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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905.

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H. v. Gerlach: Elsaß=Lothringen als Bundesstaat.
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Elsaß=Lothringen als Bundesstaat.
Von H. v. Gerlach, M. d. R.

Wie man liest, soll dem Reichstag ein Jnitiativantrag zugehen, der be-
stimmt ist, die staatsrechtliche Stellung des Reichslandes von Grund aus zu
ändern. Dieser Antrag fußt auf einen einstimmigen Beschluß des Landes-
ausschusses, des elsaß=lothringischen Parlaments. Er besagt, daß Elsaß-
Lothringen von seiner staatsrechtlichen Zwitterstellung befreit und zu dem
Range eines vollberechtigten Bundesstaates erhoben werden soll. Der Kaiser
soll in seiner Eigenschaft als Landesherr des Reichslandes auch die Bevoll-
mächtigten zum Bundesrat dafür ernennen. Die Zahl dieser Bevollmächtigten
festzusetzen, bleibt einem besonderen Gesetz überlassen.

Dies der wesentliche Jnhalt des Antrages, der angeblich von zwölf
reichsländischen Abgeordneten unterschrieben ist, von den lothringischen Gou-
vernementalen Couleur Jaunez so gut wie von den protestlerisch angehauchten
Klerikalen des Elsaß, von dem Freikonservativen Hoessel ebenso wie von dem
Nationalliberalen Schlumberger und dem Freisinnigen Riff. Nur der
Demokrat Blumenthal, der demokratische Klerikale Preiß und der dem Zen-
trum nahestehende Vonderscheer sollen den Antrag nicht unterstützen.

Wie man sich zu dem Antrag stellen soll, wird davon abhängen, was
man in erster Linie im Auge hat: das reichsländische oder das Reichsinteresse.
Der Reichsländer, der zunächst einmal von den allgemeinen politischen Ge-
sichtspunkten abstrahiert, wird alles daran setzen, um seiner engeren Heimat die
politische Gleichberechtigung zu erringen. Heute ist Elsaß=Lothringen das
einzige Staatswesen zweiter Ordnung in Deutschland. Neben den fünfund-
zwanzig Bundesstaaten steht es da als ein Ding, halb Staat, halb Provinz,
ein staatsrechtliches Monstrum, an dem nur die Freunde spitzfindiger staats-
rechtlicher Dissertationen ihre Freude haben können. Jhm haften noch die
Eierschalen seines Ursprungs, des " pays annexe ", an. An allen Lasten des
Reiches nimmt es Teil. Es ist Objekt der Gesetzgebung genau wie jeder
Bundesstaat. Aber Subjekt der Gesetzgebung ist es nur in beschränktem
Maße. Fehlt ihm doch das Wesentliche, das Stimmrecht im Bundesrat. Daß
es einen Kommissar mit beratender Stimme in den Bundesrat entsenden darf,
hat wenig mehr als dekorative Bedeutung.

Es ist daher begreiflich, daß viele Elsaß=Lothringer allen anderen poli-
tischen Bestrebungen die voranstellen, Sitz und Stimme im Bundesrat zu er-
langen. Es ist das begreiflich, sage ich. Für außerordentlich bedenklich würde
ich es aber aus allgemeinen Gründen halten, wenn der Reichstag sich den

H. v. Gerlach: Elsaß=Lothringen als Bundesstaat.
[Abbildung]
Elsaß=Lothringen als Bundesstaat.
Von H. v. Gerlach, M. d. R.

Wie man liest, soll dem Reichstag ein Jnitiativantrag zugehen, der be-
stimmt ist, die staatsrechtliche Stellung des Reichslandes von Grund aus zu
ändern. Dieser Antrag fußt auf einen einstimmigen Beschluß des Landes-
ausschusses, des elsaß=lothringischen Parlaments. Er besagt, daß Elsaß-
Lothringen von seiner staatsrechtlichen Zwitterstellung befreit und zu dem
Range eines vollberechtigten Bundesstaates erhoben werden soll. Der Kaiser
soll in seiner Eigenschaft als Landesherr des Reichslandes auch die Bevoll-
mächtigten zum Bundesrat dafür ernennen. Die Zahl dieser Bevollmächtigten
festzusetzen, bleibt einem besonderen Gesetz überlassen.

Dies der wesentliche Jnhalt des Antrages, der angeblich von zwölf
reichsländischen Abgeordneten unterschrieben ist, von den lothringischen Gou-
vernementalen Couleur Jaunez so gut wie von den protestlerisch angehauchten
Klerikalen des Elsaß, von dem Freikonservativen Hoessel ebenso wie von dem
Nationalliberalen Schlumberger und dem Freisinnigen Riff. Nur der
Demokrat Blumenthal, der demokratische Klerikale Preiß und der dem Zen-
trum nahestehende Vonderscheer sollen den Antrag nicht unterstützen.

