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Mährisches Tagblatt. Nr. 118, Olmütz, 22.05.1896.

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[Spaltenumbruch]

König Etzels sitzen, gerüstet, und das blanke
Schwert in der Hand und umstürmt von den
Widersachern und Bedrängern. Der Zusammentritt
eines neuen Volkshauses, der Beginn einer neuen
Legislaturperiode ist eine Aufforderung an die
Deutschen, um auch ihrerseits einmal als ungestüme
Forderer aufzutreten: zu verlangen, daß den
schwankenden Nationalitätszuständen in Oester-
reich, die schließlich immer nur zu Gunsten der
Slaven ausschlagen, abgeholfen werde. Ja wohl,
die Wirthschaftsfragen gehen mit Macht an die
Thore. Aber die nationale Lebensfrage ist für
die Deutschen trotzdem die wichtigste. Sein oder
Nichtsein! Das ist für die Deutschen in Oester-
reich die Hauptfrage geworden. Den wirthschaft-
lichen Reformen soll ihr Recht werden, aber den
Deutschen auch ihr nationales Recht. Es ist ge-
hofft worden, daß die wirthschaftlichen Angelegen-
heiten, daß die socialen Bedrängnisse den natio-
nalen Kampf abschwächen, vielleicht ganz beseitigen
werden. Das hat sich bereits als ein Irrthum
herausgestellt und in mancherlei Richtung wurde
sogar gerade die "Wirthschaft" als neues natio-
nales Kampfmittel benützt. Die Deutschen werden
sich also für die hereinbrechende Zeit doppelt
rüsten müssen; für sie stehen die Dinge auf der
Schneide und die Deutschen müssen dafür Sorge
tragen, daß das Gemeinwesen nicht ganz hinüber
finke zu den Gegnern. Große Kraftanstrengun-
gen, das Anspannen aller Sehnen wird in nicht
zu ferner Zeit nothwendig sein, um für die deutsche
Sache, für das deutsche Volksthum in Oesterreich
eine Wendung herbeizuführen. Das empfinden
instinctiv alle deutschen Volksgenossen, soferne sie
nur überhaupt ein deutsches Bewußtsein haben.
Aus dieser Empfindung erwächst auch dieses Drän-
gen, dieses Eifern, das eben jetzt sich bemerkbar
macht; daher kommt es vielleicht auch, daß ge-
rade jetzt die Deutschen umso heftiger miteinan-
der hadern, umso leichter sich miteinander zer-
schlagen und dann sich befehden. Das muß sich
jedoch abklären, abklären zu der Einigkeit, die
das Nothwendigste sein wird für Alle. Immer
stritten sich die Deutschen untereinander, wenn es
zum Schlagen kam, da führte sie gar oft schon,
ein gütiges Geschick zusammen und damit allein
schon zum Siege. Möge es diesmal an der
Schwelle entscheidender Ereignisse -- wieder so sein!




Politische Nachrichten.
(Andienz des Wiener Bürgermeisters
beim Kaiser.)

Bürgermeister Strobach, welcher
gestern in den allgemeinen Audienzen vom Kaiser
empfangen wurde, drückte dem Monarchen seinen
Dank für die Bestätigung aus. Der Kaiser
[Spaltenumbruch] erwiderte dem Bürgermister, es habe ihn gefreut,
ihn bestätigen zu können. Wie man weiters aus
dem Wiener Rathhause meldet, habe der Kaiser
hinzugefügt, er hoffe, daß nunmehr in der Ge-
meinde wieder geordnete Zustände platzgreifen
werden.

(Der Austritt des Abg. Wrahetz aus
der Bereinigten Linken.)

Reichsraths-Abge-
ordneter Wrabetz hat sich gestern gegen einen
Redacteur der "Wiener Allg. Zeitung" über die
Gründe ausgesprochen, die ihn veranlaßten, aus
der Vereinigten Linken auszutreten, er sagte:

Schon seit den Tagen der Coalition geht
mir das Verhalten der Vereinigten Linken gegen
den Strich, aber man betonte immer die Noth-
wendigkeit des Zusammenhaltens, der Parteieinig-
keit, immer wieder wurden Hoffnungen auf bessere
Zeiten erweckt, und so blieb ich im Verbande und
brachte der Parteidisciplin manches Opfer, so
lang, bis ich einsah, daß auf diesem Wege für
uns nichts zu erreichen sei. Ich folgte Sueß und
trat aus, wenn dadurch die Zerbröckelung der
Partei auch gefördert wurde. Soll der liberale
Gedanke gerettet werden, so muß die liberale
Partei eine Umformung durchmachen. In der
heutigen Zusammensetzung ist sie mehr conservativ
als liberal. Alle Hochachtung vor unseren Groß-
grundbesitzern und mehreren Anderen, aber liberal
sind sie nicht. Bei jeder Frage erwägen sie erst,
was man oben dazu sagen werde, das Verständ-
niß nach unten ist ihnen verloren gegangen. Und
diese Conservativen bilden mehr als die Hälfte
der Partei, die in Folge der fortwährenden Op-
portunitätspolitik im Volke immer mehr an
Boden verliert. Darum nimmt auch Badeni so
wenig Rücksicht auf uns, und kommt Lueger
entgegen, weil dieser die Masse hinter sich hat.

