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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905.

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H. Michalski: Der Reichsregisseur.

Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber
lachen, wenn man sieht, wie in deutschen Zeitungen die fran-
zösischen Aeußerungen über das Verhalten des Herrn Delcass e
in der Marokko=Affäre ausgenützt werden, um die ganz gleichwertige Politik
des Grafen Bülow zu rechtfertigen. Jn der Tat, die Franzosen springen mit
ihrem Delcass e ganz anders um, als wir mit unserem Bülow. Das spricht
eben für die Franzosen, und nicht für den Grafen Bülow. Die Franzosen
brechen mit dem Grundsatz: Haust du meinen leitenden Staatsmann, hau' ich
deinen leitenden Staatsmann, sie greifen sich den, den sie am nächsten
zur Hand haben, und das ist Herr Delcass e. Wir hätten alle Ursache, auf
die durch das Beispiel der Franzosen vorgeschlagene Arbeitsteilung einzugehen.
Herr Delcass e hat vor einigen Monaten Deutschlands Jnteressen einfach ignoriert.
Aber schließlich ist er auch nicht dazu eingesetzt, die Jnteressen Deutschlands zu
vertreten. Das gehört gewissermaßen zum Ressort des Grafen Bülow. Del-
cass e ist schuldig, weil er damals in seiner kurzsichtigen Hast nicht sah, daß
er nur Augenblicksvorteile einheimste, jedoch die dauernden Jnteressen seines
Landes, die, wie die Dinge liegen, nun einmal an ein gutes Verhältnis zu
Deutschland geknüpft sind, dabei vernachlässigte. Bülow aber und mit ihm
augenscheinlich unser Botschafter in Paris, Fürst Radolin, war einfach nicht auf
dem Posten. Er versah sich nicht wie Delcass e, sondern er sah überhaupt nichts,
weil er schlief.

Oder ist dies nicht der Fall?

Sollte es wahr sein, daß er damals Frankreich nicht in den Weg treten
wollte, weil Frankreich Rußlands Verbündeter nicht nur wie heute noch formell,
sondern damals tatsächlich war, und Bülow mit Rußland um jeden Preis in
einem freundschaftlichen Verhältnis bleiben wollte, die ganze äußere Politik der
letzten Jahre aufbaute auf die Voraussetzung, daß Rußland ein zu fürchtender,
fest gefügter Militärstaat sei, trotzdem er aus der hier schon einmal erwähnten
Denkschrift des Grafen Waldersee hätte lernen können, daß das nicht der Fall
war? Dann um so schlimmer. Dann handelt es sich also nicht um einen
augenblicklichen mehr zufälligen Fehler, sondern um ein Symptom für die
ganze Verderblichkeit der äußeren Politik, für die den Jnteressen Deutschlands
geradezu entgegengesetzte Richtung, deren Repräsentant eben Graf Bülow ist.

Betrachten wir also die Politik, welche Delcass e und Bülow zur Zeit des
französisch=englischen Marokko=Abkommens trieben, welche so verdrießliche
Folgen in diesen Tagen herbeigeführt hat, so haben wir schon da das zweifel-
hafte Vergnügen, die Schale der Schuld bedenklich nach der Seite des Mannes
hin sich neigen zu sehen, der an erster Stelle dazu berufen ist, deutsche Macht
und deutsches Ansehen nach außen hin zu vertreten.

Nun aber sehen wir uns einmal genaner an, was wir in diesen letzten Wochen
erlebt haben und noch erleben. Herr Delcass e mag den Fehler, den er seinerzeit
begangen hat, nicht gern eingestehen und möchte ihn auch nicht einmal rück-
gängig machen. Dafür erhält er seine Quittung in den nicht mißzuverstehen-
den Meinungsäußerungen fast aller französischer Parteien und wenn nicht
alles trügt, wird er in Kürze Gelegenheit haben, ungestört durch amtliche Be-
hinderungen über die Schlechtigkeit der Welt nachzudenken, welche nicht ein-
sehen will, daß ein guter Wille bei einem Staatsmann dessen Fehler verzeih-
lich macht.

