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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.

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J. Hart: Monismus und Widerspruchslogik. 673
unseres Daseins, die fernsten und die nächsten, die alltäglichsten und die sonn-
täglichen beantworten will, wie die alte Alleinheitslehre mit dem Satze:
"Alles ist Eins", auf jede Frage antwortete, -- -- eine solche Naturphilosophie
kann sich gar nicht genug mit den Geheimnissen und dem Wesen, den Ursachen
und Absichten der alten Lehre vom Absoluten beschäftigen. Und wenn der
moderne Mensch nicht sieht und erkennt, daß einzig und allein der Monismus
Grund und Kern der alten Weltanschauung bildet, daß alle Metaphysik und
alle Gottlehre nichts als eine Einheitslehre ist, daß der Satz: "Alles ist
Eins" die Weltgesetzformel sein will, -- und wenn er nicht in dieser Allein-
heitslehre die bittere Wurzel allen Uebels erkennt, dann hält ihn die alte
Weltanschauung mit eisernen Ketten gefangen. Und unser Dünkel, mit dem
wir auf die blöden Streitereien der alten Scholastiker herabsehen, ist durch
nichts gerechtfertigt. Und jede Frage, jedes Problem gipfelt und wurzelt
immer noch in der Frage von der einen oder von den zwei Substanzen,
wird zu dem Prozeß Einheit contra Vielheit, ob ich nun Sozialismus
und Jndividualismus, Staatsgewalt und Anarchie, Tolstoj und Nietzsche
gegeneinander aufmarschieren lasse oder das Problem erwäge, ob Seele und
Körper eine oder zwei Realitäten bilden. Trotz Forel glaube ich dennoch, daß
uns da einfach unser monistisches Denken einen Possenstreich spielt und uns
an der Nase in einem Kreis herumführt, daß wir als echte Scholastiker
uns über einen Wortwechselbalg in die Haare geraten, weil eben jedes Wort
nie etwas anderes als ein Wechselbalg ist. Denn die alte Pilatusfrage:
Was ist Wahrheit? würde hier nur zu der Frage werden: Was ist Realität?
Und es würde sich gar bald herausstellen, daß das Wort Realität nichts
als ein anderes Wort ist für "Seele" und "Körper" und gar nichts anderes
bezeichnen will, als eben immer "Körper" oder "Seele", beides getrennt
oder beides zugleich. Deus sive natura, sagt Haeckel. Gewiß! Deshalb
bringt uns der von Heinrich Schmidt gepriesene und gerühmte Feuerbach
eben leider gar keinen Schritt weiter, und wenn sich Dr. Heinrich Schmidt
an Feuerbach genügen läßt, so habe ich nichts dawider. Jch aber muß be-
kennen, daß mir das nicht tief genug geht. Ueber dieses " deus sive natura "
müßten wir endlich einmal hinauskommen und sehen lernen, daß der Physio-
monismus den Theomonismus leider ganz und gar nicht aus dem Menschen
heraustreibt, sondern allerdings eben nichts ist als ein... sive Theo-
monismus, und den Gott, den er aus der Vordertür hinauswirft, durch die
Hintertür mit Triumph und Lorbeer, nur unter anderem Namen, wieder herein-
marschieren läßt.

Wir müssen die Alleinheitslehre in ihren Grundprinzipien verstehen:
Einmal ist der Monismus für sie etwas wie ein ganz und gar unerreichbares
Jdeal, und wir können das Alleine nicht fassen und schauen. Und so spricht
sie mit dem einen Munde von einer Welt der Einheit, mit dem anderen
Munde von einer Welt des Dualismus, der Welträtsel, der unlöslichen
Widersprüche. Sie stellt deshalb metaphysische und physische Welt gegen-
über. Haeckel hingegen erklärt, er habe die Einheit bewiesen, und spricht trotz-
dem noch immer von Welträtseln und unversöhnlichen Gegensätzen. Die
monistische Jdee besteht aber darin, daß, wenn das Unerreichbare dennoch er-
reicht wird, dadurch alle Welträtsel und Widersprüche gerade aufgehoben
werden.

