Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.662 R. Calwer: Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Literatur. [Abbildung]
Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Literatur. Von Richard Calwer, Berlin. Als vor ca. sieben und acht Jahren der Gedanke der Tarifgemeinschaft 662 R. Calwer: Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Literatur. [Abbildung]
Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Literatur. Von Richard Calwer, Berlin. Als vor ca. sieben und acht Jahren der Gedanke der Tarifgemeinschaft <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0022" n="662"/> <fw type="header" place="top">662 R. Calwer: Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Literatur.</fw><lb/> <figure/><lb/> <div type="jFinancialNews" n="1"> <head> <hi rendition="#fr">Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische<lb/> Literatur.</hi><lb/> <bibl>Von <author><hi rendition="#g">Richard Calwer,</hi></author> Berlin.</bibl> </head><lb/> <p>Als vor ca. sieben und acht Jahren der Gedanke der Tarifgemeinschaft<lb/> zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Erörterung gestellt wurde, da<lb/> lauteten die Urteile der Praktiker mit wenig Ausnahmen durchaus ablehnend.<lb/> Die Arbeitgeber, die „Herren im Hause“ bleiben wollten, sahen nicht ein, wozu<lb/> sie sich ihren Arbeitern gegenüber die Hände binden lassen sollten. Und die<lb/> Arbeiter witterten hinter jeder Abmachung mit ihren Arbeitgebern Harmonie-<lb/> duselei. Die Propaganda für Tarifgemeinschaften wurde geradezu als ein Ver-<lb/> stoß gegen die Lehre des Klassenkampfes verpönt. Jnzwischen sind nur wenige<lb/> Jahre vergangen, und den Streit um Worte und Theorien hat die Praxis<lb/> zugunsten der Tarifgemeinschaft entschieden. Die Gewerkschaften, vor allem die<lb/> großen und größten, sind Anhänger der Tarifbewegung. Erst dieser Tage hat<lb/> der Verbandstag der Maurer Deutschlands eine Resolution angenommen, die<lb/> in der Tarifgemeinschaft „ein nicht unbedeutendes Mittel zur Regelung und<lb/> Verbesserung der Arbeitsverhältnisse“ erblickt. Trotzdem so für die Praxis<lb/> die Frage der Tarifgemeinschaft als entschieden angesehen werden kann, dauert<lb/> der Streit um ihre Bedeutung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch immer<lb/> fort. Auf der einen Seite verherrlicht man die Tarifverträge geradezu als ein<lb/> Mittel, das den sozialen Frieden herbeizuführen geeignet ist, nach der Ansicht<lb/> im entgegengesetzten Lager stumpfen sie den Klassenkampf ab. Je rücksichtsloser<lb/> die beiden Auffassungen vertreten werden, desto schärfer werden die Aus-<lb/> einandersetzungen über den Wert der Tarifgemeinschaften geführt. Zu der<lb/> Auffassung, daß die Tarifgemeinschaften auf den sozialen Frieden hinarbeiten,<lb/> bekennt sich <hi rendition="#g">Fanny Jmle</hi> in ihrem bei Fischer in Jena erschienenen Buche<lb/> „ <hi rendition="#g">Gewerbliche Friedensdokumente</hi> “. Das Buch behandelt die<lb/> Entstehungs= und Entwicklungsgeschichte der Tarifgemeinschaften in Deutschland,<lb/> registriert nach Gewerbegruppen den Jnhalt der zur Zeit gültigen Kollektiv-<lb/> verträge und gibt Arbeiterurteile über ihren Wert. Das verarbeitete Material<lb/> hat Fanny Jmle durch eine Umfrage bei ca. 5000 gewerkschaftlichen Orts-<lb/> gruppen erhalten. Die Verarbeitung und Anordnung des Materials macht<lb/> das Buch zur Orientierung sehr geeignet und kann sich neben der amtlichen<lb/> Zusammenstellung des kaiserlichen statistischen Amtes sehr wohl sehen lassen.<lb/> Nur der Titel des Buches scheint mir verfehlt, um so mehr, als Fanny Jmle<lb/> in der Vorrede ihn gewissermaßen wieder preisgibt, wenn sie schreibt: „Der<lb/> Stein der Weisen, das Mittel zur endgültigen Lösung der sozialen Frage ist<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [662/0022]
662 R. Calwer: Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Literatur.
[Abbildung]
Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische
Literatur.
Von Richard Calwer, Berlin.
Als vor ca. sieben und acht Jahren der Gedanke der Tarifgemeinschaft
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Erörterung gestellt wurde, da
lauteten die Urteile der Praktiker mit wenig Ausnahmen durchaus ablehnend.
Die Arbeitgeber, die „Herren im Hause“ bleiben wollten, sahen nicht ein, wozu
sie sich ihren Arbeitern gegenüber die Hände binden lassen sollten. Und die
Arbeiter witterten hinter jeder Abmachung mit ihren Arbeitgebern Harmonie-
duselei. Die Propaganda für Tarifgemeinschaften wurde geradezu als ein Ver-
stoß gegen die Lehre des Klassenkampfes verpönt. Jnzwischen sind nur wenige
Jahre vergangen, und den Streit um Worte und Theorien hat die Praxis
zugunsten der Tarifgemeinschaft entschieden. Die Gewerkschaften, vor allem die
großen und größten, sind Anhänger der Tarifbewegung. Erst dieser Tage hat
der Verbandstag der Maurer Deutschlands eine Resolution angenommen, die
in der Tarifgemeinschaft „ein nicht unbedeutendes Mittel zur Regelung und
Verbesserung der Arbeitsverhältnisse“ erblickt. Trotzdem so für die Praxis
die Frage der Tarifgemeinschaft als entschieden angesehen werden kann, dauert
der Streit um ihre Bedeutung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch immer
fort. Auf der einen Seite verherrlicht man die Tarifverträge geradezu als ein
Mittel, das den sozialen Frieden herbeizuführen geeignet ist, nach der Ansicht
im entgegengesetzten Lager stumpfen sie den Klassenkampf ab. Je rücksichtsloser
die beiden Auffassungen vertreten werden, desto schärfer werden die Aus-
einandersetzungen über den Wert der Tarifgemeinschaften geführt. Zu der
Auffassung, daß die Tarifgemeinschaften auf den sozialen Frieden hinarbeiten,
bekennt sich Fanny Jmle in ihrem bei Fischer in Jena erschienenen Buche
„ Gewerbliche Friedensdokumente “. Das Buch behandelt die
Entstehungs= und Entwicklungsgeschichte der Tarifgemeinschaften in Deutschland,
registriert nach Gewerbegruppen den Jnhalt der zur Zeit gültigen Kollektiv-
verträge und gibt Arbeiterurteile über ihren Wert. Das verarbeitete Material
hat Fanny Jmle durch eine Umfrage bei ca. 5000 gewerkschaftlichen Orts-
gruppen erhalten. Die Verarbeitung und Anordnung des Materials macht
das Buch zur Orientierung sehr geeignet und kann sich neben der amtlichen
Zusammenstellung des kaiserlichen statistischen Amtes sehr wohl sehen lassen.
Nur der Titel des Buches scheint mir verfehlt, um so mehr, als Fanny Jmle
in der Vorrede ihn gewissermaßen wieder preisgibt, wenn sie schreibt: „Der
Stein der Weisen, das Mittel zur endgültigen Lösung der sozialen Frage ist
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