Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905.R. Calwer: Das Versprechen der Regierung an die Bergarbeiter. Wenn die Sozialdemokratie als eine oppositionelle Partei, die von der Der Streik ging zu Ende, als die Regierung gesetzliche Hilfe versprach. Und nun -- nach der ersten Lesung der Vorlage in der Kommission? Es ist gar kein Zweifel, die Sozialdemokratie steht vor einer großen Ernte, R. Calwer: Das Versprechen der Regierung an die Bergarbeiter. Wenn die Sozialdemokratie als eine oppositionelle Partei, die von der Der Streik ging zu Ende, als die Regierung gesetzliche Hilfe versprach. Und nun — nach der ersten Lesung der Vorlage in der Kommission? Es ist gar kein Zweifel, die Sozialdemokratie steht vor einer großen Ernte, <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <pb facs="#f0013" n="605"/> <fw type="header" place="top">R. Calwer: Das Versprechen der Regierung an die Bergarbeiter.</fw><lb/> <p>Wenn die Sozialdemokratie als eine oppositionelle Partei, die von der<lb/> Regierung fortgesetzt bekämpft wird, an der Aufrechterhaltung der Autorität<lb/> der jeweiligen Regierung kein Jnteresse hat, ja diese möglichst zu mindern<lb/> sucht, so ist das nicht weiter auffallend. Ganz anders wirkt aber diese Taktik<lb/> bei bürgerlichen Parteien, die der Sozialdemokratie immerzu zum Vorwurf<lb/> machen, daß sie die staatliche Autorität untergrabe. Hier haben wir den<lb/> eklatanten Fall, daß bürgerliche Parteien, auf die sich die Regierung stützt,<lb/> diese zum Verräter an ihrem Versprechen gegenüber den Bergarbeitern machen<lb/> wollen.</p><lb/> <p>Der Streik ging zu Ende, als die Regierung gesetzliche Hilfe versprach.<lb/> An diesem Faktum ist nicht zu rütteln. Die Mehrzahl der Bergleute hofft<lb/> und harrt auf diese Hilfe. Die Vorlage der Regierung ist ungenügend, aber<lb/> immerhin muß man sie als eine Erfüllung des abgegebenen Versprechens be-<lb/> trachten. Schon als die Regierung ihr Versprechen abgab, fehlte es nicht<lb/> an Stimmen, die entweder den ernstlichen Willen oder die Möglichkeit, dieses<lb/> Versprechen durchzuführen, bezweifelten. Man mißtraute schon, als man hörte,<lb/> der preußische Landtag solle sich mit der Angelegenheit befassen. Die damaligen<lb/> Stimmen des Mißtrauens wurden übel vermerkt: man sehe einmal wieder,<lb/> daß es eine Presse gebe, die um jeden Preis alles Vertrauen gegen die staat-<lb/> liche Autorität zu untergraben suche. Pfui über diese Nörgler, denen kein<lb/> Wort der Regierung mehr heilig ist! So las man's, als der Streik zu Ende<lb/> ging und noch lange Zeit danach. Selbst in solchen liberalen Zeitungen, die<lb/> einen ernstlichen Bergarbeiterschutz wünschen, war man direkt erbittert über das<lb/> Mißtrauen, das die sozialdemokratische Presse der Aktion der Regierung ent-<lb/> gegenbrachte.</p><lb/> <p>Und nun — nach der ersten Lesung der Vorlage in der Kommission?<lb/> Man schaue sich die Preßäußerungen an: als ob die besten Bundesgenossen der<lb/> Sozialdemokratie im preußischen Abgeordnetenhause säßen, so wettert's gegen<lb/> die Kommission, die den <hi rendition="#g">obligatorischen</hi> Arbeiterausschuß und den<lb/> sanitären Maximalarbeitstag in der Regierungsvorlage gestrichen hat. Da ist<lb/> die Bescherung: Was die sozialdemokratische Presse vorausgesagt, daß das<lb/> Regierungsversprechen eitel Wind sei, das trifft jetzt buchstäblich ein, weil's<lb/> das preußische Dreiklassenparlament so will. Nicht nur die Bergleute, sondern<lb/> weit darüber hinaus große Kreise der Oeffentlichkeit erhalten den Eindruck,<lb/> daß die Sozialdemokratie wieder einmal eine gute Prophetin war. Scharen<lb/> von Arbeitern, die bisher noch gutgläubig zur Regierung aufschauten und von<lb/> ihr Hilfe erhofften, werden unter der Wirkung eines solchen Spiels, wie es<lb/> mit den Bergleuten beliebt werden soll, ihre Ansichten gründlich revidieren.<lb/> Die Arbeiterorganisationen, die noch im Gegensatz zu den freien Gewerkschaften<lb/> stehen, werden sich letzteren nähern: man wird den Glauben, daß für die<lb/> Arbeiter auch ohne das Eingreifen der Sozialdemokratie gesorgt würde, in<lb/> weiten Kreisen verlieren. Die staatliche Autorität muß in der Arbeiterwelt zum<lb/> Gespötte werden. Jedes künftige Versprechen wird man mit dem Hinweis auf<lb/> die Erfahrungen des Jahres 1905 abtun.</p><lb/> <p>Es ist gar kein Zweifel, die Sozialdemokratie steht vor einer großen Ernte,<lb/> und zwar ohne daß sie die Hände zu rühren brauchte. Und zu diesem Erfolge<lb/> will ihr der preußische Landtag verhelfen. Jmmerzu, ich würde einen der-<lb/> artigen Gang der Dinge nicht beklagen.</p> </div> </body> </text> </TEI> [605/0013]
