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Das Heller-Blatt. Nr. 12. Breslau, 22. März 1834.

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Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz] Winde auf Menschen und Thiere geschleudert, und er-
mattet vom Durst, sinkt Alt und Jung in der brennen-
den Sonnenhitze zu Boden. Wehe der Karavane, die
dann den ohnehin kaum erkennbaren Weg verliert.



Die Kupferbergwerke in Dolcoath.

Das große Kupferbergwerk in Dolcoath, in Corn-
wall, beschäftiget unter der Erde siebenhundert und
funfzig Personen und verbraucht monatlich dreitausend
Pfund Schießpulver und fünftausend Pfund Lichter.
Es ist tausend und vierhundert Fuß tief und seine Höh-
lungen betragen sieben Millionen Kubikfuß. Die Pum-
pen bringen täglich hundert und zwanzigtausend Ku-
bikfuß Wasser heraus.

Weites Sehvermögen.

Capitain Roß beweiset in seiner Reise nach der
Baffinsbay, daß ein Mensch unter günstigen Umstän-
den 150 ( engl. ) Meilen über den Ocean hinweg-
sehen könne. Es ist nicht wahrscheinlich, daß den
Menschen hierin irgend ein Thier übertrifft, obgleich
die Vögel vielleicht ein schärferes Auge haben als der
Mensch und die meisten Thiere. Schmid warf in
einer beträchtlichen Entfernung von einer Drossel einige
kleine Käfer von blaßgrauer Farbe hin, die ein bloßes
menschliches Auge nicht sehen konnte; der Vogel aber
bemerkte sie augenblicklich und verzehrte sie. Die lang-
gesch wänzte Meise findet ihre Nahrung auf der glatten
Rinde der Bäume, wo das bloße Auge nichts sieht und
nur durch das Microscop Jnsekten entdeckt.



Kaspar Hauser.

Es giebt vielleicht in Deutschland kein Dörfchen
und in den benachbarten Ländern keine Stadt, worin
nicht der Name dieses Findlings und etwas von seiner
Lebensgeschichte bekannt wäre. Dieser weitverbreitete
Ruf ist eine Folge theils der seltsamen, in schauerliche
Dunkelheit gehüllten Begebenheiten und Verbrechen,
die sich an seine Person knüpfen, theils der enthusiasti-
schen Theilnahme, welche ihm viele ausgezeichnete
Männer geschenkt haben. Wie immer, so hat auch im
vorliegenden Falle die Wahrheit durch die Geschäftig-
keit der Fama nichts gewonnen, vielmehr ist durch sie
die Geschichte Hauser's dergestalt verwirrt und entstellt
worden, daß es überhaupt, besonders ohne Kenntniß
der bis jetzt geheim gehaltenen Untersuchungsverhand-
lungen, höchst schwierig bleibt, die wahrgenommenen
Thatsachen von den bloß angegebenen oder vermutheten
zu sichten, sich vom unbegründeten Glauben wie vom
Zweifel gleich frei zu erhalten und selbst mit der größ-
[Spaltenumbruch] ten Vorsicht und Unpartheilichkeit bloß Wahres zu be-
richten.