J. Hart: Monismus und Widerspruchslogik. 673
unseres Daseins, die fernsten und die nächsten, die alltäglichsten und die sonn-
täglichen beantworten will, wie die alte Alleinheitslehre mit dem Satze:
„Alles ist Eins“, auf jede Frage antwortete, — — eine solche Naturphilosophie
kann sich gar nicht genug mit den Geheimnissen und dem Wesen, den Ursachen
und Absichten der alten Lehre vom Absoluten beschäftigen. Und wenn der
moderne Mensch nicht sieht und erkennt, daß einzig und allein der Monismus
Grund und Kern der alten Weltanschauung bildet, daß alle Metaphysik und
alle Gottlehre nichts als eine Einheitslehre ist, daß der Satz: „Alles ist
Eins“ die Weltgesetzformel sein will, — und wenn er nicht in dieser Allein-
heitslehre die bittere Wurzel allen Uebels erkennt, dann hält ihn die alte
Weltanschauung mit eisernen Ketten gefangen. Und unser Dünkel, mit dem
wir auf die blöden Streitereien der alten Scholastiker herabsehen, ist durch
nichts gerechtfertigt. Und jede Frage, jedes Problem gipfelt und wurzelt
immer noch in der Frage von der einen oder von den zwei Substanzen,
wird zu dem Prozeß Einheit contra Vielheit, ob ich nun Sozialismus
und Jndividualismus, Staatsgewalt und Anarchie, Tolstoj und Nietzsche
gegeneinander aufmarschieren lasse oder das Problem erwäge, ob Seele und
Körper eine oder zwei Realitäten bilden. Trotz Forel glaube ich dennoch, daß
uns da einfach unser monistisches Denken einen Possenstreich spielt und uns
an der Nase in einem Kreis herumführt, daß wir als echte Scholastiker
uns über einen Wortwechselbalg in die Haare geraten, weil eben jedes Wort
nie etwas anderes als ein Wechselbalg ist. Denn die alte Pilatusfrage:
Was ist Wahrheit? würde hier nur zu der Frage werden: Was ist Realität?
Und es würde sich gar bald herausstellen, daß das Wort Realität nichts
als ein anderes Wort ist für „Seele“ und „Körper“ und gar nichts anderes
bezeichnen will, als eben immer „Körper“ oder „Seele“, beides getrennt
oder beides zugleich. Deus sive natura, sagt Haeckel. Gewiß! Deshalb
bringt uns der von Heinrich Schmidt gepriesene und gerühmte Feuerbach
eben leider gar keinen Schritt weiter, und wenn sich Dr. Heinrich Schmidt
an Feuerbach genügen läßt, so habe ich nichts dawider. Jch aber muß be-
kennen, daß mir das nicht tief genug geht. Ueber dieses „ deus sive natura
müßten wir endlich einmal hinauskommen und sehen lernen, daß der Physio-
monismus den Theomonismus leider ganz und gar nicht aus dem Menschen
heraustreibt, sondern allerdings eben nichts ist als ein... sive Theo-
monismus, und den Gott, den er aus der Vordertür hinauswirft, durch die
Hintertür mit Triumph und Lorbeer, nur unter anderem Namen, wieder herein-
marschieren läßt.

Wir müssen die Alleinheitslehre in ihren Grundprinzipien verstehen:
Einmal ist der Monismus für sie etwas wie ein ganz und gar unerreichbares
Jdeal, und wir können das Alleine nicht fassen und schauen. Und so spricht
sie mit dem einen Munde von einer Welt der Einheit, mit dem anderen
Munde von einer Welt des Dualismus, der Welträtsel, der unlöslichen
Widersprüche. Sie stellt deshalb metaphysische und physische Welt gegen-
über. Haeckel hingegen erklärt, er habe die Einheit bewiesen, und spricht trotz-
dem noch immer von Welträtseln und unversöhnlichen Gegensätzen. Die
monistische Jdee besteht aber darin, daß, wenn das Unerreichbare dennoch er-
reicht wird, dadurch alle Welträtsel und Widersprüche gerade aufgehoben
werden.