Die letzten Geschehnisse in der Luegeraffaire
waren der Tropfen, der das Glas zum Ueber-
fließen brachte. Es kam damals, gleich nach der
Audienz, zu so stürmischen Scenen, wie ich sie
im Club noch nicht gesehen hatte, und ich glaube,
Sueß war es, der die Einbringung einer Inter-
pellation forderte. Da hieß es aber, das wäre
unopportun, Badeni werde spontan eine Cor-
rectur des Communiques veranlassen, die ver-
söhnliche Stimmung gewann die Oberhand und
-- es geschah nichts. Wir wissen, daß der
Kaiser den anerkenneuden Worten eine scharfe
Mißbilligung des antisemitischen Treibens und
der persönlichen Haltung voranschickte, aber wir
wissen es nicht officiell. Nachdem ein Theil des
Inhaltes der Audienz, und zwar der dem Dr.
Lueger angenehme Theil, verlautbart wurde,
hätte sich der Ministerpräsident vom Kaiser die
Ermächtigung erbitten müssen, auch den anderen
[Spaltenumbruch] Theil zu veröffentlichen. Das hätte beschwichtigend
gewirkt und wäre ein Act der Loyalität gegen
unsere Partei gewesen. So aber besteht unwider-
sprochen und uneingeschränkt die Thatsache, daß
ein Mann belobt wurde, der noch vor drei
Monaten als Demagoge bezeichnet wurde und
darin liegt implicite ein Tadel gegen jene
gemäßigten Elemente, die das Vorgehen Lueger's
hart verurtheilen und bekämpfen. Allerdings lehnt
Badeni jede Theilnahme an der Fassung des
Communiques ab, und man läßt durchscheinen,
daß die Audienz über seinen Kopf hin erfolgte.
Wenn das richtig ist, bedeutet es ein eclatantes
Mißtrauensvotum für ihn und Badeni hätte die
Consequenzen daraus ziehen müssen. Nachdem er
es nicht gethan, hat er für diesen Schritt die
Verantwortung übernommen und der Schlag gegen
die Linke kommt auf seine Rechnung.

Wozu soll der Ministerpräsident übrigens
gegen die Linke freundlich vorgehen? Er braucht
die Partei zwar für seine Majorität, aber er weiß,
daß sie ihm ja doch folge, ob er sich nun so oder
so verhält. Wie viele Beispiele haben das schon
bewiesen!

Und darum bin ich ausgetreten. Ich sehe
nicht ein, warum gerade wir immer eine gemäßigte
Richtung verfolgen sollen, die im Volke keinen
Anklang findet, warum wir entsagen und pacti-
ren sollen, wo die Partei der rüdesten Rücksichts-
losigkeit, der scrupellosen Verhetzung, der maß-
losen Ueberhebung Anerkennung und Lob findet.
Nein, ich will nicht mehr fragen, was der Re-
gierung recht ist, was einem Minister paßt, son-
dern ich will meiner Ueberzeugung folgen und
unbekümmert für die Interessen meiner Wähler-
schaft wirken. Ich habe mich so oft gefügt, es
war zwecklos, ich thue es nicht mehr. Gefällt
mein Standpunct den Wählern nicht, bon, hier
ist mein Mandat. Uebrigens wird demnächst das
liberale Centralwahlcomite zusammentreten, und
wenn mich nicht Alles täuscht, wird es einen Be-
schluß fassen, der auch die anderen Wiener Ab-
geordneten veranlassen dürfte, aus der Vereinig-
ten Linken auszuscheiden.

Ich habe dem Ministerium Badeni Oppo-
sition erklärt, und werde aus politischen Grün-
den gegen die Steuerreform stimmen.

Alles in Allem, ich bin aus der Vereinigten
Linken geschieden, weil ich wirklich liberal bin.

(Die Krönungs-Kundmachung,)

welche
morgen in den Straßen Moskaus unter
Trompetenschall und Trommelschlag verlesen wer-
den wird, hat folgenden Wortlant: "Der aller-
durchlauchtigste, allererhabenste, großmächtigste Herr
und Kaiser Nicolaus Alexandrowitsch hat, nach-
dem er den von seinen Ahnen ererbten Thron




[Spaltenumbruch]

"Woher -- wieso -- wissen Sie!" stam-
melte ich.

"Ich komme dorther und fahre auch morgen
wieder dorthin zurück," sagte sie ausweichend;
"übrigens hält der Zug in einer halben Stunde,
und Sie finden dann gleich wieder Anschluß nach
Marburg."

"Sie wissen gut Bescheid auf dieser Bahn-
linie," sagte ich verwundert.

"Ja, ich fahre hier. -- Jesses, Rudele,
bischt Du aber e unvernünftig Büeble! Wenn
Du jetzt 'nausg'falle wärst!"

Dies galt dem Jüngling mit dem gewür-
felten Tuch, der sich soeben aus dem Fenster
hinausgelehnt hatte und zwar mit solcher Vehe-
menz, daß ihn die Schwester bei seinem Jacken-
zipfel vor dem Hinausstürzen bewahren mußte.

"'s ischt nit so gefährlich!" sagte ärgerlich
der Bruder, indem er seine Jacke von dem ent-
würdigenden Griff befreite.

Also wackere Schwaben hätte ich da offen-
bar zu Reisegefährten bekommen! Der trauliche
Dialect klang so allerliebst von den rothen Lippen
meines Gegenübers, daß ich bereits zu bedauern
anfing, ihn nicht länger hören zu dürfen.

"Sie sagten, daß Sie morgen wieder zu-
rückkämen," knüpfte ich wieder an. "Meinen Sie
damit nach Marburg?"

"Ja, das meint' ich. Meine Schwester ist
dort verheiratet, und ich lebe seit kurzem bei ihr;
nur manmal besuche ich eine andere Verwandte,
die eine Stunde hinter Kassel lebt."

Sie sprach jetzt wieder in steifem Hochdeutsch,
was ich innerlich bedauerte. Eine Viertelstunde
später stieg ich aus, sah den Zug weiterbrausen
mit einem Gefühl von Verstimmung, als führte
[Spaltenumbruch] er etwas Köstliches von dannen und langte end-
lich gegen Abend mit einem anderen Zuge hier
in Marburg an.

Helmer holte mich am Bahnhof ab. Ich er-
fuhr von ihm, daß seine Frau mit ihm schon
Nachmittags hiergewesen sei und uns nun zu
Hause erwarte.