Wie man sich zu dem Antrag stellen soll, wird davon abhängen, was
man in erster Linie im Auge hat: das reichsländische oder das Reichsinteresse.
Der Reichsländer, der zunächst einmal von den allgemeinen politischen Ge-
sichtspunkten abstrahiert, wird alles daran setzen, um seiner engeren Heimat die
politische Gleichberechtigung zu erringen. Heute ist Elsaß=Lothringen das
einzige Staatswesen zweiter Ordnung in Deutschland. Neben den fünfund-
zwanzig Bundesstaaten steht es da als ein Ding, halb Staat, halb Provinz,
ein staatsrechtliches Monstrum, an dem nur die Freunde spitzfindiger staats-
rechtlicher Dissertationen ihre Freude haben können. Jhm haften noch die
Eierschalen seines Ursprungs, des „ pays annexé “, an. An allen Lasten des
Reiches nimmt es Teil. Es ist Objekt der Gesetzgebung genau wie jeder
Bundesstaat. Aber Subjekt der Gesetzgebung ist es nur in beschränktem
Maße. Fehlt ihm doch das Wesentliche, das Stimmrecht im Bundesrat. Daß
es einen Kommissar mit beratender Stimme in den Bundesrat entsenden darf,
hat wenig mehr als dekorative Bedeutung.

Es ist daher begreiflich, daß viele Elsaß=Lothringer allen anderen poli-
tischen Bestrebungen die voranstellen, Sitz und Stimme im Bundesrat zu er-
langen. Es ist das begreiflich, sage ich. Für außerordentlich bedenklich würde
ich es aber aus allgemeinen Gründen halten, wenn der Reichstag sich den

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[602/0010] H. v. Gerlach: Elsaß=Lothringen als Bundesstaat. [Abbildung] Elsaß=Lothringen als Bundesstaat. Von H. v. Gerlach, M. d. R. Wie man liest, soll dem Reichstag ein Jnitiativantrag zugehen, der be- stimmt ist, die staatsrechtliche Stellung des Reichslandes von Grund aus zu ändern. Dieser Antrag fußt auf einen einstimmigen Beschluß des Landes- ausschusses, des elsaß=lothringischen Parlaments. Er besagt, daß Elsaß- Lothringen von seiner staatsrechtlichen Zwitterstellung befreit und zu dem Range eines vollberechtigten Bundesstaates erhoben werden soll. Der Kaiser soll in seiner Eigenschaft als Landesherr des Reichslandes auch die Bevoll- mächtigten zum Bundesrat dafür ernennen. Die Zahl dieser Bevollmächtigten festzusetzen, bleibt einem besonderen Gesetz überlassen. Dies der wesentliche Jnhalt des Antrages, der angeblich von zwölf reichsländischen Abgeordneten unterschrieben ist, von den lothringischen Gou- vernementalen Couleur Jaunez so gut wie von den protestlerisch angehauchten Klerikalen des Elsaß, von dem Freikonservativen Hoessel ebenso wie von dem Nationalliberalen Schlumberger und dem Freisinnigen Riff. Nur der Demokrat Blumenthal, der demokratische Klerikale Preiß und der dem Zen- trum nahestehende Vonderscheer sollen den Antrag nicht unterstützen. Wie man sich zu dem Antrag stellen soll, wird davon abhängen, was man in erster Linie im Auge hat: das reichsländische oder das Reichsinteresse. Der Reichsländer, der zunächst einmal von den allgemeinen politischen Ge- sichtspunkten abstrahiert, wird alles daran setzen, um seiner engeren Heimat die politische Gleichberechtigung zu erringen. Heute ist Elsaß=Lothringen das einzige Staatswesen zweiter Ordnung in Deutschland. Neben den fünfund- zwanzig Bundesstaaten steht es da als ein Ding, halb Staat, halb Provinz, ein staatsrechtliches Monstrum, an dem nur die Freunde spitzfindiger staats- rechtlicher Dissertationen ihre Freude haben können. Jhm haften noch die Eierschalen seines Ursprungs, des „ pays annexé “, an. An allen Lasten des Reiches nimmt es Teil. Es ist Objekt der Gesetzgebung genau wie jeder Bundesstaat. Aber Subjekt der Gesetzgebung ist es nur in beschränktem Maße. Fehlt ihm doch das Wesentliche, das Stimmrecht im Bundesrat. Daß es einen Kommissar mit beratender Stimme in den Bundesrat entsenden darf, hat wenig mehr als dekorative Bedeutung. Es ist daher begreiflich, daß viele Elsaß=Lothringer allen anderen poli- tischen Bestrebungen die voranstellen, Sitz und Stimme im Bundesrat zu er- langen. Es ist das begreiflich, sage ich. Für außerordentlich bedenklich würde ich es aber aus allgemeinen Gründen halten, wenn der Reichstag sich den

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0113_1905/10>, abgerufen am 21.11.2024.