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Mährisches Tagblatt. Nr. 108, Olmütz, 12.05.1897.

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[Spaltenumbruch]

mente noch eine Weile stützen zu können. Sehen
wir uns sie einmal an, diese aus centrifugalen
Slaven, Rückschrittlern und gefügigen Strebern
zusammengeballte Mehrheit, die einen Halt gegen
das [a]nstürmende Kernvolk Oesterreichs und ein
Asyl für die Männer bieten soll, die das be-
wußte deutsche Volksthum einstimmig verurtheilt,
und bis aufs Aeußerste befehdet. Da sind die
Jungtschechen, die feierlich erklären und, gedrängt
von den aufgeregten Massen erklären müssen, daß
sie unbefriedigt sind, die kein Centrum und keine
Einheit des Reiches anerkennen, die ihr ganzes
Wirken im Reichsrathe nur als eine Durchgangs-
phase zum neu zu errichtenden großtschechischen
Staate betrachten, da sind die Polen, aus deren
Reihen die unglückseligsten Regierungskünstler
stammen -- eine Gruppe von Abgeordneten, die
nie ein rechtes Herz für Oesterreich hatte und
die, seit die Sonderstellung ihres Gebietes er-
reicht ist, gar kein Interesse an unseren inneren
Angelegenheiten haben -- es wäre denn an den
finanziellen Hilfeleistungen, die sie von den an-
deren österreichischen Völkern in Anspruch nehmen.
Da sind die Feudalen, die alten Staatsverderber,
hinter denen niemand steht als eine Handvoll
egoistischer Junker, die uns in die Zeiten der
Robott und der Patrimonialgerichtsbarkeit zurück-
drängen möchten, da sind die Clerikalen, die für
Rom arbeiten und hinter denen ein Volk steht,
das in seiner dumpfen Unfreiheit noch gar nicht
zum politischen Leben erwacht ist, und das, wenn
es einmal erwacht, naturgemäß die Reihen der
Deutschen verstärken muß. So sieht sie aus,
diese numerische Mehrheit, dieses Gemengsel von
Egoisten die am Staate nur das interessirt, was
sie im Falle der Zersetzung oder des moralischen
Verfalles an sich reißen können -- und mit
dieser Mehrheit, mit der sich zur Noth eine
mechanische Abstimmung, aber keine das Reich
vertretende Zustimmung erreichen läßt, will
irgendein Ministerium -- von dem in allen
Fugen krachenden Cabinet Badeni ganz zu
schweigen -- in Oesterreich sein Auskommen
finden und gleichsam in ständiger Feindseligkeit
gegen die belebenden und erhaltenden Gedanken
des Staates, im Kriegszustande gegenüber der
Berfassung und dem Geiste der geltenden Gesetze
regieren? Regieren gegen die große Nation, die
Oesterreich geschaffen und verjüngt, die sein
Gefüge gegen den Ansturm innerer feindlicher
Gewalten und gegen alle Irrthümer der äußeren
Politik gehalten hat und ohne deren bindende
Kraft das ganze Staatsgebilde auseinanderstiebt.

Im Lager dieser Nation, sagt das "Prager
Montagsblatt", die durch die deutsche Minderheit
des Abgeordnetenhauses vertreten ist, war Oester-
reich. Wo ist es heute, da man diese Nation
durch das Aeußerste, das man ihr bot, dazu
gebracht hat, die Sorge für ihre nationale Er-
haltung über jede andere Rücksicht zu stellen,
und die Räder der Staatsmaschine, die einzig
und allein durch ihre Kraft bewegt und im
arbeitsfähigen Zustande erhalten wurde, zum
[Spaltenumbruch] Stillstande zu bringen? Das politische Chaos
ist hereingebrochen, und niemand weiß zur
Stunde, wer es beschwören soll. Soll es aber
überhaupt beschworen werden, dann ist es die
höchste Zeit, daß die unglückseligen Hände, auf
denen die Schuld dieser verheerenden Wirkung lastet,
so rasch wie möglich aus dem Staatsgetriebe für
immer verschwinden.




Reichsrath.
Sitzung des Abgeordnetenhauses vom
11. Mai.


Zu Beginn der heutigen Sitzung des
Abgeordnetenhauses beantwortete Ministerpräsident
Graf Badeni die Interpellation der Abg.
Freiherr v. Malfatti und Genossen, betreffend
die Ausschreitungen im Küstenlande anläßlich
der Reichsrathswahlen. Es sei richtig, daß
Ausschreitungen auch gegen die Italiener in
den Bezirken Parenzo, Triest, Görz und
Pola stattfanden. Die Erregung der slavischen
Bevölkerung sei durch Gerüchte genährt worden,
daß die Slaven ihrer Rechte verlustigt werden
und auch aus den Aemtern entfernt würden. Die
Behörden schritten sofort energisch, aber objectiv
ein. Die Erhebungen wurden von besonderen
Untersuchungsrichtern gepflogen und ergaben keinen
Fall, daß die Staatsbehörde oder Staatsbeamte
eine Partei unterstützt hätten. Die Behörden
werden auch künftighin Alles zur Wahrung der
Ordnung thun, doch appellirt der Minister-
präsident an die Einsicht und Unterstützung der
betreffenden Kreise beider Nationalitäten.

Ferner beantwortet der Ministerpräsident die
Interpellation Spincic, betr[e]ffend die in Capo
d'Istria angebl[i]ch vorgekommenen Angriffe gegen
Angehörige slavischer Nationalität.

Hierauf folgt die Verhandlung über die Re-
gierungsvorlage, betreffend die kaiserliche
Nothstandsverordnung
vom 18. Fe-
bruar.