Die Frau Professor empfing mich mit
lachender Schelmerei und mit ihrer halb hessischen,
halb schwäbischen Sprache, die ich so gern höre,
neckte sie auch: "Ischt er wirklich heil angekommen,
der Herr Professor? Jesses, ischt das e Wunder!
Mir habe scho' geglaubt, mei Schwesterle und
ich, daß Ihne am End' en Unglück passiere
könnt' auf dem weite Weg."

"Ist mir auch eins passiert, gnädige Frau,
wozu bin ich denn sonst Privatdocent? -- Aber
Sie sagen, Ihre Schwester hätte dergleichen mit-
vermuthet? Habe ich denn schon die Ehre von
ihr gekannt zu sein?"

"Nein, gekannt just nit! Aber mir habe
ihr halt soviel erzählt von Ihne, daß sie schon
ganz gut B'scheid weiß, gelt Männele?"

Das Männele nickte verschmitzt und mir
sträubten sich heimlich die Haare. Bin ich etwa
hierher gelootst worden, um meuchlings verlobt zu
werden? ... Furchtbarer Gedanke!

Marburg, 1. Pfingsttag.

Was ist mir heute für ein wunderlich nettes
Abenteuer begegnet! Den Tag hatten Helmer
und ich mit einem famosen Ausflug in die herr-
liche Umgegend dieses gesegneten Städtchens zuge-
bracht; ich war außerordentlich vergnügt in der
richtig dummen Pfingstfreudestimmung. Als wir
dann nach Haus kamen, war's schon dämmerig,
und in dem Flur des hübschen Häuschens meines
[Spaltenumbruch] Freundes war es fast dunkel. Helmer ging in
sein Arbeitszimmer, und ich hängte meinen Hut
tastend an den Garderobenständer.

Mit einem Male huscht etwas herbei, zwei
kleine Hände legten sich von rückwärts um meine
Augen und eine helle, wohltönende Stimme ruft:

"Gute Morge, Bielliebche!"

Ich rühre mich nicht. -- Die Stimme der
Sprecherin kam mir bekannt vor, und jedenfalls
war die Berührung der kleinen, weichen Hände
äußerst angenehm:

"Bischt Du nit zufriede damit, Schwagerle?
-- Muß i denn vielleicht französisch rede?! No
also dann: i 'y pense!"

Da ich aber immer noch nicht antwortete,
ließ sie mich los und sprang vor mich hin.

"Was hascht Du denn heute, Emil? Bischt
ja so still? -- Jesses -- Jesses -- -- -- --"

In diesem Augenblick hatte sich die Thür
zum Eßzimmer aufgethan und ein breiter Licht-
strahl war auf mich gefallen.

Darauf hatte das Schwesterle, die keine
andere als meine Reisegefährtin war, aufgeschrien
und war Hals über Kopf fortgelaufen.

Sie erschien auch nicht beim Abendbrot,
wie die Professorin meinte, weil sie schon vorher
einen Imbiß genommen habe. Ich glaube aber,
sie schämte sich.

Das sinde ich nun wieder reizend von ihr,
daß sie sich ein bischen schä[m]t.

Ueberhaupt .....

Marburg, 2. Pfingsttag.

Heute früh stand sie im Garten und begoß
die Blumen. Als sie mich sah, stieg ihr eine
helle Blutwelle in's Angesicht und nun begoß


[Spaltenumbruch]

König Etzels ſitzen, gerüſtet, und das blanke
Schwert in der Hand und umſtürmt von den
Widerſachern und Bedrängern. Der Zuſammentritt
eines neuen Volkshauſes, der Beginn einer neuen
Legislaturperiode iſt eine Aufforderung an die
Deutſchen, um auch ihrerſeits einmal als ungeſtüme
Forderer aufzutreten: zu verlangen, daß den
ſchwankenden Nationalitätszuſtänden in Oeſter-
reich, die ſchließlich immer nur zu Gunſten der
Slaven ausſchlagen, abgeholfen werde. Ja wohl,
die Wirthſchaftsfragen gehen mit Macht an die
Thore. Aber die nationale Lebensfrage iſt für
die Deutſchen trotzdem die wichtigſte. Sein oder
Nichtſein! Das iſt für die Deutſchen in Oeſter-
reich die Hauptfrage geworden. Den wirthſchaft-
lichen Reformen ſoll ihr Recht werden, aber den
Deutſchen auch ihr nationales Recht. Es iſt ge-
hofft worden, daß die wirthſchaftlichen Angelegen-
heiten, daß die ſocialen Bedrängniſſe den natio-
nalen Kampf abſchwächen, vielleicht ganz beſeitigen
werden. Das hat ſich bereits als ein Irrthum
herausgeſtellt und in mancherlei Richtung wurde
ſogar gerade die „Wirthſchaft“ als neues natio-
nales Kampfmittel benützt. Die Deutſchen werden
ſich alſo für die hereinbrechende Zeit doppelt
rüſten müſſen; für ſie ſtehen die Dinge auf der
Schneide und die Deutſchen müſſen dafür Sorge
tragen, daß das Gemeinweſen nicht ganz hinüber
finke zu den Gegnern. Große Kraftanſtrengun-
gen, das Anſpannen aller Sehnen wird in nicht
zu ferner Zeit nothwendig ſein, um für die deutſche
Sache, für das deutſche Volksthum in Oeſterreich
eine Wendung herbeizuführen. Das empfinden
inſtinctiv alle deutſchen Volksgenoſſen, ſoferne ſie
nur überhaupt ein deutſches Bewußtſein haben.
Aus dieſer Empfindung erwächſt auch dieſes Drän-
gen, dieſes Eifern, das eben jetzt ſich bemerkbar
macht; daher kommt es vielleicht auch, daß ge-
rade jetzt die Deutſchen umſo heftiger miteinan-
der hadern, umſo leichter ſich miteinander zer-
ſchlagen und dann ſich befehden. Das muß ſich
jedoch abklären, abklären zu der Einigkeit, die
das Nothwendigſte ſein wird für Alle. Immer
ſtritten ſich die Deutſchen untereinander, wenn es
zum Schlagen kam, da führte ſie gar oft ſchon,
ein gütiges Geſchick zuſammen und damit allein
ſchon zum Siege. Möge es diesmal an der
Schwelle entſcheidender Ereigniſſe — wieder ſo ſein!




