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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905.

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Ernest Schur: Meunier.
und seinen Bedürfnissen entspricht. Und unbewußt tut er es wohl auch. Be-
wußt wird es ihm, wenn er von der kühlen Altarkunst der deutschen Schule
spricht. Aber das beleuchtet nur das Genie Joachims heller. Denn bei ihm,
wo die vollkommenste Kühle ist, ist auch die vollkommenste Wärme. Es über-
trägt sich nur alles und vereinigt sich alles in dem Gehalt des Kunstwerks,
es bindet sich in dem Respekt davor und befreit sich in einer Persönlichkeits-
Jntensität, die in den Weltgeist der höchsten Schöpfungen einführt. Dieser
Größe und Vollendung und Vollkommenheit, dieser legendären Meisterschaft
beugte sich der Franzose und bejubelte sie mit der feurigen Begeisterung, deren
er fähig ist.

Und so trug der junge Greis Joachim den großen Strauß weißer Schnee-
bälle im Arme " comme un petit bebe " als seines Triumphes Zeichen und
als Dank der Weltstadt.

Ob sie ihm noch blühen? -- -- -- Uns blühen sie noch!...

[Abbildung]
Meunier.
Von Ernest Schur, Charlottenburg.
I.

Meunier ist gestorben.

Nach und nach nehmen die von uns Abschied, die wir als groß und
schöpferisch verehrten. Böcklin. Dann Menzel. Nun Meunier.

Eine Zeit, die in kraftvollen, signifikanten Vertretern ihr ernstestes Wollen
künstlerisch verdichtete, geht allmählich unter, bröckelt nach und nach ab. Und
wir stehen dabei und sehen zu, und dies Schauspiel, unnachsichtlich und notwendig
wie Werden und Vergehen, scheint uns ernst und erhaben. Von dem Felsen:
Zeit lösen sich die Kuppen und krachen donnernd hinab ins Meer, ins Meer
der Vergangenheit, dort unten sich zu den Erinnerungen und Denkmalen
früherer Jahrhunderte gesellend. Dort liegen die stummen Zeugen großen
Lebens, menschlichen Wollens. Und während die unendliche Schar der Kleinen
lautlos dahingehen und schwinden, erweckt das Sterben der Großen jene all-
seitige Teilnahme, die zugleich mit Schauer und mit Ehrfurcht, aber auch mit
Lust und Lebensfreude erfüllt. Denn wir, die wir hier stehen und tief die Be-
deutung dieser Stunde fühlen, wir sehen die Zukunft vor uns. Was wird sie
uns bringen? Welche neuen Kräfte werden uns grüßen? Wohlan -- warten
wir, was das Ungewisse uns schenken wird. Hoffnung und Freude, Zuversicht
und Glück -- das sind die schönsten, lebensstolzesten Gefühle, die eine scheidende
Generation der nachfolgenden übermittelt. Keine Trauer, keine Wehmut, kein

Ernest Schur: Meunier.
und seinen Bedürfnissen entspricht. Und unbewußt tut er es wohl auch. Be-
wußt wird es ihm, wenn er von der kühlen Altarkunst der deutschen Schule
spricht. Aber das beleuchtet nur das Genie Joachims heller. Denn bei ihm,
wo die vollkommenste Kühle ist, ist auch die vollkommenste Wärme. Es über-
trägt sich nur alles und vereinigt sich alles in dem Gehalt des Kunstwerks,
es bindet sich in dem Respekt davor und befreit sich in einer Persönlichkeits-
Jntensität, die in den Weltgeist der höchsten Schöpfungen einführt. Dieser
Größe und Vollendung und Vollkommenheit, dieser legendären Meisterschaft
beugte sich der Franzose und bejubelte sie mit der feurigen Begeisterung, deren
er fähig ist.

Und so trug der junge Greis Joachim den großen Strauß weißer Schnee-
bälle im Arme „ comme un petit bébé “ als seines Triumphes Zeichen und
als Dank der Weltstadt.

Ob sie ihm noch blühen? — — — Uns blühen sie noch!...

[Abbildung]
Meunier.
Von Ernest Schur, Charlottenburg.
I.

Meunier ist gestorben.

Nach und nach nehmen die von uns Abschied, die wir als groß und
schöpferisch verehrten. Böcklin. Dann Menzel. Nun Meunier.