Abg. Peschka (deutschfortschrittlich) schildert
die Nothlage der ländlichen Bevölkerung im
nordöstlichen Böhmen und das Vorgehen bei der
Gewährung und Vertheilung von Nothstands-
unterstützungen. Der Redner bemängelt weiters
die Art der Erhebungen, bedauert, daß die
Regierung nicht einen viel höheren Credit in
Anspruch genommen habe und wünscht, daß die
Summe im Budgetausschusse verdoppelt werde.

Abg. Dr. Roser erörtert die Ursachen der
harten Nothlage der Landwirthschaft. Er habe
seit 31 Jahren schon manche Thronrede erlebt,
die Regierungen entwickeln mancherlei Programm,
sie kommen aber über diese Entwicklung nicht
hinaus. Graf Badeni hat es nicht einmal werth
gefunden, der nothleidenden Landwirthschaft auch
nur mit einem Wörtchen zu gedenken. Natürlich,
er hat ja dazu keine Zeit, er muß Sprachenver-
ordnungen machen und statt Hilfe noch Erbitte-
[Spaltenumbruch] rung unter die Bevölkerung tragen. Die Bela-
stung der Gemeinden durch die Geschäfte des
übertragenen Wirkungskreises ist eine unerträgliche
geworden. Die Zuschlagswirthschaft hat einen
solchen Umfang angenommen, daß Herr v. Bi-
linski in seinem Werke Oesterreich mit Recht "das
Land der Zuschläge" genannt hat. Eine Abhilfe
aber erfolgte nicht. Die Früchte des Fleißes
werden in Waffen umgewandelt, die geforderten
Beurlaubungen von Soldaten zur Erntezeit sind
nicht zu erreichen.

Präsident unterbricht den Redner mit
der Mahnung, zur Sache zu sprechen, indem er
ihn aufmerksam macht, daß es sich gegenwärtig
blos um die erste Lesung handle.

Abg. Dr. Roser bemerkt, er spreche zur
Sache, da er die Ursachen des Nothstandes er-
örtern müsse. Er verweist auf den Mangel eines
billigen Credites für den Landwirth, sowie auf
die wichtige Frage der Flußregulirungen. Vor
einigen Jahren seien für Flußregulirungen in
Schlesien 200 fl. bewilligt worden. (Heiterkeit
und Hört! Hört!)

Bei der Besprechung dieses Gegenstandes wird
er vom Präsidenten neuerdings mit dem
Rufe zur Sache unterbrochen.

Abg. Dr. Roser hebt die große Schädi-
gung der österreichischen Landwirthschaft durch den
Mißbrauch des Mahlverkehres durch die unga-
rischen Mühlencartelle hervor.

Präsident ersucht den Redner neuerdings
sich an die Sache zu halten, widrigenfalls er
ihm das Wort entziehen müßte.

Abg. Dr. Roser richtet an den Minister-
präsidenten din Bitte, er möge sich lieber mit
der Nothlage des Bauernstandes anstatt mit
Sprachenverordnungen beschäftigen. Dann bitte
er ihn aber auch, seine Interpellation ...

Präsident: Ich habe Sie wiederholt
ersucht, sich an die Sache zu halten. Nachdem
Sie diesem Ersuchen nicht Folge leisten, entziehe
ich Ihnen das Wort. (Lebhaster Widerspruch links.
Rufe: Weiterreden! Appelliren Sie an das
Haus!)

Abg. Iro: Wenn von der Nothlage des
Bauernstandes gesprochen wird, da wird das
Wort entzogen.

Abg. Dr. Roser: Ich lasse mir das Wort
nicht entziehen.

Präsident: Herr Abg. Roser, Sie
appelliren an das Haus? (Abg. Dr. Roser:
Ja wohl!) Ich werde das Haus befragen. (Un-
ruhe. Der Präsident setzt das electrische Glocken-
signal in Bewegung.)

Abg. Dr. Hofmann v. Wellenhof
(zur Abstimmung): Die meisten Herren sind gar
nicht in der Lage, über die Sache zu urtheilen,
sie waren nicht zugegen und haben daher keine
Ahnung, ob der Abg. Roser zur Sache gesprochen
hat oder nicht. Nach der famosen Zeiteintheilung
unserer Sitzungen ist dies auch nicht gut anders
möglich. Ich beantrage da her, daß vor der Ab-
stimmung die Rede des Abg. Dr. Roser dem




[Spaltenumbruch]

noch immer steif und würdevoll an die Credenz
gelehnt stand.

"Der Salat? Haben denn gnä' Frau Salat
befohlen?"

"Gewiß. Bevor ich fortging, hab' ich Ihnen
doch gesagt, die Köchin soll zu den Schnitzeln und
den heurigen Kartoffeln auch einen Häuptelsalat
richten."

"Mir hab'n gnä' Frau nichts gesagt, vielleicht
der Köchin."

"Nein, Ihnen, Sie zerstreute Pecson! Sie
haben natürlich wieder alles Andere im Kopf,
nur nicht die Wirthschaft, S ..."

Herr Eidlinger, der soeben Messer und
Gabel aus den Händen gelegt hatte, beruhigte
die zürnende Hausfrau. "Es macht ja nichts; es
hat uns auch ohne Salat geschmeckt. Nicht wahr
Harry."

Der kleine dicke Junge kaute noch mit vollen
Backen an den ihm von der "Mademoisselle"
vorgeschnittenen kleinen Bissen und schien die
Ansicht des Papa keineswegs zu theilen.

O, rief er, "der Salat wäre sehr gut gewesen."