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[673/0033] J. Hart: Monismus und Widerspruchslogik. 673 unseres Daseins, die fernsten und die nächsten, die alltäglichsten und die sonn- täglichen beantworten will, wie die alte Alleinheitslehre mit dem Satze: „Alles ist Eins“, auf jede Frage antwortete, — — eine solche Naturphilosophie kann sich gar nicht genug mit den Geheimnissen und dem Wesen, den Ursachen und Absichten der alten Lehre vom Absoluten beschäftigen. Und wenn der moderne Mensch nicht sieht und erkennt, daß einzig und allein der Monismus Grund und Kern der alten Weltanschauung bildet, daß alle Metaphysik und alle Gottlehre nichts als eine Einheitslehre ist, daß der Satz: „Alles ist Eins“ die Weltgesetzformel sein will, — und wenn er nicht in dieser Allein- heitslehre die bittere Wurzel allen Uebels erkennt, dann hält ihn die alte Weltanschauung mit eisernen Ketten gefangen. Und unser Dünkel, mit dem wir auf die blöden Streitereien der alten Scholastiker herabsehen, ist durch nichts gerechtfertigt. Und jede Frage, jedes Problem gipfelt und wurzelt immer noch in der Frage von der einen oder von den zwei Substanzen, wird zu dem Prozeß Einheit contra Vielheit, ob ich nun Sozialismus und Jndividualismus, Staatsgewalt und Anarchie, Tolstoj und Nietzsche gegeneinander aufmarschieren lasse oder das Problem erwäge, ob Seele und Körper eine oder zwei Realitäten bilden. Trotz Forel glaube ich dennoch, daß uns da einfach unser monistisches Denken einen Possenstreich spielt und uns an der Nase in einem Kreis herumführt, daß wir als echte Scholastiker uns über einen Wortwechselbalg in die Haare geraten, weil eben jedes Wort nie etwas anderes als ein Wechselbalg ist. Denn die alte Pilatusfrage: Was ist Wahrheit? würde hier nur zu der Frage werden: Was ist Realität? Und es würde sich gar bald herausstellen, daß das Wort Realität nichts als ein anderes Wort ist für „Seele“ und „Körper“ und gar nichts anderes bezeichnen will, als eben immer „Körper“ oder „Seele“, beides getrennt oder beides zugleich. Deus sive natura, sagt Haeckel. Gewiß! Deshalb bringt uns der von Heinrich Schmidt gepriesene und gerühmte Feuerbach eben leider gar keinen Schritt weiter, und wenn sich Dr. Heinrich Schmidt an Feuerbach genügen läßt, so habe ich nichts dawider. Jch aber muß be- kennen, daß mir das nicht tief genug geht. Ueber dieses „ deus sive natura “ müßten wir endlich einmal hinauskommen und sehen lernen, daß der Physio- monismus den Theomonismus leider ganz und gar nicht aus dem Menschen heraustreibt, sondern allerdings eben nichts ist als ein... sive Theo- monismus, und den Gott, den er aus der Vordertür hinauswirft, durch die Hintertür mit Triumph und Lorbeer, nur unter anderem Namen, wieder herein- marschieren läßt. Wir müssen die Alleinheitslehre in ihren Grundprinzipien verstehen: Einmal ist der Monismus für sie etwas wie ein ganz und gar unerreichbares Jdeal, und wir können das Alleine nicht fassen und schauen. Und so spricht sie mit dem einen Munde von einer Welt der Einheit, mit dem anderen Munde von einer Welt des Dualismus, der Welträtsel, der unlöslichen Widersprüche. Sie stellt deshalb metaphysische und physische Welt gegen- über. Haeckel hingegen erklärt, er habe die Einheit bewiesen, und spricht trotz- dem noch immer von Welträtseln und unversöhnlichen Gegensätzen. Die monistische Jdee besteht aber darin, daß, wenn das Unerreichbare dennoch er- reicht wird, dadurch alle Welträtsel und Widersprüche gerade aufgehoben werden.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 673. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/33>, abgerufen am 21.11.2024.