Politiſche Nachrichten.
(Andienz des Wiener Bürgermeiſters
beim Kaiſer.)

Bürgermeiſter Strobach, welcher
geſtern in den allgemeinen Audienzen vom Kaiſer
empfangen wurde, drückte dem Monarchen ſeinen
Dank für die Beſtätigung aus. Der Kaiſer
[Spaltenumbruch] erwiderte dem Bürgermiſter, es habe ihn gefreut,
ihn beſtätigen zu können. Wie man weiters aus
dem Wiener Rathhauſe meldet, habe der Kaiſer
hinzugefügt, er hoffe, daß nunmehr in der Ge-
meinde wieder geordnete Zuſtände platzgreifen
werden.

(Der Austritt des Abg. Wrahetz aus
der Bereinigten Linken.)

Reichsraths-Abge-
ordneter Wrabetz hat ſich geſtern gegen einen
Redacteur der „Wiener Allg. Zeitung“ über die
Gründe ausgeſprochen, die ihn veranlaßten, aus
der Vereinigten Linken auszutreten, er ſagte:

Schon ſeit den Tagen der Coalition geht
mir das Verhalten der Vereinigten Linken gegen
den Strich, aber man betonte immer die Noth-
wendigkeit des Zuſammenhaltens, der Parteieinig-
keit, immer wieder wurden Hoffnungen auf beſſere
Zeiten erweckt, und ſo blieb ich im Verbande und
brachte der Parteidisciplin manches Opfer, ſo
lang, bis ich einſah, daß auf dieſem Wege für
uns nichts zu erreichen ſei. Ich folgte Sueß und
trat aus, wenn dadurch die Zerbröckelung der
Partei auch gefördert wurde. Soll der liberale
Gedanke gerettet werden, ſo muß die liberale
Partei eine Umformung durchmachen. In der
heutigen Zuſammenſetzung iſt ſie mehr conſervativ
als liberal. Alle Hochachtung vor unſeren Groß-
grundbeſitzern und mehreren Anderen, aber liberal
ſind ſie nicht. Bei jeder Frage erwägen ſie erſt,
was man oben dazu ſagen werde, das Verſtänd-
niß nach unten iſt ihnen verloren gegangen. Und
dieſe Conſervativen bilden mehr als die Hälfte
der Partei, die in Folge der fortwährenden Op-
portunitätspolitik im Volke immer mehr an
Boden verliert. Darum nimmt auch Badeni ſo
wenig Rückſicht auf uns, und kommt Lueger
entgegen, weil dieſer die Maſſe hinter ſich hat.

Die letzten Geſchehniſſe in der Luegeraffaire
waren der Tropfen, der das Glas zum Ueber-
fließen brachte. Es kam damals, gleich nach der
Audienz, zu ſo ſtürmiſchen Scenen, wie ich ſie
im Club noch nicht geſehen hatte, und ich glaube,
Sueß war es, der die Einbringung einer Inter-
pellation forderte. Da hieß es aber, das wäre
unopportun, Badeni werde ſpontan eine Cor-
rectur des Communiqués veranlaſſen, die ver-
ſöhnliche Stimmung gewann die Oberhand und
— es geſchah nichts. Wir wiſſen, daß der
Kaiſer den anerkenneuden Worten eine ſcharfe
Mißbilligung des antiſemitiſchen Treibens und
der perſönlichen Haltung voranſchickte, aber wir
wiſſen es nicht officiell. Nachdem ein Theil des
Inhaltes der Audienz, und zwar der dem Dr.
Lueger angenehme Theil, verlautbart wurde,
hätte ſich der Miniſterpräſident vom Kaiſer die
Ermächtigung erbitten müſſen, auch den anderen
[Spaltenumbruch] Theil zu veröffentlichen. Das hätte beſchwichtigend
gewirkt und wäre ein Act der Loyalität gegen
unſere Partei geweſen. So aber beſteht unwider-
ſprochen und uneingeſchränkt die Thatſache, daß
ein Mann belobt wurde, der noch vor drei
Monaten als Demagoge bezeichnet wurde und
darin liegt implicite ein Tadel gegen jene
gemäßigten Elemente, die das Vorgehen Lueger’s
hart verurtheilen und bekämpfen. Allerdings lehnt
Badeni jede Theilnahme an der Faſſung des
Communiqués ab, und man läßt durchſcheinen,
daß die Audienz über ſeinen Kopf hin erfolgte.
Wenn das richtig iſt, bedeutet es ein eclatantes
Mißtrauensvotum für ihn und Badeni hätte die
Conſequenzen daraus ziehen müſſen. Nachdem er
es nicht gethan, hat er für dieſen Schritt die
Verantwortung übernommen und der Schlag gegen
die Linke kommt auf ſeine Rechnung.

Wozu ſoll der Miniſterpräſident übrigens
gegen die Linke freundlich vorgehen? Er braucht
die Partei zwar für ſeine Majorität, aber er weiß,
daß ſie ihm ja doch folge, ob er ſich nun ſo oder
ſo verhält. Wie viele Beiſpiele haben das ſchon
bewieſen!