Frau Louisabeth sah etwas consternirt ihr
Söhnchen an, senkte dann einen Moment lang
wie beschämt den Blick, seufzte wieder und rief
zum drittenmale: "Gott sei Dank, daß die Ge-
schichte ein Ende hat! Diese gesellschaftlichen
Pflichten, diese "Jours", das Kartenspiel, ich bin
[Spaltenumbruch] glücklich, daß die Saison und der ganze Rummel
vorüber ..." Die Frau vom Hause streifte jetzt
zufällig mit einem Blicke Mademoiselle Poncelet.
Was hat denn diese Person so unverschämt
spöttisch den Mund zu verziehen, zumal sie doch
behauptet, daß sie noch kein einziges deutsches
Wort verstehe? Unwillig wendete sich nun
Frau Louisabeth an die Französin: "Mademoiselle,
es ist Zeit, daß die Kleinen zu Bette gehen."

Mademoiselle Poncelet erhob sich rasch, die
Kinder erhoben sich schwerfällig und zögernd von
den Stühlen, und erst nachdem der dicke Harry
noch eine Orange als Nachtisch in die Faust
gedrückt bekommen, ließen sich die Kleinen auf
die Wangen küssen, riefen: Gut' Nacht Papatschi!"
"Gut' Nacht, Mamatschi!" und verließen mit
der Bonne das Zimmer. Herr Eidlinger zündete
sich eine Cigarre an, erhob sich dann, steckte die
Hände in die Hosentaschen und indem er sich
vor seine verstimmte Gattin hinpflanzte, rief er
gutmüthig: "Heute Pech gehabt, was?"

Frau Loutsabeth wendete den Kopf ab und
mit einer Thräne in der Stimme versetzte sie:
"Nie wieder! Erstens verbringt man zu viel
Zeit damit; jeden Nachmittag anderswo. Die
Wirthschaft leidet darunter, denn auf die Frauen-
zimmer kann man sich nicht verlassen. Siehst ja
selbst. Heute, der Salat. Und ich hab's der
Person ausdrücklich befohlen."


[Spaltenumbruch]

"Na ja, wenn die Frau nicht Alles selbst .."

"Das sag' ich ja. Aber diese gesellschaftlichen
Pflichten! Wenn die Damen zu mir kommen,
muß man ihnen doch Revanche geben. Man
glaubt ja sonst gleich weiß der liebe Gott was.
Die Leute tratschen dann alles Mögliche. Man
wolle sparen, man müsse; man könne nicht
mehr Haus machen. Da darf man sich freilich
nicht ausschließen, obwohl es genug theuer
kommt. Früher so ein "Jour" -- einige Schalen
Thee, etliche Buttersemmeln, und man hat sich
famos unterhalten; bestenfalls noch einen Obers-
kaffee mit Gugelhupf, an das verfluchte Karten-
spiel hat kein Mensch gedacht; ein angenehmes
Plauscherl ..."

"Die Leut' ausrichten!"

"Nicht einmal das kommt jetzt mehr vor.
Man hat ja keine Zeit dazu. Eine Stuude lang
bei der Jause gesessen: Kalter Aufschnitt, Reb-
hühner, wenn möglich kalter Fasan, gefüllte
Baisers von Demel, Thee, Schnäpfe, Cigarretten
-- es ist wirklich nicht mehr schön!"

"Dann hat man freilich zu Hause beim
Nachtmahl keinen Appetit", bemerkte Herr Eidlinger
so nebenbei und erstickte die Worte im Tabak-
qualm, den er behaglich von sich blies.

"Das ist Alles nichts, aber die Knauserei
mancher Damen. Toiletten, Hütchen, Schmuck, da
ist ihnen nichts zu theuer, hunderte Gulden so


[Spaltenumbruch]

mente noch eine Weile ſtützen zu können. Sehen
wir uns ſie einmal an, dieſe aus centrifugalen
Slaven, Rückſchrittlern und gefügigen Strebern
zuſammengeballte Mehrheit, die einen Halt gegen
das [a]nſtürmende Kernvolk Oeſterreichs und ein
Aſyl für die Männer bieten ſoll, die das be-
wußte deutſche Volksthum einſtimmig verurtheilt,
und bis aufs Aeußerſte befehdet. Da ſind die
Jungtſchechen, die feierlich erklären und, gedrängt
von den aufgeregten Maſſen erklären müſſen, daß
ſie unbefriedigt ſind, die kein Centrum und keine
Einheit des Reiches anerkennen, die ihr ganzes
Wirken im Reichsrathe nur als eine Durchgangs-
phaſe zum neu zu errichtenden großtſchechiſchen
Staate betrachten, da ſind die Polen, aus deren
Reihen die unglückſeligſten Regierungskünſtler
ſtammen — eine Gruppe von Abgeordneten, die
nie ein rechtes Herz für Oeſterreich hatte und
die, ſeit die Sonderſtellung ihres Gebietes er-
reicht iſt, gar kein Intereſſe an unſeren inneren
Angelegenheiten haben — es wäre denn an den
finanziellen Hilfeleiſtungen, die ſie von den an-
deren öſterreichiſchen Völkern in Anſpruch nehmen.
Da ſind die Feudalen, die alten Staatsverderber,
hinter denen niemand ſteht als eine Handvoll
egoiſtiſcher Junker, die uns in die Zeiten der
Robott und der Patrimonialgerichtsbarkeit zurück-
drängen möchten, da ſind die Clerikalen, die für
Rom arbeiten und hinter denen ein Volk ſteht,
das in ſeiner dumpfen Unfreiheit noch gar nicht
zum politiſchen Leben erwacht iſt, und das, wenn
es einmal erwacht, naturgemäß die Reihen der
Deutſchen verſtärken muß. So ſieht ſie aus,
dieſe numeriſche Mehrheit, dieſes Gemengſel von
Egoiſten die am Staate nur das intereſſirt, was
ſie im Falle der Zerſetzung oder des moraliſchen
Verfalles an ſich reißen können — und mit
dieſer Mehrheit, mit der ſich zur Noth eine
mechaniſche Abſtimmung, aber keine das Reich
vertretende Zuſtimmung erreichen läßt, will
irgendein Miniſterium — von dem in allen
Fugen krachenden Cabinet Badeni ganz zu
ſchweigen — in Oeſterreich ſein Auskommen
finden und gleichſam in ſtändiger Feindſeligkeit
gegen die belebenden und erhaltenden Gedanken
des Staates, im Kriegszuſtande gegenüber der
Berfaſſung und dem Geiſte der geltenden Geſetze
regieren? Regieren gegen die große Nation, die
Oeſterreich geſchaffen und verjüngt, die ſein
Gefüge gegen den Anſturm innerer feindlicher
Gewalten und gegen alle Irrthümer der äußeren
Politik gehalten hat und ohne deren bindende
Kraft das ganze Staatsgebilde auseinanderſtiebt.