H. Michalski: Der Reichsregisseur.

Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber
lachen, wenn man sieht, wie in deutschen Zeitungen die fran-
zösischen Aeußerungen über das Verhalten des Herrn Delcass é
in der Marokko=Affäre ausgenützt werden, um die ganz gleichwertige Politik
des Grafen Bülow zu rechtfertigen. Jn der Tat, die Franzosen springen mit
ihrem Delcass é ganz anders um, als wir mit unserem Bülow. Das spricht
eben für die Franzosen, und nicht für den Grafen Bülow. Die Franzosen
brechen mit dem Grundsatz: Haust du meinen leitenden Staatsmann, hau' ich
deinen leitenden Staatsmann, sie greifen sich den, den sie am nächsten
zur Hand haben, und das ist Herr Delcass é. Wir hätten alle Ursache, auf
die durch das Beispiel der Franzosen vorgeschlagene Arbeitsteilung einzugehen.
Herr Delcass é hat vor einigen Monaten Deutschlands Jnteressen einfach ignoriert.
Aber schließlich ist er auch nicht dazu eingesetzt, die Jnteressen Deutschlands zu
vertreten. Das gehört gewissermaßen zum Ressort des Grafen Bülow. Del-
cass é ist schuldig, weil er damals in seiner kurzsichtigen Hast nicht sah, daß
er nur Augenblicksvorteile einheimste, jedoch die dauernden Jnteressen seines
Landes, die, wie die Dinge liegen, nun einmal an ein gutes Verhältnis zu
Deutschland geknüpft sind, dabei vernachlässigte. Bülow aber und mit ihm
augenscheinlich unser Botschafter in Paris, Fürst Radolin, war einfach nicht auf
dem Posten. Er versah sich nicht wie Delcass é, sondern er sah überhaupt nichts,
weil er schlief.

Oder ist dies nicht der Fall?

Sollte es wahr sein, daß er damals Frankreich nicht in den Weg treten
wollte, weil Frankreich Rußlands Verbündeter nicht nur wie heute noch formell,
sondern damals tatsächlich war, und Bülow mit Rußland um jeden Preis in
einem freundschaftlichen Verhältnis bleiben wollte, die ganze äußere Politik der
letzten Jahre aufbaute auf die Voraussetzung, daß Rußland ein zu fürchtender,
fest gefügter Militärstaat sei, trotzdem er aus der hier schon einmal erwähnten
Denkschrift des Grafen Waldersee hätte lernen können, daß das nicht der Fall
war? Dann um so schlimmer. Dann handelt es sich also nicht um einen
augenblicklichen mehr zufälligen Fehler, sondern um ein Symptom für die
ganze Verderblichkeit der äußeren Politik, für die den Jnteressen Deutschlands
geradezu entgegengesetzte Richtung, deren Repräsentant eben Graf Bülow ist.

Betrachten wir also die Politik, welche Delcass é und Bülow zur Zeit des
französisch=englischen Marokko=Abkommens trieben, welche so verdrießliche
Folgen in diesen Tagen herbeigeführt hat, so haben wir schon da das zweifel-
hafte Vergnügen, die Schale der Schuld bedenklich nach der Seite des Mannes
hin sich neigen zu sehen, der an erster Stelle dazu berufen ist, deutsche Macht
und deutsches Ansehen nach außen hin zu vertreten.

Nun aber sehen wir uns einmal genaner an, was wir in diesen letzten Wochen
erlebt haben und noch erleben. Herr Delcass é mag den Fehler, den er seinerzeit
begangen hat, nicht gern eingestehen und möchte ihn auch nicht einmal rück-
gängig machen. Dafür erhält er seine Quittung in den nicht mißzuverstehen-
den Meinungsäußerungen fast aller französischer Parteien und wenn nicht
alles trügt, wird er in Kürze Gelegenheit haben, ungestört durch amtliche Be-
hinderungen über die Schlechtigkeit der Welt nachzudenken, welche nicht ein-
sehen will, daß ein guter Wille bei einem Staatsmann dessen Fehler verzeih-
lich macht.