Es war am zweiten Pfingstfesttage ( 26. Mai )
1828 Nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr, als ein auf
dem Unschlittmarkte zu Nürnberg wohnender Bürger
nicht weit von seinem Hause einen, als Bauernburschen
gekleideten jungen Menschen gewahr wurde, der ihm
durch die Haltung des Körpers und ein ungeschicktes
Bemühen, sich vorwärts zu bewegen, auffiel. Er ging
näher zu dem jungen Menschen, der ihm einen Brief,
an den Rittmeister bei der vierten Escadron des sechsten
Reiterregiments zu Nürnberg adressirt, entgegenhielt.
Der Bürger führte den jungen Burschen in die Woh-
nung des bezeichneten Rittmeisters. Unterwegs suchte
er ein Gespräch mit dem Fremdling anzuknüpfen, der
aber nichts zu begreifen schien, jedoch auf die Frage:
woher er komme? antwortete: "Von Regensburg."
Beim Eintritt in die Wohnung äußerte er gegen den
Bedienten, er wolle ein solcher Reiter werden, wie sein
Vater gewesen. Auf alle Fragen erfolgte die nämliche
Aeußerung oder die: "Jh woais nit." Nachdem der
Rittmeister gegen 8 Uhr nach Hause gekommen und
nicht im Stande war, etwas über die Person und Her-
kunft des ihm Unbekannten durch Fragen herauszubrin-
gen, wurde dieser auf die Polizeiwachtstube geführt.
Die hier anwesenden Unterbeamten und Polizeisoldaten
bemühten sich gleichfalls vergebens mit Fragen über
seinen Namen, Stand , und man hielt ihn daher für
einen Blödsinnigen oder Halbwilden, oder auch wohl
für einen feinen Betrüger, da er kindlich=kindisch wim-
merte, nur kurze unverständliche Sätze vorbrachte,
gleichwohl aber eine ihm dargereichte Feder geschickt
zwischen die Finger nahm und in festen leserlichen Zü-
gen auf einen Bogen Papier die Worte "Kaspar Hau-
ser " schrieb, ohne jedoch auf Verlangen den Ort seiner
Herkunft, oder sonst etwas beizufügen. Hauser war
damals dem Ansehen nach 16 - 17 Jahre alt; ein
ganz dünner Flaum überzog Kinn und Lippen. Sein
Körperbau untersetzt ( 4 3 / 4 bair. Fuß ) und breitschulte-
rig, zeigte ein vollkommenes Ebenmaß. Seine Haut
war sehr weiß und fein; seine hellbraunen Haare kräu-
selten sich in kleinen Locken; seine Glieder waren zart
gebaut, die Hände klein und schön geformt, ebenso die
Füße, welche keine Spur zeigten, daß früher ein Schuh
sie beengt habe, vielmehr waren die Fußsohlen ohne
Hornhaut, so weich, als das Jnnere einer Hand und
mit frischen Blutblasen bedeckt. An beiden Armen
zeigten sich die Narben der Jmpfung. Seine Gesichts-
farbe verrieth keine Kränklichkeit und seine bläulichen
Augen waren klar. Beim Weinen verzerrte er wider-
lich den Mund, sein Lächeln aber war lieblich, wie bei
einem Kinde. Hauser zeigte gegen alle Speisen und
Getränke, außer trockenem Brot und Wasser, heftigen
Widerwillen. Außer den nothdürftigen bäuerlichen
Kleidungsstücken hatte Hauser nichts bei oder an sich,
[Ende Spaltensatz]

Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz] Winde auf Menschen und Thiere geschleudert, und er-
mattet vom Durst, sinkt Alt und Jung in der brennen-
den Sonnenhitze zu Boden. Wehe der Karavane, die
dann den ohnehin kaum erkennbaren Weg verliert.



Die Kupferbergwerke in Dolcoath.

Das große Kupferbergwerk in Dolcoath, in Corn-
wall, beschäftiget unter der Erde siebenhundert und
funfzig Personen und verbraucht monatlich dreitausend
Pfund Schießpulver und fünftausend Pfund Lichter.
Es ist tausend und vierhundert Fuß tief und seine Höh-
lungen betragen sieben Millionen Kubikfuß. Die Pum-
pen bringen täglich hundert und zwanzigtausend Ku-
bikfuß Wasser heraus.

Weites Sehvermögen.

Capitain Roß beweiset in seiner Reise nach der
Baffinsbay, daß ein Mensch unter günstigen Umstän-
den 150 ( engl. ) Meilen über den Ocean hinweg-
sehen könne. Es ist nicht wahrscheinlich, daß den
Menschen hierin irgend ein Thier übertrifft, obgleich
die Vögel vielleicht ein schärferes Auge haben als der
Mensch und die meisten Thiere. Schmid warf in
einer beträchtlichen Entfernung von einer Drossel einige
kleine Käfer von blaßgrauer Farbe hin, die ein bloßes
menschliches Auge nicht sehen konnte; der Vogel aber
bemerkte sie augenblicklich und verzehrte sie. Die lang-
gesch wänzte Meise findet ihre Nahrung auf der glatten
Rinde der Bäume, wo das bloße Auge nichts sieht und
nur durch das Microscop Jnsekten entdeckt.



Kaspar Hauser.

Es giebt vielleicht in Deutschland kein Dörfchen
und in den benachbarten Ländern keine Stadt, worin
nicht der Name dieses Findlings und etwas von seiner
Lebensgeschichte bekannt wäre. Dieser weitverbreitete
Ruf ist eine Folge theils der seltsamen, in schauerliche
Dunkelheit gehüllten Begebenheiten und Verbrechen,
die sich an seine Person knüpfen, theils der enthusiasti-
schen Theilnahme, welche ihm viele ausgezeichnete
Männer geschenkt haben. Wie immer, so hat auch im
vorliegenden Falle die Wahrheit durch die Geschäftig-
keit der Fama nichts gewonnen, vielmehr ist durch sie
die Geschichte Hauser's dergestalt verwirrt und entstellt
worden, daß es überhaupt, besonders ohne Kenntniß
der bis jetzt geheim gehaltenen Untersuchungsverhand-
lungen, höchst schwierig bleibt, die wahrgenommenen
Thatsachen von den bloß angegebenen oder vermutheten
zu sichten, sich vom unbegründeten Glauben wie vom
Zweifel gleich frei zu erhalten und selbst mit der größ-
[Spaltenumbruch] ten Vorsicht und Unpartheilichkeit bloß Wahres zu be-
richten.