Im Lager dieſer Nation, ſagt das „Prager
Montagsblatt“, die durch die deutſche Minderheit
des Abgeordnetenhauſes vertreten iſt, war Oeſter-
reich. Wo iſt es heute, da man dieſe Nation
durch das Aeußerſte, das man ihr bot, dazu
gebracht hat, die Sorge für ihre nationale Er-
haltung über jede andere Rückſicht zu ſtellen,
und die Räder der Staatsmaſchine, die einzig
und allein durch ihre Kraft bewegt und im
arbeitsfähigen Zuſtande erhalten wurde, zum
[Spaltenumbruch] Stillſtande zu bringen? Das politiſche Chaos
iſt hereingebrochen, und niemand weiß zur
Stunde, wer es beſchwören ſoll. Soll es aber
überhaupt beſchworen werden, dann iſt es die
höchſte Zeit, daß die unglückſeligen Hände, auf
denen die Schuld dieſer verheerenden Wirkung laſtet,
ſo raſch wie möglich aus dem Staatsgetriebe für
immer verſchwinden.




Reichsrath.
Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom
11. Mai.


Zu Beginn der heutigen Sitzung des
Abgeordnetenhauſes beantwortete Miniſterpräſident
Graf Badeni die Interpellation der Abg.
Freiherr v. Malfatti und Genoſſen, betreffend
die Ausſchreitungen im Küſtenlande anläßlich
der Reichsrathswahlen. Es ſei richtig, daß
Ausſchreitungen auch gegen die Italiener in
den Bezirken Parenzo, Trieſt, Görz und
Pola ſtattfanden. Die Erregung der ſlaviſchen
Bevölkerung ſei durch Gerüchte genährt worden,
daß die Slaven ihrer Rechte verluſtigt werden
und auch aus den Aemtern entfernt würden. Die
Behörden ſchritten ſofort energiſch, aber objectiv
ein. Die Erhebungen wurden von beſonderen
Unterſuchungsrichtern gepflogen und ergaben keinen
Fall, daß die Staatsbehörde oder Staatsbeamte
eine Partei unterſtützt hätten. Die Behörden
werden auch künftighin Alles zur Wahrung der
Ordnung thun, doch appellirt der Miniſter-
präſident an die Einſicht und Unterſtützung der
betreffenden Kreiſe beider Nationalitäten.

Ferner beantwortet der Miniſterpräſident die
Interpellation Spincic, betr[e]ffend die in Capo
d’Iſtria angebl[i]ch vorgekommenen Angriffe gegen
Angehörige ſlaviſcher Nationalität.

Hierauf folgt die Verhandlung über die Re-
gierungsvorlage, betreffend die kaiſerliche
Nothſtandsverordnung
vom 18. Fe-
bruar.

Abg. Peſchka (deutſchfortſchrittlich) ſchildert
die Nothlage der ländlichen Bevölkerung im
nordöſtlichen Böhmen und das Vorgehen bei der
Gewährung und Vertheilung von Nothſtands-
unterſtützungen. Der Redner bemängelt weiters
die Art der Erhebungen, bedauert, daß die
Regierung nicht einen viel höheren Credit in
Anſpruch genommen habe und wünſcht, daß die
Summe im Budgetausſchuſſe verdoppelt werde.

Abg. Dr. Roſer erörtert die Urſachen der
harten Nothlage der Landwirthſchaft. Er habe
ſeit 31 Jahren ſchon manche Thronrede erlebt,
die Regierungen entwickeln mancherlei Programm,
ſie kommen aber über dieſe Entwicklung nicht
hinaus. Graf Badeni hat es nicht einmal werth
gefunden, der nothleidenden Landwirthſchaft auch
nur mit einem Wörtchen zu gedenken. Natürlich,
er hat ja dazu keine Zeit, er muß Sprachenver-
ordnungen machen und ſtatt Hilfe noch Erbitte-
[Spaltenumbruch] rung unter die Bevölkerung tragen. Die Bela-
ſtung der Gemeinden durch die Geſchäfte des
übertragenen Wirkungskreiſes iſt eine unerträgliche
geworden. Die Zuſchlagswirthſchaft hat einen
ſolchen Umfang angenommen, daß Herr v. Bi-
linski in ſeinem Werke Oeſterreich mit Recht „das
Land der Zuſchläge“ genannt hat. Eine Abhilfe
aber erfolgte nicht. Die Früchte des Fleißes
werden in Waffen umgewandelt, die geforderten
Beurlaubungen von Soldaten zur Erntezeit ſind
nicht zu erreichen.

Präſident unterbricht den Redner mit
der Mahnung, zur Sache zu ſprechen, indem er
ihn aufmerkſam macht, daß es ſich gegenwärtig
blos um die erſte Leſung handle.

