Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905.H. Michalski: Der Reichsregisseur. Der Reichsregisseur. Von Heinrich Michalski. Wenn die letzten Jahre uns in Deutschland mehr als einmal größere Be- Kein Zweifel, daß eine solche Bewegung, oder wie Graf Bülow es nennt, Anders liegt die Sache schon bei den Entrüstungsversammlungen gegen Wie dem aber auch sei, mag zu Anfang die regere Beschäftigung des H. Michalski: Der Reichsregisseur. Der Reichsregisseur. Von Heinrich Michalski. Wenn die letzten Jahre uns in Deutschland mehr als einmal größere Be- Kein Zweifel, daß eine solche Bewegung, oder wie Graf Bülow es nennt, Anders liegt die Sache schon bei den Entrüstungsversammlungen gegen Wie dem aber auch sei, mag zu Anfang die regere Beschäftigung des <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="594"/> <fw type="header" place="top">H. Michalski: Der Reichsregisseur.</fw><lb/> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#fr">Der Reichsregisseur.</hi><lb/> <bibl>Von <author><hi rendition="#g">Heinrich Michalski</hi></author>.</bibl> </head><lb/> <p>Wenn die letzten Jahre uns in Deutschland mehr als einmal größere Be-<lb/> wegungen gebracht haben, die mit Frische und Leidenschaftlichkeit sich mit den<lb/> Verhältnissen des Vaterlands zum Auslande beschäftigten, so ist das ein er-<lb/> freuliches Zeichen erwachsenden politischen Verständnisses. Graf Bülow tadelt<lb/> zwar die Tatsache, aber das kann unser Urteil über sie nicht erschüttern.</p><lb/> <p>Kein Zweifel, daß eine solche Bewegung, oder wie Graf Bülow es nennt,<lb/> solch ein „Rummel“ manches Mißliche nicht allein für die Herren von der hohen<lb/> Politik, für Staatsmänner vom Schlage Delcass<hi rendition="#aq">é</hi>s und Bülows mit sich bringt,<lb/> daß manchmal wirklich das noch nicht geschulte, noch nicht zum Verständnis<lb/> gewordene Gefühl besonders eines Volkes wie des deutschen gerade in den<lb/> Fragen der äußeren Politik sich über seine wahren Jnteressen täuscht und fehl-<lb/> greift. Man kann darüber streiten, ob das nicht bei der Bewegung für die<lb/> Buren der Fall gewesen ist, ob da nicht eine an sich berechtigte moralische Ent-<lb/> rüstung zusammen mit einer starken anti=englischen Strömung die öffentliche<lb/> Meinung Deutschlands beeinflußt hat, weiter in ihren Kundgebungen zu gehen,<lb/> als politisch klug war.</p><lb/> <p>Anders liegt die Sache schon bei den Entrüstungsversammlungen gegen<lb/> das Schreckenssystem des Zarismus und den Sympathiekundgebungen für die<lb/> russischen Freiheitskämpfer. Hier liegt aus Gründen, die in diesen Blättern<lb/> schon des öfteren erörtert wurden, ein durchaus berechtigtes Selbstinteresse<lb/> des deutschen Volkes vor, und kein Grund ist da, mit dem man befürworten<lb/> könnte, daß die tiefgehende moralische Entrüstung klugheitshalber abgedämpft<lb/> würde. Daß die diplomatischen Beziehungen zwischen der russischen und der<lb/> deutschen Regierung dadurch gestört werden, ist leider nicht wahr bei<lb/> dem geringen Einfluß, den das deutsche Volk auf die Gestaltung seiner äußeren<lb/> Politik hat, und wenn es wahr wäre, so wäre das ein nur aus vollstem<lb/> Herzen zu wünschender Erfolg, da überfreundliche Beziehungen der<lb/> Regierungen Deutschlands und Rußlands, die ja jetzt aus ganz anderen Grün-<lb/> den eine merkliche Abkühlung erfahren haben, mit den wahren Jnteressen des<lb/> deutschen Volkes in schneidendem Widerspruch stehen. —</p><lb/> <p>Wie dem aber auch sei, mag zu Anfang die regere Beschäftigung des<lb/> deutschen Volkes mit den Fragen der internationalen Politik manche Mißstände<lb/> mit sich führen, mag manchmal das Herz mit dem Kopf durchgehen, die Schuld<lb/> daran liegt nicht bei denen, die weitere Kreise auf das Treiben der Diplomaten<lb/> hinzuweisen für ihre Pflicht halten, sondern bei den Regierenden, die den Satz vom<lb/> beschränkten Untertanenverstand wenigstens auf dem Gebiet der äußeren Politik<lb/> in heiligem Ansehen zu erhalten stets bemüht gewesen sind und dadurch den Zu-<lb/> stand der Unbildung in den Fragen der internationalen Politik herbeigeführt<lb/> haben, welchen sie nachher den nicht zur Zunft der Diplomaten Gehörenden<lb/> vorzuhalten pflegen. Daß diese Unbildung groß ist, läßt sich leider nicht be-<lb/> streiten. Nur aus ihr ist es zu erklären, daß jetzt durch das deutsche Volk,<lb/> das sowohl in seiner Masse, wie in den hervorragendsten Vertretern seines<lb/> geistigen Lebens ein nicht nur friedliches, sondern sogar freundschaftliches Verhält-<lb/> nis zu dem französischen Nachbarvolk wünscht, nicht ein Sturm der Entrüstung<lb/> geht über die unverantwortliche Art und Weise, in der von unseren leitenden<lb/> Staatsmännern das Verhältnis zum französischen Volke gestört wird.</p> </div> </body> </text> </TEI> [594/0002]
