele in Szene zu setzen. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0110_1905/42>, abgerufen am 26.09.2024.