Abg. Dr. Roſer bemerkt, er ſpreche zur
Sache, da er die Urſachen des Nothſtandes er-
örtern müſſe. Er verweiſt auf den Mangel eines
billigen Credites für den Landwirth, ſowie auf
die wichtige Frage der Flußregulirungen. Vor
einigen Jahren ſeien für Flußregulirungen in
Schleſien 200 fl. bewilligt worden. (Heiterkeit
und Hört! Hört!)

Bei der Beſprechung dieſes Gegenſtandes wird
er vom Präſidenten neuerdings mit dem
Rufe zur Sache unterbrochen.

Abg. Dr. Roſer hebt die große Schädi-
gung der öſterreichiſchen Landwirthſchaft durch den
Mißbrauch des Mahlverkehres durch die unga-
riſchen Mühlencartelle hervor.

Präſident erſucht den Redner neuerdings
ſich an die Sache zu halten, widrigenfalls er
ihm das Wort entziehen müßte.

Abg. Dr. Roſer richtet an den Miniſter-
präſidenten din Bitte, er möge ſich lieber mit
der Nothlage des Bauernſtandes anſtatt mit
Sprachenverordnungen beſchäftigen. Dann bitte
er ihn aber auch, ſeine Interpellation ...

Präſident: Ich habe Sie wiederholt
erſucht, ſich an die Sache zu halten. Nachdem
Sie dieſem Erſuchen nicht Folge leiſten, entziehe
ich Ihnen das Wort. (Lebhaſter Widerſpruch links.
Rufe: Weiterreden! Appelliren Sie an das
Haus!)

Abg. Iro: Wenn von der Nothlage des
Bauernſtandes geſprochen wird, da wird das
Wort entzogen.

Abg. Dr. Roſer: Ich laſſe mir das Wort
nicht entziehen.

Präſident: Herr Abg. Roſer, Sie
appelliren an das Haus? (Abg. Dr. Roſer:
Ja wohl!) Ich werde das Haus befragen. (Un-
ruhe. Der Präſident ſetzt das electriſche Glocken-
ſignal in Bewegung.)

Abg. Dr. Hofmann v. Wellenhof
(zur Abſtimmung): Die meiſten Herren ſind gar
nicht in der Lage, über die Sache zu urtheilen,
ſie waren nicht zugegen und haben daher keine
Ahnung, ob der Abg. Roſer zur Sache geſprochen
hat oder nicht. Nach der famoſen Zeiteintheilung
unſerer Sitzungen iſt dies auch nicht gut anders
möglich. Ich beantrage da her, daß vor der Ab-
ſtimmung die Rede des Abg. Dr. Roſer dem




[Spaltenumbruch]

noch immer ſteif und würdevoll an die Credenz
gelehnt ſtand.

„Der Salat? Haben denn gnä’ Frau Salat
befohlen?“

„Gewiß. Bevor ich fortging, hab’ ich Ihnen
doch geſagt, die Köchin ſoll zu den Schnitzeln und
den heurigen Kartoffeln auch einen Häuptelſalat
richten.“

„Mir hab’n gnä’ Frau nichts geſagt, vielleicht
der Köchin.“

„Nein, Ihnen, Sie zerſtreute Pecſon! Sie
haben natürlich wieder alles Andere im Kopf,
nur nicht die Wirthſchaft, S ...“

Herr Eidlinger, der ſoeben Meſſer und
Gabel aus den Händen gelegt hatte, beruhigte
die zürnende Hausfrau. „Es macht ja nichts; es
hat uns auch ohne Salat geſchmeckt. Nicht wahr
Harry.“

Der kleine dicke Junge kaute noch mit vollen
Backen an den ihm von der „Mademoiſſelle“
vorgeſchnittenen kleinen Biſſen und ſchien die
Anſicht des Papa keineswegs zu theilen.

O, rief er, „der Salat wäre ſehr gut geweſen.“

Frau Louiſabeth ſah etwas conſternirt ihr
Söhnchen an, ſenkte dann einen Moment lang
wie beſchämt den Blick, ſeufzte wieder und rief
zum drittenmale: „Gott ſei Dank, daß die Ge-
ſchichte ein Ende hat! Dieſe geſellſchaftlichen
Pflichten, dieſe „Jours“, das Kartenſpiel, ich bin
[Spaltenumbruch] glücklich, daß die Saiſon und der ganze Rummel
vorüber ...“ Die Frau vom Hauſe ſtreifte jetzt
zufällig mit einem Blicke Mademoiſelle Poncelet.
Was hat denn dieſe Perſon ſo unverſchämt
ſpöttiſch den Mund zu verziehen, zumal ſie doch
behauptet, daß ſie noch kein einziges deutſches
Wort verſtehe? Unwillig wendete ſich nun
Frau Louiſabeth an die Franzöſin: „Mademoiſelle,
es iſt Zeit, daß die Kleinen zu Bette gehen.“

Mademoiſelle Poncelet erhob ſich raſch, die
Kinder erhoben ſich ſchwerfällig und zögernd von
den Stühlen, und erſt nachdem der dicke Harry
noch eine Orange als Nachtiſch in die Fauſt
gedrückt bekommen, ließen ſich die Kleinen auf
die Wangen küſſen, riefen: Gut’ Nacht Papatſchi!“
„Gut’ Nacht, Mamatſchi!“ und verließen mit
der Bonne das Zimmer. Herr Eidlinger zündete
ſich eine Cigarre an, erhob ſich dann, ſteckte die
Hände in die Hoſentaſchen und indem er ſich
vor ſeine verſtimmte Gattin hinpflanzte, rief er
gutmüthig: „Heute Pech gehabt, was?“