Eine Zeit, die in kraftvollen, signifikanten Vertretern ihr ernstestes Wollen
künstlerisch verdichtete, geht allmählich unter, bröckelt nach und nach ab. Und
wir stehen dabei und sehen zu, und dies Schauspiel, unnachsichtlich und notwendig
wie Werden und Vergehen, scheint uns ernst und erhaben. Von dem Felsen:
Zeit lösen sich die Kuppen und krachen donnernd hinab ins Meer, ins Meer
der Vergangenheit, dort unten sich zu den Erinnerungen und Denkmalen
früherer Jahrhunderte gesellend. Dort liegen die stummen Zeugen großen
Lebens, menschlichen Wollens. Und während die unendliche Schar der Kleinen
lautlos dahingehen und schwinden, erweckt das Sterben der Großen jene all-
seitige Teilnahme, die zugleich mit Schauer und mit Ehrfurcht, aber auch mit
Lust und Lebensfreude erfüllt. Denn wir, die wir hier stehen und tief die Be-
deutung dieser Stunde fühlen, wir sehen die Zukunft vor uns. Was wird sie
uns bringen? Welche neuen Kräfte werden uns grüßen? Wohlan — warten
wir, was das Ungewisse uns schenken wird. Hoffnung und Freude, Zuversicht
und Glück — das sind die schönsten, lebensstolzesten Gefühle, die eine scheidende
Generation der nachfolgenden übermittelt. Keine Trauer, keine Wehmut, kein

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[634/0042] Ernest Schur: Meunier. und seinen Bedürfnissen entspricht. Und unbewußt tut er es wohl auch. Be- wußt wird es ihm, wenn er von der kühlen Altarkunst der deutschen Schule spricht. Aber das beleuchtet nur das Genie Joachims heller. Denn bei ihm, wo die vollkommenste Kühle ist, ist auch die vollkommenste Wärme. Es über- trägt sich nur alles und vereinigt sich alles in dem Gehalt des Kunstwerks, es bindet sich in dem Respekt davor und befreit sich in einer Persönlichkeits- Jntensität, die in den Weltgeist der höchsten Schöpfungen einführt. Dieser Größe und Vollendung und Vollkommenheit, dieser legendären Meisterschaft beugte sich der Franzose und bejubelte sie mit der feurigen Begeisterung, deren er fähig ist. Und so trug der junge Greis Joachim den großen Strauß weißer Schnee- bälle im Arme „ comme un petit bébé “ als seines Triumphes Zeichen und als Dank der Weltstadt. Ob sie ihm noch blühen? — — — Uns blühen sie noch!... [Abbildung] Meunier. Von Ernest Schur, Charlottenburg. I. Meunier ist gestorben. Nach und nach nehmen die von uns Abschied, die wir als groß und schöpferisch verehrten. Böcklin. Dann Menzel. Nun Meunier. Eine Zeit, die in kraftvollen, signifikanten Vertretern ihr ernstestes Wollen künstlerisch verdichtete, geht allmählich unter, bröckelt nach und nach ab. Und wir stehen dabei und sehen zu, und dies Schauspiel, unnachsichtlich und notwendig wie Werden und Vergehen, scheint uns ernst und erhaben. Von dem Felsen: Zeit lösen sich die Kuppen und krachen donnernd hinab ins Meer, ins Meer der Vergangenheit, dort unten sich zu den Erinnerungen und Denkmalen früherer Jahrhunderte gesellend. Dort liegen die stummen Zeugen großen Lebens, menschlichen Wollens. Und während die unendliche Schar der Kleinen lautlos dahingehen und schwinden, erweckt das Sterben der Großen jene all- seitige Teilnahme, die zugleich mit Schauer und mit Ehrfurcht, aber auch mit Lust und Lebensfreude erfüllt. Denn wir, die wir hier stehen und tief die Be- deutung dieser Stunde fühlen, wir sehen die Zukunft vor uns. Was wird sie uns bringen? Welche neuen Kräfte werden uns grüßen? Wohlan — warten wir, was das Ungewisse uns schenken wird. Hoffnung und Freude, Zuversicht und Glück — das sind die schönsten, lebensstolzesten Gefühle, die eine scheidende Generation der nachfolgenden übermittelt. Keine Trauer, keine Wehmut, kein

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0113_1905/42>, abgerufen am 01.11.2024.