H. Michalski: Der Reichsregisseur.
Der Reichsregisseur.
Von Heinrich Michalski.
Wenn die letzten Jahre uns in Deutschland mehr als einmal größere Be-
wegungen gebracht haben, die mit Frische und Leidenschaftlichkeit sich mit den
Verhältnissen des Vaterlands zum Auslande beschäftigten, so ist das ein er-
freuliches Zeichen erwachsenden politischen Verständnisses. Graf Bülow tadelt
zwar die Tatsache, aber das kann unser Urteil über sie nicht erschüttern.
Kein Zweifel, daß eine solche Bewegung, oder wie Graf Bülow es nennt,
solch ein „Rummel“ manches Mißliche nicht allein für die Herren von der hohen
Politik, für Staatsmänner vom Schlage Delcassés und Bülows mit sich bringt,
daß manchmal wirklich das noch nicht geschulte, noch nicht zum Verständnis
gewordene Gefühl besonders eines Volkes wie des deutschen gerade in den
Fragen der äußeren Politik sich über seine wahren Jnteressen täuscht und fehl-
greift. Man kann darüber streiten, ob das nicht bei der Bewegung für die
Buren der Fall gewesen ist, ob da nicht eine an sich berechtigte moralische Ent-
rüstung zusammen mit einer starken anti=englischen Strömung die öffentliche
Meinung Deutschlands beeinflußt hat, weiter in ihren Kundgebungen zu gehen,
als politisch klug war.
Anders liegt die Sache schon bei den Entrüstungsversammlungen gegen
das Schreckenssystem des Zarismus und den Sympathiekundgebungen für die
russischen Freiheitskämpfer. Hier liegt aus Gründen, die in diesen Blättern
schon des öfteren erörtert wurden, ein durchaus berechtigtes Selbstinteresse
des deutschen Volkes vor, und kein Grund ist da, mit dem man befürworten
könnte, daß die tiefgehende moralische Entrüstung klugheitshalber abgedämpft
würde. Daß die diplomatischen Beziehungen zwischen der russischen und der
deutschen Regierung dadurch gestört werden, ist leider nicht wahr bei
dem geringen Einfluß, den das deutsche Volk auf die Gestaltung seiner äußeren
Politik hat, und wenn es wahr wäre, so wäre das ein nur aus vollstem
Herzen zu wünschender Erfolg, da überfreundliche Beziehungen der
Regierungen Deutschlands und Rußlands, die ja jetzt aus ganz anderen Grün-
den eine merkliche Abkühlung erfahren haben, mit den wahren Jnteressen des
deutschen Volkes in schneidendem Widerspruch stehen. —
Wie dem aber auch sei, mag zu Anfang die regere Beschäftigung des
deutschen Volkes mit den Fragen der internationalen Politik manche Mißstände
mit sich führen, mag manchmal das Herz mit dem Kopf durchgehen, die Schuld
daran liegt nicht bei denen, die weitere Kreise auf das Treiben der Diplomaten
hinzuweisen für ihre Pflicht halten, sondern bei den Regierenden, die den Satz vom
beschränkten Untertanenverstand wenigstens auf dem Gebiet der äußeren Politik
in heiligem Ansehen zu erhalten stets bemüht gewesen sind und dadurch den Zu-
stand der Unbildung in den Fragen der internationalen Politik herbeigeführt
haben, welchen sie nachher den nicht zur Zunft der Diplomaten Gehörenden
vorzuhalten pflegen. Daß diese Unbildung groß ist, läßt sich leider nicht be-
streiten. Nur aus ihr ist es zu erklären, daß jetzt durch das deutsche Volk,
das sowohl in seiner Masse, wie in den hervorragendsten Vertretern seines
geistigen Lebens ein nicht nur friedliches, sondern sogar freundschaftliches Verhält-
nis zu dem französischen Nachbarvolk wünscht, nicht ein Sturm der Entrüstung
geht über die unverantwortliche Art und Weise, in der von unseren leitenden
Staatsmännern das Verhältnis zum französischen Volke gestört wird.
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