Und darum bin ich ausgetreten. Ich ſehe
nicht ein, warum gerade wir immer eine gemäßigte
Richtung verfolgen ſollen, die im Volke keinen
Anklang findet, warum wir entſagen und pacti-
ren ſollen, wo die Partei der rüdeſten Rückſichts-
loſigkeit, der ſcrupelloſen Verhetzung, der maß-
loſen Ueberhebung Anerkennung und Lob findet.
Nein, ich will nicht mehr fragen, was der Re-
gierung recht iſt, was einem Miniſter paßt, ſon-
dern ich will meiner Ueberzeugung folgen und
unbekümmert für die Intereſſen meiner Wähler-
ſchaft wirken. Ich habe mich ſo oft gefügt, es
war zwecklos, ich thue es nicht mehr. Gefällt
mein Standpunct den Wählern nicht, bon, hier
iſt mein Mandat. Uebrigens wird demnächſt das
liberale Centralwahlcomité zuſammentreten, und
wenn mich nicht Alles täuſcht, wird es einen Be-
ſchluß faſſen, der auch die anderen Wiener Ab-
geordneten veranlaſſen dürfte, aus der Vereinig-
ten Linken auszuſcheiden.

Ich habe dem Miniſterium Badeni Oppo-
ſition erklärt, und werde aus politiſchen Grün-
den gegen die Steuerreform ſtimmen.

Alles in Allem, ich bin aus der Vereinigten
Linken geſchieden, weil ich wirklich liberal bin.

(Die Krönungs-Kundmachung,)

welche
morgen in den Straßen Moskaus unter
Trompetenſchall und Trommelſchlag verleſen wer-
den wird, hat folgenden Wortlant: „Der aller-
durchlauchtigſte, allererhabenſte, großmächtigſte Herr
und Kaiſer Nicolaus Alexandrowitſch hat, nach-
dem er den von ſeinen Ahnen ererbten Thron




[Spaltenumbruch]

„Woher — wieſo — wiſſen Sie!“ ſtam-
melte ich.

„Ich komme dorther und fahre auch morgen
wieder dorthin zurück,“ ſagte ſie ausweichend;
„übrigens hält der Zug in einer halben Stunde,
und Sie finden dann gleich wieder Anſchluß nach
Marburg.“

„Sie wiſſen gut Beſcheid auf dieſer Bahn-
linie,“ ſagte ich verwundert.

„Ja, ich fahre hier. — Jeſſes, Rudele,
biſcht Du aber e unvernünftig Büeble! Wenn
Du jetzt ’nausg’falle wärſt!“

Dies galt dem Jüngling mit dem gewür-
felten Tuch, der ſich ſoeben aus dem Fenſter
hinausgelehnt hatte und zwar mit ſolcher Vehe-
menz, daß ihn die Schweſter bei ſeinem Jacken-
zipfel vor dem Hinausſtürzen bewahren mußte.

„’s iſcht nit ſo gefährlich!“ ſagte ärgerlich
der Bruder, indem er ſeine Jacke von dem ent-
würdigenden Griff befreite.

Alſo wackere Schwaben hätte ich da offen-
bar zu Reiſegefährten bekommen! Der trauliche
Dialect klang ſo allerliebſt von den rothen Lippen
meines Gegenübers, daß ich bereits zu bedauern
anfing, ihn nicht länger hören zu dürfen.

„Sie ſagten, daß Sie morgen wieder zu-
rückkämen,“ knüpfte ich wieder an. „Meinen Sie
damit nach Marburg?“

„Ja, das meint’ ich. Meine Schweſter iſt
dort verheiratet, und ich lebe ſeit kurzem bei ihr;
nur manmal beſuche ich eine andere Verwandte,
die eine Stunde hinter Kaſſel lebt.“

Sie ſprach jetzt wieder in ſteifem Hochdeutſch,
was ich innerlich bedauerte. Eine Viertelſtunde
ſpäter ſtieg ich aus, ſah den Zug weiterbrauſen
mit einem Gefühl von Verſtimmung, als führte
[Spaltenumbruch] er etwas Köſtliches von dannen und langte end-
lich gegen Abend mit einem anderen Zuge hier
in Marburg an.

Helmer holte mich am Bahnhof ab. Ich er-
fuhr von ihm, daß ſeine Frau mit ihm ſchon
Nachmittags hiergeweſen ſei und uns nun zu
Hauſe erwarte.

Die Frau Profeſſor empfing mich mit
lachender Schelmerei und mit ihrer halb heſſiſchen,
halb ſchwäbiſchen Sprache, die ich ſo gern höre,
neckte ſie auch: „Iſcht er wirklich heil angekommen,
der Herr Profeſſor? Jeſſes, iſcht das e Wunder!
Mir habe ſcho’ geglaubt, mei Schweſterle und
ich, daß Ihne am End’ en Unglück paſſiere
könnt’ auf dem weite Weg.“

„Iſt mir auch eins paſſiert, gnädige Frau,
wozu bin ich denn ſonſt Privatdocent? — Aber
Sie ſagen, Ihre Schweſter hätte dergleichen mit-
vermuthet? Habe ich denn ſchon die Ehre von
ihr gekannt zu ſein?“

„Nein, gekannt juſt nit! Aber mir habe
ihr halt ſoviel erzählt von Ihne, daß ſie ſchon
ganz gut B’ſcheid weiß, gelt Männele?“

Das Männele nickte verſchmitzt und mir
ſträubten ſich heimlich die Haare. Bin ich etwa
hierher gelootſt worden, um meuchlings verlobt zu
werden? ... Furchtbarer Gedanke!

Marburg, 1. Pfingſttag.