Frau Loutſabeth wendete den Kopf ab und
mit einer Thräne in der Stimme verſetzte ſie:
„Nie wieder! Erſtens verbringt man zu viel
Zeit damit; jeden Nachmittag anderswo. Die
Wirthſchaft leidet darunter, denn auf die Frauen-
zimmer kann man ſich nicht verlaſſen. Siehſt ja
ſelbſt. Heute, der Salat. Und ich hab’s der
Perſon ausdrücklich befohlen.“


[Spaltenumbruch]

„Na ja, wenn die Frau nicht Alles ſelbſt ..“

„Das ſag’ ich ja. Aber dieſe geſellſchaftlichen
Pflichten! Wenn die Damen zu mir kommen,
muß man ihnen doch Revanche geben. Man
glaubt ja ſonſt gleich weiß der liebe Gott was.
Die Leute tratſchen dann alles Mögliche. Man
wolle ſparen, man müſſe; man könne nicht
mehr Haus machen. Da darf man ſich freilich
nicht ausſchließen, obwohl es genug theuer
kommt. Früher ſo ein „Jour“ — einige Schalen
Thee, etliche Butterſemmeln, und man hat ſich
famos unterhalten; beſtenfalls noch einen Obers-
kaffee mit Gugelhupf, an das verfluchte Karten-
ſpiel hat kein Menſch gedacht; ein angenehmes
Plauſcherl ...“

„Die Leut’ ausrichten!“

„Nicht einmal das kommt jetzt mehr vor.
Man hat ja keine Zeit dazu. Eine Stuude lang
bei der Jauſe geſeſſen: Kalter Aufſchnitt, Reb-
hühner, wenn möglich kalter Faſan, gefüllte
Baiſers von Demel, Thee, Schnäpfe, Cigarretten
— es iſt wirklich nicht mehr ſchön!“

„Dann hat man freilich zu Hauſe beim
Nachtmahl keinen Appetit“, bemerkte Herr Eidlinger
ſo nebenbei und erſtickte die Worte im Tabak-
qualm, den er behaglich von ſich blies.

„Das iſt Alles nichts, aber die Knauſerei
mancher Damen. Toiletten, Hütchen, Schmuck, da
iſt ihnen nichts zu theuer, hunderte Gulden ſo


