Das Heller-Blatt. Nr. 41. Breslau, 11. Oktober 1834.Das Heller=Blatt. [Beginn Spaltensatz]
Es ist ein seltsamer Kontrast zu der Schnelligkeit, Jm Jahre 1600 begleiteten vier Wagen eine Ge- Eine Abbildung gewöhnlicher Kutschen des 16ten Schmerz der Nachtigallen. Ein Naturfreund, der sich viel mit Beobachtung "Dreißig Schritte meiner dörflichen Klause gegen- "So hatte ich mir unter Andern ein Paar jener "Bei solcher Vertraulichkeit hatte dies Nachtigallen- Das Heller=Blatt. [Beginn Spaltensatz]
Es ist ein seltsamer Kontrast zu der Schnelligkeit, Jm Jahre 1600 begleiteten vier Wagen eine Ge- Eine Abbildung gewöhnlicher Kutschen des 16ten Schmerz der Nachtigallen. Ein Naturfreund, der sich viel mit Beobachtung „Dreißig Schritte meiner dörflichen Klause gegen- „So hatte ich mir unter Andern ein Paar jener „Bei solcher Vertraulichkeit hatte dies Nachtigallen- <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <pb facs="#f0006" n="326"/> <fw type="header" place="top"> <hi rendition="#g">Das Heller=Blatt.</hi> </fw> <cb type="start"/> <p>Es ist ein seltsamer Kontrast zu der Schnelligkeit,<lb/> mit welcher jetzt in unserer Zeit neue Erfindungen auf-<lb/> genommen werden, wenn man annimmt, daß beinahe<lb/> ein Jahrhundert verging, ehe bedeckte Kutschen in<lb/> England eingeführt wurden. Jm Jahre 1555 wurde<lb/> die erste Kutsche, welche jemals in England gebaut<lb/> worden war, für den Herzog von Rutland verfertigt,<lb/> und folgte ihr bald nachher nämlich 1564 eine für die<lb/> Königin, worauf 1584 ein Thronwagen, mit den Em-<lb/> blemen Englands geschmückt, gebaut wurde. Jn <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="10"/>dem-<lb/> selben fuhr die Königin Elisabeth 1588 nach der<lb/> St. Pauls=Kirche, um dort wegen der Befreiung ihres<lb/> Königreichs von der spanischen Armada ihren Dank zu<lb/> bringen. Zu dieser Zeit waren Kutschen noch so selten,<lb/> daß sämmtliche Begleitung der Königin zu Pferde folg-<lb/> te, allein bald, vor Ende Elisabeths Regierung, wur-<lb/> den sie zahlreicher.</p><lb/> <p>Jm Jahre 1600 begleiteten vier Wagen eine Ge-<lb/> sandtschaft von Maracco in London, und noch in dem-<lb/> selben Jahre folgten einer russischen acht Wagen. 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Aber die Kut-<lb/> schen des 16ten Jahrhunderts waren von den eleganten<lb/> Fuhrwerken unserer Zeit so entfernt, daß der gewöhn-<lb/> liche Post= und Miethswagen gewiß behaglicher und<lb/> bequemer ist, als der Thron=Wagen der Königin Eli-<lb/> sabeth.</p><lb/> <p>Eine Abbildung gewöhnlicher Kutschen des 16ten<lb/> Jahrhunderts giebt uns unser Bild in Darstellung einer<lb/> italienischen Spazierfahrt, und hat auch seit jener Zeit bis<lb/> jetzt Luxus und Mode alles angewendet, um durch Ver-<lb/> besserungen, Bequemlichkeit und Nutzen zu erhöhen, so<lb/> sind doch immer die wesentlichen Theile der Kutsche un-<lb/> verändert geblieben.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Schmerz der Nachtigallen</hi>.</hi> </head><lb/> <p>Ein Naturfreund, der sich viel mit Beobachtung<lb/> der Nachtigallen beschäftigte, erzählt Folgendes:</p><lb/> <p>„Dreißig Schritte meiner dörflichen Klause gegen-<lb/> über entspringt ein Quell, und bildet sich bald zu ei-<lb/> nem kleinen Bächlein, welches sich durch die Länge des<lb/> Dorfes hinziehet, und mit dessen vorzüglich reinem und<lb/> gesundem Wasser Menschen und Thiere ihren Durst<lb/> löschen. Zu diesem Behuf hat fast jeder Hausbesitzer<lb/> ein Gefälle angebracht, wodurch das Wasser etwas an-<lb/> gestauet wird, und um