Was iſt mir heute für ein wunderlich nettes
Abenteuer begegnet! Den Tag hatten Helmer
und ich mit einem famoſen Ausflug in die herr-
liche Umgegend dieſes geſegneten Städtchens zuge-
bracht; ich war außerordentlich vergnügt in der
richtig dummen Pfingſtfreudeſtimmung. Als wir
dann nach Haus kamen, war’s ſchon dämmerig,
und in dem Flur des hübſchen Häuschens meines
[Spaltenumbruch] Freundes war es faſt dunkel. Helmer ging in
ſein Arbeitszimmer, und ich hängte meinen Hut
taſtend an den Garderobenſtänder.

Mit einem Male huſcht etwas herbei, zwei
kleine Hände legten ſich von rückwärts um meine
Augen und eine helle, wohltönende Stimme ruft:

„Gute Morge, Bielliebche!“

Ich rühre mich nicht. — Die Stimme der
Sprecherin kam mir bekannt vor, und jedenfalls
war die Berührung der kleinen, weichen Hände
äußerſt angenehm:

„Biſcht Du nit zufriede damit, Schwagerle?
— Muß i denn vielleicht franzöſiſch rede?! No
alſo dann: i ’y pense!

Da ich aber immer noch nicht antwortete,
ließ ſie mich los und ſprang vor mich hin.

„Was haſcht Du denn heute, Emil? Biſcht
ja ſo ſtill? — Jeſſes — Jeſſes — — — —“

In dieſem Augenblick hatte ſich die Thür
zum Eßzimmer aufgethan und ein breiter Licht-
ſtrahl war auf mich gefallen.

Darauf hatte das Schweſterle, die keine
andere als meine Reiſegefährtin war, aufgeſchrien
und war Hals über Kopf fortgelaufen.

Sie erſchien auch nicht beim Abendbrot,
wie die Profeſſorin meinte, weil ſie ſchon vorher
einen Imbiß genommen habe. Ich glaube aber,
ſie ſchämte ſich.

Das ſinde ich nun wieder reizend von ihr,
daß ſie ſich ein bischen ſchä[m]t.

Ueberhaupt .....

Marburg, 2. Pfingſttag.

Heute früh ſtand ſie im Garten und begoß
die Blumen. Als ſie mich ſah, ſtieg ihr eine
helle Blutwelle in’s Angeſicht und nun begoß