Es war am zweiten Pfingstfesttage ( 26. Mai )
1828 Nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr, als ein auf
dem Unschlittmarkte zu Nürnberg wohnender Bürger
nicht weit von seinem Hause einen, als Bauernburschen
gekleideten jungen Menschen gewahr wurde, der ihm
durch die Haltung des Körpers und ein ungeschicktes
Bemühen, sich vorwärts zu bewegen, auffiel. Er ging
näher zu dem jungen Menschen, der ihm einen Brief,
an den Rittmeister bei der vierten Escadron des sechsten
Reiterregiments zu Nürnberg adressirt, entgegenhielt.
Der Bürger führte den jungen Burschen in die Woh-
nung des bezeichneten Rittmeisters. Unterwegs suchte
er ein Gespräch mit dem Fremdling anzuknüpfen, der
aber nichts zu begreifen schien, jedoch auf die Frage:
woher er komme? antwortete: „Von Regensburg.“
Beim Eintritt in die Wohnung äußerte er gegen den
Bedienten, er wolle ein solcher Reiter werden, wie sein
Vater gewesen. Auf alle Fragen erfolgte die nämliche
Aeußerung oder die: „Jh woais nit.“ Nachdem der
Rittmeister gegen 8 Uhr nach Hause gekommen und
nicht im Stande war, etwas über die Person und Her-
kunft des ihm Unbekannten durch Fragen herauszubrin-
gen, wurde dieser auf die Polizeiwachtstube geführt.
Die hier anwesenden Unterbeamten und Polizeisoldaten
bemühten sich gleichfalls vergebens mit Fragen über
seinen Namen, Stand , und man hielt ihn daher für
einen Blödsinnigen oder Halbwilden, oder auch wohl
für einen feinen Betrüger, da er kindlich=kindisch wim-
merte, nur kurze unverständliche Sätze vorbrachte,
gleichwohl aber eine ihm dargereichte Feder geschickt
zwischen die Finger nahm und in festen leserlichen Zü-
gen auf einen Bogen Papier die Worte „Kaspar Hau-
ser “ schrieb, ohne jedoch auf Verlangen den Ort seiner
Herkunft, oder sonst etwas beizufügen. Hauser war
damals dem Ansehen nach 16 – 17 Jahre alt; ein
ganz dünner Flaum überzog Kinn und Lippen. Sein
Körperbau untersetzt ( 4 3 / 4 bair. Fuß ) und breitschulte-
rig, zeigte ein vollkommenes Ebenmaß. Seine Haut
war sehr weiß und fein; seine hellbraunen Haare kräu-
selten sich in kleinen Locken; seine Glieder waren zart
gebaut, die Hände klein und schön geformt, ebenso die
Füße, welche keine Spur zeigten, daß früher ein Schuh
sie beengt habe, vielmehr waren die Fußsohlen ohne
Hornhaut, so weich, als das Jnnere einer Hand und
mit frischen Blutblasen bedeckt. An beiden Armen
zeigten sich die Narben der Jmpfung. Seine Gesichts-
farbe verrieth keine Kränklichkeit und seine bläulichen
Augen waren klar. Beim Weinen verzerrte er wider-
lich den Mund, sein Lächeln aber war lieblich, wie bei
einem Kinde. Hauser zeigte gegen alle Speisen und
Getränke, außer trockenem Brot und Wasser, heftigen
Widerwillen. Außer den nothdürftigen bäuerlichen
Kleidungsstücken hatte Hauser nichts bei oder an sich,
[Ende Spaltensatz]