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[[2]/0002] mente noch eine Weile ſtützen zu können. Sehen wir uns ſie einmal an, dieſe aus centrifugalen Slaven, Rückſchrittlern und gefügigen Strebern zuſammengeballte Mehrheit, die einen Halt gegen das anſtürmende Kernvolk Oeſterreichs und ein Aſyl für die Männer bieten ſoll, die das be- wußte deutſche Volksthum einſtimmig verurtheilt, und bis aufs Aeußerſte befehdet. Da ſind die Jungtſchechen, die feierlich erklären und, gedrängt von den aufgeregten Maſſen erklären müſſen, daß ſie unbefriedigt ſind, die kein Centrum und keine Einheit des Reiches anerkennen, die ihr ganzes Wirken im Reichsrathe nur als eine Durchgangs- phaſe zum neu zu errichtenden großtſchechiſchen Staate betrachten, da ſind die Polen, aus deren Reihen die unglückſeligſten Regierungskünſtler ſtammen — eine Gruppe von Abgeordneten, die nie ein rechtes Herz für Oeſterreich hatte und die, ſeit die Sonderſtellung ihres Gebietes er- reicht iſt, gar kein Intereſſe an unſeren inneren Angelegenheiten haben — es wäre denn an den finanziellen Hilfeleiſtungen, die ſie von den an- deren öſterreichiſchen Völkern in Anſpruch nehmen. Da ſind die Feudalen, die alten Staatsverderber, hinter denen niemand ſteht als eine Handvoll egoiſtiſcher Junker, die uns in die Zeiten der Robott und der Patrimonialgerichtsbarkeit zurück- drängen möchten, da ſind die Clerikalen, die für Rom arbeiten und hinter denen ein Volk ſteht, das in ſeiner dumpfen Unfreiheit noch gar nicht zum politiſchen Leben erwacht iſt, und das, wenn es einmal erwacht, naturgemäß die Reihen der Deutſchen verſtärken muß. So ſieht ſie aus, dieſe numeriſche Mehrheit, dieſes Gemengſel von Egoiſten die am Staate nur das intereſſirt, was ſie im Falle der Zerſetzung oder des moraliſchen Verfalles an ſich reißen können — und mit dieſer Mehrheit, mit der ſich zur Noth eine mechaniſche Abſtimmung, aber keine das Reich vertretende Zuſtimmung erreichen läßt, will irgendein Miniſterium — von dem in allen Fugen krachenden Cabinet Badeni ganz zu ſchweigen — in Oeſterreich ſein Auskommen finden und gleichſam in ſtändiger Feindſeligkeit gegen die belebenden und erhaltenden Gedanken des Staates, im Kriegszuſtande gegenüber der Berfaſſung und dem Geiſte der geltenden Geſetze regieren? Regieren gegen die große Nation, die Oeſterreich geſchaffen und verjüngt, die ſein Gefüge gegen den Anſturm innerer feindlicher Gewalten und gegen alle Irrthümer der äußeren Politik gehalten hat und ohne deren bindende Kraft das ganze Staatsgebilde auseinanderſtiebt. Im Lager dieſer Nation, ſagt das „Prager Montagsblatt“, die durch die deutſche Minderheit des Abgeordnetenhauſes vertreten iſt, war Oeſter- reich. Wo iſt es heute, da man dieſe Nation durch das Aeußerſte, das man ihr bot, dazu gebracht hat, die Sorge für ihre nationale Er- haltung über jede andere Rückſicht zu ſtellen, und die Räder der Staatsmaſchine, die einzig und allein durch ihre Kraft bewegt und im arbeitsfähigen Zuſtande erhalten wurde, zum Stillſtande zu bringen? Das politiſche Chaos iſt hereingebrochen, und niemand weiß zur Stunde, wer es beſchwören ſoll. Soll es aber überhaupt beſchworen werden, dann iſt es die höchſte Zeit, daß die unglückſeligen Hände, auf denen die Schuld dieſer verheerenden Wirkung laſtet, ſo raſch wie möglich aus dem Staatsgetriebe für immer verſchwinden. Reichsrath. Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom 11. Mai. Wien, 11. Mai. Zu Beginn der heutigen Sitzung des Abgeordnetenhauſes beantwortete Miniſterpräſident Graf Badeni die Interpellation der Abg. Freiherr v. Malfatti und Genoſſen, betreffend die Ausſchreitungen im Küſtenlande anläßlich der Reichsrathswahlen. Es ſei richtig, daß Ausſchreitungen auch gegen die Italiener in den Bezirken Parenzo, Trieſt, Görz und Pola ſtattfanden. Die Erregung der ſlaviſchen Bevölkerung ſei durch Gerüchte genährt worden, daß die Slaven ihrer Rechte verluſtigt werden und auch aus den Aemtern entfernt würden. Die Behörden ſchritten ſofort energiſch, aber objectiv ein. Die Erhebungen wurden von beſonderen Unterſuchungsrichtern gepflogen und ergaben keinen Fall, daß die Staatsbehörde oder Staatsbeamte eine Partei unterſtützt hätten. Die Behörden werden auch künftighin Alles zur Wahrung der Ordnung thun, doch appellirt der Miniſter- präſident an die Einſicht und Unterſtützung der betreffenden Kreiſe beider Nationalitäten. Ferner beantwortet der Miniſterpräſident die Interpellation Spincic, betreffend die in Capo d’Iſtria angeblich vorgekommenen Angriffe gegen Angehörige ſlaviſcher Nationalität. Hierauf folgt die Verhandlung über die Re- gierungsvorlage, betreffend die kaiſerliche Nothſtandsverordnung vom 18. Fe- bruar. Abg. Peſchka (deutſchfortſchrittlich) ſchildert die Nothlage der ländlichen Bevölkerung im nordöſtlichen Böhmen und das Vorgehen bei der Gewährung und Vertheilung von Nothſtands- unterſtützungen. Der Redner bemängelt weiters die Art der Erhebungen, bedauert, daß die Regierung nicht einen viel höheren Credit in Anſpruch genommen habe und wünſcht, daß die Summe im Budgetausſchuſſe verdoppelt werde. Abg. Dr. Roſer erörtert die Urſachen der harten Nothlage der Landwirthſchaft. Er habe ſeit 31 Jahren ſchon manche Thronrede erlebt, die Regierungen entwickeln mancherlei Programm, ſie kommen aber über dieſe Entwicklung nicht hinaus. Graf Badeni hat es nicht einmal werth gefunden, der nothleidenden Landwirthſchaft auch nur mit einem Wörtchen zu gedenken. Natürlich, er hat ja dazu keine Zeit, er muß Sprachenver- ordnungen machen und ſtatt Hilfe noch Erbitte- rung unter die Bevölkerung tragen. Die Bela- ſtung der Gemeinden durch die Geſchäfte des übertragenen Wirkungskreiſes iſt eine unerträgliche geworden. Die Zuſchlagswirthſchaft hat einen ſolchen Umfang angenommen, daß Herr v. Bi- linski in ſeinem Werke Oeſterreich mit Recht „das Land der Zuſchläge“ genannt hat. Eine Abhilfe aber erfolgte nicht. Die Früchte des Fleißes werden in Waffen umgewandelt, die geforderten Beurlaubungen von