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[[2]/0002] König Etzels ſitzen, gerüſtet, und das blanke Schwert in der Hand und umſtürmt von den Widerſachern und Bedrängern. Der Zuſammentritt eines neuen Volkshauſes, der Beginn einer neuen Legislaturperiode iſt eine Aufforderung an die Deutſchen, um auch ihrerſeits einmal als ungeſtüme Forderer aufzutreten: zu verlangen, daß den ſchwankenden Nationalitätszuſtänden in Oeſter- reich, die ſchließlich immer nur zu Gunſten der Slaven ausſchlagen, abgeholfen werde. Ja wohl, die Wirthſchaftsfragen gehen mit Macht an die Thore. Aber die nationale Lebensfrage iſt für die Deutſchen trotzdem die wichtigſte. Sein oder Nichtſein! Das iſt für die Deutſchen in Oeſter- reich die Hauptfrage geworden. Den wirthſchaft- lichen Reformen ſoll ihr Recht werden, aber den Deutſchen auch ihr nationales Recht. Es iſt ge- hofft worden, daß die wirthſchaftlichen Angelegen- heiten, daß die ſocialen Bedrängniſſe den natio- nalen Kampf abſchwächen, vielleicht ganz beſeitigen werden. Das hat ſich bereits als ein Irrthum herausgeſtellt und in mancherlei Richtung wurde ſogar gerade die „Wirthſchaft“ als neues natio- nales Kampfmittel benützt. Die Deutſchen werden ſich alſo für die hereinbrechende Zeit doppelt rüſten müſſen; für ſie ſtehen die Dinge auf der Schneide und die Deutſchen müſſen dafür Sorge tragen, daß das Gemeinweſen nicht ganz hinüber finke zu den Gegnern. Große Kraftanſtrengun- gen, das Anſpannen aller Sehnen wird in nicht zu ferner Zeit nothwendig ſein, um für die deutſche Sache, für das deutſche Volksthum in Oeſterreich eine Wendung herbeizuführen. Das empfinden inſtinctiv alle deutſchen Volksgenoſſen, ſoferne ſie nur überhaupt ein deutſches Bewußtſein haben. Aus dieſer Empfindung erwächſt auch dieſes Drän- gen, dieſes Eifern, das eben jetzt ſich bemerkbar macht; daher kommt es vielleicht auch, daß ge- rade jetzt die Deutſchen umſo heftiger miteinan- der hadern, umſo leichter ſich miteinander zer- ſchlagen und dann ſich befehden. Das muß ſich jedoch abklären, abklären zu der Einigkeit, die das Nothwendigſte ſein wird für Alle. Immer ſtritten ſich die Deutſchen untereinander, wenn es zum Schlagen kam, da führte ſie gar oft ſchon, ein gütiges Geſchick zuſammen und damit allein ſchon zum Siege. Möge es diesmal an der Schwelle entſcheidender Ereigniſſe — wieder ſo ſein! Politiſche Nachrichten. (Andienz des Wiener Bürgermeiſters beim Kaiſer.) Bürgermeiſter Strobach, welcher geſtern in den allgemeinen Audienzen vom Kaiſer empfangen wurde, drückte dem Monarchen ſeinen Dank für die Beſtätigung aus. Der Kaiſer erwiderte dem Bürgermiſter, es habe ihn gefreut, ihn beſtätigen zu können. Wie man weiters aus dem Wiener Rathhauſe meldet, habe der Kaiſer hinzugefügt, er hoffe, daß nunmehr in der Ge- meinde wieder geordnete Zuſtände platzgreifen werden. (Der Austritt des Abg. Wrahetz aus der Bereinigten Linken.) Reichsraths-Abge- ordneter Wrabetz hat ſich geſtern gegen einen Redacteur der „Wiener Allg. Zeitung“ über die Gründe ausgeſprochen, die ihn veranlaßten, aus der Vereinigten Linken auszutreten, er ſagte: Schon ſeit den Tagen der Coalition geht mir das Verhalten der Vereinigten Linken gegen den Strich, aber man betonte immer die Noth- wendigkeit des Zuſammenhaltens, der Parteieinig- keit, immer wieder wurden Hoffnungen auf beſſere Zeiten erweckt, und ſo blieb ich im Verbande und brachte der Parteidisciplin manches Opfer, ſo lang, bis ich einſah, daß auf dieſem Wege für uns nichts zu erreichen ſei. Ich folgte Sueß und trat aus, wenn dadurch die Zerbröckelung der Partei auch gefördert wurde. Soll der liberale Gedanke gerettet werden, ſo muß die liberale Partei eine Umformung durchmachen. In der heutigen Zuſammenſetzung iſt ſie mehr conſervativ als liberal. Alle Hochachtung vor unſeren Groß- grundbeſitzern und mehreren Anderen, aber liberal ſind ſie nicht. Bei jeder Frage erwägen ſie erſt, was man oben dazu ſagen werde, das Verſtänd- niß nach unten iſt ihnen verloren gegangen. Und dieſe Conſervativen bilden mehr als die Hälfte der Partei, die in Folge der fortwährenden Op- portunitätspolitik im Volke immer mehr an Boden verliert. Darum nimmt auch Badeni ſo wenig Rückſicht auf uns, und kommt Lueger entgegen, weil dieſer die Maſſe hinter ſich hat. Die letzten Geſchehniſſe in der Luegeraffaire waren der Tropfen, der das Glas zum Ueber- fließen brachte. Es kam damals, gleich nach der Audienz, zu ſo ſtürmiſchen Scenen, wie ich ſie im Club noch nicht geſehen hatte, und ich glaube, Sueß war es, der die Einbringung einer Inter- pellation forderte. Da hieß es aber, das wäre unopportun, Badeni werde ſpontan eine Cor- rectur des Communiqués veranlaſſen, die ver- ſöhnliche Stimmung gewann die Oberhand und — es geſchah nichts. Wir wiſſen, daß der Kaiſer den anerkenneuden Worten eine ſcharfe Mißbilligung des antiſemitiſchen Treibens und der perſönlichen Haltung voranſchickte, aber wir wiſſen es nicht officiell. Nachdem ein Theil des Inhaltes der Audienz, und zwar der dem Dr. Lueger angenehme Theil, verlautbart wurde, hätte ſich der Miniſterpräſident vom Kaiſer die Ermächtigung erbitten müſſen, auch den anderen Theil zu veröffentlichen. Das hätte beſchwichtigend gewirkt und wäre ein Act der Loyalität gegen unſere Partei geweſen. So aber beſteht unwider- ſprochen und uneingeſchränkt die Thatſache, daß ein Mann belobt wurde, der noch vor drei Monaten als Demagoge bezeichnet wurde und darin liegt implicite ein Tadel gegen jene gemäßigten Elemente, die das Vorgehen Lueger’s hart verurtheilen und bekämpfen. Allerdings lehnt Badeni jede Theilnahme an der Faſſung des Communiqués ab, und man läßt durchſcheinen, daß die Audienz über ſeinen Kopf hin erfolgte. Wenn das richtig iſt, bedeutet es ein eclatantes Mißtrauensvotum für ihn und Badeni hätte die Conſequenzen daraus ziehen müſſen. Nachdem er es nicht gethan, hat er für dieſen Schritt die Verantwortung übernommen und der Schlag gegen die Linke kommt auf ſeine Rechnung. Wozu ſoll der Miniſterpräſident übrigens gegen die Linke freundlich vorgehen? Er braucht die Partei zwar für ſeine