so tiefer abfällt. Diese kleinen<lb/> Wasserfälle verursachen nun, bei dem steten Laufe des<lb/> Wassers, ein immerwährendes Plätschern, und erschei-<lb/> nen besonders in den Sommerabenden wie ein melan-<lb/> cholisches Geflüster, das fühlende Gemüth mit stiller<lb/> Rührung ergreifend und innig ansprechend. Zu beiden<lb/><cb n="2"/> Seiten ist dies Bächlein mit Gesträuch bewachsen, und<lb/> besonders ein Lieblings=Aufenthalt der Nachtigallen,<lb/> welche häufig hier nisten, und durch ihren Gesang die<lb/> an sich sonst düstere Gegend beleben uud verschönern.<lb/> Darum pflege ich sorglich diese kleinen Geschöpfe und<lb/> bin ihr eifriger Beschützer geworden; denn leider hat es<lb/> hier der rohen Buben noch so viele, die da mit frecher<lb/> Hand Vögelnester zerstören, die Eier vernichten und die<lb/> nackten Jungen zerfleischen.“</p><lb/> <p>„So hatte ich mir unter Andern ein Paar jener<lb/> lieblichen Sänger dadurch, daß ich ihnen oft verschie-<lb/> dentliche Lieblingsnahrung in ihre Nähe legte, derge-<lb/> stalt gezähmt, daß besonders das Männchen, sobald<lb/> es mich nur erblickte, sogleich freudige Laute von sich<lb/> gab und von Zweig zu Zweig immer näher an mich<lb/> heranhüpfte.“</p><lb/> <p>„Bei solcher Vertraulichkeit hatte dies Nachtigallen-<lb/> Paar im gegenwärtigen Jahre sorglos sein Nest ganz<lb/> frei im Grase gebaut, mich aber dadurch für ihre Sicher-<lb/> heit um so besorgter gemacht; deshalb verwahrte ich<lb/> das Nest durch Zweige, die ich von den benachbarten<lb/> Sträuchern herumzog und befestigte. Das Pärchen<lb/> selbst schien darüber sich zu freuen, und aus Dankbar-<lb/> keit das Männchen jetzt viel emsiger zu singen. Das<lb/> Weibchen legte Eier und bebrütete sie fleißig, so daß<lb/> endlich vier junge Vögelchen aus der niedlichen Wohnung<lb/> munter herausguckten. – Einst an einem Morgen höre<lb/> ich den Angstruf vieler Nachtigallen vom Bach herüber<lb/> tönen; ich eile an den Ort, woher die Schmerzenstöne<lb/> erklangen – und erhasche dort zwei Knaben, die eben<lb/> im Begriff waren sich zu entfernen. Mein Nachtigal-<lb/> lennest war gänzlich zerstört, und an seiner Stelle lag<lb/> die Muteer erwürget, und die junge Brut todt herum-<lb/> gestreuet. – Nachdem ich den Frevlern durch wörtliche<lb/> und handgreifliche Belehrungen das Schändliche und<lb/> Sündliche ihrer That demonstrirt und sie aus meinem<lb/> Bezirk verwiesen hatte, sammelte ich die Rudera des<lb/> Nestes zusammen, ordnete daran so viel als möglich,<lb/> stellte es wieder an seinen vorigen Ort und legte das<lb/> Weibchen hinein, weil ich es nicht sobald begraben<lb/> wollte. Das Männchen flatterte um mich herum, und<lb/> als ich einige Schritte abgetreten, stieg es unter fort-<lb/> währendem Angstrufe zum Neste hernieder, weilte da<lb/> einige Zeit, setzte sich dann nahe an demselben auf ei-<lb/> nen Zweig und stimmte sein Liedlein an. Sonst hatte<lb/> es so etwas Eigenthümliches in seiner Modulation,<lb/> wodurch ich es vor allen Andern seiner Art unterschei-<lb/> den konnte, – jetzt aber war es nicht jener mir bekannte<lb/> Gesang; es waren Töne, tiefem Schmerze geweiht,<lb/> Töne der innigsten Trauer, mächtig ergreifend das füh-<lb/> lende Herz. Nur durch kurze Pausen unterbrochen<lb/> sang das Vögelchen den ganzen Tag und immer trau-<lb/> riger, immer rührender. Jch arbeitete in meiner Gar-<lb/> tenlaube – doch es mischte sich auch in meine Arbeit<lb/> eine tiefe Schwermuth, je länger der Vogel sang.<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [326/0006]
Das Heller=Blatt.