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Es ist nicht wahrscheinlich, daß den Menschen hierin irgend ein Thier übertrifft, obgleich die Vögel vielleicht ein schärferes Auge haben als der Mensch und die meisten Thiere. Schmid warf in einer beträchtlichen Entfernung von einer Drossel einige kleine Käfer von blaßgrauer Farbe hin, die ein bloßes menschliches Auge nicht sehen konnte; der Vogel aber bemerkte sie augenblicklich und verzehrte sie. Die lang- gesch wänzte Meise findet ihre Nahrung auf der glatten Rinde der Bäume, wo das bloße Auge nichts sieht und nur durch das Microscop Jnsekten entdeckt. Kaspar Hauser. Es giebt vielleicht in Deutschland kein Dörfchen und in den benachbarten Ländern keine Stadt, worin nicht der Name dieses Findlings und etwas von seiner Lebensgeschichte bekannt wäre. Dieser weitverbreitete Ruf ist eine Folge theils der seltsamen, in schauerliche Dunkelheit gehüllten Begebenheiten und Verbrechen, die sich an seine Person knüpfen, theils der enthusiasti- schen Theilnahme, welche ihm viele ausgezeichnete Männer geschenkt haben. Wie immer, so hat auch im vorliegenden Falle die Wahrheit durch die Geschäftig- keit der Fama nichts gewonnen, vielmehr ist durch sie die Geschichte Hauser's dergestalt verwirrt und entstellt worden, daß es überhaupt, besonders ohne Kenntniß der bis jetzt geheim gehaltenen Untersuchungsverhand- lungen, höchst schwierig bleibt, die wahrgenommenen Thatsachen von den bloß angegebenen oder vermutheten zu sichten, sich vom unbegründeten Glauben wie vom Zweifel gleich frei zu erhalten und selbst mit der größ- ten Vorsicht und Unpartheilichkeit bloß Wahres zu be- richten. Es war am zweiten Pfingstfesttage ( 26. Mai ) 1828 Nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr, als ein auf dem Unschlittmarkte zu Nürnberg wohnender Bürger nicht weit von seinem Hause einen, als Bauernburschen gekleideten jungen Menschen gewahr wurde, der ihm durch die Haltung des Körpers und ein ungeschicktes Bemühen, sich vorwärts zu bewegen, auffiel. Er ging näher zu dem jungen Menschen, der ihm einen Brief, an den Rittmeister bei der vierten Escadron des sechsten Reiterregiments zu Nürnberg adressirt, entgegenhielt. Der Bürger führte den jungen Burschen in die Woh- nung des bezeichneten Rittmeisters. Unterwegs suchte er ein Gespräch mit dem Fremdling anzuknüpfen, der aber nichts zu begreifen schien, jedoch auf die Frage: woher er komme? antwortete: „Von Regensburg.“ Beim Eintritt in die Wohnung äußerte er gegen den Bedienten, er wolle ein solcher Reiter werden, wie sein Vater gewesen. Auf alle Fragen erfolgte die nämliche Aeußerung oder die: „Jh woais nit.“ Nachdem der Rittmeister gegen 8 Uhr nach Hause gekommen und nicht im Stande war, etwas über die Person und Her- kunft des ihm Unbekannten durch Fragen herauszubrin- gen, wurde dieser auf die Polizeiwachtstube geführt. Die hier anwesenden Unterbeamten und Polizeisoldaten bemühten sich gleichfalls vergebens mit Fragen über seinen Namen, Stand , und man hielt ihn daher für einen Blödsinnigen oder Halbwilden, oder auch wohl für einen feinen Betrüger, da er kindlich=kindisch wim- merte, nur kurze unverständliche Sätze vorbrachte, gleichwohl aber eine ihm dargereichte Feder geschickt zwischen die Finger nahm und in festen leserlichen Zü- gen auf einen Bogen Papier die Worte „Kaspar Hau- ser “ schrieb, ohne jedoch auf Verlangen den Ort seiner Herkunft, oder sonst etwas beizufügen. Hauser war damals dem Ansehen nach 16 – 17 Jahre alt; ein ganz dünner Flaum überzog Kinn und Lippen. Sein Körperbau untersetzt ( 4 3 / 4 bair. Fuß ) und breitschulte- rig, zeigte ein vollkommenes Ebenmaß. Seine Haut war sehr weiß und fein; seine hellbraunen Haare kräu- selten sich in kleinen Locken; seine Glieder waren zart gebaut, die Hände klein und schön geformt, ebenso die Füße, welche keine Spur zeigten, daß früher ein Schuh sie beengt habe, vielmehr waren die Fußsohlen ohne Hornhaut, so weich, als das Jnnere einer Hand und mit frischen Blutblasen bedeckt. An beiden Armen zeigten sich die Narben der Jmpfung. Seine Gesichts- farbe verrieth keine Kränklichkeit und seine bläulichen Augen waren klar. Beim Weinen verzerrte er wider- lich den Mund, sein Lächeln aber war lieblich, wie bei einem Kinde. Hauser zeigte gegen alle Speisen und Getränke, außer trockenem Brot und Wasser, heftigen Widerwillen. Außer den nothdürftigen bäuerlichen Kleidungsstücken hatte Hauser nichts bei oder an sich,

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Zitationshilfe: Das Heller-Blatt. Nr. 12. Breslau, 22. März 1834, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_heller12_1834/6>, abgerufen am 01.06.2024.