Majorität, aber er weiß, daß ſie ihm ja doch folge, ob er ſich nun ſo oder ſo verhält. Wie viele Beiſpiele haben das ſchon bewieſen! Und darum bin ich ausgetreten. Ich ſehe nicht ein, warum gerade wir immer eine gemäßigte Richtung verfolgen ſollen, die im Volke keinen Anklang findet, warum wir entſagen und pacti- ren ſollen, wo die Partei der rüdeſten Rückſichts- loſigkeit, der ſcrupelloſen Verhetzung, der maß- loſen Ueberhebung Anerkennung und Lob findet. Nein, ich will nicht mehr fragen, was der Re- gierung recht iſt, was einem Miniſter paßt, ſon- dern ich will meiner Ueberzeugung folgen und unbekümmert für die Intereſſen meiner Wähler- ſchaft wirken. Ich habe mich ſo oft gefügt, es war zwecklos, ich thue es nicht mehr. Gefällt mein Standpunct den Wählern nicht, bon, hier iſt mein Mandat. Uebrigens wird demnächſt das liberale Centralwahlcomité zuſammentreten, und wenn mich nicht Alles täuſcht, wird es einen Be- ſchluß faſſen, der auch die anderen Wiener Ab- geordneten veranlaſſen dürfte, aus der Vereinig- ten Linken auszuſcheiden. Ich habe dem Miniſterium Badeni Oppo- ſition erklärt, und werde aus politiſchen Grün- den gegen die Steuerreform ſtimmen. Alles in Allem, ich bin aus der Vereinigten Linken geſchieden, weil ich wirklich liberal bin. (Die Krönungs-Kundmachung,) welche morgen in den Straßen Moskaus unter Trompetenſchall und Trommelſchlag verleſen wer- den wird, hat folgenden Wortlant: „Der aller- durchlauchtigſte, allererhabenſte, großmächtigſte Herr und Kaiſer Nicolaus Alexandrowitſch hat, nach- dem er den von ſeinen Ahnen ererbten Thron „Woher — wieſo — wiſſen Sie!“ ſtam- melte ich. „Ich komme dorther und fahre auch morgen wieder dorthin zurück,“ ſagte ſie ausweichend; „übrigens hält der Zug in einer halben Stunde, und Sie finden dann gleich wieder Anſchluß nach Marburg.“ „Sie wiſſen gut Beſcheid auf dieſer Bahn- linie,“ ſagte ich verwundert. „Ja, ich fahre hier. — Jeſſes, Rudele, biſcht Du aber e unvernünftig Büeble! Wenn Du jetzt ’nausg’falle wärſt!“ Dies galt dem Jüngling mit dem gewür- felten Tuch, der ſich ſoeben aus dem Fenſter hinausgelehnt hatte und zwar mit ſolcher Vehe- menz, daß ihn die Schweſter bei ſeinem Jacken- zipfel vor dem Hinausſtürzen bewahren mußte. „’s iſcht nit ſo gefährlich!“ ſagte ärgerlich der Bruder, indem er ſeine Jacke von dem ent- würdigenden Griff befreite. Alſo wackere Schwaben hätte ich da offen- bar zu Reiſegefährten bekommen! Der trauliche Dialect klang ſo allerliebſt von den rothen Lippen meines Gegenübers, daß ich bereits zu bedauern anfing, ihn nicht länger hören zu dürfen. „Sie ſagten, daß Sie morgen wieder zu- rückkämen,“ knüpfte ich wieder an. „Meinen Sie damit nach Marburg?“ „Ja, das meint’ ich. Meine Schweſter iſt dort verheiratet, und ich lebe ſeit kurzem bei ihr; nur manmal beſuche ich eine andere Verwandte, die eine Stunde hinter Kaſſel lebt.“ Sie ſprach jetzt wieder in ſteifem Hochdeutſch, was ich innerlich bedauerte. Eine Viertelſtunde ſpäter ſtieg ich aus, ſah den Zug weiterbrauſen mit einem Gefühl von Verſtimmung, als führte er etwas Köſtliches von dannen und langte end- lich gegen Abend mit einem anderen Zuge hier in Marburg an. Helmer holte mich am Bahnhof ab. Ich er- fuhr von ihm, daß ſeine Frau mit ihm ſchon Nachmittags hiergeweſen ſei und uns nun zu Hauſe erwarte. Die Frau Profeſſor empfing mich mit lachender Schelmerei und mit ihrer halb heſſiſchen, halb ſchwäbiſchen Sprache, die ich ſo gern höre, neckte ſie auch: „Iſcht er wirklich heil angekommen, der Herr Profeſſor? Jeſſes, iſcht das e Wunder! Mir habe ſcho’ geglaubt, mei Schweſterle und ich, daß Ihne am End’ en Unglück paſſiere könnt’ auf dem weite Weg.“ „Iſt mir auch eins paſſiert, gnädige Frau, wozu bin ich denn ſonſt Privatdocent? — Aber Sie ſagen, Ihre Schweſter hätte dergleichen mit- vermuthet? Habe ich denn ſchon die Ehre von ihr gekannt zu ſein?“ „Nein, gekannt juſt nit! Aber mir habe ihr halt ſoviel erzählt von Ihne, daß ſie ſchon ganz gut B’ſcheid weiß, gelt Männele?“ Das Männele nickte verſchmitzt und mir ſträubten ſich heimlich die Haare. Bin ich etwa hierher gelootſt worden, um meuchlings verlobt zu werden? ... Furchtbarer Gedanke! Marburg, 1. Pfingſttag. Was iſt mir heute für ein wunderlich nettes Abenteuer begegnet! Den Tag hatten Helmer und ich mit einem famoſen Ausflug in die herr- liche Umgegend dieſes geſegneten Städtchens zuge- bracht; ich war außerordentlich vergnügt in der richtig dummen Pfingſtfreudeſtimmung. Als wir dann nach Haus kamen, war’s ſchon dämmerig, und in dem Flur des hübſchen Häuschens meines Freundes war es faſt dunkel. Helmer ging in ſein Arbeitszimmer, und ich hängte meinen Hut taſtend an den Garderobenſtänder. Mit einem Male huſcht etwas herbei, zwei kleine Hände legten ſich von rückwärts um meine Augen und eine helle, wohltönende Stimme ruft: „Gute Morge, Bielliebche!“ Ich rühre mich nicht. — Die Stimme der Sprecherin kam mir bekannt vor, und jedenfalls war die Berührung der kleinen, weichen Hände äußerſt angenehm: „Biſcht Du nit zufriede damit, Schwagerle? — Muß i denn vielleicht franzöſiſch rede?! No alſo dann: i ’y pense!“ Da ich aber immer noch nicht antwortete, ließ ſie mich los und ſprang vor mich hin. „Was haſcht Du denn heute, Emil? Biſcht ja ſo ſtill? — Jeſſes — Jeſſes — — — —“ In dieſem Augenblick hatte ſich die Thür zum Eßzimmer aufgethan und ein breiter Licht- ſtrahl war auf mich gefallen. Darauf hatte das Schweſterle, die keine andere als meine Reiſegefährtin war, aufgeſchrien und war Hals über Kopf fortgelaufen. Sie erſchien auch nicht beim Abendbrot, wie die Profeſſorin meinte, weil ſie ſchon vorher einen Imbiß genommen habe. Ich glaube aber, ſie ſchämte ſich. Das ſinde ich nun wieder reizend von ihr, daß ſie ſich ein bischen ſchämt. Ueberhaupt ..... Marburg, 2. Pfingſttag. Heute früh ſtand ſie im Garten und begoß die Blumen. Als ſie mich ſah, ſtieg ihr eine helle Blutwelle in’s Angeſicht und nun begoß

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 118, Olmütz, 22.05.1896, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches118_1896/2>, abgerufen am 21.11.2024.