Es ist ein seltsamer Kontrast zu der Schnelligkeit,
mit welcher jetzt in unserer Zeit neue Erfindungen auf-
genommen werden, wenn man annimmt, daß beinahe
ein Jahrhundert verging, ehe bedeckte Kutschen in
England eingeführt wurden. Jm Jahre 1555 wurde
die erste Kutsche, welche jemals in England gebaut
worden war, für den Herzog von Rutland verfertigt,
und folgte ihr bald nachher nämlich 1564 eine für die
Königin, worauf 1584 ein Thronwagen, mit den Em-
blemen Englands geschmückt, gebaut wurde. Jn __________dem-
selben fuhr die Königin Elisabeth 1588 nach der
St. Pauls=Kirche, um dort wegen der Befreiung ihres
Königreichs von der spanischen Armada ihren Dank zu
bringen. Zu dieser Zeit waren Kutschen noch so selten,
daß sämmtliche Begleitung der Königin zu Pferde folg-
te, allein bald, vor Ende Elisabeths Regierung, wur-
den sie zahlreicher.
Jm Jahre 1600 begleiteten vier Wagen eine Ge-
sandtschaft von Maracco in London, und noch in dem-
selben Jahre folgten einer russischen acht Wagen. Als
drei Jahre später die französische Gesandtschaft Jakob I.
zu seiner Thronbesteigung ihr Glückwunschschreiben
überreichte, fuhren schon 30 Wagen zur höchsten Ver-
wunderung aller Einwohner Londons. Aber die Kut-
schen des 16ten Jahrhunderts waren von den eleganten
Fuhrwerken unserer Zeit so entfernt, daß der gewöhn-
liche Post= und Miethswagen gewiß behaglicher und
bequemer ist, als der Thron=Wagen der Königin Eli-
sabeth.
Eine Abbildung gewöhnlicher Kutschen des 16ten
Jahrhunderts giebt uns unser Bild in Darstellung einer
italienischen Spazierfahrt, und hat auch seit jener Zeit bis
jetzt Luxus und Mode alles angewendet, um durch Ver-
besserungen, Bequemlichkeit und Nutzen zu erhöhen, so
sind doch immer die wesentlichen Theile der Kutsche un-
verändert geblieben.
Schmerz der Nachtigallen.