Soldaten zur Erntezeit ſind nicht zu erreichen. Präſident unterbricht den Redner mit der Mahnung, zur Sache zu ſprechen, indem er ihn aufmerkſam macht, daß es ſich gegenwärtig blos um die erſte Leſung handle. Abg. Dr. Roſer bemerkt, er ſpreche zur Sache, da er die Urſachen des Nothſtandes er- örtern müſſe. Er verweiſt auf den Mangel eines billigen Credites für den Landwirth, ſowie auf die wichtige Frage der Flußregulirungen. Vor einigen Jahren ſeien für Flußregulirungen in Schleſien 200 fl. bewilligt worden. (Heiterkeit und Hört! Hört!) Bei der Beſprechung dieſes Gegenſtandes wird er vom Präſidenten neuerdings mit dem Rufe zur Sache unterbrochen. Abg. Dr. Roſer hebt die große Schädi- gung der öſterreichiſchen Landwirthſchaft durch den Mißbrauch des Mahlverkehres durch die unga- riſchen Mühlencartelle hervor. Präſident erſucht den Redner neuerdings ſich an die Sache zu halten, widrigenfalls er ihm das Wort entziehen müßte. Abg. Dr. Roſer richtet an den Miniſter- präſidenten din Bitte, er möge ſich lieber mit der Nothlage des Bauernſtandes anſtatt mit Sprachenverordnungen beſchäftigen. Dann bitte er ihn aber auch, ſeine Interpellation ... Präſident: Ich habe Sie wiederholt erſucht, ſich an die Sache zu halten. Nachdem Sie dieſem Erſuchen nicht Folge leiſten, entziehe ich Ihnen das Wort. (Lebhaſter Widerſpruch links. Rufe: Weiterreden! Appelliren Sie an das Haus!) Abg. Iro: Wenn von der Nothlage des Bauernſtandes geſprochen wird, da wird das Wort entzogen. Abg. Dr. Roſer: Ich laſſe mir das Wort nicht entziehen. Präſident: Herr Abg. Roſer, Sie appelliren an das Haus? (Abg. Dr. Roſer: Ja wohl!) Ich werde das Haus befragen. (Un- ruhe. Der Präſident ſetzt das electriſche Glocken- ſignal in Bewegung.) Abg. Dr. Hofmann v. Wellenhof (zur Abſtimmung): Die meiſten Herren ſind gar nicht in der Lage, über die Sache zu urtheilen, ſie waren nicht zugegen und haben daher keine Ahnung, ob der Abg. Roſer zur Sache geſprochen hat oder nicht. Nach der famoſen Zeiteintheilung unſerer Sitzungen iſt dies auch nicht gut anders möglich. Ich beantrage da her, daß vor der Ab- ſtimmung die Rede des Abg. Dr. Roſer dem noch immer ſteif und würdevoll an die Credenz gelehnt ſtand. „Der Salat? Haben denn gnä’ Frau Salat befohlen?“ „Gewiß. Bevor ich fortging, hab’ ich Ihnen doch geſagt, die Köchin ſoll zu den Schnitzeln und den heurigen Kartoffeln auch einen Häuptelſalat richten.“ „Mir hab’n gnä’ Frau nichts geſagt, vielleicht der Köchin.“ „Nein, Ihnen, Sie zerſtreute Pecſon! Sie haben natürlich wieder alles Andere im Kopf, nur nicht die Wirthſchaft, S ...“ Herr Eidlinger, der ſoeben Meſſer und Gabel aus den Händen gelegt hatte, beruhigte die zürnende Hausfrau. „Es macht ja nichts; es hat uns auch ohne Salat geſchmeckt. Nicht wahr Harry.“ Der kleine dicke Junge kaute noch mit vollen Backen an den ihm von der „Mademoiſſelle“ vorgeſchnittenen kleinen Biſſen und ſchien die Anſicht des Papa keineswegs zu theilen. O, rief er, „der Salat wäre ſehr gut geweſen.“ Frau Louiſabeth ſah etwas conſternirt ihr Söhnchen an, ſenkte dann einen Moment lang wie beſchämt den Blick, ſeufzte wieder und rief zum drittenmale: „Gott ſei Dank, daß die Ge- ſchichte ein Ende hat! Dieſe geſellſchaftlichen Pflichten, dieſe „Jours“, das Kartenſpiel, ich bin glücklich, daß die Saiſon und der ganze Rummel vorüber ...“ Die Frau vom Hauſe ſtreifte jetzt zufällig mit einem Blicke Mademoiſelle Poncelet. Was hat denn dieſe Perſon ſo unverſchämt ſpöttiſch den Mund zu verziehen, zumal ſie doch behauptet, daß ſie noch kein einziges deutſches Wort verſtehe? Unwillig wendete ſich nun Frau Louiſabeth an die Franzöſin: „Mademoiſelle, es iſt Zeit, daß die Kleinen zu Bette gehen.“ Mademoiſelle Poncelet erhob ſich raſch, die Kinder erhoben ſich ſchwerfällig und zögernd von den Stühlen, und erſt nachdem der dicke Harry noch eine Orange als Nachtiſch in die Fauſt gedrückt bekommen, ließen ſich die Kleinen auf die Wangen küſſen, riefen: Gut’ Nacht Papatſchi!“ „Gut’ Nacht, Mamatſchi!“ und verließen mit der Bonne das Zimmer. Herr Eidlinger zündete ſich eine Cigarre an, erhob ſich dann, ſteckte die Hände in die Hoſentaſchen und indem er ſich vor ſeine verſtimmte Gattin hinpflanzte, rief er gutmüthig: „Heute Pech gehabt, was?“ Frau Loutſabeth wendete den Kopf ab und mit einer Thräne in der Stimme verſetzte ſie: „Nie wieder! Erſtens verbringt man zu viel Zeit damit; jeden Nachmittag anderswo. Die Wirthſchaft leidet darunter, denn auf die Frauen- zimmer kann man ſich nicht verlaſſen. Siehſt ja ſelbſt. Heute, der Salat. Und ich hab’s der Perſon ausdrücklich befohlen.“ „Na ja, wenn die Frau nicht Alles ſelbſt ..“ „Das ſag’ ich ja. Aber dieſe geſellſchaftlichen Pflichten! Wenn die Damen zu mir kommen, muß man ihnen doch Revanche geben. Man glaubt ja ſonſt gleich weiß der liebe Gott was. Die Leute tratſchen dann alles Mögliche. Man wolle ſparen, man müſſe; man könne nicht mehr Haus machen. Da darf man ſich freilich nicht ausſchließen, obwohl es genug theuer kommt. Früher ſo ein „Jour“ — einige Schalen Thee, etliche Butterſemmeln, und man hat ſich famos unterhalten; beſtenfalls noch einen Obers- kaffee mit Gugelhupf, an das verfluchte Karten- ſpiel hat kein Menſch gedacht; ein angenehmes Plauſcherl ...“ „Die Leut’ ausrichten!“ „Nicht einmal das kommt jetzt mehr vor. Man hat ja keine Zeit dazu. Eine Stuude lang bei der Jauſe geſeſſen: Kalter Aufſchnitt, Reb- hühner, wenn möglich kalter Faſan, gefüllte Baiſers von Demel, Thee, Schnäpfe, Cigarretten — es iſt wirklich nicht mehr ſchön!“ „Dann hat man freilich zu Hauſe beim Nachtmahl keinen Appetit“, bemerkte Herr Eidlinger ſo nebenbei und erſtickte die Worte im Tabak- qualm, den er behaglich von ſich blies. „Das iſt Alles nichts, aber die Knauſerei mancher Damen. Toiletten, Hütchen, Schmuck, da iſt ihnen nichts zu theuer, hunderte Gulden ſo

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 108, Olmütz, 12.05.1897, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches108_1897/2>, abgerufen am 28.03.2024.