R. Calwer: Das Versprechen der Regierung an die Bergarbeiter.
Wenn die Sozialdemokratie als eine oppositionelle Partei, die von der
Regierung fortgesetzt bekämpft wird, an der Aufrechterhaltung der Autorität
der jeweiligen Regierung kein Jnteresse hat, ja diese möglichst zu mindern
sucht, so ist das nicht weiter auffallend. Ganz anders wirkt aber diese Taktik
bei bürgerlichen Parteien, die der Sozialdemokratie immerzu zum Vorwurf
machen, daß sie die staatliche Autorität untergrabe. Hier haben wir den
eklatanten Fall, daß bürgerliche Parteien, auf die sich die Regierung stützt,
diese zum Verräter an ihrem Versprechen gegenüber den Bergarbeitern machen
wollen.
Der Streik ging zu Ende, als die Regierung gesetzliche Hilfe versprach.
An diesem Faktum ist nicht zu rütteln. Die Mehrzahl der Bergleute hofft
und harrt auf diese Hilfe. Die Vorlage der Regierung ist ungenügend, aber
immerhin muß man sie als eine Erfüllung des abgegebenen Versprechens be-
trachten. Schon als die Regierung ihr Versprechen abgab, fehlte es nicht
an Stimmen, die entweder den ernstlichen Willen oder die Möglichkeit, dieses
Versprechen durchzuführen, bezweifelten. Man mißtraute schon, als man hörte,
der preußische Landtag solle sich mit der Angelegenheit befassen. Die damaligen
Stimmen des Mißtrauens wurden übel vermerkt: man sehe einmal wieder,
daß es eine Presse gebe, die um jeden Preis alles Vertrauen gegen die staat-
liche Autorität zu untergraben suche. Pfui über diese Nörgler, denen kein
Wort der Regierung mehr heilig ist! So las man's, als der Streik zu Ende
ging und noch lange Zeit danach. Selbst in solchen liberalen Zeitungen, die
einen ernstlichen Bergarbeiterschutz wünschen, war man direkt erbittert über das
Mißtrauen, das die sozialdemokratische Presse der Aktion der Regierung ent-
gegenbrachte.
Und nun — nach der ersten Lesung der Vorlage in der Kommission?
Man schaue sich die Preßäußerungen an: als ob die besten Bundesgenossen der
Sozialdemokratie im preußischen Abgeordnetenhause säßen, so wettert's gegen
die Kommission, die den obligatorischen Arbeiterausschuß und den
sanitären Maximalarbeitstag in der Regierungsvorlage gestrichen hat. Da ist
die Bescherung: Was die sozialdemokratische Presse vorausgesagt, daß das
Regierungsversprechen eitel Wind sei, das trifft jetzt buchstäblich ein, weil's
das preußische Dreiklassenparlament so will. Nicht nur die Bergleute, sondern
weit darüber hinaus große Kreise der Oeffentlichkeit erhalten den Eindruck,
daß die Sozialdemokratie wieder einmal eine gute Prophetin war. Scharen
von Arbeitern, die bisher noch gutgläubig zur Regierung aufschauten und von
ihr Hilfe erhofften, werden unter der Wirkung eines solchen Spiels, wie es
mit den Bergleuten beliebt werden soll, ihre Ansichten gründlich revidieren.
Die Arbeiterorganisationen, die noch im Gegensatz zu den freien Gewerkschaften
stehen, werden sich letzteren nähern: man wird den Glauben, daß für die
Arbeiter auch ohne das Eingreifen der Sozialdemokratie gesorgt würde, in
weiten Kreisen verlieren. Die staatliche Autorität muß in der Arbeiterwelt zum
Gespötte werden. Jedes künftige Versprechen wird man mit dem Hinweis auf
die Erfahrungen des Jahres 1905 abtun.
Es ist gar kein Zweifel, die Sozialdemokratie steht vor einer großen Ernte,
und zwar ohne daß sie die Hände zu rühren brauchte. Und zu diesem Erfolge
will ihr der preußische Landtag verhelfen. Jmmerzu, ich würde einen der-
artigen Gang der Dinge nicht beklagen.
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