Ein Naturfreund, der sich viel mit Beobachtung
der Nachtigallen beschäftigte, erzählt Folgendes:
„Dreißig Schritte meiner dörflichen Klause gegen-
über entspringt ein Quell, und bildet sich bald zu ei-
nem kleinen Bächlein, welches sich durch die Länge des
Dorfes hinziehet, und mit dessen vorzüglich reinem und
gesundem Wasser Menschen und Thiere ihren Durst
löschen. Zu diesem Behuf hat fast jeder Hausbesitzer
ein Gefälle angebracht, wodurch das Wasser etwas an-
gestauet wird, und um so tiefer abfällt. Diese kleinen
Wasserfälle verursachen nun, bei dem steten Laufe des
Wassers, ein immerwährendes Plätschern, und erschei-
nen besonders in den Sommerabenden wie ein melan-
cholisches Geflüster, das fühlende Gemüth mit stiller
Rührung ergreifend und innig ansprechend. Zu beiden
Seiten ist dies Bächlein mit Gesträuch bewachsen, und
besonders ein Lieblings=Aufenthalt der Nachtigallen,
welche häufig hier nisten, und durch ihren Gesang die
an sich sonst düstere Gegend beleben uud verschönern.
Darum pflege ich sorglich diese kleinen Geschöpfe und
bin ihr eifriger Beschützer geworden; denn leider hat es
hier der rohen Buben noch so viele, die da mit frecher
Hand Vögelnester zerstören, die Eier vernichten und die
nackten Jungen zerfleischen.“
„So hatte ich mir unter Andern ein Paar jener
lieblichen Sänger dadurch, daß ich ihnen oft verschie-
dentliche Lieblingsnahrung in ihre Nähe legte, derge-
stalt gezähmt, daß besonders das Männchen, sobald
es mich nur erblickte, sogleich freudige Laute von sich
gab und von Zweig zu Zweig immer näher an mich
heranhüpfte.“
„Bei solcher Vertraulichkeit hatte dies Nachtigallen-
Paar im gegenwärtigen Jahre sorglos sein Nest ganz
frei im Grase gebaut, mich aber dadurch für ihre Sicher-
heit um so besorgter gemacht; deshalb verwahrte ich
das Nest durch Zweige, die ich von den benachbarten
Sträuchern herumzog und befestigte. Das Pärchen
selbst schien darüber sich zu freuen, und aus Dankbar-
keit das Männchen jetzt viel emsiger zu singen. Das
Weibchen legte Eier und bebrütete sie fleißig, so daß
endlich vier junge Vögelchen aus der niedlichen Wohnung
munter herausguckten. – Einst an einem Morgen höre
ich den Angstruf vieler Nachtigallen vom Bach herüber
tönen; ich eile an den Ort, woher die Schmerzenstöne
erklangen – und erhasche dort zwei Knaben, die eben
im Begriff waren sich zu entfernen. Mein Nachtigal-
lennest war gänzlich zerstört, und an seiner Stelle lag
die Muteer erwürget, und die junge Brut todt herum-
gestreuet. – Nachdem ich den Frevlern durch wörtliche
und handgreifliche Belehrungen das Schändliche und
Sündliche ihrer That demonstrirt und sie aus meinem
Bezirk verwiesen hatte, sammelte ich die Rudera des
Nestes zusammen, ordnete daran so viel als möglich,
stellte es wieder an seinen vorigen Ort und legte das
Weibchen hinein, weil ich es nicht sobald begraben
wollte. Das Männchen flatterte um mich herum, und
als ich einige Schritte abgetreten, stieg es unter fort-
währendem Angstrufe zum Neste hernieder, weilte da
einige Zeit, setzte sich dann nahe an demselben auf ei-
nen Zweig und stimmte sein Liedlein an. Sonst hatte
es so etwas Eigenthümliches in seiner Modulation,
wodurch ich es vor allen Andern seiner Art unterschei-
den konnte, – jetzt aber war es nicht jener mir bekannte
Gesang; es waren Töne, tiefem Schmerze geweiht,
Töne der innigsten Trauer, mächtig ergreifend das füh-
lende Herz. Nur durch kurze Pausen unterbrochen
sang das Vögelchen den ganzen Tag und immer trau-
riger, immer rührender. Jch arbeitete in meiner Gar-
tenlaube – doch es mischte sich auch in meine Arbeit
eine tiefe Schwermuth, je länger der Vogel sang.
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