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[595/0003] H. Michalski: Der Reichsregisseur. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen, wenn man sieht, wie in deutschen Zeitungen die fran- zösischen Aeußerungen über das Verhalten des Herrn Delcass é in der Marokko=Affäre ausgenützt werden, um die ganz gleichwertige Politik des Grafen Bülow zu rechtfertigen. Jn der Tat, die Franzosen springen mit ihrem Delcass é ganz anders um, als wir mit unserem Bülow. Das spricht eben für die Franzosen, und nicht für den Grafen Bülow. Die Franzosen brechen mit dem Grundsatz: Haust du meinen leitenden Staatsmann, hau' ich deinen leitenden Staatsmann, sie greifen sich den, den sie am nächsten zur Hand haben, und das ist Herr Delcass é. Wir hätten alle Ursache, auf die durch das Beispiel der Franzosen vorgeschlagene Arbeitsteilung einzugehen. Herr Delcass é hat vor einigen Monaten Deutschlands Jnteressen einfach ignoriert. Aber schließlich ist er auch nicht dazu eingesetzt, die Jnteressen Deutschlands zu vertreten. Das gehört gewissermaßen zum Ressort des Grafen Bülow. Del- cass é ist schuldig, weil er damals in seiner kurzsichtigen Hast nicht sah, daß er nur Augenblicksvorteile einheimste, jedoch die dauernden Jnteressen seines Landes, die, wie die Dinge liegen, nun einmal an ein gutes Verhältnis zu Deutschland geknüpft sind, dabei vernachlässigte. Bülow aber und mit ihm augenscheinlich unser Botschafter in Paris, Fürst Radolin, war einfach nicht auf dem Posten. Er versah sich nicht wie Delcass é, sondern er sah überhaupt nichts, weil er schlief. Oder ist dies nicht der Fall? Sollte es wahr sein, daß er damals Frankreich nicht in den Weg treten wollte, weil Frankreich Rußlands Verbündeter nicht nur wie heute noch formell, sondern damals tatsächlich war, und Bülow mit Rußland um jeden Preis in einem freundschaftlichen Verhältnis bleiben wollte, die ganze äußere Politik der letzten Jahre aufbaute auf die Voraussetzung, daß Rußland ein zu fürchtender, fest gefügter Militärstaat sei, trotzdem er aus der hier schon einmal erwähnten Denkschrift des Grafen Waldersee hätte lernen können, daß das nicht der Fall war? Dann um so schlimmer. Dann handelt es sich also nicht um einen augenblicklichen mehr zufälligen Fehler, sondern um ein Symptom für die ganze Verderblichkeit der äußeren Politik, für die den Jnteressen Deutschlands geradezu entgegengesetzte Richtung, deren Repräsentant eben Graf Bülow ist. Betrachten wir also die Politik, welche Delcass é und Bülow zur Zeit des französisch=englischen Marokko=Abkommens trieben, welche so verdrießliche Folgen in diesen Tagen herbeigeführt hat, so haben wir schon da das zweifel- hafte Vergnügen, die Schale der Schuld bedenklich nach der Seite des Mannes hin sich neigen zu sehen, der an erster Stelle dazu berufen ist, deutsche Macht und deutsches Ansehen nach außen hin zu vertreten. Nun aber sehen wir uns einmal genaner an, was wir in diesen letzten Wochen erlebt haben und noch erleben. Herr Delcass é mag den Fehler, den er seinerzeit begangen hat, nicht gern eingestehen und möchte ihn auch nicht einmal rück- gängig machen. Dafür erhält er seine Quittung in den nicht mißzuverstehen- den Meinungsäußerungen fast aller französischer Parteien und wenn nicht alles trügt, wird er in Kürze Gelegenheit haben, ungestört durch amtliche Be- hinderungen über die Schlechtigkeit der Welt nachzudenken, welche nicht ein- sehen will, daß ein guter Wille bei einem Staatsmann dessen Fehler verzeih- lich macht.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0113_1905/3>, abgerufen am 21.11.2024.