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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.

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692 Der jüdische Arbeiterbund in Rußland.
einem Dorfe im Rücken der japanischen Linien, liegen 100 Millionen Yen
in Gold, die Hälfte davon wird unter euch verteilt; Du wirst lächeln und
denken, ich erzähle Dir eine niedliche, gut erfundene Sache, nein, es ist leider
eine Tatsache. Nun waren sie bereit, als irgend einer bemerkte, daß diese
Armee zu Pferde kein Futter für die Gäule hatte. Schließlich ließ man 30_000
Kosaken zu Hause, sie gaben ihre Tagesration an den Rest ab, und Mitschenko
ritt mit seinen 15_000 Reitern ab. Selbstredend wußten die Japaner längst
durch Spione und Beobachtung von dem großartigen Unternehmen. So fand
Mitschenko einige Meilen vor der russischen Front ganze Kilometer lang gut
verborgene Drahthindernisse, die den Bewegungen dieses immer noch sehr
großen Reitergeschwaders ganz erheblich hinderlich würden. Als sie dann
schließlich einem Dorfe zuritten, hatte sich dort bereits -- unerhörterweise --
eine japanische Jnfanteriedivision eingenistet, die einige recht wirksame Be-
grüßungssalven sandte, ohne die 100 Millionen Yen auszuzahlen. So wurde
der "kühne Ritt" elend abgeschmiert. Wenn von Heldentaten berichtet wird,
sei immer recht skeptisch, ich habe noch keine erlebt. Gewiß schlägt sich der
gemeine Soldat sehr gut, oder besser, er läßt sich sehr gut schlagen, auch tot-
schlagen, aber ich halte dies mehr für die Betätigung des uns allen eigenen
Selbsterhaltungstriebes, den preußischen Begriff "Vorwärts" oder "Drauf" oder
"Durch" kennt der russische Soldat nicht. Nun denke an unsere geradezu her-
vorragenden Gegner, "die gelben Preußen", und Du wirst einsehen, daß Du
hier nicht viel lernen kannst, jedenfalls nur, wie es nicht gemacht werden soll,
bei den Japanern ist es etwas anderes. Solltest Du dennoch kommen, telegra-
phiere mir, stets nach dem Hauptquartier. Viele Grüße Deiner Gemahlin und
den Bekannten in der großen Bude.

    Dein E.....

Jch wollte, wir wären schon so weit zurückgegangen, bis es nicht weiter-
geht, dann wäre der Rummel endlich zu Ende.



Der jüdische Arbeiterbund in Rußland.*)

" Falls Rußland eine Konstitution, eine im westeuropäischen Sinne freitheitliche
Verfassung bekommen sollte, dann wird man dieses Unglück in allererster Linie der
unermüdlichen Regsamkeit und der revolutionären Tätigkeit der jüdischen Bevölkerung
zu verdanken haben."

So sprach vor Jahren gelegentlich einer ersten Beratung über die Gestaltung
der Lage der russischen Juden mit tiefer Ueberzeugung Pobjedonoszeff, der Vorsitzende
des heiligen Synods, einer der gefährlichsten der zarischen Schergen. Man sollte dieses
Wort aufbewahren, denn es ist Wahrheit in ihm. Das beweisen die neuerlichen Ereig-
nisse in jenen Teilen des russischen Riesenreiches, in welchen allein die Juden wohnen
dürfen und wo sie infolge dieser gesetzlichen Beschränkung in großen Massen dicht
zusammengepfercht leben.

*) Jch werde um Veröffentlichung des folgenden Aufrufs gebeten.

692 Der jüdische Arbeiterbund in Rußland.
einem Dorfe im Rücken der japanischen Linien, liegen 100 Millionen Yen
in Gold, die Hälfte davon wird unter euch verteilt; Du wirst lächeln und
denken, ich erzähle Dir eine niedliche, gut erfundene Sache, nein, es ist leider
eine Tatsache. Nun waren sie bereit, als irgend einer bemerkte, daß diese
Armee zu Pferde kein Futter für die Gäule hatte. Schließlich ließ man 30_000
Kosaken zu Hause, sie gaben ihre Tagesration an den Rest ab, und Mitschenko
ritt mit seinen 15_000 Reitern ab. Selbstredend wußten die Japaner längst
durch Spione und Beobachtung von dem großartigen Unternehmen. So fand
Mitschenko einige Meilen vor der russischen Front ganze Kilometer lang gut
verborgene Drahthindernisse, die den Bewegungen dieses immer noch sehr
großen Reitergeschwaders ganz erheblich hinderlich würden. Als sie dann
schließlich einem Dorfe zuritten, hatte sich dort bereits — unerhörterweise —
eine japanische Jnfanteriedivision eingenistet, die einige recht wirksame Be-
grüßungssalven sandte, ohne die 100 Millionen Yen auszuzahlen. So wurde
der „kühne Ritt“ elend abgeschmiert. Wenn von Heldentaten berichtet wird,
sei immer recht skeptisch, ich habe noch keine erlebt. Gewiß schlägt sich der
gemeine Soldat sehr gut, oder besser, er läßt sich sehr gut schlagen, auch tot-
schlagen, aber ich halte dies mehr für die Betätigung des uns allen eigenen
Selbsterhaltungstriebes, den preußischen Begriff „Vorwärts“ oder „Drauf“ oder
„Durch“ kennt der russische Soldat nicht. Nun denke an unsere geradezu her-
vorragenden Gegner, „die gelben Preußen“, und Du wirst einsehen, daß Du
hier nicht viel lernen kannst, jedenfalls nur, wie es nicht gemacht werden soll,
bei den Japanern ist es etwas anderes. Solltest Du dennoch kommen, telegra-
phiere mir, stets nach dem Hauptquartier. Viele Grüße Deiner Gemahlin und
den Bekannten in der großen Bude.

    Dein E.....

Jch wollte, wir wären schon so weit zurückgegangen, bis es nicht weiter-
geht, dann wäre der Rummel endlich zu Ende.



Der jüdische Arbeiterbund in Rußland.*)

„ Falls Rußland eine Konstitution, eine im westeuropäischen Sinne freitheitliche
Verfassung bekommen sollte, dann wird man dieses Unglück in allererster Linie der
unermüdlichen Regsamkeit und der revolutionären Tätigkeit der jüdischen Bevölkerung
zu verdanken haben.“

So sprach vor Jahren gelegentlich einer ersten Beratung über die Gestaltung
der Lage der russischen Juden mit tiefer Ueberzeugung Pobjedonoszeff, der Vorsitzende
des heiligen Synods, einer der gefährlichsten der zarischen Schergen. Man sollte dieses
Wort aufbewahren, denn es ist Wahrheit in ihm. Das beweisen die neuerlichen Ereig-
nisse in jenen Teilen des russischen Riesenreiches, in welchen allein die Juden wohnen
dürfen und wo sie infolge dieser gesetzlichen Beschränkung in großen Massen dicht
zusammengepfercht leben.

*) Jch werde um Veröffentlichung des folgenden Aufrufs gebeten.
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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/52>, abgerufen am 21.11.2024.